Kapitel 26

Das Zelt, das er auf dem Sand errichtet hatte, schützte seine Frau vor dem grellen Licht. Graham kniete neben ihr. Sein Hals brannte, als er Jillian ansah, die ihn geliebt hatte, die ihn dazu gebracht hatte, sich seinen finstersten Dämonen zu stellen. Nun lag sie auf einer Decke und war so entsetzlich trocken. Ihr blasser, zarter Körper war vollkommen ausgetrocknet. Er kniff die Augen zu und sah sie vor sich, eingefallen wie eine Mumie, die für die Ewigkeit präpariert war. Die Wüste entzog ihr gierig sämtliche Flüssigkeit.

Graham berührte sanft ihre Hüften, die leicht gerundet waren. Sie war nicht schwanger. Mehrfach schon hatte er sich ausgemalt, wie sie sein Kind trug, sich vorgestellt, wie sie es stöhnend und schwitzend gebar, genau wie sie gemeinsam beim Liebesakt gestöhnt und geschwitzt hatten.

Er behandelte sie mit derselben Behutsamkeit wie Badra ihr Neugeborenes, zog ihr vorsichtig die schmutzigen Kleider und die Stiefel aus, bis sie nackt auf der Decke lag. Ihre Haut zeigte bereits deutliche Symptome von Dehydrierung.

Wasser war keines mehr da, lediglich die Flüssigkeit seines Körpers. Graham benetzte sich die rissigen Lippen und sammelte so viel Speichel wie möglich in seinem Mund. Dann küsste er sie und reichte ihr so das kostbare Nass weiter. Ihr Atem ging langsam und schwach, und ihr Brustkorb bewegte sich kaum noch. Hilflos sah er mit an, wie das Leben aus ihr wich.

Sein von der Hitze ausgedörrter Verstand begann, ihren Körper als Frucht zu sehen. Ihre wunderschönen Brüste wurden zu runden Äpfeln, und er stellte sich vor, wie der Saft seinen Gaumen füllte, wie er ihn an sie weitergeben könnte, um sie zu erfrischen und ihr neues Leben einzuhauchen.

Ihr Nabel war eine entkernte Dattel, die den Schmerz in seinem rauhen Hals linderte, seinen ausgetrockneten Mund befeuchtete und seinen geschwächten Leib stärkte. Er benetzte sich die Finger mit Speichel und strich über ihren Bauch, so dass sie schmale Linien darauf malten. Auf alle erdenklichen Weise wollte er ihr Flüssigkeit geben, das Leben, das noch in ihm war, an sie weiterreichen. Seine Fingerspitzen glitten über ihre blasse Haut. Sommersprossen markierten sie hier und da wie die Punkte auf einer Landkarte. Zaghaft tauchte er in das Dreieck roter Locken zwischen ihren Schenkeln und in die Vertiefung, in die er so gern eingedrungen war. Auch dort war sie trocken wie der heiße Wüstensand. Doch er stellte sie sich als eine taubenetzte Granatapfelhälfte vor, deren schwerer Saft ihn lockte, sich in sie zu versenken und seinen Körper wie seinen Geist an ihr zu beleben.

Graham nahm den leeren Wasserbeutel und drückte ihn über ihren geöffneten Lippen aus. Ein letzter Tropfen fiel auf Jillians Mund. Graham schob ihn mit dem Finger auf ihre Zunge.

Dann nahm er beide Ziegenhautbeutel und trat hinaus in die sengende Sonne. Die Helligkeit schmerzte ihn in den Augen und drohte, sie zu Tränen zu reizen. Doch in der Wüste durfte man keine Flüssigkeit verschwenden. Wer hier überleben wollte, konnte es sich nicht erlauben, zu weinen.

Vor seinem geistigen Auge sah er Jillian im Sand liegen, der einem Liebhaber gleich ihren sterbenden Körper umfing – den Körper, der trockengebleicht und so allein war. Die Wüste legte sich auf ihn, wie Graham sich nachts auf ihn gelegt hatte, drang wie er in ihre verborgensten Stellen, kostete ihre Süße und wurde mit ihr auf eine Weise vertraut, wie Graham es nicht konnte. Er war eifersüchtig auf den heißen, gierigen Sand, der sie ganz und gar verschlang. Genau das wollte er eigentlich tun; er wollte in jede einzelne ihrer Zellen vordringen, in sie eintauchen, sie in- und auswendig kennen. Doch leider war es ihm nicht möglich.

Nein. Die Wüste raubte sie ihm. »Jillian gehört mir!«, brüllte er. »Mir! Ich werde sie dir nicht überlassen!«

Die Stille verhöhnte ihn, während der Wind ihm Sand ins Gesicht blies. Aus dem Nichts meinte er die Worte zu vernehmen: Dann muss ein Opfer gebracht werden.

Sein Blick fiel auf das Kamel, das neben dem winzigen Zelt lag. Salomon. Sein Freund in der Wüste.

Ich kann nicht. Aber ich muss.

Er erinnerte sich an Salomons Geburt, als er das kleine Tier aus dem Mutterleib gezogen und es nach dem legendären König benannt hatte. Er dachte daran, wie hartnäckig Salomon sich gegen das Geschirr sträubte. Salomon hatte Datteln aus Grahams Hand gefressen, hatte ihn einst nachts in der Wüste angestupst, als Graham schlief, um ihn vor den Wegelagerern zu warnen, die ihn töten und ausrauben wollten.

Ja, Salomon hatte ihm einmal das Leben gerettet, und nun musste er es wieder tun. Graham nahm beide Wasserbeutel in eine Hand und zog mit der anderen seine Jambiya. Mit dem Daumen fuhr er über die scharfe Klinge. Als er sich Salomon näherte, hob das Tier schwach den Kopf. Graham hockte sich neben sein verwundetes Kamel.

Große feuchte Augen blickten ihn an. Dann neigte Salomon den Kopf und stupste mit der Nase gegen Grahams Schenkel, bevor er ihn wieder ansah. Sein altersloser weiser Blick verriet, dass Salomon ahnte, was geschehen würde.

Keine Tränen in der Wüste! Graham streckte sein Messer gen Himmel. Er brachte dem heißen Wind, der brennenden gelben Sonne und dem erbarmungslosen Sand eine Opfergabe dar.

Ein kurzes Gespräch und einen schnellen Schnitt später hielt Graham einen Wasserbeutel unter Salomons Hals, um das Blut aufzufangen. In der Wüste bedeutete Flüssigkeit Leben. Graham trank das Blut, wobei er sich zwang, nur kleine, langsame Schlucke zu nehmen.

Ein einzelner Tropfen rollte über den Hals des Kamels. Graham fing ihn mit dem Finger auf und trank ihn.

Nachdem das Tier ausgeblutet war, band Graham den Wasserbeutel zu und stellte ihn beiseite. Wie er es von seiner Beduinenfamilie gelernt hatte, schlitzte er den Bauch des Kamels auf und ließ das Wasser aus dem Magen in den zweiten Ziegenhautbeutel laufen. All das tat Graham mit einer benommenen Distanziertheit. Schließlich stellte er den Beutel beiseite, dessen Inhalt in wenigen Stunden trinkbar wäre.

Dann nahm er den Behälter mit dem Blut und ging in das Zelt, um seine Frau ins Leben zurückzuholen.

Dunkelheit umfing sie und zog sie hinunter. Jillian ließ sich einfach fallen. Sie wollte für immer in die Finsternis eintauchen.

Die strenge Männerstimme hatte es ihr nicht erlaubt, hatte sie gedrängt, die dicke Flüssigkeit zu trinken, die sie am liebsten gleich wieder ausspucken wollte. Aber sie zwang sich, weiterzutrinken. Also hatte sie es getan, war unendlich erschöpft eingeschlafen und musste gleich wieder trinken, als sie aufwachte.

Nun hörte sie eine ganze Reihe neuer Stimmen um sich herum. Weiter weg riefen Leute arabische Worte, die sie nicht verstand. Sie fühlte, wie sie hochgehoben und hinaus in die grelle Sonne getragen wurde, bevor sie erneut im Schatten lag. Was für ein Segen! Sie spürte den harten Boden unter sich, gepolstert von einer dicken Decke. Die murmelnden Stimmen wurden leiser. Eine bleierne Schwere lag auf ihr. Jillian war so müde, dass sie nur widerwillig die Augen öffnete.

»Schhh«, flüsterte eine andere männliche Stimme. »Trink!«

Ihre Lippen öffneten sich, als die Flüssigkeit kam. Jillian trank, doch der süßlich-salzige Geschmack brachte sie zum Würgen. Eine feste Hand legte sich auf ihren Mund.

»Schluck, Jilly!«, befahl dieselbe tiefe Stimme, die sie vorher nicht hatte schlafen lassen, sondern sie stattdessen zum Trinken genötigt hatte. Eine sehr strenge Stimme. Jillian schluckte und musste husten.

»Sehr gut«, murmelte die Stimme, »noch einmal!«

Ein kühles, feuchtes Tuch strich über ihre Haut. Sie erschauderte, versuchte, sich abzuwenden. Wieder hörte sie beruhigende Worte, die sie baten, stillzuhalten.

Warum fühlte sie sich so krank? Ihr Kopf dröhnte vor Schmerz, und sie wollte einfach nur wegdämmern, für immer schlafen.

»Stirb mir ja nicht weg!«, befahl die tiefe Stimme. »Wag es nicht, zu sterben, hörst du? Jetzt nicht. Du wirst leben. Kämpfe, Jilly!«

Instinktiv wusste sie, dass sie gehorchen musste, ob sie wollte oder nicht. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie sich dagegen wehren musste, in friedlichen Schlaf zu sinken und den Schmerz hinter sich zu lassen. Tief in ihrem Innern entzündete sich ein Funke. Und während das kühle feuchte Tuch ihre nackte Haut streichelte, begann Jillian, um ihr Leben zu kämpfen.


Graham blickte auf seine Frau hinab und rieb ihren nackten Oberkörper mit dem feuchten Lappen. Ihre Brüste und ihre Scham hatte er mit Stoffstreifen bedeckt. Voller Sorge sah er zu Ramses auf.

»Wenn ihr nicht gekommen wärt …«

»Sind wir aber. Dank der Markierung, die sie an der Route anbrachte, wussten wir, wo wir euch finden. Sie hat euch beiden das Leben gerettet, mein Freund. So wie du Salomon geopfert hast, um ihr Flüssigkeit zu geben«, sagte Ramses ruhig.

Der Krieger hob noch einmal Jillians Kopf und hielt ihr die kleine Tasse an die Lippen. Er zwang sie, die Mischung aus Salz und Zucker zu trinken, die ihren Flüssigkeitshaushalt wiederherstellen sollte. Es brach Graham das Herz, sie fast leblos auf der Decke liegen zu sehen.

»Jilly, ich liebe dich. Verlass mich nicht! Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn du es nicht schaffst«, flüsterte er, während er ihr Haar streichelte.

Jillians Augenlider flatterten. Ramses lächelte. »Ich bin sicher, dass sie es schafft. Sie hat etwas, für das es sich zu leben lohnt, mein Freund: dich.«

Als Ramses das Zelt verließ, versuchte Jillian, zu sprechen. Doch Graham legte ihr einen Finger auf die trockenen, rissigen Lippen. »Nein, Liebes – nicht sprechen!« Voller Ehrfurcht betrachtete er sie. Das Leben – was für ein kostbares Geschenk! »Du hast einen erstaunlichen Lebenswillen, Jilly.«

Nun sagte sie doch etwas: »Für eine schwache Engländerin.«

Graham streifte ihren Mund mit seinem. »Nein, nicht schwach«, erwiderte er leise. »Ich wusste, dass jene Kraft, nach der du suchtest, in dir steckt. Das tat sie immer.«

»Du hast mich gerettet.«

»Du hast dich selbst gerettet, liebste Jillian. Ich konnte dir lediglich den Weg weisen.« Es war die Wahrheit, die schmerzliche, herzzerreißende Wahrheit. »Wärst du nicht so stark gewesen … du wärst längst tot.«

Sie sah ihm in die Augen. »Du … wusstest, dass ich es schaffe?«

»Ja, ich wusste es«, sagte er ernst und strich ihr über die Stirn. Dann wandte er das Gesicht ab. »Ich wollte dich nicht mitnehmen, weil ich wusste, dass es hier draußen keine Geheimnisse gibt. Und ich wollte nicht, dass du meine entdeckst.«

Er blickte sie wieder an, hob behutsam ihren Kopf mit einer Hand und hielt die Tasse an ihre Lippen. Während sie trank, sah sie ihn weiter an.

»Ich bin froh, dass ich alles weiß«, flüsterte sie. »Nun bist du frei.«

Frei? Er wollte nicht frei sein – oder besser: Er wollte auf keinen Fall ungebunden sein. Doch diesen Gedanken verdrängte er gleich wieder und konzentrierte sich auf seine Frau.

»Ich war sicher, dass du die Reise durch die Wüste durchhältst. Du bist eine starke Frau. Und du musstest daran glauben, dass du es allein schaffst, dass du das Schlimmste erträgst, was die Wüste zu bieten hast, und siegst.«

»Du hast an mich geglaubt?«, flüsterte sie. »Noch nie hat jemand an mich geglaubt. Vater sagte, ich sei eine schwache Frau, die, wie alle, einen starken Ehemann brauche, der sie führt.«

»Nein, Jillian, nicht um dich zu führen. Um mit dir zu gehen, nicht vor dir. Um dir zu erlauben, die Frau zu sein, die du bist, nicht um dich in den Schatten zu drängen.« Graham verstummte, weil er mit seinem Stolz und seiner Würde rang. »Um an deiner Seite zu sein. Bitte vergib mir, dass ich ein solcher Esel war und dich anlog. Vertrau mir, vertrau unserer Ehe!«

Er sah auf die rotgoldenen Wimpern hinab, die fächergleich auf Jillians blassen Wangen lagen. Sie antwortete nicht, aber sie hatte später noch genug Zeit, um sich zu entscheiden.

Und wenn sie ihm nicht mehr vertrauen konnte? Dann müsste er damit ebenso fertig werden wie mit allen anderen schmerzlichen Erfahrungen in seinem Leben. Doch tief in seinem Innern wusste Graham, dass es weit mehr wehtun würde. Er liebte sie.

Und er konnte nichts tun, außer zu beten, dass sie genauso fühlte.

Sturm der Leidenschaft: Er suchte einen verborgenen Schatz - und fand die Liebe seines Lebens
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