Kapitel 1

London, 1896

Der Duke of Caldwell hatte sich eine recht ungewöhnliche Art ausgesucht, seine Unschuld zu verlieren.

Graham Tristan stand regungslos in Madame LaFontants weinrotem privaten Empfangssalon. Schweiß lief ihm über den Rücken und sammelte sich am Bund seiner edlen sandfarbenen Hose. Er nahm all seinen Mut zusammen, wandte sich zu der Bordellbesitzerin und sagte sehr ruhig, aber bestimmt: »Sie muss … unberührt sein. Und keine Rothaarige. Mein Bruder versicherte mir, dass Ihr Etablissement das diskreteste in London ist.«

Die kecke Madame mit dem kastanienbraunen Haar musterte ihn von oben bis unten. »Natürlich, Euer Gnaden. Ich darf mit einem gewissen Stolz von mir behaupten, überaus diskret zu sein und die geheimsten Wünsche manch eines Adligen erfüllt zu haben. Euer Anliegen ist nicht außergewöhnlich.« Sie hielt inne und klopfte nachdenklich mit einem eleganten Finger auf die Armlehne ihres Rosshaarkanapees. »Deshalb sandte ich Euch meine Nachricht. Die Frau, die Ihr wünschtet, ist gerade eingetroffen. Nicht ganz jung, schon zweiundzwanzig, aber honigblond, wortgewandt und recht liebreizend. Ich hoffe, das entspricht Euren Vorstellungen.«

Graham fiel das Atmen schwer, doch er bemühte sich, möglichst ruhig zu bleiben. »Ist sie noch Jungfrau?«

»Ohne Zweifel. Für ein solches Juwel muss ich natürlich den doppelten Preis verlangen.«

»Natürlich«, murmelte er. Eine Mischung aus Erregung und Furcht ließ sein Herz rasen.

Madame LaFontants Korsettstangen knarzten leise, als sie sich von dem Kanapee erhob. »Bleibt hier, ich werde alles vorbereiten. Macht es Euch bitte bequem. Auf der Anrichte findet Ihr Brandy. Bitte, bedient Euch!«

Ihre gestärkten Taftröcke raschelten, als sie aus dem Salon ging. Graham fuhr sich mit dem Finger an der inneren Kragenkante seines makellosen Hemdes entlang. Dann sah er zur Anrichte, auf der mehrere Kristallgläser und eine Karaffe mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit standen. Nicht bloß war Graham noch nie mit einer Frau zusammen gewesen, er hatte auch noch nie zuvor Alkohol getrunken.

»Für alles gibt es ein erstes Mal«, murmelte er.

Mit drei großen Schritten war er bei der Anrichte, schenkte sich zwei Finger breit Brandy in ein Glas und stürzte das Getränk hinunter. Prompt überkam ihn ein heftiger Hustenanfall. Er wischte sich den Mund und stellte das Glas ab. Guter Gott, er hoffte, der Sex wäre um einiges erfreulicher als dieses Getränk!

»Gibt es so etwas wie einen affigen Herzog – oder einen herzöglichen Affen?«, fragte er sich leise lachend.

All die Debütantinnen, die ihn bei den Partys und Bällen der Saison beäugt hatten – nur zu erpicht darauf, sich einen sehr begehrenswerten, sehr reichen Herzog zu angeln –, wären schockiert, zu hören, dass er ebenso unschuldig war wie sie. Eine achtundzwanzigjährige Jungfrau.

Aber das sollte heute vorbei sein. Er war sich sehr wohl bewusst, dass er für das Verbrechen, das er plante, die Rache, die er üben würde, gehängt werden konnte, deshalb wollte er wenigstens ein Mal zuvor die Wonnen erlebt haben, die es angeblich bereitete, in den Armen einer Frau zu liegen. Auf keinen Fall wollte er eine erfahrene Hure, die seine Ahnungslosigkeit sogleich bemerken würde. Er wollte eine Frau, die ebenso unerfahren war wie er, die zu nervös wäre, als dass ihr auffiele, wie ungelenk und zögerlich er es anging. Nein, eine Jungfrau war besser, denn sie würde ihn nicht auslachen, sollte ihn in letzter Minute Panik überkommen und er entscheiden, dass er es doch nicht ertrug, berührt zu werden …

Graham ballte die Hände zu Fäusten und starrte auf die mit roter Seide bespannten Wände. Der Mann, der ihm seine Kindheit geraubt hatte, war längst tot. Graham hatte ihn in einem Duell mit seinem Krummsäbel getötet und sich so ohne jedwede Reue für den Missbrauch gerächt, den er erlitten hatte, seit er mit sechs Jahren von einem ägyptischen Stamm gefangen genommen worden war. Der andere Mann jedoch, der rothaarige Engländer, der dasselbe wollte – er lief bis heute frei herum. Der Mann, der einem verzweifelten Achtjährigen versprochen hatte, er könnte seinem Peiniger entkommen und nach England zurückkehren, wenn er sich nur bereit erklärte, etwas Abstoßendes mit sich tun zu lassen. Graham hatte die Augen geschlossen und seine Seele an den Teufel verkauft – an den Teufel mit rotem Haar und grünen Augen …

Und wie hatte er geschrien, als der Mann davonritt, eine Staubwolke und einen kleinen Jungen hinter sich lassend, der sich aufs Neue seinem Peiniger und dem alptraumhaften Gestank von schmutzigen grauen Schaffellen stellen musste, in die ihm Nacht für Nacht sein Gesicht gedrückt wurde.

Graham riss die Augen auf. »Nie wieder!«, flüsterte er streng. »Ich bin nicht mehr das Kind, das ich war.«

Er trat von der Anrichte weg und schritt im Salon auf und ab, um die Rastlosigkeit und Anspannung in seinem Innern zu bändigen. Schließlich blieb er stehen und zwang sich, Ruhe zu bewahren. Heute Abend wäre er nicht die einzige Jungfrau im Bett. Seine Geliebte wäre ebenso nervös wie er. Denk an sie!, befahl er sich im Stillen. Konzentriere dich auf sie!

Sein Bruder Kenneth, der Graham bei seiner Rückkehr nach England im letzten Jahr den Familientitel abgetreten hatte, hatte ihm einige recht deutliche Ratschläge gegeben. Er hatte Graham sogar Bücher mit sehr einschlägigen Illustrationen geliehen. »Um die Leidenschaft einer Frau zu erwecken, liebt man sie nicht bloß mit dem Körper, sondern auch mit dem Geist. Umwerbe sie mit Worten, nicht nur mit Berührungen«, hatte er ihm geraten.

Umwerbe sie. Graham blickte sich um und sah eine schmale chinesische Vase mit frischen Rosen. Er ging hin und betrachtete die Blüten. Anstelle eines Dutzends von einer Farbe, waren sie bunt gemischt – weiß, gelb, rot und rosa. Wie seltsam!

»Nehmt Euch gern eine. Ihr könnt sie Eurer Dame überreichen.«

Madame LaFontants Stimme erschreckte ihn, hatte er sie doch nicht wieder hereinkommen gehört. Er runzelte kurz die Stirn und drehte sich zur Tür um.

»Warum die unterschiedlichen Farben?«

Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre Lippen, dann antwortete sie achselzuckend: »Ich mag Farben. Nur zu, nehmt Euch eine, die Ihr Eurer Dame schenken könnt.«

Er wollte schon eine Rose aussuchen, zögerte jedoch. Kenneth schenkte seiner Frau Badra oft rote Rosen. Rote Rosen symbolisierten also Liebe. Graham wusste, dass ihn keine Frau jemals lieben könnte. Und dennoch sprach ihn das tiefe Rot am ehesten an. Vielleicht, nur vielleicht, könnte er Liebe vortäuschen. Der bevorstehende, sehr persönliche Akt würde dadurch ein bisschen weniger unpersönlich. Aber er sollte noch eine weiße Blüte dazunehmen, um die offensichtliche Symbolik zu mindern.

»Darf ich auch zwei nehmen?«

Madame LaFontant lächelte. »Aber selbstredend.«

Wieder zögerte Graham, bevor er sich eine langstielige rote Rose und eine weiße aus der Vase aussuchte. Beim Herausnehmen stach ihm ein Dorn in den Daumen. Er zuckte zurück und blickte auf den kleinen Blutfleck.

»Rosen haben Dornen, genau wie das Leben, Euer Gnaden. Liebreiz und Schönheit haben ihren Preis.«

Er sog an seinem Daumen und warf Madame LaFontant ein mattes Lächeln zu. »Es macht mir nichts aus, einen Preis zu zahlen – solange ich nicht allzu viel Blut lassen muss.«

Sie lachte und gestikulierte in Richtung Tür. Grahams Herz hämmerte in seiner Brust, als er die Rosen behutsam in der Hand hielt.

Er hoffte inständig, dass seine Alpträume heute Nacht endeten. Eine Frau in seinen Armen zu halten, ihren weichen Körper unter seinem zu spüren, in ihre feuchten Tiefen einzudringen … ohne bittere Scham und schmerzliche Erinnerungen.

Heute Nacht konnte er endlich ein Mann sein.


Jillian Quigley war ihrem Traum einen Schritt näher.

Sie berührte ihre blonde Perücke und zupfte eine Locke zurecht. In dieser Verkleidung erkannte sie niemand. Madame LaFontants Etablissement war diskret und bezahlte die Frauen gut. Keine andere von ihnen besaß jenen kostbaren Schatz, den Jillian zu bieten hatte.

Jungfräulichkeit. Heute Nacht würde sie ihre für tausend Pfund in bar verlieren. Anonym, in der Dunkelheit und an einen Fremden, der keinerlei Gefühle für sie hegte.

Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und schritt durch das elegant eingerichtete Zimmer. Ein bitteres Lächeln trat auf ihre Züge. Sie verlor ihre Unschuld in einem Bordell – ob ihr Vater da wohl vor Empörung aufschreien würde? Seine Tochter, der er befohlen hatte, den wohlhabenden Bernard Augustine zu heiraten, opferte das einzige Kapital, das sie besaß. Der langweilige Bernard, der sich fortwährend räusperte und lachte, wenn sie anfing, über Alfred Marshalls Wirtschaftstheorie zu sprechen.

Nach der heutigen Nacht hatte sie genug Geld, um sich nach Amerika davonzustehlen. Ihr Leben lang schon hatte sie diesen einen heimlichen Traum. Mit geschlossenen Augen malte sie sich aus, den Duft von Tafelkreide zu inhalieren, den Bariton des dozierenden Professors zu hören, den Holzsitz im Vorlesungssaal unter sich zu fühlen. Seit zwei Jahren besaß Harvard einen Anbau, in dem weibliche Studenten aufgenommen wurden. Radcliffe lockte sie wie der Brunnen den müden, durstigen Wanderer. Jillian sehnte sich danach, ihren unbändigen Wissensdurst zu löschen. Und im Gegensatz zu ihrem Vater würden die Professoren sie nicht schelten, weil sie klug und eine Frau war.

Vor langer Zeit schon hatte Jillian sich geschworen, niemals einen Mann zu heiraten, der so distanziert war wie ihr Vater. Und das College war ihre einzige Hoffnung, den grauen Schatten ihres bedrückend lieblosen Zuhauses zu entkommen.

Sie ging zu den schweren blauen Brokatvorhängen, die geschlossen waren, um die Nacht ebenso auszusperren wie die neugierigen Blicke der Passanten. Zufrieden schaute sie sich um. Alles war tadellos eingerichtet, angefangen bei dem polierten Satinholzschrank über die zarten Tischchen mit den eingelassenen Marmorflächen bis hin zum sanften Licht der schweren Bleikristalllampen. Madame LaFontant war darauf spezialisiert, ihre wohlhabende Klientel in einem Rahmen zu verwöhnen, der ihren eigenen Heimen an Eleganz in nichts nachstand. Hier bot sie ihnen Frauen, die ihnen all das gaben, was ihre Gattinnen ihnen versagten. Jillians Blick fiel auf das Bett mit den üppigen Baumwolldecken, und sie erschauderte leicht. Hoffentlich war ihr Kunde schnell, gleichgültig und lieblos. Sie wollte es baldmöglichst hinter sich bringen und nach Amerika aufbrechen.

Wieder betrachtete sie sich in dem vergoldeten Spiegel über der polierten Frisierkommode. Das hübsche pfauenblaue Kleid, das Madame ihr gegeben hatte, gab ihr etwas Exotisches, beinahe Schönes. Jillian fingerte an dem tiefen Dekolleté und errötete, weil es so viel von ihrem Busen sehen ließ. Ihr Vater bestand darauf, dass sie sich keusch nur in fadem Grau kleidete. Wenn er könnte, würde er sie wahrscheinlich in Sackleinen hüllen – Vaters unsichtbare, langweilige Jillian, deren Reputation über jeden Zweifel erhaben war und die ebenso rigide Moralvorstellungen hegte wie er.

Nun war sie von Kosmetika vollkommen verändert. Der dicke Lidschatten bewirkte, dass ihre grünen Augen eher bläulich schienen, und das gedämpfte Licht machte ihre Verkleidung vollkommen. Nicht dass es wichtig wäre, denn schließlich erwartete niemand, die Tochter des Earl of Stranton in einem Bordell anzutreffen.

Schwere Schritte, begleitet von einem leichteren Trippeln, erklangen draußen auf dem Holzboden des Flurs. Vor der Tür verharrten sie. Stimmen murmelten, dann eilten die leichteren Schritte wieder fort. Jillian biss sich auf die Unterlippe und raffte ihren gesamten Mut zusammen. Entschlossen strich sie sich übers Kleid, machte sich betont gerade und wandte sich zur Tür, die sich öffnete.

Lieber Gott, lass ihn nicht fett und hässlich sein oder irgendwelche ekligen Laute von sich geben!, betete sie stumm. Die Angst vor der eigenen Courage packte sie wie eine eisige Faust.

Die Tür schwang auf, ihr Kunde trat ein und schloss sie langsam hinter sich. Dann stand er da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und sah sie schweigend an.

Jillian stockte der Atem, als sie ihn wie gebannt anstarrte.

Sie hatte gebetet, er möge nicht zu hässlich sein, aber mit einem so umwerfend gutaussehenden Mann hätte sie nie im Leben gerechnet.

Sein dichtes schwarzes Haar lag seitlich auf dem weißen Kragen auf und fiel ihm vorn in die Stirn. Er hatte im klassischen Sinne feine Züge, nur waren sein Kinn und seine Nase so kantig, dass es ihm etwas Strenges und zugleich Stolzes verlieh. Sein Mund hingegen war weich mit sinnlich vollen Lippen – ein Mund wie geschaffen zum Küssen.

Jillian schrak zurück, weil ihr bei dem Gedanken unbehaglich wurde. Eindeutig war er ein Adliger aus den höchsten Kreisen. Aber was hatte sie erwartet?

Er war mittelgroß, ein gutes Stück größer als sie, und schien unter dem maßgeschneiderten Anzug recht muskulös. Seine Augen waren wie Onyxe, schwärzer als die Nacht, und sie betrachteten Jillian mit derselben Intensität, mit der sie ihn musterte. Dunkle schwermütige Augen, die ein Geheimnis bargen.

Nun wurde ihr erst recht unbehaglich. Sie wollte es doch nur hinter sich bringen und die Erinnerung weitmöglichst verdrängen. Doch wie könnte sie diesen Mann je wieder vergessen?

Ihr Mund wurde unangenehm trocken. Sie fühlte sich hilflos und unsicher. Was nun? Sie war nicht sicher, was er erwartete. Sollte er lieber bestimmen, was geschah. Falls er sich auf sie stürzte und ihr die Kleider vom Leib riss … Zitternd strich sie über das schöne blaue Kleid. Der Mann strahlte Strenge aus, aber da war nichts Brutales in seinen dunklen Augen. Vielmehr waren sie … aufmerksam … nachdenklich.

Schließlich sagte er etwas: »Hallo, ich bin Graham.«

Der Klang seiner Stimme war wie warmer Honig, tief und dunkel, wenngleich mit einer rauhen Note. So maskulin und fest wie Granit und so anders als die aller anderen Männer in ihrem Leben. Ja, sie klang sogar erstaunlich fest, vor allem verglichen mit Bernards puddingweicher Fistelstimme.

Jillian strich sich eine Locke ihres Kunsthaars aus dem Gesicht und hoffte, die unzähligen Nadeln würden bleiben, wo sie waren. »Ich bin Christine«, stellte sie sich ihm vor. Sie hatte entschieden, ihren Mittelnamen zu benutzen.

Er nickte und kam näher, wobei seine Schritte von dem weichen Teppich gedämpft wurden. »Die habe ich dir mitgebracht«, sagte er leise.

Seine Hand zitterte kaum merklich, als er ihr die Rosen überreichte. Und Jillian schmolz dahin. Genüsslich schloss sie die Augen und atmete den süßen Duft der Blüten ein. »Danke schön«, sagte sie scheu, öffnete die Augen wieder und lächelte ihn an.

Gedankenverloren berührte er erst ein Blütenblatt, dann Jillians Wange. »Exquisit«, flüsterte er.

Er nahm ihr eine Rose wieder aus der Hand und strich ihr damit über die Wange. »Eine englische Rose«, sagte er, »von zarter, edler Schönheit.«

Unweigerlich musste sie schmunzeln, auch wenn ihr Herz bei seinen poetischen Worten einen kleinen Hüpfer machte. »Englische Rosen haben scharfe Dornen«, sagte sie und biss sich gleich auf die Lippe, weil ihr Ton schroffer war als beabsichtigt.

Er schien unbeirrt, hielt seinen rechten Daumen in die Höhe und zeigte ihr einen kleinen roten Punkt. »Das stellte ich bereits fest. In Ausübung der Pflicht verwundet.«

Sie lächelte. »Ihr seid recht tapfer, Sir, eine Verletzung zu riskieren, um mir ein solches Geschenk zu bringen.«

»Fürwahr«, bestätigte er kopfnickend. »Glauben Sie, die Königin wird mich für meine Courage zum Ritter schlagen?«, fragte er ernst, auch wenn es in seinen Augen verdächtig funkelte.

Jillian musste lachen und spürte, wie sie sich ein wenig entspannte. Als Graham lächelte, stellte sie fest, dass er blendend weiße Zähne hatte. Zudem verwandelte das Lächeln sein Gesicht, dessen strenge Linien weicher wurden und ihm etwas Jungenhaftes verliehen. Es war ein solch drastischer Unterschied, dass Jillian vollkommen fasziniert war.

Graham nahm ihr auch die andere Rose aus der Hand und legte die Blumen auf die Frisierkommode neben ihr. Dann wich sein Lächeln einem sehr viel ernsteren Ausdruck, und er fasste ihre Wangen mit beiden Händen.

Als er sie küsste, so sanft und ehrerbietig, dass sie sich wie eine Braut in der Hochzeitsnacht fühlte, schloss Jillian die Augen und tat, als wäre dem so. Ihre Lippen bewegten sich unter seinen.

Graham vertiefte den Kuss, liebkoste und kostete ihren Mund, während er eine Hand sanft in ihren Nacken legte. Seine Zunge drückte sachte gegen ihre geschlossenen Lippen, flatterte dort leicht und strich behutsam darüber. Eine Frage.

Sie öffnete sich ihm wie eine Blume, die ihre Blütenblätter entfaltet. Ihre Antwort.

Nun drang er mit der Zunge in sie ein, intensivierte den Kuss und fasste sie fester im Nacken. Einem interessierten Forscher gleich, erkundete er ihren Mund, knabberte zärtlich an ihrer Unterlippe. Hilflos sank sie ihm ein wenig entgegen und fühlte etwas Seltsames tief in ihrem Bauch.

Dann unterbrach er den Kuss, hob den Kopf und sah sie atemlos an. Jillian trat einen Schritt zurück, erschrocken und ein bisschen schwindlig. Unwillkürlich bedeckte sie ihren geschwollenen Mund mit einer Hand.

»Oh«, hauchte sie.

Sie hatte nicht erwartet, heute Abend erregt zu sein. Aber er schien höchst zufrieden mit sich.

Da sie wusste, was sie zu tun hatte, griff sie nach den Haken, mit denen ihr Kleid zusammengehalten wurde. Graham stellte sich hinter sie, um ihr zu helfen. Wie es sich anfühlte, wusste er nicht recht, wie er dieser Haken und Ösen Herr werden sollte, und prompt stieß er einen leisen Fluch aus.

»Wie zum Teufel kommt ihr Frauen mit diesen Dingern zurande?«

Jillian lachte kurz nervös auf. »Wir lassen sie von Herren öffnen.«

Bei seinem leisen Lachen spürte sie warmen Atem auf ihrem entblößten Rücken. Sie erschauderte, als er ihr das Kleid über die Schultern hinunterzog.

Als Nächstes kam ihr Korsett. Geübt löste sie die Seidenbänder vorn, streifte es sich ab und schlüpfte ein wenig ungelenk aus ihrem Hemd und ihrer weiten Hose. Nun stand sie vor ihm, nackt und unsicher.

Innerlich war ihr eiskalt.


Im gedämpften Licht leuchtete ihr Körper wie Alabaster. Graham fühlte, wie sein Atem aus dem Rhythmus geriet.

So wunderschön. Das Gesicht eines Engels, mit hohen Wangenknochen und einem roten, einladenden, kussgeschwollenen Mund. Blondes Haar, das lose aufgesteckt auf den Schultern auflag. Die stumpfen Locken waren der einzige Makel an ihrem ansonsten makellosen Aussehen. Mit großen Augen sah sie ihn an. Waren sie blau? In dem Licht war es nicht richtig zu erkennen. Er schätzte die Farbe auf ein dunkles Saphirblau. Ihre Brüste waren voll mit rosigen Knospen – blasse samtige Haut, die darum bettelte, von ihm berührt zu werden.

Sie hatte wohlgerundete Hüften und einen allerliebsten kleinen Bauch. Ihr Venushügel war, wie er überrascht feststellte, vollständig rasiert, so dass Graham einen verführerischen Blick auf den Schatz zwischen ihren Schenkeln erheischen konnte. Dort lag jene feuchtwarme Höhle, von der er geträumt hatte. In seinen Träumen sank er in die Wärme hinein und empfand eine Wonne, wie er sie nie gekannt hatte …

Sein Blut schoss ihm in die Lenden, worauf seine leichte Erektion wuchs und hart wie Stein wurde. Ein Anflug von Dankbarkeit überkam ihn. Die erste Hürde war genommen.

Allein sie zu küssen hatte ihn schon erregt. Und er war erfreut gewesen, ihre benommene Verwunderung zu sehen. Obwohl er noch jungfräulich war, hatte Graham einige Erfahrung im Küssen. Die Witwe, die er einst in Ägypten besuchte, war eine Expertin gewesen und hatte ihm ein paar höchst angenehme Dinge beigebracht. Doch damals war er vor Angst erstarrt, kaum dass er angefangen hatte, sich auszuziehen, um zum Wesentlichen zu kommen.

Das lag Jahre zurück, beruhigte er sich und beobachtete schweigend, wie Christine bis an die blonden Haarwurzeln errötete. Heute kannst du es! Ja, sein überaus bereiter Körper versicherte ihm, dass er es konnte.

Graham setzte sich aufs Bett, öffnete seine Schuhbänder und begann, sich zu entkleiden. Als er Augenblicke später nackt vor dem Bett stand, erschauderte er am ganzen Körper. Er hoffte inständig, dass sie es nicht bemerkt hatte.

Das letzte Mal, dass er sich vor einem anderen Menschen ausgezogen hatte … Die Erinnerungen tauchten wieder auf. Die schmutzigen Schaffelle, der Gestank von abgestandenem Rauch attackierten seine bebenden Nasenflügel. Der entsetzliche Schmerz von hinten …

Sein schwerer Atem hallte durchs Zimmer. Ich kann das nicht!, dachte er verzweifelt. Sie wird es merken! Sie wird es merken!

Dann riss ihn ein plötzliches kurzes Geräusch aus seinen quälenden Gedanken. Graham erkannte, dass es von ihr kam. Ein winziger hoher Seufzer.

Er sah sie an und bemerkte, dass sie noch mehr zitterte als er – als wäre sie von einer Eiseskälte oder panischer Angst ergriffen. Sogleich wich seine eigene Nervosität. Guter Gott, sie fürchtete sich noch mehr als er!

Erleichtert schritt er auf sie zu, nahm sie in die Arme und küsste sie.


Grahams kräftiger Körper mit den festen Muskeln und dem zuckenden Phallus jagte Jillian Angst ein. Nie zuvor hatte sie eine solch furchteinflößende Männlichkeit gesehen. Er schien gleichsam aus Marmor geformt, mit dichtem schwarzen Haar auf seiner breiten Brust.

Sie hatte nichts gegen den Angstseufzer tun können, der sich ihrer Kehle entwand. Das war ein schrecklicher Fehler gewesen. Sie liebte diesen Mann nicht. Gar kein Gefühl war da. Und sie hatte geglaubt, dadurch würde es leichter.

Stattdessen war alles nur schwieriger. Sie sollte das hier mit einem Mann tun, den sie liebte. Ihr Liebhaber würde sie in seine starken Arme nehmen, sie küssen, ihre Leidenschaft erwecken und ihr die Furcht nehmen, bevor ihre Körper sich zusammen mit ihren Herzen vereinten.

Nein, nicht die unpersönliche Steifheit, dieser kühle Raum mit dem vollkommen Fremden. Fleisch an Fleisch. Keine Gefühle. Keine Zuneigung. Lediglich ein Tauschgeschäft – ihre Unschuld gegen Bargeld.

Dann jedoch nahm er sie in die Arme und küsste sie wieder. Und unter seinen warmen verlangenden Lippen schmolzen ihre Ängste ein wenig. Sie schloss die Augen und ließ die winzige Knospe sinnlicher Wonnen erblühen.


Graham hob sie in seine Arme, als wäre sie federleicht. Behutsam und voller Ehrfurcht legte er sie aufs Bett.

Diese Frau war schöner als der Vollmond über der ägyptischen Wüste. Staunend und fasziniert betrachtete er ihren weiblichen Körper, die zarten Stellen und süßen Kurven. Alles war so weich, verglichen mit den harten Muskeln seines eigenen Körpers.

Er berührte sie langsam, vorsichtig, jeden Zentimeter ihrer Haut mit seinen warmen Händen. Mit den Fingerspitzen strich er über ihre runden schmalen Schultern und streichelte die unter ihrer sanften Haut vorragenden Enden des Schlüsselbeins. Bebend holte er Luft, beinahe vor Staunen benommen. Der Leib einer Frau war so gänzlich anders als der eines Mannes, weich, rund und üppig, so schmiegsam und zart wie die Blütenblätter der Rose, mit denen er ihre Wange gestreift hatte. Er beugte sich vor und küsste die kleine Vertiefung zwischen Schulter und Hals. Genüsslich kostete er ihre Haut und leckte zärtlich daran. Sie schmeckte salzig und süß zugleich. Ein Schauer durchfuhr sie, und sie regte sich unter ihm. Ah, seine Liebkosungen ließen sie also nicht ungerührt!

Und er konnte nicht genug davon bekommen, sie zu streicheln und zu küssen. Während er sie weiter liebkoste, brachte er alle Selbstbeherrschung auf, die er konnte, um nicht wie ein unreifer Junge rücksichtslos in sie hineinzustoßen. Sein Körper schrie nach Befriedigung, aber sein Verstand sagte ihm, dass der vollkommene Genuss in der Langsamkeit zu finden war und er sein erstes Erlebnis mit einer Frau auskosten sollte, solange es ging. Sein Mund malte eine Linie von Küssen bis hinab zur Knospe ihrer einen Brust, und kaum dass er sie mit seinen Lippen umschloss, bog sie sich ihm mit einem verwunderten kleinen Aufschrei entgegen. Er bekam einen Schrecken und hob den Kopf, doch dann erkannte er, dass es ein Wonneschrei gewesen war. Sein Instinkt befahl ihm, weiterzumachen.

Er leckte und sog an der festen rosigen Spitze und rieb sachte mit der Zunge daran. Christine, die halb unter ihm lag, räkelte sich stöhnend. Sie vergrub die Hände in seinem Haar und hielt ihn so fest.

Graham ertastete mit beiden Händen ihren Körper, fühlte jede Kurve, die zarten Erhebungen und Vertiefungen ihrer Rippen, die weichen Rundungen ihrer Hüften. Dann tauchte er mit einer Hand zwischen ihre Schenkel. Er hörte, wie sie kurz den Atem anhielt. Mit einem zufriedenen Lächeln stellte er fest, dass er auf Anhieb jenes kleine Juwel fand, das in den Büchern beschrieben war, die er so gierig verschlungen hatte. Er streichelte es mit dem Daumen, erst ein Mal, dann noch einmal.

Kaum vernahm er ihr hilfloses Wimmern, fuhr er fort. Währenddessen besann er sich auf die berühmte Selbstbeherrschung der Krieger, die er in Ägypten erlernt hatte. Er spannte seine Muskeln an, fest entschlossen, zunächst die Dame zu erfreuen, mit der er zusammen sein wollte. Seine Zunge bewegte sich im selben Rhythmus auf ihrer Brustknospe wie sein Daumen zwischen ihren Schenkeln. Bald schon benetzte eine tauähnliche warme Feuchtigkeit seine Finger.

Zaghaft drang er mit einem Finger in sie ein und freute sich, als sie vor Wonne stöhnte. Sie fühlte sich fest und eng an, so unglaublich eng. Die Vorstellung von seinem Glied in dieser feuchten, erhitzten Scheide brachte ihn beinahe um den Verstand. Sein Finger stieß an eine Barriere – ihr Jungfernhäutchen. Er holte tief Luft und dachte an etwas Unverfängliches.

Finanzen. Aktienbeteiligungen, die sie an einer amerikanischen Eisenbahnlinie hielten. Er dachte an Dampflokomotiven, die fröhlich durch die Landschaft tuckerten, während Christine sich seufzend und stöhnend unter ihm wand und sein Finger immer wieder aus ihr heraus- und erneut in sie hineinglitt, begleitet von seinem Daumen, der ihr königliches Juwel beständig weiterstreichelte.

Angespornt von ihren leisen Wonnelauten, beschleunigte er das Tempo. Plötzlich spannte sie ihren gesamten Körper an und bog sich ihm entgegen. Er spürte, wie sie zuckend seinen Finger umschloss, bevor sie seinen Kopf an sich presste und tief schluchzte.

Jillian schluckte und rang nach Atem. Sie fühlte sich so benommen und erschöpft, dass sie sich nicht zu rühren vermochte, als Graham sich halb aufrichtete und ihre Schenkel mit beiden Händen spreizte. Im nächsten Moment war er auf ihr, bedeckte ihren nackten Körper mit seinem. Sein rauhes dichtes Brusthaar rieb sich an ihrem zarten Busen. Furcht vermischte sich mit verwundertem Genuss, als er sich aufstützte und ihr in die Augen sah.

Dann neigte er den Kopf und küsste sie liebevoll auf die Stirn. Gleichzeitig fühlte sie, wie etwas Großes, Hartes gegen die weiche Tiefe zwischen ihren Schenkeln drückte. Sie schluckte und atmete tief durch.

»Es tut mir leid«, sagte er leise. Dann drang er in sie. Der Druck zwischen ihren Beinen wurde stärker und stärker. Sie hatte Angst, dass er viel zu groß wäre.

Beim Ausatmen entwand sich ihr vor Schreck ein Schluchzer. Sie versuchte, sich zu entspannen, aber der plötzliche Schmerz traf sie vollkommen unerwartet.

»Halt dich an mir fest!«, flüsterte er.

Ohne zu zögern, klammerte sie sich an ihn und grub die Finger in seine festen Rückenmuskeln. Er drang immer tiefer in sie ein, stieß und stieß, bis er mit einem besonders kräftigen Stoß ihr Jungfernhäutchen zerriss.

Jillian schrie kurz auf. Madame hatte ihr geraten, es nur ja zu tun, weil Gentlemen, die Jungfrauen wollten, es gern hatten – aber sie musste es nicht einmal vorspielen. Ihre Fingernägel bohrten sich in Grahams Rücken, und eine Träne stahl sich aus ihrem Auge.

Er küsste sie ihr von der Wange, und die Zärtlichkeit dieser Geste rührte sie ungemein.

Für eine Weile lag er regungslos auf ihr. Er wartete. Sein Atem ging schwer, und die Spannung seiner Muskeln verriet ihr, was es ihn kostete, sich so zu beherrschen.

Vorsichtig, ein wenig unsicher, begann sie, die Hüften zu bewegen, und fühlte, wie sie sich sofort entkrampfte. Graham gab ein tiefes Brummen von sich und fing an, sich ebenfalls zu bewegen.


Sein Herz drohte zu explodieren, als er in sie eintauchte. Guter Gott! Noch niemals hatte er eine solche Verzückung empfunden. Und er würde es gewiss auch nie vergessen.

Sie war wie heißer feuchter Satin, der ihn umschloss, fest und warm. In diesem Moment wäre er bereit gewesen, zu sterben – erschaudernd vor Wonne, als würde ihn die Sonne selbst umfangen und ihn in ihre schmelzende Hitze hüllen. Graham stöhnte vor Anstrengung, rührte sich jedoch nicht. Sein männlicher Instinkt verlangte, dass er kraftvoll in sie hineinstieß, doch seine Sorge um sie ließ ihn innehalten.

Dann spürte er, wie sich die winzigen Muskeln, die ihn so fest umklammerten, ein klein wenig entspannten, und nun konnte er nicht länger warten.

Mit einem gequälten Seufzen drang er tiefer, und schon öffneten sich die Schleusentore. Mit einem heiseren Schrei ließ er los und pumpte seinen Samen in sie hinein.


Der Mann lag auf ihr. Das Gewicht seines muskulösen Körpers drückte sie auf das Bett. Neben ihrem Kopf wurde das Kissen heiß von seinem Atem. Jillian regte sich vorsichtig, fasziniert von dieser neuen Erfahrung. Ihre Gliedmaßen fühlten sich träge und schwer an. Zwischen ihren Schenkeln pochte es brennend.

Schließlich hob er seinen Kopf. Unter den schweren Lidern lag noch ein Glanz von Leidenschaft. Er sah sie lächelnd an. Dann riss er die Augen auf. »Ich zerdrücke dich ja!«, murmelte er.

»Ist schon … gut.«

Trotzdem rollte er sich von ihr herunter und streckte sich neben ihr aus. Jillian fühlte eine klebrige Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen: ihr Blut und sein Samen. Sie kam sich nackt und verwundbar vor, und plötzlich wurde ihr so kalt, dass sie wieder in seine Arme wollte. Was für ein absurder Gedanke! Das hier war eine rein geschäftliche Angelegenheit, keine Liebe, ermahnte sie sich streng.

Zu ihrem Schrecken und ihrer Freude drehte Graham sich zu ihr und nahm sie sanft in die Arme. Ohne nachzudenken, schmiegte Jillian sich an ihn.

Also brauchte auch er hinterher Wärme und Nähe. Wie wunderbar, dass er nicht kalt und gleichgültig war! Noch während sie es dachte, überkam sie ein schmerzliches Bedauern. War es nicht tragisch, dass sie sich nie mehr wiedersehen würden?

Graham strich ihr sachte über die Wange. »Tut es sehr weh?«, fragte er leise.

Verlegen ob solch einer intimen Frage, gab Jillian ihm eine ausweichende Antwort, worauf Graham sich von ihr abwandte und aus dem Bett stieg. Sie hörte, wie im Bad nebenan Wasser lief. Als er wieder ins Zimmer kam, hatte Graham ein sauberes feuchtes Handtuch und ein frisches trockenes in den Händen.

Noch bevor sie etwas sagen konnte, spreizte er sanft ihre Beine und drückte behutsam das feuchte Handtuch dazwischen. Jillians Wangen glühten vor Scham, aber das Brennen ließ tatsächlich sofort nach.

»Geht es dir gut?«, fragte er und sah sie besorgt an.

Sie lächelte. »Der letzte Teil war nicht ganz so schön, aber der erste … Ich kam mir vor, als würde ich im Himmel Walzer tanzen.«

Er wurde nachdenklich. »Ja, ich schätze, ein Tanz im Paradies ist ein angemessener Vergleich.«

Jetzt war es vorbei. Er würde gehen und sie kurze Zeit nach ihm ebenfalls. Vielleicht nahm sie sich ein paar Minuten, um ihre bittersüßen Gedanken zu ordnen. Doch statt sich anzuziehen, zog Graham die Decke zurück und legte sich wieder ins Bett.

Wieder nahm er sie in seine Arme, lag einfach mit ihr da und blickte schweigend an die Decke.

Während des sehr intimen Aktes mit diesem Fremden war Jillians Schüchternheit ein wenig verflogen. Nun aber kam es ihr um ein Vielfaches intimer vor, in seinen Armen dazuliegen. Sein großer kräftiger Körper strahlte eine wunderbare Wärme ab, so dass sie sich unwillkürlich an ihn schmiegte wie ein schläfriges Kätzchen.

Die Augen fielen ihr zu, obwohl sie sich gegen das Einschlafen wehrte … und verlor. Binnen kürzester Zeit schlummerte sie ein. Ihr letzter Gedanke war, dass sie noch etwas tun sollte, ehe sie endgültig einschlief, doch auch der war gleich wieder verschwunden.

Graham wachte auf, als das erste Tageslicht durch einen schmalen Spalt in den dichten Brokatvorhängen drang. Verwundert blinzelnd sah er sich um und versuchte, zu begreifen, wo er war. Etwas Weiches und Warmes lag neben ihm. Eine Frau. Ja, jetzt erinnerte er sich.

Weit schockierender indessen als die Tatsache, dass er die Nacht in einem Bordell verbracht hatte, war das, was ihm im selben Moment klar wurde: Er hatte die ganze Nacht tief und fest geschlafen. Keine Träume!

Eine unbändige Freude überkam ihn. Endlich hatte er es geschafft, ohne einen einzigen Alptraum durch die Nacht zu kommen!

Vor lauter Glück stieß er einen leisen Freudenschrei aus, verstummte jedoch sogleich wieder, denn die Frau neben ihm schlief noch. Grinsend drehte er sich zu ihr um. Ihr verdankte er seinen ungestörten Schlaf nach Monaten allnächtlicher Pein. Ja, sie hatte es möglich gemacht, das wusste er. Der Liebesakt mit ihr hatte seinen Alptraum vom grünäugigen Rothaarigen vertrieben, der ihn die letzten Monate verfolgt hatte. Fasziniert betrachtete er ihr Gesicht. Im Schlaf wirkte sie deutlich jünger und kindlicher als letzte Nacht.

Beim Atmen öffnete sie die Lippen ein klein wenig. Ihre langen samtigen Wimpern lagen wie ein Fächer auf ihren Wangen auf. Vorsichtig berührte er eine ihrer dunklen gebogenen Brauen.

Als er den Finger wieder wegzog, haftete dunkler Puder daran. Graham runzelte die Stirn und strich noch einmal, ein bisschen fester, über die Braue. Entsetzt starrte er auf das schimmernde Rotgold, das unter dem Puder zum Vorschein kam. Prompt fiel sein Blick auf ihr Haar, und eine schreckliche Vorahnung verursachte ihm beinahe Übelkeit. Unter den stumpfen blonden Locken ragte eine zarte Strähne feurigen Rots hervor. Sie trug eine Perücke.

Kein Wunder, dass ihr Haar sich so steif und rauh angefühlt hatte, verglichen mit dem Rest von ihr, der nichts als glatt, geschmeidig und zart gewesen war! Misstrauisch strich er über ihre Stirn und ertastete eine feste Stoffkante. Er zog die flammend rotgoldene Strähne hervor.

In diesem Moment erwachte sie, blinzelte schläfrig und sah ihn verwundert an. Als sie seinen entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, riss sie die Augen auf und packte nach ihren blonden Locken, vergeblich bemüht, sie an Ort und Stelle zu halten.

Blitzschnell rollte er sich auf sie. Er hatte keineswegs Sex im Sinn, sondern griff mit beiden Händen nach ihrer Perücke. Hektisch entfernte er alle Haarnadeln. Sie hielt ängstlich die Luft an, als er das Kunsthaar herunterriss.

Feuerrote Locken ergossen sich auf dem Kopfkissen. Graham starrte sie entgeistert an, rollte sich von ihr herunter und rannte zum Fenster. Mit einem Ruck zog er die Vorhänge beiseite, worauf Sonnenlicht den Raum durchflutete. Dann eilte er wieder zum Bett zurück und sah sie an.

Rotgoldenes Haar und grüne Augen – nicht blaue, wie er es sich letzte Nacht eingeredet hatte.

»Oh Gott! Du bist es!«, raunte er heiser. Sein Herz donnerte in seiner Brust.

Sein Alptraum war also nicht vorbei. Er fing gerade erst an.

Sturm der Leidenschaft: Er suchte einen verborgenen Schatz - und fand die Liebe seines Lebens
titlepage.xhtml
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_000.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_001.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_002.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_003.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_004.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_005.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_006.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_007.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_008.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_009.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_010.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_011.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_012.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_013.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_014.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_015.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_016.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_017.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_018.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_019.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_020.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_021.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_022.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_023.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_024.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_025.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_026.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_027.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_028.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_029.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_030.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_031.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_032.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_033.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_034.html
CR!QCHQH4CS3542B2871X6N0WDJ0E4X_split_035.html