Kapitel 19
Als sie sich am nächsten Tag zum Aufbruch bereit machte, fühlten Jillians Glieder sich schwer an. Sie war verschlafen und ein bisschen wund nach der heißen Liebesnacht, während der sie beide immer wieder eingenickt, dann wieder aufgewacht waren und sich ein weiteres Mal geliebt hatten. Und wann immer Graham sich mit fiebriger Leidenschaft zu ihr gewandt hatte, war sie bereitwillig in seine ausgestreckten Arme gekommen. Wieder und wieder hatte er sie liebkost, bis sie gebettelt und geschluchzt hatte, um sie sodann aufs Neue in höchste Wonnen zu entführen. Es war beinahe, als bekämpfte er die Dämonen in seinem Innern, indem er sie ein ums andere Mal verführte.
Nach einem kurzen Frühstück, bestehend aus frischer Kamelmilch, Joghurt und flachem Brot, machten sie sich fertig. Jillian zog die weite dunkelblaue Hose mit der passenden langen Bluse an, die sie von Katherine bekommen hatte. Anschließend streifte sie sich den Kaftan über und steckte ihre kleine goldene Uhr daran. Als Nächstes folgten die Baumwollstrümpfe und Stiefel aus dem weichsten Leder, das Jillian je gesehen hatte. Graham umrahmte ihre Augen mit schwarzem Kajal und erklärte ihr, dass sie dadurch weniger von der Sonne geblendet würde. Dann wickelte er ihr einen weißen Turban um und zeigte zum Spiegel.
Sie betrachtete sich. »Ich sehe aus wie eine wandelnde Mumie.«
»Aber wenigstens wirst du dich nicht verbrennen.« Er öffnete eine Dose mit weißer Paste, die er ihr auf sämtliche unbedeckten Hautstellen auftrug. »Die musst du unbedingt mitnehmen. Deine Haut ist wie blasses Elfenbein, und wenn du sie nicht schützt, wird sie verbrennen.«
Sie nahmen ihre getrockneten Datteln und eine mit Butter aus Kamelmilch gefüllte Ziegenhaut mit. In Wasser eingeweicht waren wertvolle Nahrungsmittel. Jillian packte den Rest ihrer Sachen zusammen, trat aus dem Zelt und reichte Graham ihren Rucksack.
Andere Khamsin waren gekommen, um ihnen zu helfen – sogar der Scheich. Jabari betrachtete Jillian mit einem wissenden Blick, und sie wurde prompt feuerrot. Gewiss hatte der ganze Stamm sie letzte Nacht gehört.
Die größte Überraschung jedoch bot Ramses. Alles Schelmische und Scherzhafte an ihm war verschwunden. Stattdessen sah er äußerst besorgt aus, als er ihr half, ihr Gepäck hinter Shebas Sattel zu sichern.
»Vielen Dank, dass du ihn dazu gebracht hast, mich mitzunehmen!«, murmelte sie.
Ramses lehnte sich an das Kamel und musterte sie so eingehend, dass sie schon wieder rot wurde.
»Es ist zu seinem eigenen Besten, Jillian. Hab Geduld mit meinem Freund, und verlass ihn nicht, ganz gleich, was passiert! In der Wüste wird er deine ganze Kraft brauchen.«
»Ich habe keine Kraft«, entgegnete sie.
»Da irrst du dich gewaltig«, konterte er. »Du besitzt die größte Kraft von allen, die einer liebenden Frau.«
Jillian nagte an ihrer Unterlippe. »Woher weißt du das?«
Er sah voller Zärtlichkeit zu seiner Frau, die ihnen einen Beutel mit Kräutern zusammenstellte. »Ich weiß es.« Dann blickte er wieder zu Jillian. »Allah sei mit dir, Lady Jillian. Und sei vorsichtig! Die Wüste kann den stärksten Mann töten, aber die Dunkelheit in seinem Innern ist es, die ihn seine Seele verlieren lässt.«
Jillian wollte auf keinen Fall eine Belastung sein, und so trat sie ihre Reise durch die weite westliche Wüste mit munterer Entschlossenheit an. In der sengenden Hitze wich diese allerdings bald schon einer beharrlichen Willenskraft.
In einer Schute hatten sie über den Nil gesetzt und nun schon vor Stunden die fruchtbaren grünen Täler hinter sich gelassen. Ihre Karawane aus vier Kamelen, von denen eines ihre Ausrüstung trug und ein anderes die eisernen Wassertanks, trottete gelassen dahin, während die sengende Sonne erbarmungslos auf sie hinunterbrannte. Hier gab es kein Entkommen. Nicht einmal der schmalste Schattenfleck tat sich in der flachen kargen Ebene auf. Jillians Schenkel und Po schmerzten vom Reiten im hölzernen Sattel. Sie leckte sich die staubigen trockenen Lippen und atmete den Geruch des Baumwollschals ein, der ihre untere Gesichtshälfte bedeckte. Dann wedelte sie eine Fliege weg, die hartnäckig Shebas Ohren umschwirrte. Meilenweit war nichts, und trotzdem gab es hier Fliegen.
Als Graham verkündete, sie würden eine Rast machen, glitt Jillian dankbar und erschöpft von ihrem Kamel. Er breitete einen kleinen Teppich aus und sagte ihr, sie solle sich setzen.
Sie hockte sich auf den Boden und sah sich um. Keine Bäume, nicht einmal Felsen. Nichts als Sand, endloser Sand. Jillian sehnte sich nach einer warmen Mahlzeit oder auch nur einem heißen Tee, aber sie musste wohl mit kalten Konserven Vorlieb nehmen.
Graham angelte etwas aus seinem Rucksack und warf es ihr zu. Verwundert blickte sie auf die zwei weichen Steine und den kleinen Holzstab.
»Nimm die Steine, um einen Funken zu erzeugen, und zünde damit das Holz an.«
»Und was nehmen wir als Brennstoff? Sand?«
»Etwas, das hier annähernd so reichlich zu haben ist.«
Ihr gefiel sein vielsagendes Grinsen nicht recht, als Graham ein anderes Bündel aufschnürte, eine kleinere Tasche daraus hervorholte und ihr zwei bräunliche, kastenförmige Brocken entnahm. »Brennstoff.«
Jillian beugte sich neugierig vor. »Torf?«
»Kameldung.«
Er lachte, als sie angewidert zurückschrak, und legte die Dungbrocken, die er mit einem Stofftuch hielt, auf den Boden. »Ein sehr ergiebiger Brennstoff, nachdem man ihn in der Sonne getrocknet hat. Die Beduinen benutzen nichts anderes. Dung ist fast so gut wie Kohle.«
»Kohle wäre mir allerdings lieber«, sagte sie.
Graham stellte ein kleines Dreieck aus Stäben auf, in das er oben einen beschlagenen silbernen Topf einhängte. »Teezeit«, erklärte er munter. »Jetzt brauchen wir nur noch ein Feuer.«
Nachdem sie ihm wortlos bedeutet hatte, wie wenig amüsiert sie war, wandte sie sich seufzend wieder den Steinen zu und schlug sie aneinander – wieder und wieder. Obwohl es sie zusehends frustrierte, blieb Jillian hartnäckig dabei, während Graham sie seelenruhig beobachtete.
Schließlich gab es tatsächlich einen Funken, und das Holzstückchen fing Feuer. Sie nahm es auf und hielt es an den getrockneten Dung. Es war erstaunlich, wie schnell die Brocken anbrannten, und bald schon knisterte ein schönes Feuer.
Stolz auf ihren Erfolg, sah sie zu Graham auf, der immer noch grinste. »Hat aber ganz schön gedauert«, bemerkte er.
Sie rümpfte die Nase. »Ich vermute, bei dir geht es schneller.«
»Hiermit schon.«
Er warf ein kleines Päckchen englischer Streichhölzer auf den Sand. Jillian runzelte die Stirn. »Und du hast mich … Wahrscheinlich fandest du es lustig, zuzusehen, wie ich mich zum Narren mache!«
Nun wurde er sehr ernst. »Ich war sicher, dass du ein Feuer machen könntest. Und du musst es allein schaffen.«
Er setzte sich neben sie und zog die Knie an seine Brust. »Jillian, die Wüste ist ein sehr lebensfeindlicher Ort. Kräftige gesunde Männer sterben hier draußen. Um zu überleben, muss man sich auf seine eigenen Fertigkeiten verlassen können.«
Die Vorstellung, dass er ihr zugetraut hatte, es zu schaffen, machte sie sprachlos. Nie zuvor hatte jemand ihr gesagt, er würde ihren Fähigkeiten vertrauen. Verlegen und hocherfreut über sein Kompliment, malte sie mit dem Finger im Sand.
»Der Tee ist bald fertig.« Graham schüttelte eine kleine Schachtel vor ihr. »Von einem der besten königlichen Hoflieferanten in London.«
Jillian beäugte den kleinen Kessel über dem Feuer. »Ist er … anders, wenn man das Wasser so kocht?«
»Er ist genau, als würde man ihn in einem englischen Garten trinken«, antwortete er grinsend.
Sie rümpfte die Nase. »Mit dem einzigen Unterschied, dass es in einem englischen Garten angenehmer riecht.«
Jillian packte eine Dose mit Keksen aus ihrem Rucksack aus, legte ein paar davon auf einen Holzteller und half Graham beim Aufbrühen des Tees. Es war ein recht bizarrer englischer Tee, wurde der Salon doch durch einen gleißend blauen Himmel und eine unendliche Ödnis aus Sand ersetzt.
Sie aßen schweigend. Ihr Mann saß im Schneidersitz neben ihr und schien vollkommen entspannt. Offenbar hatte er das bereits gemacht – nicht nur ein Mal, sondern oft. Als hätte er so gelebt. War das Grahams Geheimnis? Die Geschichte von dem freundlichen englischen Paar, das den verschreckten Jungen rettete, schien Jillian immer unwahrscheinlicher.
»Wie viele Jahre hast du bei den Khamsin gelebt?«, fragte sie.
Er sah sie erschrocken an. »Jahre?«
»Du bist mit der Wüste und der Kultur hier viel zu vertraut für jemanden, der lediglich hin und wieder zu Besuch war, Graham. Trotzdem erzählst du mir nicht von der Vergangenheit. Wovor hast du so große Angst, dass du es mir verschweigst?«
Graham stand auf und streifte sich die Krümel vom Umhang. »Es wird spät. Du solltest dich beeilen und austrinken, wenn wir unseren Zeitplan für heute einhalten wollen.«
Sie rappelte sich hoch. »Graham, was ist hier draußen?«
»Hast du jemals einen feindlichen Stamm gesehen, Krieger, die mit ihren Kamelen auf dich zugerast kommen und dabei ein Geheul ausstoßen, dass dir das Blut in den Adern stockt und dir die Angst die Kehle zuschnürt? Hast du schon einmal gesehen, wie ihre Säbel im Sonnenlicht blitzen, kurz bevor sie ihre schreienden Opfer niedermetzeln?«
»Nein«, flüsterte sie.
»Dann pack ein, und tu, was ich dir sage!«
Eine Stunde später rief sie ihm zu, hochrot im Gesicht. Er hielt an, stieg ab und holte einen kleinen Spaten aus einer der Taschen, den er ihr schweigend reichte. Dann griff er noch einmal in die Tasche und kramte zwei Zeitungen hervor. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch.
»Was ist dir lieber, Godey’s Lady’s Book oder Punch?«
»Ich nehme Lady’s Book. Auf diese Weise kann ich gleich unmissverständlich mitteilen, was ich von der derzeitigen Mode halte.«
Er grinste und kehrte ihr – ganz Gentleman, der er war – den Rücken zu, während sie ein Stück wegging, um eine geeignete Stelle zu finden. Ihr war, als wäre sie von Kopf bis Fuß schamrot. In der weiten offenen Ebene gab es keine Privatsphäre. Und sie hatte das dumpfe Gefühl, dass dieser Umstand noch die geringste Herausforderung von allen war, die ihr bevorstanden.
Nach zwei Tagen ununterbrochener Reise kam Jillian zu einer unerfreulichen Erkenntnis. Je länger sie unterwegs waren und je eifriger sie sich um das Gespräch mit Graham bemühte, umso abweisender wurde er. Sie fragte ihn nach seiner Freundschaft mit den Khamsin, doch er antwortete nur ausweichend und einsilbig.
Als sie eine Rast einlegten, zog sie die Kappe von dem Ziegenhautbeutel ab und trank gierig von dem Wasser. Graham nahm ihr den Beutel vorsichtig ab.
»Langsame Schlucke, sonst wird dir übel«, sagte er ruhig.
Jillian leckte die letzten Tropfen von ihren Lippen und blickte sich um. Nichts als flacher Sand, endlose Wüste und grellblauer Himmel. Sogar das leichte Sandgestöber auf der flachen Düne, die sie eben passiert hatten, schien aufgehört zu haben. Diese Hitze war fürwahr mörderisch.
Graham schnallte den Wasserbeutel wieder an seinen Sattel. Tiefe Falten zerfurchten seine Stirn, als er vollkommen still wurde und lauschte. Ein ungutes Gefühl regte sich in Jillian. Sie drehte sich in die Richtung um, aus der sie gekommen waren, konnte jedoch nichts sehen.
»Was ist?«
Er antwortete nicht. Während eine Windböe an seinem dunkelblauen Umhang zerrte, blähten seine Nasenflügel sich, als könnte er im Wind riechen, dass es Probleme gab. Nun wurde auch Salomon unruhig, stampfte auf der Stelle und schnaubte verhalten. Sheba hob ihren gelbbraunen Kopf und tat es Salomon gleich.
»Fühlst du das?«, murmelte Graham.
»Ich kann nichts hören.«
»Du hörst es auch nicht gleich. Zuerst fühlst du es.«
»Was fühlen? Graham, du machst mir Angst!«
Er blickte in die Ferne. »Er kommt: der Khamsin.« Er rannte zu den Kamelen und rief Jillian zu: »Beeil dich! Wir können ihm nicht entkommen, aber vielleicht schaffen wir es rechtzeitig bis zu dem Felsen.«
Sie eilte zu Sheba und stieg auf, immer noch verwundert und reichlich ängstlich. »Bedeck dein Gesicht!«, befahl er ihr, zog die Sattelgurte fester und schwang sich in seinen Sattel. »Jetzt kannst du zeigen, was für eine gute Reiterin du bist!«
Jillians Herz galoppierte in ihrer Brust, als sie donnernd losritten. Wenngleich sie nach wie vor keine Ahnung hatte, was er meinte, überzeugte sie doch die Dringlichkeit, mit der er ihr befahl, so schnell zu reiten, wie sie konnte. Als sie einen Blick über die Schulter nach hinten wagte, wurde ihr schlagartig eiskalt. Eine gigantische Welle kochenden Wüstensandes wirbelte auf sie zu.
Jetzt begriff sie. Khamsin – Ägyptens gefürchteter heißer Sandsturm, ein Westwind, der tödlich sein konnte.
Der Wind rückte erbarmungslos heran, eine schwarze Wolke, die sich wie ein Heuschreckenschwarm vorwärtsbewegte und die gleißende Sonne verdunkelte. Sie brauchten Schutz, wenn sie nicht lebendig begraben werden wollten – verschüttet unter Unmengen von brennend heißem Sandkies.
Jillian trieb ihr Kamel mit zitternden Füßen an.
Der Khamsin jagte ihnen nach, dröhnte immer näher und näher heran. Jillian klammerte sich an ihren Sattel, über den Hals des Kamels gebeugt, und drängte Sheba, schneller zu laufen. Eine kleine Gruppe roter Felsen ragte ein Stück vor ihnen aus dem Sand. Sie erreichten sie knapp vor der finsteren, heulenden Wolke.
Graham sprang von Salomon und hielt ihn an den Zügeln, um ihn hinter den höchsten Felsen zu führen. Dann rannte er zu Jillian und half ihr aus dem Sattel, bevor er sie eilig hinter einen der Felsen zog und sie anwies, sich hinzuhocken.
»Kopf runter und Gesicht zum Boden! Sieh auf keinen Fall nach oben, egal, was passiert!«, brüllte er über das Donnergrollen des Windes hinweg.
Jillian beugte sich vornüber und legte die Arme schützend um ihren Kopf. Im nächsten Moment fühlte sie, wie Graham sich über sie beugte und sie mit seinem muskulösen Körper abschirmte. Sie bebte vor Angst, als das Dröhnen lauter wurde und sie kurz darauf fühlte, wie die Welle über sie hinwegschoss.
Heißer Sand stach sie brennend überall dorthin, wo noch Haut von ihr freilag. Sie kniff die Augen besonders fest zu und inhalierte die wenige Luft durch ihren Schal. Der Sand rieb sich in ihre Stiefel und ihre Kleidung. Dabei schützte Grahams Körper sie noch vor dem Schlimmsten. Sie krümmte sich unter ihm, während ein Meer von Sand über sie hinwegtobte.
Stunden schienen vergangen, bis Graham schließlich aufstand und sie von seinem Gewicht befreite. Jillian bewegte zaghaft ihre verspannten Muskeln und hustete den Staub aus, der ihre Atemwege blockierte. Als sie die Augen öffnete, musste sie mehrmals blinzeln, um den feinen Staub zu vertreiben, ehe sie sich umsah. Das konnte nicht sein!
Alles war von Sand bedeckt. Eine dünne Schicht roten Staubs bedeckte Grahams blaue Kleidung und seine Haut. Und die Felsen waren zu Dünen geworden. Sie fuhr erschrocken zusammen.
»Die Kamele!«
»Denen geht es gut.« Er ging und klopfte Salomon den Hals, der mit derselben roten Sandschicht bedeckt war.
»Das war also ein Khamsin.«
»Nein.« Graham prüfte den Inhalt der Satteltaschen. »Der Khamsin kommt Anfang des Sommers und dauert bis Mai. Das war ein ganz gewöhnlicher Sandsturm.«
»Warum hast du dann gesagt, es sei ein Khamsin?«
Er hielt inne und sah sie mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck an. »Wegen etwas, das vor langer Zeit geschah«, murmelte er, bevor er sich wieder vollkommen verschloss.
Der Mann war zum Haareraufen! Wieder und wieder wurde er schweigsam wie die Wüste, weigerte sich, irgendetwas preiszugeben. Und währenddessen fühlte Jillian sich genauso leer wie das öde Land, das sie durchquerten. Machte er so weiter? Würde er sie auf ewig Tag für Tag ignorieren, genau wie ihr Vater es getan hatte, obwohl er behauptete, dass ihm an ihr lag?
Eine unbändige Wut packte sie, nicht minder bedrohlich als der Sandsturm. Und als Graham ihr die Zügel ihres Kamels entgegenschleuderte, entlud sie sich.
»Rede mit mir, Graham! Hör auf, mich wie ein Kamel zu behandeln! Ich bin deine Frau!«
Er warf ihr einen kurzen verwunderten Blick zu.
»Nein, stimmt nicht. Du behandelst mich nicht wie ein Kamel, denn mit deinem Kamel redest du, während du mit mir nicht sprichst. Du ahnst nicht einmal, wie sehr es mir wehtut, wenn du mich so ignorierst. Bitte, tu mir das nicht an! Schrei mich an, brüll herum, irgendetwas! Alles, aber bitte ignorier mich nicht!« Ihre Stimme schrumpfte zu einem Flüstern, weil ihr Hals voller Sand schien und überhaupt jede Pore mit Schmutz und Staub angefüllt war.
Er ließ die Zügel fallen und kam zu ihr. Sanft legte er eine Hand an ihre vom Sandeinschlag brennende Wange. Voller Sorge sah sie zu ihm auf. »Sprich mit mir!«, flehte sie ihn an.
»Worüber soll ich reden?«
»Ich habe das Gefühl, dass zwischen uns eine riesige Kluft ist, wie eine Schlucht, die sich über Meilen erstreckt. Und ich will darüberspringen, um bei dir zu sein, aber ich fürchte mich vor dem Sprung. Ich habe Angst, dass du mich fallen lässt.«
Etwas in seinen Augen veränderte sich, nur konnte sie diesen Ausdruck nicht deuten. »Ich würde dich nicht fallen lassen.«
Sie hob die Hand und strich ihm übers Kinn. »Dann vertrau mir!«
Das Gesicht gen Horizont gerichtet und den Mund zu einer strengen Linie unter seinem schwarzen Bart zusammengepresst, stand er da, bevor er antwortete: »Ich sagte, es wäre ein Khamsin, weil ich, als ich klein war, diesen Stamm am meisten fürchtete. Eines Tages überfielen sie das Lager, in dem ich lebte. Sie waren mutige Männer, ritten schnell wie der heiße Wüstenwind und ließen sich durch nichts aufhalten. Ich stand vor meinem Zelt, sah zu, wie die Säbel aneinanderkrachten, und lauschte dem Toben der Schlacht. Dann kam ein Khamsin-Krieger auf mich zu, seinen Säbel gezückt. In der Hitze des Gefechts ist es manchmal schwer, einen Krieger von einem Jungen zu unterscheiden. Er hob sein Schwert, und ich wusste, dass ich sterben würde. In letzter Sekunde hielt er inne.«
Jillian starrte ihn entsetzt an. »Hattest du keine Todesangst?«
»Nein, aber ich weinte, als sie fortritten.«
»Warum weintest du da, wo alles vorbei war?«
Er starrte sie mit einem Blick an, bei dem sie erschauderte. »Weil sie wegritten und ich zurückblieb. Weil sie mich am Leben ließen.«
Mehr sagte er nicht.