16
Als Davy seinen Wagen vorfuhr, kam Sean ihnen über den Vorplatz entgegen. Er sah verwegen gut aus in seinem schwarzen Smoking. An seinem Ohrläppchen funkelte ein Diamant. Er öffnete Margot die Tür, half ihr heraus und umarmte sie überschwänglich.
»Das wurde aber auch Zeit, dass ihr Schlafmützen euch endlich blicken lasst. Ich habe eine der Edelsuiten für euch reserviert. Mit eigener Bar, einem Whirlpool auf eurer Privatterrasse – alles, was das Herz begehrt. Ich musste eine geschlagene Stunde mit den Damen vom Management flirten, um das hinzubiegen, aber ich habe es geschafft. Du schuldest mir was, Bruder.«
Mikey sprang aus dem Fond, beschnupperte Seans glänzende Schuhe, stemmte die Pfoten auf seine Knie und bellte eine helle, aufgeregte Begrüßung. Margots Hund schien die McCloud-Brüder ins Herz geschlossen zu haben.
»Ist es ein Zimmer, in dem Haustiere erlaubt sind?«, erkundigte sie sich.
Sean beugte sich stirnrunzelnd nach unten und streichelte Mikeys Kopf. »Mist! Das hatte ich ganz vergessen. Aber mein persönliches Credo lautet, lieber um Entschuldigung als um Erlaubnis bitten. Lasst den kleinen Kerl bei mir, während ihr eincheckt. Und dann schwing deinen Hintern in den Smoking, Mann. Ich muss dich in den Ablauf einweisen.«
Margot fühlte sich mit ihren verwaschenen Jeans, dem knappen Tanktop und ihrer Plastiktüte, die mit Kleidungsstücken und Kosmetikartikeln vollgestopft war, in der luxuriösen Lobby schrecklich unsicher. Sie hatte jedoch nicht die Zeit, diesem Gefühl nachzuhängen, denn eine wunderschöne Frau mit langem lockigen Haar und silbrigen Augen kam lächelnd auf sie zu und berührte zaghaft ihren Arm. Sie sah todschick aus mit ihrem langen eisblauen Taftrock, zu dem sie eine schmale Korsage trug.
»Bist du Margot? Mein Name ist Raine. Sean hat uns alles über dich erzählt.«
Margot verspannte sich, aber sie konnte bei Raines bezauberndem Gesicht nicht anders, als ihr Lächeln zu erwidern. »Ich hatte keine Ahnung, dass Sean so viel über mich weiß.«
Raine lachte. »Du kennst doch Sean. Er muss nicht viel wissen, um viel zu erzählen. Uns reicht es, dass du Davys geheimnisvolle neue Freundin bist. Wir sind wahnsinnig gespannt auf dich. Davy ist ein Buch mit sieben Siegeln, deshalb wird jede Frau, mit der er ausgeht, einer ganz genauen Musterung unterzogen. Sei also vorgewarnt!«
Margot tat entsetzt. »Oh nein! Ich habe vergessen, meine Pillen gegen genaue Musterungen einzupacken. Ich bin verloren.«
Raine lächelte sie an. »Ein paar Gläser Champagner werden den gleichen Zweck erfüllen.«
»Aber Sean irrt sich. Ich bin nicht Davys Freundin. Wir haben uns gerade erst kennengelernt, es ist nichts Ernstes.«
Raine stupste Margot vertraulich an. »Mir kommt es ziemlich ernst vor«, befand sie. »Klingt, als wäre Davy nachlässig bei seiner Technik. Männer! Manchmal überraschen sie einen positiv, und manchmal eben nicht.«
»Nein, Davy ist großartig«, beteuerte Margot. »Er will nur nicht, dass ich mir falsche Hoffnungen mache. Was in Ordnung ist, da ich mir sowieso keine Hoffnungen mache, weder falsche noch anderweitige. Ich begleite ihn zwar zu dieser Party, aber er hat mich nur mitgenommen, weil ich dieses Stalkerproblem habe.«
Raine verkniff sich ein Lächeln. »Falsche Hoffnungen, meine Güte! Dieser Dummkopf! Man müsste ihm eine scheuern. Sean hat uns von dem Stalker erzählt. Aber deswegen musst du dir keine Sorgen machen, bei all den FBI-Agenten, die hier herumschwirren. Entspann dich und hab ein bisschen Spaß!« Sie gab Margot einen spontanen Kuss auf die Wange. »Ich freue mich, dass du hier bist. Wir reden nachher weiter, während des Empfangs.«
Margot war wie vom Donner gerührt. Es gelang ihr nicht, die herzliche Geste zu erwidern. »FBI?«, flüsterte sie fassungslos.
»Hallo, Raine!« Davy küsste die blonde Frau auf die Wange, dann legte er schützend den Arm um Margots Taille. Er spürte ihre Anspannung und sah sie forschend an. »Was ist los?«
Sie durchbohrte ihn mit ihrem Blick. »FBI?«
»Hast du Margot denn nicht erzählt, dass Connor beim FBI ist?« Raine gab Davy einen Klaps auf den Arm. »Der Brautvater war früher auch dabei. Hier wimmelt es nur so von Agenten. Dein Stalker hat keine Chance. Jetzt beeilt euch, und werft euch in Schale! Ich sage Erin, dass sie sich mit dem Anlegen des Schleiers Zeit lassen soll.«
Sie warf ihnen über die Schulter ein engelsgleiches Lächeln zu und schwebte, ihre lange eisblaue Schleppe hinter sich herziehend, davon.
Margot blieb weiter reglos stehen. »FBI?«, wiederholte sie entgeistert.
Davy schaute betreten zu Boden. »Das erkläre ich dir später. Die Zeremonie beginnt gleich, und wir müssen …«
»Hast du komplett den Verstand verloren?«, zischte sie.
»Davy, du hübscher Teufel«, ertönte eine getragene Frauenstimme mit einem ausländischen Akzent. »Du verärgerst deine Freundin schon jetzt? Dabei ist der Tag doch noch so jung.«
Davy fuhr herum. Eine hinreißende Frau in schwarzem Taft strahlte ihn an. Ihr schwarzes Haar war zu einem Knoten hochgesteckt, mit einem stumpf geschnittenen Pony und einer glänzenden Strähne, die auf ihre Schulter fiel.
»Hallo, Tamara!« Seiner Stimme mangelte es hörbar an Enthusiasmus. »Ich habe dich mit deinem neuen Look nicht gleich erkannt. Du siehst aus wie Cruella De Vil.«
»Charmant wie immer«, spottete sie. »Außerdem bin ich heute Justine Theron, eine Dolmetscherin aus Brüssel, nur für den Fall, dass jemand fragt. Erin und ich haben uns während ihres Auslandsstudiums kennengelernt. Ich wollte dich nur informieren, dass du mich den Gang hinuntergeleiten wirst. Du darfst dich glücklich schätzen. Dieses Arrangement wurde übrigens beschlossen, bevor jemand von deiner geheimnisvollen Begleiterin wusste.« Sie sah Margot an, und um ihre roten Lippen spielte ein listiges Lächeln. »Sei bitte nicht eifersüchtig!«
»Oh, das bin ich nicht«, versicherte Margot.
»Du bist eine Brautjungfer?«, fragte Davy ungläubig. »Ich dachte, die Brautjungfern trügen edelsteinfarbene Kleider. Und was hat dein falscher Akzent zu bedeuten?«
Tamara strich ihr elegantes Abendkleid glatt. Margot erkannte, dass der schwarze Rock und die Korsage den gleichen Schnitt aufwiesen wie Raines eisblaue Robe.
»Schwarz ist eine Edelsteinfarbe«, konterte sie ein wenig beleidigt. »Onyx? Obsidian? Schwarzer Opal?« Und woher weißt du, dass mein Akzent falsch ist? Vielleicht ist mein amerikanischer Akzent ja der falsche. Zieh keine voreiligen Schlüsse, Davy!«
»Ich habe für das hier keine Zeit. Wir müssen uns fertig machen. Bis später, Tam. Komm jetzt.« Er nahm Margots Hand und zog sie in den Flur, der zum Fahrstuhl führte. »Unglaublich, dass Connor Erin erlaubt hat, diese Frau zur Hochzeit einzuladen«, schimpfte er. »Er muss von allen guten Geistern verlassen sein.«
»Wer ist sie? Und warum warst du so grob zu ihr?«, fragte Margot. »War sie mal deine Geliebte oder so was in der Richtung?«
Davy zog eine Grimasse. »Himmel, nein! Was für ein grauenvoller Gedanke!«
»Wieso denn? Sie ist hinreißend. Was stimmt nicht mit ihr?«
Davy führte sie aus dem Aufzug und zum Ende des Flurs, wo er die Schlüsselkarte in den Schlitz ihrer Zimmertür steckte.
Die luxuriöse Suite wurde von einem riesigen Bett dominiert. Davy warf seinen Kleidersack darauf und zog sein T-Shirt aus. »Was mit ihr nicht stimmt? Zunächst einmal ist sie eine Berufskriminelle. Sie wird in zwölf Staaten gesucht, vielleicht mehr. Ich weiß nicht, weswegen, und ich will es auch nicht wissen. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass sie eine Selbstdarstellerin mit Divaallüren ist, der es diebisches Vergnügen bereitet, die Leute aufzumischen. Sie macht mich nervös.«
»Wow!«, sagte Margot beeindruckt. »Warum ist sie hier?«
Davy schüttelte verbittert den Kopf. »Sie hat meinem Bruder Connor vor ein paar Monaten das Leben gerettet. Er hat ihres ebenfalls gerettet, aber das tut nichts zur Sache. Es ist eine lange und komplizierte Geschichte. Irgendwann erzähle ich sie dir.«
»Und ob du das wirst«, sagte Margot aufgeregt. »Ich platze vor Neugier.«
»Jedenfalls gehört sie zum Club, ob mir das passt oder nicht.« Davy zog eine Waffe aus seinem Hosenbund, legte sie aufs Bett und schlüpfte aus der Jeans. »Du kennst uns McClouds, diesen alten Clan von Geächteten. Bist du erst mal drin, bleibst du drin, ob zu Recht oder nicht. Es ist anstrengend.«
Margot musterte schaudernd die Waffe. »Mannomann, was für eine irre Familie!«
»Das kannst du laut sagen.« Davy öffnete den Reißverschluss des Kleidersacks. »Ich habe Erin dringend gebeten, sie nicht einzuladen«, brummte er. »Ich habe Connor angefleht, ein Machtwort zu sprechen. Und was passiert? Sie machen sie zur Brautjungfer und hängen sie an meinen Arm. Das ist meine Strafe, weil ich das Essen gestern versäumt habe. Ich werde diesen liebeskranken Trottel, der sich mein Bruder schimpft, zu Hackfleisch verarbeiten, sobald er aus den Flitterwochen zurück ist.«
Margot blinzelte. »Du, ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, Davy, aber in Anbetracht der rechtlichen Stellung deiner heutigen Begleitung hast du wohl kaum das Recht, Kritik zu üben.«
»Das ist etwas komplett anderes!« Davy zerrte die Smokinghose vom Kleiderbügel und starrte Margot finster an, während er sich aufs Bett setzte, um sie anzuziehen.
»Tatsächlich? Und wieso?«
»Weil du unschuldig bist! Außerdem schwebst du in Gefahr. Und du bist mit mir hier. Niemand wird dir etwas tun. Sei ganz beruhigt!«
Seine Gewissheit amüsierte sie. »Du überschätzt deinen Einflussbereich, Davy. Ich freue mich über deinen Glauben an mich, aber es wird mir nicht gerade helfen, wenn mich jemand aus der Zeitung wiedererkennt.«
Davy hangelte nach seinem Smokinghemd. »Ich habe diese Zeitungsfotos gesehen. Mit deinen dunklen, nun längeren Haaren wirkst du völlig verändert.« Sein Blick glitt über ihren Körper und erfasste jedes Detail. »Du bist dünner, besitzt mehr Muskeln. Dein Kinn ist spitzer, deine Wangenknochen treten stärker hervor. Deine Augen sind ein Erkennungsmerkmal, aber die Fotos, die ich gesehen habe, werden ihnen nicht gerecht. Versuch einfach, nicht nervös zu wirken, dann hast du kein Problem. Jeder Mann im Saal wird dich anstarren, aber nicht aus den Gründen, die du befürchtest.«
Margot riss sich von seinem Anblick los, als er das gestärkte weiße Smokinghemd über seinem durchtrainierten Oberkörper zuknöpfte. Er sah in einem Smoking genauso gut aus wie splitterfasernackt. »Diese Hochzeit ist surreal. Wie eine dieser Sendungen, die nur im Kabelfernsehen laufen, weil sie zu schräg sind für die öffentlich-rechtlichen Sender.«
Davy quittierte das mit einem ironischen Lachen, während er ein Schulterholster für seine Waffe anlegte. »Bitte, Margot, mach dich jetzt fertig. Die Trauung soll in …« – er sah auf die Uhr – »… viereinhalb Minuten beginnen.«
»Schon gut.« Margot flüchtete sich mit ihrer Plastiktüte ins Bad und schloss die Tür. Das würde sie nie rechtzeitig schaffen.
Sie studierte ihr blasses, ängstliches Gesicht im Spiegel. Ihre unterschiedlich langen Haare bildeten einen zerzausten Heiligenschein – die herausgewachsene Erinnerung an das, was einmal ein Zweihundert-Dollar-Haarschnitt gewesen war. Das waren noch Zeiten.
Sie stieg aus ihren Klamotten und inspizierte erschrocken ihren Tanga, den Davy zerrissen hatte. Verdammt! Das Kleid war hauteng, und die Konturen der Baumwollschlüpfer, die sie in ihrer Tüte hatte, würden sich überdeutlich unter dem Rock abzeichnen. Ganz zu schweigen davon, dass sie keine Strümpfe, keinen Schmuck und nur wenig Make-up hatte. Sie stand vor einer modischen Herausforderung.
Egal. Wenigstens besaß sie ein vorzeigbares Kleid. Es bestand aus einem geriffelten, dehnbaren, komplett knitterfreien Material, das über einem schwarzen Unterkleid mit Spaghettiträgern getragen wurde. Es war von einer rauchgrauen Farbe mit einem dunkler werdenden Verlauf zu dem rüschenbesetzten Saum hin, bevor knapp unterhalb der Knie das Grau in Schwarz überging. Der runde Ausschnitt brachte ihr Dekolleté zur Geltung. Die Flügelärmel betonten ihre Arme, die zugegebenermaßen sehr hübsch aussahen. Ihr Lohn für die vielen schweißtreibenden Trainingseinheiten. Dumm nur, dass ihr Hintern sich an ihnen kein Beispiel genommen hatte, er war so ausladend wie immer. Ihr Po gehorchte seinen eigenen Regeln.
Ihre Haare steckte sie zu einer Art Banane hoch, mit der Schwierigkeit, dass sie kaum lang genug waren und selbst mithilfe unzähliger Klammern und großzügiger Kleckse Haargel an den Seiten nur mühsam gebändigt werden konnten. Sie löste ein paar Locken, sodass sie ihr Gesicht umrahmten, um diesen windzerzausten Amazonenlook zu kreieren. Ihr Make-up beschränkte sich auf Kajal, Wimperntusche und einen einzigen tiefroten Lippenstift. Kein Rouge, kein Lidschatten, keine Grundierung, keine Abdeckcreme.
Ihre Trickkiste war leer. Mehr konnte sie nicht tun.
Sie schnappte sich eine Handvoll Kosmetiktücher, stopfte sie in ihre Tasche und stolzierte mit so viel Würde, wie sie aufbringen konnte, aus dem Bad.
Davys Blick musterte ihren Körper.
»Allmächtiger«, raunte er. »Sieh dich nur an! Du bist wunderschön.«
Verlegene Röte stieg ihr in die Wangen, weshalb sie blitzschnell Zuflucht zu ihrer typischen Kratzbürstigkeit suchte. »Man sieht die Konturen meines Slips, und das ist allein deine Schuld. Du hast meinen Tanga zerrissen, du Höschenmörder.«
Davy ging zu ihr, legte seine große, warme Hand an ihre Taille und ließ sie langsam um ihre Hüfte kreisen, als hätte er ganz vergessen, dass sie in Eile waren. »Das mit deinem Tanga tut mir leid.«
Sie schnaubte. »Darauf wette ich.«
»Aber ich weiß eine Lösung.«
»Ach ja? Willst du die Hochzeit aufschieben, damit ich in ein Kaufhaus fahren und mir neue Unterwäsche kaufen kann? Das wird einen tollen ersten Eindruck bei deiner Familie hinterlassen.«
Er sank auf die Knie und streichelte jede ihrer Kurven. »Zieh ihn aus!«
»Oh bitte! Und anschließend gehe ich mit blankem Hintern zur Hochzeit deines Bruders? Damit jeder Luftzug, der unter meinen Rock fährt, meinen Intimbereich kitzelt? Träum weiter, du sexgeiler …«
»Es würde mich um den Verstand bringen.« Davy schob seine Hand unter ihr Kleid. »Zu wissen, dass hier drunter nichts ist als hübsche seidenweiche Beine und dann … diese zarte, nackte …«
»Hör sofort auf!« Sie schwankte in seinen Armen und musste sich an seinem dichten, kurzen Haar festhalten, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. »Benimm dich!«
Er hakte die Finger in ihren Schlüpfer. »Du kannst unmöglich mit sichtbaren Slipkonturen dort hinuntergehen«, erklärte er feierlich. »Das wäre falsch.«
»Oh, halt den Mund!« Sie kicherte atemlos. »Wenn du mich noch mehr zum Lachen bringst, werden meine Augen tränen und meine Wimperntusche wird verlaufen.«
Er schob den Baumwollschlüpfer auf ihre Knöchel runter und hob ihren Rock an. Als er sein Gesicht an ihren Venushügel presste, sein Atem eine feuchte, kribbelnde Liebkosung, die ihr die Knie weich werden ließ, warf sie den Kopf zurück und stieß einen Seufzer aus, der fast ein Wimmern war. »Oh Gott!«, stöhnte sie. »Bitte, Davy! Zerleg mich nicht in meine Einzelteile. Ich fürchte mich so schon genug.«
Er rieb die Wange an ihrem Oberschenkel und wölbte seine großen Hände um ihr nacktes Gesäß. »Hab keine Angst«, beruhigte er sie. »Hier bist du sicher.«
»Okay.« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Ich werde die ganze Zeit bei dir sein«, versprach er. »Sollte dir irgendjemand blöd kommen, reiße ich ihm beide Arme aus. Hast du mich verstanden?«
Sie versuchte zu lächeln. »Das ist lieb von dir, Davy. Blutrünstig, aber lieb.«
Vor der Tür ertönte ein schrilles Pfeifen – drei lange ansteigende Signaltöne, gefolgt von drei kurzen, scharfen absteigenden. Davy sprang so unvermittelt auf, dass er Margot um ein Haar umgestoßen hätte. Er riss die Tür auf. »Was zum Henker bildest du dir ein, dieses Signal zu benutzen?«
Sean blinzelte ihn an. »Ich wollte dir nur ein bisschen Feuer unter deinem lahmen Hintern machen, Bruder.«
»Reiß über diesen Scheiß keine Witze! Dad würde dich mit Arschtritten durch die Berge jagen, wenn er wüsste, dass du mit seinen Signalen Blödsinn treibst!«
Sean hob ironisch die Brauen. »Das ist nichts verglichen mit dem, was die Brautmutter mit dir anstellen wird, falls du die Hochzeit ihrer Tochter verzögerst. Du hast die Frau schon mal Amok laufen sehen. Also, beeil dich!«
Davy nahm Margots Hand und zog sie aus der Tür.
Sie stolperte hinter ihm her. »Was bedeutet das Signal?«, fragte sie.
Davy und Sean wechselten einen kurzen Blick, dann zuckte Sean mit den Schultern. »Unser Vater war ein Kriegsveteran«, erklärte er. »Er brachte uns einige seiner Tricks bei, als wir Kinder waren. Dieses Signal bedeutet: ›Schafft euren Hintern dort raus, weil ich in x Sekunden eine Handgranate reinwerfen werde.‹ Das X berechnet sich danach, wie das Signal modifiziert ist. Es gibt Variationen.«
Margot strauchelte und fing sich an Davys breitem Rücken ab. »Du willst sagen, dass ihr als Kinder mit Handgranaten gespielt habt?«
»Handgranaten sind doch was für Kinder«, witzelte Sean. »Große Bomben machen viel mehr Spaß.«
»Halt die Klappe, Sean«, knurrte Davy.
Es blieb keine Zeit mehr, diese faszinierende Reise in die Vergangenheit fortzusetzen. Im Rosengarten angekommen, wurde Margot mit einem Schwall geflüsterter Anweisungen überhäuft. Man führte sie zu einem Klappstuhl auf dem Rasen, neben einen gebückt wirkenden jungen Mann mit strähnigem dunklen Haar, der einen Smoking und eine unvorteilhafte Brille trug. Man hatte ihn ihr als Miles vorgestellt. Mikey kuschelte sich zufrieden in seine Armbeuge. Irgendjemand hatte sein lockiges Fell mit fröhlichen bunten Seidenbändern geschmückt.
Der Rasen wurde von üppig blühenden Rosenbeeten umsäumt. Ein Springbrunnen verteilte einen feinen Sprühnebel in der Luft. Miles setzte Mikey vor ihren Füßen ab, und Margot dankte ihm lächelnd, woraufhin er puterrot anlief und wie eine erschrockene Gazelle das Weite suchte. Ein Streichquartett begann kurz darauf zu spielen.
Davy schritt als Erster den Gang hinunter, an seinem Arm eine rätselhaft lächelnde Tamara. Sie waren ein ekelerregend schönes Paar, aber Margot gab sich Mühe, die Frau nicht dafür zu hassen. Zum einen war es nicht fair, zum anderen verdiente eine ebenfalls steckbrieflich gesuchte Kollegin ein Mindestmaß an Solidarität, ganz gleich, wie scharf sie aussah.
Sean folgte als Nächster, auf seinem Gesicht ein Grinsen, das dem drallen rothaarigen Mädchen an seinem Arm galt. Miles eskortierte mit ehrfürchtiger Miene eine schlanke Brünette in einem roten Kleid. Dahinter kam Raine in Begleitung eines auf düstere Weise gut aussehenden schwarzhaarigen Mannes, der besitzergreifend ihren Arm an sich drückte. Sein misstrauischer Blick flog über die anwesenden Gäste, als hielte er nach verkleideten Scharfschützen Ausschau. Ihnen folgten paarweise Brautjungfern, deren farbenprächtige Kleider in allen Schattierungen des Regenbogens erstrahlten. Als Letzte kamen Hand in Hand die Braut und der Bräutigam. Sie verströmten eine solche Glückseligkeit, dass Margot sofort ein Taschentuch herauskramte.
Es war eine wundervolle Trauung – zärtlich, schlicht und herzergreifend. Die Liebe und das Vertrauen in den Gesichtern des Brautpaars bewirkten, dass sie sich während der Zeremonie ganze Bäche verlaufender Wimperntusche wegtupfen musste, was ihr einen seltsamen Blick von Davy eintrug, als er am Schluss über den Korridor wieder auf sie zukam.
Wenige Augenblicke später beugte er sich über sie. »Was ist passiert? Ist alles in Ordnung?«
Sie schniefte in ihr Taschentuch und betupfte ihre Augen. »Schau mich nicht so entsetzt an«, sagte sie tränenerstickt. »Du hast mich hierher gebracht. Ich hatte nicht darum gebeten. Also schau selbst, wie du damit klarkommst.«
Seine Miene spiegelte Verwirrung wider. »Ich komme damit klar. Solange du nur nicht …«
»Ich bin sentimental, okay?«, fuhr sie ihn an. »Gewöhn dich dran! Ich weine bei Hochzeiten, Beerdigungen, Welpenfutterwerbung! Mach mich nicht verlegener, als ich es schon bin. Ich schwöre, es ist nicht ansteckend.«
Er lehnte sich nach unten und hauchte ihr einen Kuss in den Nacken. »Beruhige dich. Es ist Zeit für die Fotos.«
»Dann ab mit dir.« Sie scheuchte ihn fort. »Halte großen Abstand zu mir. Los, verschwinde! Ich will keine Kameras in meiner Nähe. Geh!«
Sie warf einen verstohlenen Blick in ihren Taschenspiegel. Die Reste der verschmierten Wimperntusche verliehen ihr ein leicht vulgäres Aussehen, aber wenn sie noch mehr daran herumrieb, würden ihre Augen rot und gereizt sein. Verflixt! Es würde ihr nie gelingen, wie eine Eiskönigin auszusehen. Sie ließ den Blick über die plaudernde Gästeschar schweifen und stellte sich vor, wie es wäre, wieder in der normalen Welt zu leben.
Falls sie das überhaupt noch könnte. Was ihr widerfahren war, hatte sie so dramatisch verändert, dass sie sich gebrandmarkt fühlte – ein bisschen, als hätte sie sich mit einer unheilbaren Krankheit infiziert.
Ihre gedrückte Stimmung verschlimmerte sich, während sie ihren Gedanken nachhing. Selbst wenn sie es schaffen würde, wieder als normaler Erdenbürger durchzugehen, würde es sich immer wie eine Maskerade anfühlen. Ihre Welt war ein einziger albtraumhafter Hort der Unsicherheit.
Ach, Margot, sieh dich nur an. Verschickst mal wieder gedruckte Einladungskarten für deine nächste Selbstmitleidsparty. Was keine gute Idee war, da ihr die Taschentücher ausgingen. Mikey legte ihr die Pfoten auf die Knie und leckte ihre Hand. Seine großen, sorgenvollen dunklen Augen unter seinen zotteligen Stirnfransen entlockten ihr ein tränenfeuchtes Lächeln. Der gute, alte Mikey – ihr Lebensretter. Sie streichelte seine Ohren und lobte ihn, bis sein ganzer Körper vor Entzücken wackelte.
Das Gras hinter Mikey wurde plötzlich von einer Wolke opalisierenden schwarzen Tafts verdeckt. Margots Blick glitt an dem Rock nach oben, bis er auf Tamaras lächelnde Lippen und undurchdringliche dunkle Augen traf.
Die Frau betrachtete das mit Wimperntusche verschmierte Kleenex in Margots Hand. »Eine bewegende Trauung, nicht? Fast hätte ich selbst ein paar Tränen der Rührung vergossen.«
Der sanfte Spott in ihrer Stimme war wie ein Nadelstich. Margot putzte sich ein letztes Mal die Nase und steckte das Taschentuch in ihre Handtasche. Tamaras perlenbesetzte schwarze Abendtasche machte ihr schlagartig bewusst, wie furchtbar schlecht ihre braune Ledertasche mit ihrem Kleid harmonierte. Sie vermisste ihr Sammelsurium an Accessoires.
»Ja, sie war wirklich zauberhaft.« Margot starrte der Frau ins Gesicht, und vor lauter Neugier vergaß sie fast ihre guten Manieren. Sie überlegte, wie Tamara wohl reagieren würde, wenn sie sich bei ihr erkundigte, wie man ein Auto kurzschließt.
Tamaras Blick wanderte zum Springbrunnen. »Sie schießen dort drüben Fotos, aber ich lasse mich nicht fotografieren.«
»Ich mich auch nicht«, gestand Margot nach einer zögerlichen Pause.
Tamaras Brauen zuckten nach oben. »Ach nein? Wieso denn nicht?«
Margot atmete zitternd aus. »Aus den gleichen Gründen wie du, vermute ich.«
»Oh! Davy hat dir also von mir erzählt?« Tamaras Lächeln wurde breiter. »Ich wusste es. Kein Wunder, dass du nervös wirkst. Bist du auf der Flucht vor den Gesetzeshütern? Und trotzdem lässt du dich von Davy in ein Hornissennest voller FBI-Agenten schleifen? Nicht sehr weise, aber er ist ein Mann mit Durchsetzungsvermögen. Ich habe selbst eine Schwäche für Männer, die wissen, wo es langgeht, nicht zuletzt, da ich jedes andere Exemplar, mit dem ich mich einlasse, vollständig zugrunde richte. Ist die Liebe nicht wunderbar?«
»Und ausgerechnet du sagst mir, dass es nicht weise sei, hier zu sein?«
»Ich spiele gern mit dem Feuer.« Tamara schnippte gegen eine von Margots Locken. »Diese Haarfarbe steht dir übrigens nicht. Du bist eigentlich rothaarig, oder? Du solltest es lieber mit Aschblond versuchen. Vielleicht ein paar honigblonde Strähnen. Und lass es um Himmels willen von jemandem färben, der sein Handwerk versteht. Mach es bloß nicht selbst!«
»Danke für den Tipp«, sagte Margot mit zusammengebissenen Zähnen. Na toll! Jetzt war auch noch ihre Haarfarbe beschissen – ein weiterer Grund, um sich unsicher zu fühlen.
»Ich dachte, ich nutze die Gelegenheit, mit dir zu sprechen, solange Davy von der Kamera aufgehalten wird. Er kann mich auf den Tod nicht ausstehen, deshalb wird er mich den restlichen Abend vermutlich nicht in deine Nähe lassen«, erklärte Tamara.
Margot straffte die Schultern. »Ich entscheide, mit wem ich spreche, nicht er.«
»Gut so.« Sie klatschte in die Hände. »Behalte diese angriffslustige Einstellung bei. Du wirst sie brauchen. Diese Master-of-the-Universe-Typen sind schwer zu zähmen.« Ihre Miene wurde nachdenklich. »Davy besitzt diese heroische Ader, genau wie sein Bruder. Ich nehme an, er will dich retten. Wie anbetungswürdig! Vermutlich wird er dabei umkommen, trotzdem ist es sehr süß von ihm.«
»Nein, so ist es gar nicht. Ich benutze ihn nur für Sex.«
Tamara ließ ein glockenhelles Lachen hören. »Du bist eine harte Nuss, hm?«
Margot verschränkte die Arme. »Ich versuche es.«
Mikey machte es sich auf Tamaras Taftschleppe bequem und forderte sie mit allen vieren in der Luft auf, ihm den Bauch zu kraulen. Guter Junge, lobte Margot ihn mittels Gedankenübertragung. Weiter so! Sabbere! Benimm dich wie ein Hund!
Tamara befreite ihre Schleppe und tat Mikey den Gefallen, indem sie ihn mit der Sohle ihres eleganten Schuhs streichelte. Mikey wedelte entzückt mit dem Schwanz. »Es geht nicht darum, es zu versuchen. Entweder du bist es … oder du bist es nicht.«
Margots Unbehagen wuchs. »Was soll das nun wieder heißen?«
Tamaras Augen blickten freudlos, nachdem der Humor aus ihnen verschwunden war. »Du bist nicht wie ich«, sagte sie. »Du willst es sein, gleichzeitig hoffst du, dass es nicht wahr ist.«
Margot rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. »Was denn?«
»Dass die Welt wirklich nur ein korrupter Dschungel der Grausamkeit und Gier ist.« Tamaras Stimme war hart geworden. »Du ahnst es, trotzdem hoffst du noch immer, dass jemand in einer schimmernden Rüstung auftaucht – ich tippe da auf einen attraktiven blonden Jemand – und dir das Gegenteil beweist.«
Margot schüttelte den Kopf. »Das glaube ich ganz und gar nicht. Ich weiß es nämlich besser.« Ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren falsch und unsicher.
Tamara deutete mit dem Kinn zu der Brautjungfernschar, die mit der Braut in ihrer Mitte vor dem Springbrunnen posierte. Ihr feminines Gelächter driftete zu ihnen herüber. »Du ähnelst diesen Mädchen mehr als mir. So hoffnungsvoll, so ängstlich. Hoffnung und Angst sind die Kehrseiten derselben Medaille, wusstest du das? Du wärst besser dran ohne eine von beiden.«
»Menschenskinder, Tam.« Davys tiefe Stimme durchbrach Tamaras leisen Monolog. »Behalt deine düsteren, existenziellen Ausführungen für dich!«
Tamaras geheimnisvolles Lächeln erstrahlte wieder mit ganzer Kraft, als sie zu ihm herumwirbelte. »Hallo, Davy! Ich habe mich mit deiner bezaubernden gesetzesflüchtigen Freundin unterhalten. Sie fasziniert mich.«
»Das hatte ich befürchtet«, bemerkte er säuerlich. »Dies ist die Hochzeit meines Bruders, Tam. Ich würde es als persönlichen Gefallen betrachten, wenn du wenigstens versuchen würdest, nicht absichtlich allen den Tag zu verderben.«
»Ich möchte nur helfen.« Tamara strich mit einer kühlen Fingerspitze über Margots Wange. »Ich mag sie. Sie ist naiv, aber sie hat Courage. Sei gut zu ihr, sonst erlebst du was.«
Davy gab einen ungeduldigen Laut von sich. »Geh und lehre jemand anders das Fürchten. Schau dich um. Es gibt jede Menge Frischfleisch für dich.«
Tamara bedachte ihn mit einem knappen, kühlen Blick, dann lächelte sie Margot an. »Bis später, ihr zwei. Passt auf euch auf.«
»Tamara?«, rief Margot ihr nach.
Die Frau drehte sich mit fragend erhobenen Augenbrauen um.
»Weißt du, wie man ein Auto kurzschließt?«
Tamaras Lächeln wurde breiter. »Schätzchen, ich weiß sogar, wie man die Weltwirtschaft kurzschließt. Hättest du gern ein paar Nachhilfestunden? Du wirkst clever genug, um zu lernen. Und wie es aussieht, brauchst du sowieso einen neuen Job, nicht wahr?«
»Nein«, platzte Davy heraus. »Das kommt nicht infrage.«
In Tamaras Kehle stieg ein seidenweiches Lachen hoch. »Lass sie selbst entscheiden«, sagte sie. »Ihr McCloud-Jungs könnt einfach nicht in großen Dimensionen denken. All diese Intelligenz, dieses heißblütige Testosteron, verkrüppelt durch unangebrachte Tugendhaftigkeit. Was für eine tragische Verschwendung von Potenzial. Es ist einfach zum Heulen.«
»Nein, das ist es Gott sei Dank nicht«, konterte Davy.
»Tamara? Eine Sache noch.«
Tamaras Brauen zuckten höher, und um ihren Mund lag ein ironischer Zug. »Ja?«
»Mir machst du nichts vor«, sagte Margot. »Auch du hoffst noch immer auf jemanden, der dir zeigt, dass du dich irrst. Und du hast genauso viel Angst wie ich, dass das niemals geschehen könnte.«
Tamaras Gesicht erstarrte zu einer lächelnden Maske. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich ab. Ihr langer glänzender Pferdeschwanz tanzte über ihre nackten Schultern, als sie davonstolzierte.
Davy starrte ihr nach. »Ich habe nie zuvor erlebt, dass jemand diese Frau aus der Fassung bringt«, meinte er nachdenklich. »Ich dachte, ihr Schutzpanzer wäre undurchdringbar.«
»Jeder hat eine empfindliche Stelle«, erwiderte Margot. »Ich habe ihre erwischt. Blühende Rosen, dein Bruder und seine Braut überglücklich und verrückt vor Liebe – all das ist schwer zu verkraften. Ich dachte einfach, dass sie sich ein bisschen … wie ich fühlen muss.«
Davy wirkte, als würde er sich auf das Schlimmste gefasst machen. »Und wie fühlst du dich?«
Margot zuckte die Achseln. »Ausgeschlossen«, bekannte sie leise. »Eifersüchtig. Traurig.«
Er sah sie verblüfft und ratlos an. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Tamara so empfindet.«
Margot erwiderte wortlos seinen Blick, bis er die Augen senkte.
Er hob Mikey auf seine Arme. »Dieses Thema ist zu schwer verdaulich für mich«, brummte er. »Lass uns Miles ausfindig machen, damit er Mikey übernimmt, und dir ein Glas Champagner besorgen. Schnell!«