Kapitel 4

Gefangen. Gefangen wie ein Vogel in den Krallen einer Katze. Jillian blickte sich ängstlich im Ballsaal um. Nein, es gab kein Entrinnen. Ihr Vater würde ihre Verlobung öffentlich bekanntgeben und sie zwingen, vor allen Leuten etwas zu erklären, was sie gar nicht wollte.

Sie hatte gehofft, Kopfschmerzen vortäuschen und den Ball verlassen zu können, bevor ihr Vater die Verlobung offiziell machen würde. Dann aber war der Herzog aufgetaucht, brachte sie entsetzlich durcheinander, und bis sie sich wieder gefangen hatte, war Bernard auch schon gekommen, um sie zu ihrem Vater zu bringen. Dieser stand bereits bei den Huntlys und bat darum, dass die Musiker ihr Spiel unterbrachen.

Jillians Hände fühlten sich kalt und verschwitzt an. Sie hatte versucht, sich dagegen zu wehren, dass Bernard sie auf das Podest zerrte, doch es war vergebens gewesen.

Lord Huntlys blasses Gesicht nahm Farbe an, sobald er sich der Gästeschar zuwandte. Und seine Stimme klang geradezu freudig erregt. »Meine Damen und Herren, ich habe eine famose Ankündigung zu machen! Es ist mir eine Ehre, die Verlobung von Lady Jillian Quigley, Tochter des Earl of Stranton, und Mr. Bernard Augustine bekanntzugeben!«

Bernards rosiges Gesicht strahlte vor Zufriedenheit, während Jillian daran dachte, was für ein Leben sie erwartete: Ihr Vater würde weiterhin über sie befehlen, sich als ihr Gebieter in allem und jedem aufspielen, nur würde fortan ihr neuer Ehemann gemeinsame Sache mit ihm machen. Verschlossene Türen, dunkle Geheimnisse … Ein drückender Schmerz baute sich hinter ihren Augenlidern auf. Nein! Sie kämpfte gegen die drohende Dunkelheit, die finstere Wolke von Erinnerungen hinter der dicken Eichentür.

Jillian schaute sich suchend nach ihrer Tante um, die sie jedoch nirgends entdecken konnte. Ach, könnte sie bloß ein einziges verständnisvolles Gesicht in der Menge ausmachen, das ihr den Mut gab, zu fliehen! Was gäbe sie darum, dem wilden Applaus und der allgemeinen Begeisterung zu entkommen. Aber es gab kein Entrinnen.

Dann fiel ihr Blick auf die elegante, in schwarze Seide gewandete Gestalt, die ganz allein, majestätisch und stolz dastand. Der Duke of Caldwell.

Jillian klammerte sich buchstäblich an seinen Anblick und rang sich ein Lächeln ab, um ihre Angst zu überspielen, während sie den Mund zu einem stummen Schrei formte. Hilf mir!


Grahams Hände begannen zu schwitzen, und sein Puls beschleunigte sich. Heute Nacht würde der Earl of Stranton sterben – er musste!

Mit betont kleinen Schritten näherte sich Graham dem kleinen Podest, ohne die Augen vom Gesicht des Earls zu wenden. Konzentriere dich auf dein Ziel! Keine Gefühle! Die Worte, die man ihm eingetrichtert hatte, als er zum Krieger ausgebildet wurde, hallten ihm durch den Kopf. Graham machte einen weiteren Schritt, erst dann bemerkte er aus dem Augenwinkel Lady Jillian, die neben seinem Feind stand. Sie war sehr blass, und ihre matt lächelnden Lippen formten einen stummen Laut, der wie ein Flehen aussah.

Er zögerte. Die entsetzliche Furcht in ihren Augen und ihr tapferes Lächeln – ach, wie gut kannte er das! Unzählige Male hatte er denselben Ausdruck im Spiegel gesehen. Die Hilflosigkeit und Angst, die man empfand, wenn man ausweglos in der Falle hockte, waren ihm nur zu vertraut. Maßlose Wut stieg in ihm auf und drohte, ihm die Kehle zuzuschnüren. Doch darauf konnte er im Moment keine Rücksicht nehmen. Ihr Vater musste bezahlen.

Dennoch erfüllte ihr Blick ihn mit einem tiefen Mitgefühl.

Vor zwanzig Jahren war niemand da gewesen, der Mitgefühl mit dem achtjährigen Jungen gezeigt hatte. Und wenn jemand es getan hätte?

Der Gedanke lenkte ihn ab. Graham blickte auf seinen Ärmel, in dem der Dolch verborgen war. Seine Muskeln spannten sich zum Sprung, seine Füße indessen klebten bleiern am Boden.

Jillians Blick beschwor eine entfernte Erinnerung herauf, zog ihn in die Vergangenheit zurück …

Die al-Hajid hatten den Engländer, der sie besucht hatte, al-Hamra genannte, den Roten. Eskortiert von schwerbewaffneten Kriegern war er ins Lager gekommen, um dem Stamm einen der wunderschönen geschmeidigen Araberhengste abzukaufen. Der achtjährige Graham hatte den Engländer angestarrt, den ersten, den er sah, seit seine Eltern zwei Jahre zuvor gestorben waren. Eine flüchtige Hoffnung hatte sich in ihm geregt. Gewiss würde dieser Mann ihn retten, sagten sie doch, er hätte große Macht im Land der Engländer.

Graham hatte sich stets in der Nähe der Männer aufgehalten, während sie sich mit ihm unterhielten, doch niemand hatte ihn bemerkt – das kleine, unsichtbare Kind. Die meisten hatten ihn ignoriert, mit Ausnahme jenes Kriegers, der ihn wie einen preisgekrönten Hund hielt. Trotzdem harrte Graham sehnsüchtig auf eine Chance, mit dem Fremden zu sprechen.

Die Gelegenheit hatte sich ergeben – als der Engländer sich torkelnd zu den Felsen begeben hatte, um sich zu erleichtern. Graham schlich hinter ihm her. Nachdem der Mann seine Notdurft verrichtet hatte, traute er sich näher an ihn heran.

»Bitte, Sir, helft mir! Ich bin Engländer wie Ihr, aber ein Gefangener. Die al-Hajid nahmen mich gefangen und halten mich als Sklaven. Bitte, bringt mich von hier fort!« Seine Stimme war brüchig gewesen, sprach er doch erstmals seit zwei Jahren in seiner Muttersprache – voller Verzweiflung und Hoffnung.

Der Mann hatte sich die Hose zugeknöpft. »Und warum sollte ich dir glauben oder dir helfen und meine Freundschaft mit den al-Hajid aufs Spiel setzen? Hast du Geld?«

»Nein, Sir«, hatte Graham unglücklich geantwortet. »Aber ich verspreche Euch, dass ich Euch Geld geben werde, wenn ich wieder in England bin. Meine Familie ist wohlhabend.«

»Ein Versprechen von einem Kind? Das taugt nichts!«

Graham biss sich auf die Lippe. Er hatte kein Geld. Aber er besaß diese Schatzkarte, sein wertvollstes Gut. Sie war in der Mitte entzweigerissen.

»Wartet bitte hier!«, bettelte er. »Ich habe etwas.«

Dann war Graham zu dem Versteck geschlichen, das er tief in den Sand gegraben hatte. Er hatte eine Hälfte der Karte herausgeholt und war damit zurück zu al-Hamra geeilt, um sie ihm anzubieten.

»Das ist eine Schatzkarte. Könnt Ihr Hieroglyphen lesen?«

Al-Hamra grunzte. »Nein, wozu sollte ich wohl die heidnischen Zeichen der alten Ägypter kennen?«

»Ich erlernte sie ein wenig. Mein Vater … brachte sie mir bei. Diese Karte führt zu einem großen Schatz in einer Pyramide.«

Der Mann betrachtete das alte brüchige Papyrusstück und schnaubte verächtlich. »Interessant, aber nicht genug, um dafür sein Leben zu riskieren. Weißt du, was die al-Hajid mit ihren Feinden machen, Junge?«

Oh ja, das wusste er! Er hatte gesehen, wie das Blut seiner Eltern den Sand tränkte, weil sie es gewagt hatten, Land zu überqueren, von dem die al-Hajid behaupteten, es gehörte ihnen.

»Bitte, Sir, bitte, ich flehe Euch an! Ich tue alles!« Graham hatte sich alle Mühe gegeben, nicht zu weinen.

Al-Hamra starrte ihn an. »So ein hübscher Junge«, sagte er mit einem seltsamen Ausdruck in den grünen Augen. »So ein ausgesprochen hübscher Junge.«

Graham wich zurück. Er erkannte diesen bohrenden, lechzenden Blick wieder.

»Wie heißt du, Junge?«

Sein Überlebensinstinkt hatte ihm gleich bei seiner Entführung gesagt, er solle den wilden al-Hajid besser nicht seinen wahren Namen verraten. Wer wusste, was sie mit ihm anstellten, wenn sie erfuhren, dass er der Erbe des Duke of Caldwell war? »Man nennt mich Rashid.«

»Nun, Rashid, die Karte ist hübsch. Ich sag dir was: Ich helfe dir, zu fliehen, wenn du mir die Karte gibst und noch etwas anderes …«

Und dann hatte ihn der rothaarige Teufel zu einem höllischen Tanz aufgefordert. Entsetzt lehnte er ab – bis al-Hamra hämisch einwandte: »Was ist schon ein Mal mit mir, verglichen mit einem Leben lang mit deinem arabischen Meister? Komm schon, Junge, ich verspreche dir, es dauert nicht lange.«

Also hatte Graham die Augen geschlossen und war dem Mann in sein Zelt gefolgt, wo er seine Seele verkaufte.

Hör auf damit! Du bist vollkommen sicher. Ruhig, ganz ruhig! Graham zwang seine Gedanken mit größter Anstrengung in die Gegenwart zurück. Sein Hemd klebte an seinem verschwitzten Oberkörper.

»Sir? Euer Glas.«

»Was?« Graham erschrak und sah den Diener mit den weißen Handschuhen verwirrt an.

»Euer Champagner-Glas, Euer Gnaden. Wünscht Ihr ein neues?«

Grahams Blick wanderte zu dem Kristallglas, das er kopfüber in der linken Faust hielt. Innerlich zitternd, holte er Luft. »Ja.«

Er reichte dem Diener sein leeres Glas und nahm sich ein gefülltes, dessen Inhalt er sogleich hinunterstürzte. Die kleinen Bläschen, die in seiner Kehle kribbelten, bemerkte er kaum, aber er dankte der englischen Etikette, die es Dienern untersagte, Fragen zu stellen, wenn Herzöge ihren Champagner auf den Boden gossen und dabei ihre Hosenbeine vollspritzten.

Allerdings war nun auch der Moment des Angriffs vertan und Grahams Entschlossenheit geschwächt. Der Earl würde überleben – vorerst.

Graham wandte sich wieder dem Podest zu. Während er versuchte, sein wild schlagendes Herz zu bändigen, sah er Jillian an. Er wollte das Flehen in ihren Augen nicht wahrnehmen, und dennoch schien er ihm nicht entkommen zu können. Zweifellos bat sie ihn, ihr zu helfen.

Wie gern würde er sich einreden, dass es ihn nichts anging, dass Jillian schon überleben würde. Genau wie er überlebt hatte. Aber zu welchem Preis?

Graham stellte sein Champagnerglas auf einem Tisch in der Nähe ab und ballte die Hände. Er sah zu al-Hamra, der lächelnd in alle Richtungen nickte, um die Gratulationen zu würdigen. Und während er ihn beobachtete, wurde Graham eine entsetzliche Wahrheit bewusst: Der Earl zählte ganz offensichtlich zu den angesehenen, einflussreichen Persönlichkeiten der englischen Gesellschaft. Er genoss jede Menge Achtung, nicht zuletzt auch die von Lord Huntly. Würde Graham der hier versammelten Menge entgegenschreien, was Stranton getan hatte, hielte sie ihn zweifellos für wahnsinnig. Niemand würde ihm glauben. Dank der Geschichte, die Kenneth in Umlauf gebracht hatte, wussten sie ja nicht einmal, dass er bei den al-Hajid aufgewachsen war. Wie zynisch es anmutete, dass ebenjene Geschichte, die ihm zu Respektabilität unter seinesgleichen verhelfen sollte, sein Untergang sein könnte!

Er hatte keinerlei Beweis für Strantons Verbrechen. Den aber brauchte er.

Der Schurke trug in diesem Augenblick eine zuckersüße Ansprache vor, der alle Gäste gespannt lauschten. Graham zwang sich, ihm zuzuhören. Gütiger Gott, es klang wie eine politische Wahlrede!

»Wie Sie alle wissen, hat sich Mr. Augustine meiner Kampagne für die Wiedererweckung und Neuausrichtung des Erlasses zu ansteckenden Krankheiten angeschlossen. Wir wollen nicht nur die gefallenen Mädchen in unserer schönen Stadt erfassen, sondern auch eine Gesetzgebung, die sich gezielt gegen Häuser von zweifelhaftem Ruf richtet und sie zu Bußgeldzahlungen verpflichtet. Das eingenommene Geld wird darauf verwendet werden, diesen Frauen zu helfen, anständigere Anstellungen zu finden. Die Sittenverstöße, die unsere Gesellschaft plagen, sind ein Affront gegen die aufblühende englische Generation tugendhafter Frauen, zu der auch meine Tochter zählt, die hier an meiner Seite steht.«

Graham hätte sich beinahe wieder verschluckt, und Jillians Lächeln gefror, als könnte es jederzeit ganz verschwinden.

Sie hatte ihre Jungfräulichkeit in einem der besagten Bordelle verkauft. Was würde aus dem politischen Einfluss des Earls werden, falls das bekannt wurde? Graham lächelte versonnen. Nein, eine solche Strafe war unzulänglich. Er wollte den Schakal auf den Knien sehen, um Gnade flehend – genauso flehend wie damals Graham selbst.

Die Antwort fiel ihm ein wie ein Echo aus der Vergangenheit, und zwar in den Worten des Khamsin-Scheichs, der sie Graham vorgesprochen hatte, als er seinen Treueschwur ablegte und zu einem Krieger des Windes wurde: »Kenne die Fehler deines Feindes. Sei wie das Raubtier, das die Gazellenherde beobachtet. Verschleiere deinen Duft genauso wie deine Absichten. Lerne die geheimen Wünsche deines Feindes kennen, und benutze sie, um ihn zu schwächen und niederzuschlagen. Wissen ist eine weit schärfere Waffe als der schärfste Krummsäbel«, hatte Jabari gesagt.

Und Graham kannte al-Hamras Schwäche. Aber er musste eine Vertrauensbeziehung zu dem Earl aufbauen, um ihn in die richtige Falle zu locken – ein schwieriges und beängstigendes Unterfangen, weit schwieriger und beängstigender als sein ursprünglicher Plan.

Und wenn er erfolgreich war? Strantons Familie würde sich niemals von dem Skandal erholen. Jillian wäre gesellschaftlich ruiniert. Gab es denn keinen Weg, sie davor zu bewahren?

Die Antwort brach mit der Gewalt eines Sandsturms über ihn herein, der durch die Wüste tobte. Lady Jillian wollte einer Ehe entgehen, die für sie nichts als Grauen bedeutete. Er wollte eine engere Beziehung zu ihrem Vater.

Ja, die Lösung war überraschend naheliegend. Und er würde sie wählen – ganz gleich, welche Konsequenzen sie mit sich brachte.

Jillian rang nach Atem und malte sich aus, was sie ihrem Vater voller Stolz entgegnen könnte. Innerlich explodierte sie vor Wortgewandtheit, die sie sich gegen seinen Willen angeeignet hatte, und vor all dem Wissen, das er nicht hatte im Keim ersticken können. Sie wollte Nein sagen.

Ganz in ihre Phantasie versunken, sah sie zu ihm und sackte sogleich in sich zusammen. Er war so triumphierend, so stark und sie viel zu schwach, um sich gegen ihn zu erheben!

Eine Bewegung in der Menge lenkte sie unvermittelt ab. Die imposante Gestalt in eleganter schwarzer Seide kam mit großen Schritten auf das Podest zu. Der Duke of Caldwell bahnte sich einen Weg zu ihnen, und vor ihm traten alle ehrfürchtig beiseite. Kurz vor dem Podest blieb er stehen. Sein feurig entschlossener Blick wanderte über sie alle. Lord Huntly begrüßte ihn in einem begeisterten und höchst respektvollen Ton, und zu Jillians Verwunderung stieg der Herzog die Stufen hinauf und stellte sich vor sie, die Beine ein wenig gespreizt und die Schultern stolz durchgestreckt.

Gleich darauf verkündete er mit lauter respekteinflößender Stimme, die durch den ganzen Saal hallte, Worte, die Jillians Blut gefrieren ließen.

»Wenn es Ihnen ernst ist mit dem, was Sie sagen, Lord Stranton, warum ist Ihre Tochter dann keine Jungfrau mehr?«

Jillian stockte der Atem. Gütiger Gott, nein …

Bernards Gesichtszüge entgleisten, und ihr Vater sah regelrecht komisch-schockiert aus.

»Wie könnt Ihr es wagen, sie zu beleidigen!«, platzte es aus ihm heraus.

Graham sah Jillian an. »Beleidigen? Ich weiß es, Sir, denn Lady Jillian und ich wurden letzte Nacht zu Liebenden.«

Jillian starrte ihn entsetzt an. Oh Gott, was tat er nur?! Wie konnte er so etwas sagen, nachdem ihr Vater soeben triumphierend seine Kampagne gegen Londons Halbwelt angekündigt hatte?

»Euer Gnaden, meine Tochter ist tugendhaft. Ich habe höchstselbst über ihre Jungfräulichkeit gewacht. Wo, bitte, soll dieser Akt stattgefunden haben?«, fragte ihr Vater.

Der Herzog lächelte.

Jillian flehte Graham mit Blicken an. Bitte, bitte, hört auf! Sagt es ihnen nicht! Nein, sagt ihnen nicht, wo Ihr meine Unschuld nahmt! Sollte er es doch tun, würde sie vor Scham sterben.

Graham bemerkte ihren verzweifelten Ausdruck. »Das, Sir, ist eine private Angelegenheit zwischen mir und der Dame.«

Vor Erleichterung bekam Jillian weiche Knie. Zugleich aber spürte sie, wie der zornige Blick ihres Vaters sich auf sie richtete.

»Jillian, was hat das zu bedeuten?«, zischte er streng.

Ihre Lippen bewegten sich, obwohl kein Laut herauskam, und sie fühlte, wie sie feuerrot wurde. Ein Raunen ging durch die Menge, und alles verschwamm ihr vor den Augen. Einzig Grahams vollkommen ruhiger Blick gab ihr ein wenig Halt.

Nun meldete Bernard sich zu Wort, dessen Stimme einem Heulen ähnelte. »Jillian, warum sagt er solche Sachen? Sagen Sie ihm, dass er damit aufhören soll!«

Aber das konnte sie nicht.

Graham betrachtete ihren Verlobten beinahe mitleidig. »Mein Gewissen lässt nicht zu, Sie die Dame ehelichen zu lassen und dabei von falschen Voraussetzungen auszugehen, Mr. Augustine. Die Schuld liegt ganz allein bei mir.«

Dann fügte er mit einem Unterton tiefer Bewunderung hinzu: »Ich konnte Lady Jillians Schönheit nicht widerstehen und habe sie verführt.«

Es war eine Entschuldigung, mit der er sich eigentlich nicht entschuldigte, wie Jillian feststellte, und dafür war sie ihm dankbar.

»Jillian, sagen Sie mir, dass er lügt!«, flehte Bernard.

Lippen, die schon zuvor gelogen hatten, formten sich zu einer Zustimmung: Ja, er beschuldigt mich zu Unrecht. Sie öffnete den Mund, um die Worte des Herzogs zu leugnen. Stattdessen jedoch kam leise heraus: »Er … lügt nicht.«

Ihr Verlobter wurde puterrot und wandte sich gequält und angewidert an ihren Vater. »Unter diesen Umständen, Lord Stranton, kann ich Ihre Tochter nicht heiraten.«

»Nein, Mr. Augustine, das werden Sie auch nicht«, erklärte Graham gelassen, »denn ich möchte hiermit um ihre Hand anhalten.«

Jillian starrte ihn erschrocken an.

Der sichtlich überforderte Lord Huntly rieb sich den Schnauzbart. »Ich bin ein wenig verwirrt. Ähm, welche Verlobung soll ich nun bekanntgeben?«

»Meine«, antwortete der Herzog gelassen. »Allerdings sollten vor den öffentlichen Gratulationen einige Einzelheiten geklärt werden.«

Jillian sah, wie es in ihrem Vater arbeitete. Zum ersten Mal im Leben schienen ihm die Worte zu fehlen, während der Herzog offenbar der einzige Mensch im Ballsaal war, der begriff, was hier vor sich ging, und die Situation vollkommen unter Kontrolle hatte. Angesichts seiner mächtigen, imposanten Gegenwart wirkten alle anderen Männer buchstäblich geschrumpft. Und jeder ehescheue Junggeselle nahm sich nach seinem schockierenden Geständnis und seiner gewagten Absichtserklärung geradezu rückgratlos aus.

Plötzlich bemerkte Jillian, wie alle jungen heiratsfähigen Damen im Saal Graham unverhohlen interessiert beäugten. Mit seinem Geständnis hatte er sozusagen den Einsatz erhöht und sich von einem distanzierten Exoten in einen äußerst reizvollen Verführer gewandelt. Nicht nur zahlreiche der jungen Damen, sondern sogar einige der prüden Anstandsdamen stießen wehmütige Seufzer aus, worauf aus mehreren Herrenmündern gemurmelte Zurechtweisungen vernehmbar wurden.

Graham lächelte frostig. »Ich denke, wir sollten uns besser in einen anderen Raum zurückziehen, um alles zu besprechen. Zunächst aber bitte ich um ein Wort mit Ihrer Tochter, Lord Stranton.« Und ohne auf eine Antwort ihres Vaters zu warten, fasste Graham sie beim Ellbogen und schickte sich an, Jillian aus dem Saal zu führen.

»Sie sollten nicht allein sein! Das ist unanständig!«, plusterte Bernard sich auf.

Jillian hörte, wie Lord Huntly darauf zynisch erwiderte: »Ich denke, es ist ein wenig spät, um sich darum zu sorgen.«

Sturm der Leidenschaft: Er suchte einen verborgenen Schatz - und fand die Liebe seines Lebens
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