11
Es dauerte ganze drei Sekunden, bis der lodernde Zorn in ihm den Bann brach und seine lähmende Starre zerriss. Davy sprang aus dem Pick-up. Etwas in ihm war explodiert. Er hatte keine Ahnung, was er tun würde, und es interessierte ihn einen Scheiß. Als sie gerade ihren Schlüssel in die Haustür steckte, holte er sie ein und packte sie von hinten um die Taille.
Quiekend versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. »Davy, um Gottes willen …«
»Wo zur Hölle kam das her?«
Sie wollte ihm den Ellbogen zwischen die Rippen rammen, aber er hielt ihre Arme fest. In ihren Augen schimmerte Panik, sie warf den Kopf nach hinten. »Lass mich los!«
»Nein«, knurrte er. »Erklär mir das! Ich habe das nicht verdient!«
»Ach, nein? Nachdem du mir den Vorschlag unterbreitet hast, sexuelle Gefälligkeiten gegen Geld und Dienstleistungen einzutauschen, steigst du jetzt aufs hohe Ross und …«
»Herrje, und ich dachte, das hätten wir hinter uns. Abgesehen davon habe ich mit keinem Wort angedeutet, dass ich dich für eine Prostituierte halte!«
»Okay. Du hast recht, ich habe unrecht. Ich entschuldige mich. Es war eine patzige Bemerkung, und ich nehme sie zurück. Würdest du jetzt bitte aufhören, mir den Brustkorb zu zerquetschen?«
»Denkst du wirklich, deine spöttische, halbherzige Entschuldigung macht es besser? Du reißt alle meine Schutzwälle ein und verwandelst mich in einen verfluchten Waschlappen, nur um mir anschließend eine Granate mitten ins Gesicht zu feuern? Ich habe das nicht verdient, Margot!«
Sie senkte den Kopf, sodass ihre Haare vor ihr schamrotes Gesicht fielen. »Ich sagte, es tut mir leid«, wiederholte sie, nun ruhiger, »und habe das ernst gemeint.«
»Ich bin trotzdem stinksauer.«
Sie drehte sich in seinen Armen, bis sie ihm ins Gesicht sehen konnte. »Was wäre nötig, damit du nicht mehr sauer bist?«
Er musterte ihre zitternden Lippen, fühlte den köstlichen Druck ihrer Brüste in dem tief ausgeschnittenen Tanktop gegen seinen Oberkörper. »Nun, dich sechs Stunden ununterbrochen hart zu ficken, würde meine Wut wahrscheinlich besänftigen.«
Sie schrak so heftig zurück, dass sie aus seiner Umklammerung freikam und nach hinten taumelte. »Du Schwein! Ich bin nicht die Einzige, die Granaten abfeuert. Hau ab! Verschwinde von hier!«
Sie stieß die Tür auf und scheuchte Mikey ins Haus. Als sie versuchte, Davy die Tür ins Gesicht zu knallen, blockte er sie mit dem Fuß ab. »Warte«, bat er.
»Wozu? Um mich wieder beleidigen zu lassen?« Sie trat mit der Spitze ihrer halbhohen Sneakers gegen seinen Stiefel. »Nimm deinen riesigen Fuß aus meinem Haus und verpiss dich! Für immer! Arschloch!« Ihre Stimme bebte vor Zorn.
Er lehnte sich gegen die Tür und drückte sie, gegen Margots Gewicht anstemmend, langsam auf. »Margot, nicht! Ich hätte das nicht sagen dürfen.«
Sie stieß einen hilflosen Laut der Frustration aus, als er ihr Haus betrat. Mit zwei Schritten holte er sie ein, dann zog er sie eng an sich und presste die Lippen an ihren Hals. »Ich hätte das nicht sagen dürfen«, wiederholte er. »Ich wollte dir keine Angst machen.«
»Dann hör auf, dich furchteinflößend zu benehmen!«, schrie sie. »Und jetzt lass mich los!«
Unwillkürlich spannte er die Arme fester an. »Erst wenn du mir verziehen hast.«
»Und welche Freiheiten nimmst du dir anschließend heraus? Außerdem hast du mir nicht verziehen, als ich mich entschuldigt habe.«
»Deine Entschuldigung war nicht aufrichtig. Sie war Bockmist. Aber ich werde dir vergeben, wenn du mir vergibst«, schlug er vor.
»Also führen wir unseren Austausch von Dienstleistungen fort? Ich gebe dir dies, du gibst mir das? Hör auf, mich rumzuschubsen, du großer … dämlicher … Affe!«
»Margot, bitte! Ich werfe mich dir hier geradezu vor die Füße. Wenn du …«
»Nein, du wirfst mich auf den Rücken, du sexbesessener Mistkerl. Hör sofort damit auf!« Sie drosch auf seine Arme ein, die sie weiterhin gefangen hielten. »Na schön, meinetwegen! Ich vergebe dir! Jetzt lass mich los! Auf der Stelle!«
Er ließ die Arme sinken. Es machte ihm auf irrationale Weise Angst, sie loszulassen; als könnte sie in der Dunkelheit verschwinden, wenn er sie freigab. Er schaltete die Deckenbeleuchtung in der Diele an, um die bedrohlichen Schatten zu vertreiben.
Er bemerkte die Veränderung sofort. Sein fotografisches Gedächtnis hatte jedes Detail ihres Hauses in seinem Hirn abgespeichert. Etwas fehlte.
Der Blumenelfen-Kalender. Der Nagel, an dem er gehangen hatte, ragte einsam aus der zerschrammten Wand. Er warf einen Blick in ihr Schlafzimmer. Das Licht, das aus der Diele hereinfiel, enthüllte, dass ihr Bettzeug verschwunden war. Auf dem Fußboden lag nichts außer ihrer zerknitterten Kellnerinnenuniform. Er ging hinein und öffnete ihren Kleiderschrank. Leer. Er zog die Schubladen ihrer Kommode auf. Nichts.
Der Zorn, der gerade erst abgekühlt war, loderte von Neuem auf. Er drehte sich zu ihr um. »Willst du verreisen?«
Ein gepeinigter Ausdruck trat auf ihr Gesicht. »Davy …«
»Nett von dir, dich zu verabschieden.« Die Worte schmeckten bitter.
Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Wir kennen uns erst seit vierundzwanzig Stunden«, erinnerte sie ihn. »Du tust gerade so, als hättest du ein Mitspracherecht in meinem Leben.«
»Ich weiß, dass ich kein Mitspracherecht habe. Glaub mir, das ist mir durchaus bewusst.«
Es war genau wie mit Fleur, realisierte er bestürzt. Er war in dieselbe beschissene Falle getappt. Fleur war fest entschlossen gewesen, sich selbst zu zerstören. Nichts konnte sie davon abbringen. Und ganz sicher nicht er.
Sein Zorn wich einer Traurigkeit, die so gewaltig und düster war, dass es ihn entsetzte. Er hatte in seinem Inneren eine Festung errichtet, um sich vor diesem Gefühl zu schützen, aber Margot Vetter hatte sie ohne jede Anstrengung gestürmt.
Das Gefühl zog ihn nach unten. Diese schreckliche Sinnlosigkeit, jemanden retten zu wollen, der nicht gerettet werden konnte. Es war zwecklos. Hoffnungslos.
Mit durchdrehenden Reifen steckten sie einen Meter tief im Schnee fest, während Dad nutzlose Anweisungen brüllte und Mom blasser und blasser wurde, als sich das Leben aus ihrem Körper stahl.
Oh nein! Nicht das! Nicht jetzt! Bitte!
Seine kleinen weißen Hände krampften sich um das Lenkrad, während er verzweifelt den Fuß ausstreckte, um die Kupplung zu erreichen.
Blut überall auf dem Sitz, dem Boden, dem Schalthebel. Alles voller Blut.
Oh Gott, mach, dass es aufhört! Es war Jahre her, und jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich daran zu erinnern. Er presste die Hände auf seine Augen, bis sie wehtaten und hinter seinen Lidern rote und schwarze Flecken tanzten. Schließlich ersetzte Leere seine traumatischen Flashbacks.
Stille, Isolation, Nichts. Die blendende weiße Leere des Nordpols, die eisige schwarze Leere des Weltalls. Codes, Zahlen, Logik.
Langsam beruhigte er sich und bekam wieder Luft. Sein Herz wummerte noch immer, sein Gesicht war feuchtkalt.
Davy ließ die Hände sinken, brachte es aber für eine lange Weile nicht über sich, die Augen zu öffnen. Er fühlte sich erschöpft. Und beschämt. Die Frau hatte so schon genügend Probleme. Es war nicht fair, sie auch noch mit seinen eigenen Dämonen zu belasten.
»Vergiss es«, sagte er dumpf. »Es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe.«
Ihre Augen waren riesengroß. »Ist schon okay«, antwortete sie wachsam. »Ich …«
»Nein.« Davy stieß das Wort mit solch wildem Nachdruck aus, dass sie zusammenzuckte. Er hob die Hände. »Bitte! Ich will es nicht hören. Ich hau jetzt ab und verspreche, dich nicht mehr zu belästigen. Viel Glück bei … was auch immer.«
Sie weinte wieder, und es war seine Schuld, aber er hatte ihr keinen Trost mehr zu geben. Ohne sie anzusehen, marschierte er an ihr vorbei.
Kaum hatte er die Haustür aufgerissen, sah er ihn im Licht der Veranda funkeln. Am Boden des klimpernden Windspiels befestigt, pendelte er hin und her: der goldene Schlangenanhänger. Nicht seine Angelegenheit, nicht sein Problem, aber die Sache war zu unerwartet und merkwürdig, um sie nicht zu kommentieren. Er trat wieder ins Haus.
»Hast du dieses Schlangendings draußen an dein Windspiel gehängt?«
Margot stürzte mit einem Keuchen zur Tür. Abrupt blieb sie stehen und stützte sich am Türrahmen ab. Ihr Gesicht war leichenblass.
Faris war von seiner mörderischen Tat derart berauscht, dass er vor Energie pulsierte – zum Glück, denn Pantanis Gewicht wäre ansonsten schwer zu bewältigen gewesen. Er musste seine ganze beträchtliche Körperkraft aufbieten, um den Leichnam zu heben, zu biegen und abzuwinkeln, bis er in die relativ kleine Gefriertruhe passte. Aber es war ihm gelungen. Jeder Knochen im Körper des Mannes war zertrümmert, was ihn trotz seiner Masse einzigartig elastisch machte.
Die blutige Schleifspur, die zu der Gefriertruhe führte, war mit Haaren und Teppichfasern aus McClouds Haus präpariert. Die Whiskeyflasche und die Gläser mit McClouds Fingerabdrücken waren die perfekte Ergänzung.
Faris fühlte sich schon viel besser. All die aufgestaute Frustration der vergangenen Monate hatte er hiermit abreagiert. Die Tiefkühlpizzas, Eisdosen, Steaks und Plastiktüten mit verschiedenen Entspannungsdrogen tauten auf dem blutigen Küchenboden zu einem matschigen Brei.
Sein Handy vibrierte. Marcus. Faris’ Herzschlag beschleunigte sich, als er die Hand aus dem blutigen Plastikhandschuh zog. Wenn Marcus wüsste, was er vorhatte, würde er vor Wut platzen. Ganz gleich, wie vorsichtig Faris zu Werke ging, Marcus beharrte darauf, seine Morde persönlich zu dirigieren.
»Ja?«, meldete er sich.
»Ich habe einen neuen Auftrag für dich«, informierte Marcus ihn.
Tränen der Erleichterung stiegen ihm in die Augen. Dieses Mal rief er nicht an, weil er ihn bestrafen wollte. Zumindest noch nicht. »Ich bin jederzeit einsatzbereit«, antwortete er.
»Driscoll ist aus dem Rennen. Priscilla hat einen neuen Laborleiter. Er trifft heute Abend in Seattle ein. Hörst du auch zu?«
»Ja, natürlich«, versicherte Faris ihm. »Sag mir, worum es geht, dann werde ich es wiederholen.«
»Gut«, murmelte Marcus. »Ausgezeichnet, Faris.«
Marcus erklärte ihm, was er brauchte. Faris speicherte jedes Wort ab, so wie er es in den Gedächtnisübungen gelernt hatte, mit denen sie sich die Zeit vertrieben hatten, als er noch ein Kind gewesen war. Marcus hatte Faris beigebracht, wie man seine Aufnahmefähigkeit verbesserte. Er hatte Elektroschocks benutzt, wann immer Faris sich damals vergesslich zeigte, aber heute brauchte er keine Stromstöße mehr, um sich zu erinnern. Als Marcus zu Ende gesprochen hatte, wiederholte Faris jedes einzelne Detail.
»Du musst sofort nach Hause kommen«, sagte Marcus abschließend. »Wir müssen einen Gang zulegen. Priscilla verlässt noch diese Woche die Stadt, und sie will dich unbedingt wieder in deinem Würgehalsband sehen.«
»Dieses Biest«, grummelte Faris. »Warum lässt du mich nicht einfach …?«
»Weil mein Plan weitaus profitabler ist«, unterbrach Marcus ihn streng. »Denn er sieht vor, Priscilla zu vernichten und dabei mehrere Hundert Millionen Dollar Profit zu machen. Denk in einem größeren Kontext, Faris. Du bist zu einseitig fokussiert.«
Faris musterte den blutbespritzten Gummihandschuh. Er kicherte. »Ja, vermutlich. Trotzdem würde ich sie zu gern zum Bluten bringen.«
»Hast du etwa wieder zum Vergnügen und ohne Erlaubnis gemordet, Faris?«, fragte Marcus argwöhnisch.
Faris versank tiefer in seinem voluminösen Plastikregenmantel. Marcus wusste es immer. In manchen Nächten lag Faris wach und zerbrach sich den Kopf, ob sein Bruder ein Gedankenleser war. Allwissend. Wie der Weihnachtsmann, der seine Liste schrieb und sie doppelt prüfte, und immer war Faris der ungezogene Junge. Immer wurde er bestraft.
Er holte Luft und hielt den Atem an, um nicht zu winseln – ein alter Trick aus seiner Kindheit. »Ich bin vorsichtig.«
»Vorsicht ist nicht genug. Ich feile seit Jahren an diesem Plan. Erinnere dich an all die Zeit und das viele Geld, das hineingeflossen ist, wenn du das nächste Mal zu einem deiner selbstsüchtigen Streifzüge aufbrichst.«
Faris’ Mordeuphorie verflog, als er den Tadel in Marcus’ Stimme hörte. »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich ängstlich wie ein kleiner Junge.
»Das sollte es auch. Da wir gerade beim Thema sind, hast du inzwischen Fortschritte bei dieser Callahan-Braut gemacht?«
»Ich beobachte sie«, erwiderte Faris hastig. »Ich verfolge einen Plan.«
»Du hast sie noch nicht in deiner Gewalt?« Marcus sprach jetzt in diesem weichen Ton, der Faris die Eingeweide zerriss. »Faris, du bist ein Idiot. Wenn wir diesen Abdruck nicht bekommen, bevor Priscilla abreist, dann weißt du, was die Folge sein wird. Versagen.«
»Versagen ist inakzeptabel.« Faris klang wie ein Roboter.
»Schnapp sie dir heute Nacht, entweder bevor oder nachdem du dich um Haight gekümmert hast. Mir ist es gleich, solange du sie nicht entwischen lässt wie eine streunende Katze, so wie beim letzten Mal. Dann bring sie zu mir. Unverzüglich.«
»Heute Nacht«, wiederholte Faris gehorsam. »Ich werde nicht versagen. Ich hole sie.«
»Sollte ich heute Nacht nicht Callahans Stimme aus deinem Handy hören, werde ich daraus schließen, dass du für diesen Auftrag nicht geeignet bist. Ich habe bereits LeRoy und Karel mobilisiert. Sie werden das Callahan-Problem lösen, falls du es nicht kannst. Sie ist sehr schön, nicht wahr? Sie werden sich darum reißen, ihren Teil beizutragen, um sie zur Zusammenarbeit zu bewegen. Besonders Karel, dessen bin ich mir sicher. Er ist ein Mann mit Geschmack, nicht wahr?«
Der Gedanke, dass diese schmutzigen, verabscheuungswürdigen Gorillas ihre haarigen Pfoten an seinen Engel legen könnten, versetzte Faris in Panik. »Aber das kannst du nicht tun! Karel und LeRoy sind …«
»Widersprich mir nicht!«, wies Marcus ihn zurecht. »Und jetzt mach dich an die Arbeit!«
Die Handyverbindung brach ab. Faris würgte die Galle runter, die ihm hochgestiegen war. Er schaukelte vor und zurück, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er den Geschmack in seinem Mund wahrnahm. Bitter, metallisch. Blut und Plastik.
Sein blutiger Daumen, noch immer von dem Plastikhandschuh umhüllt, steckte in seinem Mund. Er nuckelte daran.