PATRICIA MCCONNEL
Das Dreieck
Wolfgangs Lied drang in Elizabeths schlafendes Bewußtsein und weckte sie. Sie lächelte und genoß das melodische Jodeln einen Augenblick, bevor sie die Augen öffnete. Jeder Morgen begann so: zweifellos der schönste Moment ihres ganzen Tages. Wolfgang war noch oben in den Hügeln. Sie hatte Zeit, aufzustehen und das Teewasser aufzusetzen, bevor er kam.
Dann stellte sie sich, noch immer nackt, an das Flügelfenster, der einzige Grund, weshalb sie dieses ansonsten kleine, dunkle und schmuddelige Studio im Souterrain gemietet hatte. Dieses Fenster begann knapp über dem Fußboden und reichte bis unter die Decke; es füllte den größten Teil der Außenwand dieses Raumes aus und gab Elizabeth das angenehme Gefühl, unter freiem Himmel zu leben, ohne naß zu werden, wenn es draußen regnete. Da die Wohnung im Souterrain lag, war Elizabeth mit einem Schritt in einem verwahrlosten und unordentlichen Garten. Bei gutem Wetter stand das Fenster Tag und Nacht weit offen und ließ Nachtfalter, Fliegen, ab und zu eine Biene, frische Luft und Gerüche aus Küche und Garten der Nachbarn herein. Weder sie noch Wolfgang benutzten jemals die Haustür.
Nach einem Augenblick verließ Elizabeth ihren Platz am Fenster, kuschelte sich wieder in ihren Schlafsack, schob sich das Kopfkissen so zurecht, daß ihr Kopf oberhalb der Fensterbank lag und beobachtete den Teil des Zaunes, wo sie wußte, daß Wolfgang zuerst sichtbar werden würde. Seinen Weg durch die Hügel hinunter und am krüppeligen Zaun entlang konnte sie am Klang seiner Stimme verfolgen - ein flüssiges Trällern aus den Tiefen seiner Kehle. Und sie hörte in seinem Lied viele Botschaften.
»Ich bin so ein toller Typ; diese Welt aus hügeligen Gärten und Zäunen ist ganz nach meinem Geschmack, und dies ist mein Königreich; falls Damen in der Nähe sind - nun, hier bin ich.« Es war ein feierliches Lied, voller Selbstvertrauen und Zufriedenheit, und versöhnte Elizabeth wieder mit der Welt, egal, was sie während des vorigen Tages -oder der Nacht - bedrückt hatte. Mit diesem Lied umwarb Wolfgang seine Damen, und der Gedanke, daß er es auf seinem Nachhauseweg zu ihr, Elizabeth, sang, gefiel ihr.
Als gerade die ersten Sonnenstrahlen auf den Hinterhof fielen, erschien Wolfgang auf eben jenem Stück Zaun, das Elizabeth im Blick hatte. »Du alter Schlawiner, du inszenierst deinen Auftritt wirklich gut.« Wolfgang sprang in den Garten und stolzierte zierlich über den Kiesweg; ab und zu hob er den Blick zu Elizabeth am Fenster. Das Lied war zu Ende, er war zu Hause. Er betrat den Raum durch das offene Fenster und mit einem kleinen Satz landete er auf der Matratze, schnurrte und rieb seinen Kopf an Elizabeths Nase. »Dein Atem ist frisch wie Quellwasser, Wolfgang. Wie machst du das bloß, wo du dir doch nie die Zähne putzt?«
Er sah ihr in die Augen, wie er es immer tat, und immer wieder war Elizabeth verblüfft von der Eindringlichkeit, dem strahlend metallischen Grün mit den goldenen Punkten und der enormen Größe seiner Augen. Dieses offene, vertrauensvolle und gefesselte Anstarren gab ihr das Gefühl von intensiver Nähe und Kommunikation mit dem Kater. Wie schön wäre es, wenn ein Mensch so viel Vertrauen hätte, daß er dir derart unerschütterlich in die Augen schaut. Aber das tun nur kleine Kinder und Katzen.
»Moment, alter Freund. Ich hole mir meinen Tee, und dann legen wir uns hin und schmusen. Willst du Frühstück?«
Elizabeth nahm einen Teebeutel mit Orangenaroma und brühte ihn in ihrem riesigen Becher auf; dann schüttete sie Trockenfutter in Wolfgangs Napf. Er schnupperte daran, fraß aber nicht. Statt dessen rieb er sich schnurrend an ihren Beinen. »Deine Freunde von nebenan haben dir wieder Fleisch und Krabben gegeben, stimmt’s? Die werden dich noch so verwöhnen, daß ich mir dich nicht mehr leisten kann.«
Elizabeth trug ihren Tee zur Matratze. Wolfgang war schon vor ihr dort. »Geh aus dem Weg, damit ich mich hinlegen kann.« Er stand auf dem Schlafsack, sah sie in seliger Vorfreude an. Elizabeth stellte den Tee auf das Fensterbrett, hob Wolfgang hoch, legte sich hin und bettete ihren Kopf so, daß sie ihren Tee trinken konnte. Sie setzte Wolfgang auf ihren Bauch und er begann sofort zu treteln. »Herr im Himmel, Wolfgang, deine Krallen! Jeeesus. So!« Elizabeth packte ihn an den Vorderbeinen und legte ihn hin. Ihm war es recht. Er nahm seine Lieblingsstellung ein: alle vier Beine seitlich weggestreckt statt, wie andere Katzen, unter dem Bauch. Das Ergebnis war, daß er und Elizabeth Bauch-an-Bauch lagen - sie nannte das immer Wolfgangs Bauchlandungsumarmung. Sie liebte das Gefühl seines weichen, warmen, pelzigen Bauchs auf ihrer nackten Haut. Es war sinnlich, fast erotisch. In dieser Stimmung von Vertrauen und Hingabe war Wolfgang wie dahingeschmolzen; sie konnte mit seinem Körper tun, wozu sie Lust hatte. Sie nahm eine seiner Pfoten, hielt sie sich an die Nase und genoß den moschusähnlichen Duft.
Wolfgang lag jetzt mit halbgeschlossenen Augen da und schnurrte so intensiv, daß er sabberte.
Elizabeth griff nach einem Kleenex, legte es unter sein Kinn und studierte den Regenbogen intensiver Farben, den die Sonne auf sein Fell zauberte, wie die Farben auf einem Ölfilm - strahlende metallische, intensive Variationen von Rot, Blau, Grün, Gold und Purpur. Diese Farbflecken waren nur in der Sonne zu sehen und so winzig, daß Elizabeth sie während seines ersten Lebensjahres überhaupt nicht bemerkt hatte. Nun faszinierten sie diese Juwelen in seinem schwarz-weißen Fell jeden Morgen, während sie ihren Tee trank.
Wolfgang räkelte sich ein wenig, und sie spürte wieder seinen Bauch auf dem ihren. Ohne nachzudenken, hob sie leicht das Becken, als wolle sie einen Liebhaber empfangen. Sie lächelte, ob Wolfgang erotische Gefühle für sie hatte, oder ob alles nur unschuldige Zuneigung war? »Oh, Wolfgang, wenn wir doch bloß...« Sie kraulte seinen Kopf und lächelte wieder, als er mit einem wonnevoll-dämlichen Gesichtsausdruck antwortete.
Das Geräusch eines Schlüssels schreckte beide auf. Wolfgang kratzte Elizabeths Bauch und war mit einem Satz aus dem Fenster. Etienne stand in der Tür und grinste sie an. »Herr im Himmel, du siehst super aus, wie du da in der Sonne liegst. Wie geht’s dir, Schatz?« Er durchquerte den Raum und kniete sich hin, um sie zu küssen. Als er sich über sie beugte, kratzte der Reißverschluß seiner Lederjacke über ihre Brust. Sein Atem roch nach Kaffee. Sie schob ihn weg. »Was ist los?«
»Deine Jacke.«
»Oh, sorry. «
»Bin früh aufgestanden; hab gedacht, ich guck mal rein, bevor ich zur Arbeit gehe.« Seine Hand streichelte ihren Bauch, wanderte zu ihrer Brust.
Elizabeth spürte eine Schwiele auf Etiennes Hand, die wie eine Nadel über ihre Haut fuhr. Sie setzte sich auf, zog den Schlafsack über ihren Körper. »Willste ‘ne Tasse Tee?«
Etienne lächelte. »Ich will dich.« Er zog seine Jacke aus und legte sich neben sie. Er nahm ihr den Becher aus der Hand und stellte ihn auf den Boden; dann liebkoste er ihr Gesicht mit beiden Händen und küßte sie sanft. Er roch nach Rasierwasser. »Étienne, ich bin allergisch gegen Parfüms. Das habe ich dir schon mal gesagt.«
»Oh, tut mir leid. Hab ich vergessen. Ich geh schnell mein Gesicht waschen.«
Während Elizabeth wartete, versuchte sie, ihre Verwirrung unter Kontrolle zu bringen. Sie wußte, daß er nicht kam, um nur sein eigenes Verlangen zu befriedigen, sondern sie überraschen und ihr gefallen wollte. Wie könnte sie da nein sagen? Wie ihm ihre Verwirrung verständlich machen, ohne ihm das Gefühl zu geben, daß sie ihn nicht mochte, ihn nicht begehrte?
Er kehrte an ihr Bett zurück, nackt und erregt. Mit einem Finger der einen Hand drang er in sie ein, mit der anderen teilte er ihre Schamlippen, und er küßte und leckte ihren Kitzler - der einzige Mann, den sie kannte, der es richtig machte: weich und sanft, wie eine Frau. Elizabeth spürte das weiche, heiße Schmelzen, das so wunderbar war, fast schmerzhaft. Er brachte sie bis kurz vor die süße Explosion, dann war sein Körper über ihrem, und sein Schwanz drang in den Glutofen ein. »Oooooooh.«
»Ja, meine Kleine.«
Er nahm sie langsam, bewegte sein Becken so, daß er von jedem Winkel aus in sie eindrang - ein echter Künstler. Aber je größer sein Begehren wurde, desto härter und direkter stieß er tief und drängend. Ihre eigene Leidenschaft verpuffte und sie fühlte sich wie eine Zielscheibe. Etienne bemerkte nichts.
Sie spürte, wie er härter und größer wurde; seine Augen waren geschlossen und sein Kopf erhoben. Er spürte nicht, wie passiv sie unter ihm geworden war. »Bist du so weit, Baby?«
»Ja.«
Er kam.
Etienne sank neben ihr zusammen, lächelte und japste, die Augen noch immer geschlossen. Dann drehte er sich zu ihr hin und küßte zart ihren Busen und ihre Schulter. »Herr im Himmel, du bist wirklich fantastisch, Süße.«
Fantastisch? Dann war es also egal, ob sie mitging oder nicht? Elizabeth konnte nicht glauben, daß er so blind war. Sie drehte den Kopf, so daß sie ihm in die Augen blicken konnte. Er lag auf der Seite und hatte den Kopf auf die eine Hand gestützt. Mit der anderen zeichnete er die Kontur ihrer linken Brustwarze nach. Er begegnete Elizabeths Blick, aber nur für einen kurzen Moment. Er schaute auf seine Hand, die die Brustwarze nachzeichnete, als wäre dies eine wichtige Aufgabe, die höchste Aufmerksamkeit verlangte. Elizabeth wollte ihn zwingen, sie anzusehen, ihr richtig in die Augen zu blicken. Aber er war ganz versunken in den Anblick ihrer Brustwarze und in seinen eigenen Gedanken, und er sah sie nicht noch einmal an.
Sie betrachtete Etiennes Körper neben sich. Er hatte einen schönen Körper, straff, nicht besonders muskulös, aber zäh, durchtrainiert. Eben schön. Bis auf die Farbe seiner Haut, ein mediterranes Olivbraun mit einem Stich ins Grünliche, das Elizabeth irgendwie ungesund fand. Sein Schwanz hing jetzt schlaff und glänzend von Elizabeths Feuchtigkeit, fast komisch in diesem schlappen Zustand, und so viel kleiner als vor ein paar Minuten. Elizabeth registrierte eine leichte Bewegung; seine Eier bewegten sich. »Warum tun die Eier von Männern das?« fragte sie.
Etienne blickte an sich herunter. »Keine Ahnung. Sie tun es nun mal. Sie haben ihren eigenen Willen.«
Elizabeth war insgeheim der Ansicht, daß Hoden das Häßlichste waren, was sie gesehen hatte, schrumpelig und kaum behaart, blödsinnig nach ihrem eigenen Takt wackelnd, und wenn man sie berührte, waren sie klebrig, wie eine halbkahle Seegurke. »Wolfgang hat prächtige Eier«, sagte sie.
Etienne grinste. »Ach ja? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Sein Bauch ist cremefarben und sein Hinterteil auch, aber seine Eier sind schokoladenbraun. Sie heben sich so schön ab. Wenn er geht, wackeln sie hin und her. Ich sehe ihn gern von hinten. Die sehen richtig frech aus.«
»Haben die Eier von Katern Haare? Ich kann mich nicht erinnern.«
»Ja. Die sind pelzig und sauber. Sehr reinlich.«
»Bevor du mir jetzt sagst, ich hätte schmuddelige Eier, mache ich mich lieber aus dem Staub. Liz, ich weiß, es ist brutal, zu vögeln und dann zu gehen, aber ich muß zur Arbeit.« Er drückte einen Kuß auf jede Brustwarze und stand auf. »Bis heut’ abend, ok? Weißt du was, wenn du’s erträgst, koch ich. Was hältst du davon?«
»Okay.«
Während er sich wusch und anzog, sang er halb, halb summte er seinen alten Lieblings-Song von Elton John, Rocket Man. Elizabeth war still, starrte in ihren Teebecher, drehte ihn unablässig in ihren Händen. Sie fragte sich, ob Etienne sich wohl der Ironie des Titels bewußt war angesichts der letzten zwanzig Minuten. Schließlich kam er zum Bett, kniete sich neben Elizabeth, legte eine Hand auf ihr Knie und fragte: »Honey, ist irgend etwas nicht in Ordnung?«
Elizabeth blickte auf und direkt in seine Augen. Er wich dem Blick sofort aus. Was ist das? Wie kannst du in meinen Körper eindringen und vor meinem Blick Angst haben? Elizabeth spürte, wie in ihrem Kopf eine Tür zuklappte.
»Nein. Ich bin heute morgen einfach in einer ruhigen Stimmung. Schön, daß du gekommen bist.« O Gott, dachte sie. Warum habe ich das gesagt? Warum versuche ich immer, es den Männern recht zu machen?
»Ich auch. Bis heute Abend.«
Elizabeth fühlte sich erleichtert, als er gegangen war. Und schuldig. Etienne war so ein netter Typ, immer rücksichtsvoll, wirklich. Warum war sie wütend, weil er die Augen vor etwas verschloß, was ihm vielleicht unangenehm war; weil er sie übergangen und vergessen hatte - was hatte er denn vergessen? Etienne war ein empfindsamer, kundiger Liebhaber, aber da kam immer der Augenblick, kurz vor dem Höhepunkt, wo er seine Empfindsamkeit verlor, und zu vergessen schien, daß sie, Elizabeth, überhaupt existierte, wo er sich irgendwie von ihr zurückzog. Ihre Reaktion wurde unwichtig; sogar ihr Genuß wurde nebensächlich, so wie er sie am Schluß nahm. Er vollzog einen einsamen, selbstbezogenen Akt. Masturbierte. Und es spielte gar keine Rolle, wessen Körper gerade unter ihm lag. Aber das ist eigentlich nicht der Grund, dachte Elizabeth, denn wenn ich ehrlich bin, mache ich am Schluß genau das gleiche. Ich vergesse ihn, bin ganz auf meinen kommenden Orgasmus konzentriert. Dann erinnerte sie sich; er sollte ihr in die Augen sehen. Das war die Herausforderung, der er nicht gewachsen war. Das ist es, was mich nervt, dachte sie. Daß er mir nicht in die Augen sehen kann. Blödsinn. Niemand mag es, dir direkt in die Augen zu sehen. Außer Wolfgang.
Elizabeth stand auf und stellte sich ans Fenster. »Wolfgang? Wolfgang! Komm schon, alter Schmusekater, er ist weg.«
Heute abend werde ich ihn bitten, mir den Schlüssel zurückzugeben. Keine Ahnung, wie er es aufnehmen wird, aber ich muß meinen Schlüssel zurückhaben.
»Wolfgang! Miez, Miez, Miez?«