4

Margot drückte sich flach an die Wand, um in dem schmalen Flur Platz zu machen für die überwältigende Präsenz von Davy McClouds hünenhaftem Körper.

Er guckte in das, was ihr als Wohn- und Schlafzimmer diente, sein Blick blieb auf der gefalteten Steppdecke am Boden hängen, die derzeit ihr Bett war. Ihr Futon war bei dem Einbruch zertrümmert worden, zusammen mit ihrer Couch – beides hatte sie von dem ersten Gehaltsscheck, den sie ihrer kurzlebigen Anstellung bei dem Grafikunternehmen verdankte, gekauft. Sein beharrliches Schweigen machte sie kribbelig.

»Sind Sie gerade erst eingezogen?«, fragte er vorsichtig.

Sie grapschte nach der Tüte in seiner Hand, lud sie sich auf den Arm und marschierte in die Küche. Mmm, schön schwer! »Vor sieben Monaten«, antwortete sie. »Meine Sachen wurden bei dem Einbruch demoliert.«

»Erzählen Sie mir mehr über diesen Einbruch.«

Sie drehte sich um, und er blieb hastig stehen, um nicht mit ihr zusammenzustoßen. Er war so nah, dass sie sein Duschgel riechen, seine Körperwärme spüren konnte.

»Ich weiß Ihr Interesse zu schätzen, aber ich möchte nicht darüber reden«, erklärte sie. »Das ist ein echter Stimmungskiller. Ich würde lieber etwas essen und dazu ein Bier trinken. Einverstanden?«

Sie zwang sich, seinem Blick unverwandt standzuhalten. Dabei zählte sie die Sekunden, um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden – eintausendeins, eintausendzwei –, bis sie irgendwann den Faden verlor und zu zählen aufhörte.

Herrje! Seine langen, dichten Wimpern waren unwahrscheinlich sinnlich. Er sah fast exotisch aus. Wie kam ein blonder Mann überhaupt zu solch dunklen Brauen und Wimpern? Es war einfach nicht gerecht. Man sollte ein Gesetz dagegen erlassen.

Sie trieb für wer weiß wie lange in diesem unsinnigen, zeitlosen Nichts, bis er schließlich nickte und den Bann brach. »In Ordnung. Lassen Sie uns zuerst essen.«

Das war zwar nicht der Handel, den sie vorgeschlagen hatte, aber sie war zu durcheinander, um zu insistieren. Sie verteilte die Behältnisse auf dem Tisch, während er das Bier im Kühlschrank verstaute. Als sie sich umdrehte, um nachzusehen, warum noch immer kaltes weißes Kühlschranklicht die Küche durchflutete, stellte sie fest, dass McCloud sie stirnrunzelnd über seine Schulter musterte.

»Es gibt hier drin keine Lebensmittel«, stellte er fest. »Nichts außer einer Dose Hundefutter.«

Sie zog eine Braue hoch. »Mist! Sie sind mir auf die Schliche gekommen, McCloud. Ich liebe Hundefutter. Besonders lecker schmeckt es auf Crackern. Das sollten Sie mal probieren. Ist Bier aus der Flasche okay?«

»Klar. Darf ich Ihrem Hund ein bisschen Fleisch geben?«

»Ja, aber füttern Sie ihn nicht mit etwas, das zu stark gewürzt ist.«

McCloud ging in die Hocke und hielt Mikey ein saftiges Stück hin. Er nahm es zaghaft an, und sein kleiner Körper bebte vor Entzücken.

»Sieh mal einer an«, bemerkte sie. »Also bist du doch hungrig.« Sie nahm einen Shrimp aus der Schale, ließ die Butter abtropfen und kniete sich hin, um ihn Mikey anzubieten.

Er drehte den Kopf weg, die Inkarnation eisiger Geringschätzung.

»Jetzt krieg dich wieder ein«, schimpfte sie. »Elender Heuchler. Du liebst Shrimps.«

Mikey blieb standhaft. Margot reichte McCloud das Schalentier. »Hier«, murmelte sie. »Geben Sie es ihm. Er spricht nicht mit mir.«

McCloud bot ihm den Shrimp an. Mikey schlang ihn runter und warf Margot einen verstohlenen Seitenblick zu, um zu sehen, wie sie reagierte.

Vor Davy McCloud von ihrem Hund verschmäht zu werden, gab ihr den Rest. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken.

»Er hasst mich«, meinte sie kläglich. »Seit dieser Sache mit dem toten Hund, weil ich ihn seitdem in die Tierpension bringe. Er weigert sich zu fressen, bloß damit ich mich schlecht fühle. Dabei ist er sowieso zu mager.«

McCloud bot Mikey ein weiteres Fleischstück an. »Er hasst Sie nicht«, widersprach er sanft. »Er zeigt Ihnen nur, wie er sich fühlt. Sie wissen, dass er Sie liebt. Befürchten Sie, dieser Stalker könnte ihm etwas antun?«

Sie zuckte verärgert die Schultern. »Falls diese gruselige Sache eskaliert, wäre das nicht der nächste logische Schritt für jeden normalen gemeingefährlichen Irren?«

Er sah sie zweifelnd an. »Gibt es denn so was wie einen normalen gemeingefährlichen Irren? Und kann man etwas wie das hier als logisch bezeichnen?«

Sie wischte seinen Einwand beiseite. »Spielen Sie nicht den Schlaumeier«, sagte sie erschöpft. »Ich habe in meinem Leben viel zu viele Horrorstreifen gesehen, und ich schätze, der Irre hat vermutlich auch ein paar davon geguckt. Das Einzige, was noch schlimmer sein würde, als dass mein eigener Hund mich nicht leiden kann, wäre heimzukommen und Mikey … so zu finden.«

Er öffnete eine Bierflasche. »Sie tun das Richtige mit Ihrem Hund. Sobald Sie die Sache aufgeklärt haben, wird er Ihnen vergeben. Aber erst mal brauchen Sie etwas im Magen.« Er drückte ihr die Bierflasche in die Hand. »Also, lassen Sie uns loslegen.«

Das Essen war sensationell. Sie aßen in kameradschaftlichem Schweigen und stopften schließlich die geleerten Behälter zurück in die Tüte, als von dem, was anfangs wie eine lächerlich große Menge an Gerichten ausgesehen hatte, nur noch ein paar Soßenreste übrig waren, die sie auch noch mit den verbliebenen Tortillas aus den Schüsseln tunkten. Mikey machte sich wie ein Berserker über das Fleisch und die Shrimps her. Es gab nichts Besseres, als sich nach einer langen Durststrecke mit Fett, Proteinen und Aromen zu verwöhnen.

Margot trank einen großen Schluck Bier, um das herrliche Brennen scharfer Chilis in ihrer Kehle zu lindern. »Köstlich«, seufzte sie. »Ich bin pappsatt.«

»Gut. Dann können Sie mir jetzt von dem Einbruch erzählen. Und von dem Hund.«

Sie suchte nach einer Möglichkeit, ihn auf nette Art und Weise abzuwimmeln. Schließlich war er gerade erst so freundlich gewesen, sie mit diesem fantastischen Abendessen zu verwöhnen. »Hören Sie, falls Sie vorhaben, einen Auftrag an Land zu ziehen, habe ich Ihnen bereits gesagt, dass ich es mir nicht leisten kann, Sie …«

»Wie wäre es, wenn Sie diese Sorge mir überließen?«

Eine Falle argwöhnend, musterte sie seine gelassene Miene. »Für nichts bekommt man nun mal nichts«, antwortete sie bedächtig. »Sie kennen mich doch überhaupt nicht, McCloud. Weshalb interessiert es Sie überhaupt?«

Er zuckte mit seinen breiten Schultern. »Ich komme nicht dagegen an. Sie haben mich neugierig gemacht. Und Neugierde ist mein einziges Laster.«

Sie kicherte nervös. »Also nicht Sex, Drugs oder Rock ’n’ Roll?«

Sein ausdrucksloses Lächeln ließ die Worte sogar in ihren eigenen Ohren dumm und anzüglich klingen. Für was für eine Dumpfbacke er sie halten musste! Sein abwartendes Schweigen strahlte Ruhe und Geduld aus. Es schien, als könnte er Stunden warten, ohne nervös zu werden oder Langeweile zu empfinden.

Vermutlich gab sie durch ihre Zurückhaltung mehr preis, als wenn sie ihm die Wahrheit erzählte. McCloud war ein akribischer Typ, der jedes Wimpernzucken, jeden Versprecher in seiner geistigen Datenbank speichern und anschließend Schlussfolgerungen herausfiltern würde, die sie weder vorhersehen noch kontrollieren könnte. Ebenso gut konnte sie ihn ablenken, indem sie ihm ein paar beliebige Fakten hinwarf – wie Fleischbrocken, um einen Wolf zu besänftigen. Sie war ohnehin eine miserable Lügnerin.

»Ich habe Ihnen das meiste schon erzählt.« Sie mied seinen Blick. »Die Sache mit den Rosenblättern fing vor zwei Wochen an. Der Einbruch liegt sechs Tage zurück. Vor drei Tagen tauchte der tote Hund auf. Und genauso lange ist es her, seit ich zuletzt geschlafen habe.«

»Wissen Sie, welche Rasse?«

Sie schüttelte den Kopf. »Es war schwer zu bestimmen, bei all dem Blut. Jedenfalls war es ein großer Hund. Könnte ein Schäferhundmischling gewesen sein.«

Nickend bedeutete er ihr fortzufahren.

»Ich fand ihn nach dem Aufwachen. Dem vielen Blut nach vermute ich, dass wer auch immer ihn getötet hat, die Tat auf meiner Veranda begangen haben muss, während ich schlief. Wie unheimlich ist das bitte?«

McCloud fasste hinter sich und holte noch ein Bier aus dem Kühlschrank. Er öffnete es mit einer lässigen Bewegung seiner riesigen Hand und stellte es vor sie hin.

»Versuchen Sie etwa, mich betrunken zu machen?«, fragte sie.

Seine Mundwinkel zuckten. »Sie müssen ein bisschen runterkommen.«

Sie verdrehte die Augen und nahm einen Schluck. »Schlechte Idee, McCloud. Wenn ich runterkäme, würde ich mich selbst zwei Meter tief ungespitzt in den Boden rammen. Was kein hübscher Anblick wäre.«

Seine Grübchen wurden sichtbar. Plötzlich wünschte sie sich, ihn wieder grinsen zu sehen. Ein breites, wildes, unkontrolliertes Grinsen. Sie malte sich aus, wie er sich vor Lachen auf dem Boden kugelte. Keuchend und japsend, während sie ihn vielleicht kitzelte. Diese absurde Vorstellung weckte eine seltsame Sehnsucht in ihr.

»Erzählen Sie weiter«, drängte er. »Wie war das mit dem Einbruch?«

Sie konzentrierte sich auf die Frage. »Eines Abends kam ich von der Arbeit nach Hause, und alles war dem Erdboden gleichgemacht. Die Möbel kurz und klein geschlagen, alles aus den Regalen gerissen. Bücher, Geschirr, der Inhalt des Kühlschranks, die Küchenschränke. Aber das Einzige, was sie mitgenommen haben, war mein Laptop. Und meine Skizzenbücher.«

»Skizzenbücher? Was war darin?«

Sie riss die Augen auf. »Ähm … Skizzen?«

Ihr Sarkasmus tat seiner gefassten Konzentration keinen Abbruch. »Wie steht’s mit Schmuck? Bargeld?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich besitze nichts dergleichen.« Mit Ausnahme des scheußlichen Schlangenanhängers, doch dafür müsste sie über unaussprechliche Dinge reden. Außerdem war das elende Ding ohnehin nicht gestohlen worden. Leider.

»Könnten die nach irgendetwas gesucht haben?«, fragte er.

Sein Ton war neutral, trotzdem plagte sie das schlechte Gewissen. Hier war sie, die kahle Wand, hinter der sie anfangen musste, sich Halbwahrheiten aus den Fingern zu saugen. »Falls ja, wüsste ich nicht, wonach. Ich habe niemanden herumlungern sehen, keine Liebesbotschaften bekommen, wurde nicht zu einem Rendezvous eingeladen und habe niemanden verärgert … von dem ich wüsste.« Sie hoffte, dass das Beben in ihrer Stimme ängstlich anstelle von schuldbewusst klänge.

Er nickte bedächtig. »Ein rachsüchtiger Ehemann?«

»Ich war nie verheiratet«, wiegelte sie schnell ab.

»Ein Exfreund vielleicht?«

Sie dachte an Craig und schluckte den harten, brennenden Kloß in ihrer Kehle runter. »Da ist keiner, der so wütend auf mich wäre.«

»Wie steht’s mit einer nachtragenden Frau. Haben Sie sich irgendwann in letzter Zeit mit einem verheirateten Mann eingelassen?«

»Nein. Ich bin doch keine Masochistin«, antwortete sie bissig.

»Haben Sie irgendwen erpresst?« Sein Ton war komplett sachlich.

»Wie bitte?« Sie schoss von ihrem Stuhl hoch und zeigte zur Tür. »Raus!«

Mikey wählte genau diesen Moment, um aufzuspringen und die Vorderpfoten auf McClouds Knie zu legen, wobei er so kräftig mit dem Schwanz wedelte, dass es seinen Körper durchrüttelte. Dieses treulose kleine Ekel. Er war fest entschlossen, ihr in den Rücken zu fallen.

McCloud vergrub sanft die Finger in Mikeys Fell. »Ich gehe nur methodisch vor«, beschwichtigte er sie. »Nehmen Sie es nicht persönlich.«

Margot ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. Der Drang, einem anderen Menschen ihre Probleme anzuvertrauen – nein, nicht einfach irgendeinem anderen Menschen, sondern Davy McCloud –, war nahezu überwältigend.

Sie hatte immer daran geglaubt, dass sie auf ihren Instinkt vertrauen sollte, nur dass hier nicht ihr Instinkt die treibende Kraft war. Es waren ihre Angst und Erschöpfung, die sie beeinflussten und vermutlich einen fatalen Fehler machen ließen.

Sie stieß ein nervöses, abfälliges Schnauben aus. »Keine verheirateten Männer«, wiederholte sie gereizt. »Überhaupt keine Männer seit langer Zeit.«

»Wie lange?«

»Das geht Sie verdammt noch mal nichts an.«

»Doch, das tut es. Wenn auch nur im Kontext dieser Unterredung.«

Sie knibbelte am Etikett ihrer Bierflasche herum. »Seit fast neun Monaten.«

»Warum haben Sie mit ihm Schluss gemacht?«

Weil jemand ihn abgeschlachtet und mir die Schuld in die Schuhe geschoben hat.

Margot fragte sich, ob die Wahrheit seine unergründliche Miene erschüttern würde. Sie bedachte ihn mit ihrem eisigsten Blick und wappnete sich für eine Lüge.

»Er hat mich betrogen.«

Was der Wahrheit entsprach, dämmerte es ihr. Es war irrelevant, aber wahr.

Davy nickte. »Wie lange sind Sie schon in der Stadt?«

»Seit sieben Monaten. Ich kenne nicht sehr viele Leute hier.«

»Wo haben Sie vorher gelebt?«

»Ich verstehe nicht, wieso das relevant ist«, fuhr sie auf. »Oh, warten Sie – Sie sind derjenige, der entscheidet, was relevant ist, nicht wahr?«

Er lächelte, doch sein Blick war wachsam. »Das haben Sie gesagt, nicht ich.«

Sie holte tief Luft. »L.A.«, log sie.

»Haben Sie irgendeinen Anlass zu der Vermutung, dass jemand aus L.A. …«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf zu hastig. »Absolut nicht.«

Seine Augen wurden schmal. »Es steckt eine Geschichte hinter dem Ganzen.« Sein Tonfall platzierte die Worte genau in der Mitte zwischen einer Feststellung und einer Frage.

Oh Gott! Wenn du wüsstest. »Nicht wirklich. Außerdem ist das Schnee von gestern.« Sie entspannte ihre Mimik in dem Versuch, ruhig auszusehen, während sich heillose Panik in ihr breitmachte. Das hier war eine Nummer zu groß für sie. Sie stahl dem Mann grundlos die Zeit.

»Sie haben nicht die Polizei alarmiert. Nicht wegen des Einbruchs. Nicht wegen des Hundes.«

In seiner Stimme klang kein Vorwurf mit. Trotzdem witterte sie einen und errötete. Sie schüttelte den Kopf und wartete auf die nächste Frage, die auf der Hand lag.

Minuten verstrichen. Mikey rollte sich glückselig auf den Rücken, streckte die Beine in die Luft und wackelte mit dem Schwanz, während McCloud ihn kraulte. Ihr Herz begann laut zu pochen.

Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. »Nun machen Sie schon. Wollen Sie mich nicht nach dem Grund fragen?«

Sein wachsamer Blick traf ihren. »Werden Sie ihn mir verraten?«

»Nein.«

»Dann hat es keinen Sinn, danach zu fragen, oder?«

Ungerührt streichelte er Mikey weiter, als wäre alles in bester Ordnung. »Das war’s dann?«, schloss sie zögerlich. »Keine weiteren Fragen?«

Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich empfehle Ihnen, die Polizei zu verständigen. Sie haben ein ernsthaftes Problem. Die Polizei verfügt über Möglichkeiten, die ich nicht habe. Außerdem kann ich Ihnen sowieso nicht helfen, solange Sie mir nicht sagen, was wirklich vor sich geht.« Er hielt nachdenklich inne, dann setzte er hinzu: »Allerdings könnten die Cops das auch nicht. Egal. Falls Sie reden möchten, werde ich zuhören.«

»Glauben Sie mir«, erwiderte sie. »Sie wollen es nicht wissen.«

»Und ob ich das will!«

Das strahlende Leuchten in seinen Augen raubte ihr jeden klaren Gedanken. »Sie würden es bereuen«, hörte sie sich sagen.

»Wahrscheinlich. Ich habe nie behauptet, klug zu sein. Wie schon gesagt, die Neugierde ist mein einziges Laster. Sie ist weitaus verlockender als Drogen oder Rock ’n’ Roll.«

»Sie haben den Sex vergessen«, antwortete sie, ohne nachzudenken.

Sein Blick glitt über ihren Körper. »Nein, das habe ich nicht.«

Der versonnene Ausdruck in seinen Augen jagte ihr ein Kribbeln über den Rücken. Als wäre es nicht schon schlimm genug, ihn zu belügen – jetzt flirtete sie auch noch mit ihm. Das teuflische Flittchen in ihr gewann allmählich die Oberhand.

Mit unendlicher Mühe unterbrach sie den Augenkontakt, dann rieb sie sich über den Nacken auf der verzweifelten Suche nach einem geschmeidigen Themenwechsel. »Ich habe schon Knoten im Genick davon, ständig über meine Schulter schauen zu müssen«, murmelte sie.

»Ich könnte Ihnen den Rücken massieren«, schlug er vor.

Sie lachte ihm ins Gesicht. »Ha! Darauf wette ich.«

»Ich würde Sie nicht begrapschen. Ganz ehrlich. Ich bin sehr gut darin.«

Fasziniert beobachtete sie, wie das schreckliche Licht der nackten Glühbirne die Flächen und Konturen seines Gesichts akzentuierte und jedes atemberaubende Detail plastisch herausarbeitete. Typisch. Niemand außer Davy McCloud könnte in diesem Licht gut aussehen.

»Ein Massageangebot ist niemals unschuldig«, konterte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Beurteilen Sie mich nicht nach früheren Erfahrungen. Ich bin nicht Ihr Durchschnittstyp. Ich meine, was ich sage, und ich halte mein Wort.«

Sie blinzelte. »Ach, du liebe Güte! Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihre vornehme Gesinnung und Ihre unglaubliche moralische Überlegenheit nicht gleich erkannt habe.«

Er neigte huldvoll den Kopf. »Entschuldigung angenommen.«

Sie konnte nicht unterscheiden, ob er Spaß machte oder nicht. Der Mann war unwirklich. Er verzog keine Miene. Gott, sie hatte es satt, die knallharte Zicke zu mimen und nie jemandem über den Weg zu trauen. Zum Teufel damit! Von Davy McCloud berührt zu werden, wäre ein Verwöhnprogramm der Extraklasse. Sie würde es sich nicht entgehen lassen.

»Also gut«, kapitulierte sie. »Aber sollten Ihre Hände südlich meiner Halswirbel wandern, werde ich Mikey befehlen, Ihnen in den Hintern zu beißen.«

Die Drohung hatte nicht viel Gewicht, so wie Mikey alle viere von sich gestreckt auf dem Rücken lag und stumm darum bettelte, den Bauch gekrault zu bekommen.

McCloud beugte sich nach unten und streichelte ihn, indem er eine der rasierten Stellen nachzeichnete. »Was ist mit ihm passiert?«

»Er hat sich im Washington Park mit einem großen, bösartigen Streuner angelegt«, erklärte sie. »Er lernt einfach nicht dazu.«

McCloud nickte und stand auf. Er schob die Hand unter ihre Haare und umfasste ihren Nacken. Allein schon diese zarte Berührung, diese Mischung aus entspannender Wärme und belebender Kühle, ließ sie vor Wonne erschaudern.

»Möchten Sie sich hinlegen?«, schlug er vor.

Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Na klar, und danach könnte ich vielleicht mein T-Shirt ausziehen? Netter Versuch.« Sie kramte einen Haargummi aus ihrer Hosentasche und band ihre Haare zu einem schief sitzenden Pferdeschwanz zusammen. »Dann legen Sie mal los. Kneten Sie fest! Ich halte was aus.«

Er war fantastisch. Es war weder eine zögerliche, unbeholfene Massage, die nur die Oberfläche verspannter Muskulatur kitzelte, noch ein unsensibler, machomäßiger Angriff auf ihren Körper. Seine Berührungen waren bedächtig, selbstsicher, sinnlich. Seine Hände befahlen ihren Muskeln, sich zu lockern, und sie gehorchten ihm, ergaben sich und wurden kontinuierlich weicher. Zerschmolzen.

Auf einmal wünschte sie sich, dass sie sich doch hingelegt hätte. Natürlich wäre das dumm gewesen, aber ihn in ihr Haus zu lassen, war bereits dumm gewesen, sein Essen anzunehmen, war dumm gewesen. Ihn ihren Körper berühren zu lassen, war komplette Idiotie. Was war die nächste Stufe von Dummheit, die das Schicksal für sie bereithielt?

Die Zeit verlangsamte sich, dehnte sich aus und brach sich in breiten, pulsierenden Wellen. Als Margot spürte, dass seine Hände um ihre Taille lagen, zwang sie sich, die Augen zu öffnen. »Sie befinden sich südlich meiner Halswirbel, mein Freund, und steuern direkt aufs Niemandsland zu.«

Er nahm die Hände von ihrem Körper. »Entschuldigung.«

Sie vermisste die warme Berührung augenblicklich. »Kein Problem. Ich weiß, wie das ist«, murmelte sie. »Ein Wirbel führt zum nächsten, und ehe man sichs versieht, bekommt man eine Fußmassage.«

Mit einem leisen Lachen widmete er sich wieder ihren Schultern. »Ich fürchte, ich habe mich zwischenzeitlich ablenken lassen.«

Sie hatte Mühe, nicht zu stöhnen. Es war so lange her, seit sie zuletzt berührt worden war, erst recht auf eine solch sanfte und gekonnte Weise.

Vielleicht war es ihr sogar noch nie passiert. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ein Mann sie derart hatte dahinschmelzen lassen. Ein gefährlicher Gedanke. Löschen, löschen. »Mein Kopf wird gleich abheben«, flüsterte sie. »Mir war nicht bewusst, dass mein Nacken so verspannt ist.«

»Nach fünf Kursen ist das ja auch kein Wunder.« Seine Finger streichelten ihren Hals. Berauschende Wärme breitete sich über ihre Brust, ihren Bauch, ihre Schenkel aus. »Jetzt verstehe ich, warum Sie in Topform sind.«

»Das müssen gerade Sie sagen. Sollten Sie je knapp bei Kasse sein, könnten Sie eine Bude aufstellen und den Frauen Geld dafür abknöpfen, dass sie Sie massieren dürfen.«

»Meinen Sie?« Seine Stimme klang skeptisch.

»Unbedingt. Sagen wir fünfzehn Dollar für zwei Minuten Befummeln. Strikte Altersfreigabe und natürlich nur oberhalb der Taille. Ich verkaufe die Tickets, wenn Sie mich am Gewinn beteiligen.« Seine Hände hielten inne. Sie plapperte benommen und gedankenlos weiter. »Die Schwulen würden ebenfalls Schlange stehen. Wir könnten uns eine goldene Nase verdienen.«

»Sie würde ich gratis ranlassen«, sagte er.

Seine Stimme war bar jeder Ironie. Erschrocken schlug sie die Augen auf.

Sie sah ihn über ihre Schulter hinweg an. Das heiße Funkeln in seinen Augen versetzte ihre weiblichen Instinkte in höchste Alarmbereitschaft. Schleunigst entzog sie sich ihm.

Sie und ihr vorlautes Mundwerk. Sexy Geplänkel mit einem Kerl, den sie kaum kannte, aber nicht den Mumm, es bis zum Ende durchzuziehen. Böses Mädchen, ziemlich unreif.

»Äh, tut mir leid«, sagte sie vorsichtig. »Da haben wohl die Chilischoten und das Bier aus mir gesprochen. Ich war nicht auf einen Flirt aus.«

Er fasste an den Saum seines Sweatshirts und zog es sich über den Kopf.

»Um Himmels willen!« Margots Stimme bebte. »Was soll das werden?«

Er ließ das Sweatshirt auf den Boden fallen. »Wie können Sie den Preis für zwei Minuten Befummeln festlegen, ohne das Produkt vorher zu testen?«

Ihr fiel keine schnippische Entgegnung ein. »Das war ein Scherz! Wissen Sie, was das ist? Oder nehmen Sie alles für bare Münze?«

»Ich nehme die Dinge so, wie ich mich gerade fühle.«

Sie erwog jede denkbare Interpretation seiner Worte, während sie seinen Oberkörper anstarrte. Im Normalfall waren blonde Männer blass und teigig, mit dem bläulichen Grundton von entrahmter Milch. McClouds Körper war golden getönt.

Er strotzte vor Kraft und wirkte in ihrer dämmrigen Küche vollkommen deplatziert. McCloud besaß die athletische, wohlproportionierte Statur eines Olympioniken. Jeder Muskel wusste, was er zu tun hatte, und erledigte seine Aufgabe meisterlich. Nichts fehlte. Nichts war zu viel. Die absolute, erschreckende Perfektion.

Die Intensität seines Blicks hielt sie gefangen. Er legte die Arme auf den Rücken. »Ich werde Sie nicht anfassen. Kein Gefummel. Sie haben mein Ehrenwort.«

Seine Worte sorgten dafür, dass sie sich ihres weiblichen Körpers plötzlich überdeutlich bewusst war. Wie nackt, weich und verletzlich sie unter ihrem Schlabberlook war.

Ihre Augen waren auf das fixiert, was die Kälte in ihrem Haus mit seinen dunklen Brustwarzen anstellte. Er hatte eine Gänsehaut. Das war ein gutes Zeichen. Zumindest bewies es, dass er menschlich war. Er sah so warm, so geschmeidig und stark aus. Allmächtiger, sie könnte ihn mit Haut und Haar verschlingen!

Sie machte einen Schritt nach hinten und geriet ins Schwanken, als ihre Hüfte mit dem Tisch kollidierte.

»Okay«, sagte sie. »Genug gescherzt. Ihr Geprotze wird Ihnen nichts bringen. Ziehen Sie das verdammte Sweatshirt wieder an, bevor ich noch hyperventiliere.«

Der Anflug eines Lächelns umspielte seinen ernsten Mund. »Berühr mich!«

Der Befehlston in seiner dunklen Stimme vibrierte durch ihren Körper. Ihre Hand hob sich wie von allein und verharrte zwischen ihnen in der Luft. Er kam näher, ohne dass er sich zu bewegen schien, dann lag ihre Hand auf seiner heißen Brust.

Sie bewegte sich aus eigenem Antrieb. Ihre Fingerspitzen strichen über geschmeidige Konturen, erhabene Knochen, weiche Haut, die lebendige Energie der darunterliegenden Muskeln. Seine harte Brustwarze kitzelte ihre Handfläche. Sie presste die Hand gegen seinen Solarplexus, fühlte das Hämmern seines Herzens. Sie schaute zu seinem Schritt. Unter der Jeans zeichnete sich seine Erektion ab. Sein Gesicht war erwartungsvoll und erhitzt, sein Blick diffus, seine sehnigen Schultermuskeln hart vor Anspannung.

»Keine Hände, richtig?« Ihre Stimme klang staunend. »Du bleibst dabei?«

»Wenn du etwas anderes willst, lass es mich wissen.«

Seine Atemzüge waren hastig und tief. Sein Herz pochte gegen ihre Hand. Er verströmte mehr Energie, als sie zu bewältigen verstand. Es war, als säße sie auf einem Rennpferd, das unbedingt lospreschen wollte. Oder als säße sie hinter dem Steuer eines Ferraris, der mit aufheulendem Motor darauf wartete, dass sie endlich aufs Gas trat. Ein Ausbund an ungezügelter Kraft.

Ihre Hand zitterte, wo sie seine heiße Haut berührte. Er war so exotisch und fremd wie ein unerforschtes Land. Sie fühlte sich benommen. Gelähmt vor Befangenheit. Eine zynische Stimme kicherte abfällig in ihrem Kopf. Die arme Margot, genötigt, die Bauchmuskeln eines wahren Traummanns zu streicheln. Endlichlasst die Violinen erklingen!

Ihr Mund war nur Zentimeter von der verführerischen Mulde an seinem Hals entfernt. Sie könnte sich einfach nach vorn beugen … und ihn schmecken. Und solange es andauerte, könnte sie den ganzen beängstigenden, elenden Schlamassel ihres Lebens vergessen. Sie würde an nichts anderes denken als an ihn. Sich in ihm verlieren. Gott. Sie verzehrte sich danach.

»Ich weiß nichts über dich«, wisperte sie. »Nicht das Geringste.«

»Nein«, bestätigte er. »Das tust du nicht.«

Und dabei beließ er es. Kein Versuch zu heucheln oder zu schmeicheln.

Seine unverblümte Ehrlichkeit war befreiend. Sie wollte nach ihm greifen, ihn umschlingen, ihn in sich aufsaugen. All seine Hitze, all seine Kraft.

Und damit wäre der Pakt besiegelt. Sie würde heute Abend flachgelegt werden, und das von einem großen, muskelbepackten, atemberaubenden Mann, über den sie absolut nichts wusste, außer dass er selten lächelte. Was nicht gerade für ihn sprach.

Mikey mag ihn, flüsterte das teuflische Flittchen in ihrem Kopf.

Als ob das zählte. Mikey würde um jeden Clown herumscharwenzeln, der ihn mit gegrilltem Fleisch fütterte, mit Ausnahme von ihr. McCloud würde sie für eine Schlampe halten, wenn sie ihn so schnell ranließe, und dann müsste sie sich selbst dafür hassen, benutzt worden zu sein und all das. Das kam nicht infrage. Sie musste die Notbremse ziehen.

Sie hob die Hand zu seinem Mund und legte den Zeigefinger auf seine weichen, warmen Lippen. »Wir müssen aufhören.«

Er rieb seine Wange an ihrer Hand. Seine schimmernden blonden Bartstoppeln kratzten über ihre Haut. Die sinnliche, animalische Geste ließ sie vor hungriger Sehnsucht vergehen. »Warum?«

Sie zwang sich, ihre Hand wegzuziehen. »Weil ich es sage.«

Sie stupste den schlafenden Mikey mit dem Zeh von McClouds Sweatshirt runter, hob es auf und reichte es ihm, Hundehaare inklusive. »Zieh es wieder an. Sofort! Keine Widerrede.«

Seufzend gehorchte er. Sie bemühte sich um eine kühle Miene, die sie, als sein Kopf wieder auftauchte, erfolgreich in ihrem Gesicht fixiert hatte. »Ich fand deinen Striptease toll, und es war nett von dir, mich auf andere Gedanken zu bringen, aber es wird für Mikey und mich jetzt Zeit, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Wie viel schulde ich dir für das Abendessen?«

Seine Miene wurde düster. »Vergiss es!«

Margot riss die Kühlschranktür auf und zog ihren schrumpfenden Bargeldbestand unter der Eiswürfelschale hervor. »Ich dachte mir schon, dass du es mir schwer machen würdest.« Sie durchstöberte ihren Stapel an Lieferservicemenüs, bis sie Luisa’s fand. »Mal sehen … Tacos, Enchiladas, Rellenos, Tamales, Mole und Shrimps … das macht etwa fünfzig Dollar plus acht oder so für das Bier, sagen wir also neunundzwanzig für jeden …«

»Ich nehme dein Geld nicht.«

»Ich mag es nicht, wenn Männer für mich bezahlen.« Margot pfefferte ihm die Worte um die Ohren.

»Dein Scheißpech.«

Sie zuckte zusammen. »Hey! Pass auf, was du sagt. Keine Vulgärsprache in meinen vier Wänden.«

Er zog die Brauen hoch. »Ich hab dich auch schon fluchen hören.«

»Das kann schon sein, trotzdem hast du mich niemals das Sch-Wort sagen hören. Das verwende ich nämlich nicht. Oder, Mikey? Hast du von mir je das Sch-Wort gehört?« Mikey wedelte zur Bestätigung fröhlich mit dem Schwanz, während Margot diskret ihre Scheine zählte. Dreiundzwanzig Dollar. Mist! Mit stoischer Ruhe streckte sie sie Davy entgegen. »Ich ziehe es vor, nicht in der Schuld eines Fremden zu stehen«, teilte sie ihm mit.

»Pack es weg.«, warnte er. »Bevor du mich ernsthaft sauer machst.«

Sie verbarg ihre Erleichterung, als sie das Geld wieder unter den Eiswürfelbehälter schob. Danach drehte sie sich zu ihm um und verschränkte die Hände. »Nun, dann … vielen Dank für das Essen! Es war fabelhaft.«

»Gern geschehen.«

Sie wartete auf einen Spruch wie Tja, es ist spät, ich mache mich lieber auf den Weg, aber er blieb einfach stehen, bis sie sich zu fragen begann, was an ihrem Gesicht so verdammt interessant war. Das letzte Mal, als sie nachgesehen hatte, war es ihr völlig normal vorgekommen.

»Gute Nacht«, sagte sie – ein Wink mit dem Zaunpfahl.

»Warum ekelst du mich raus?« Er klang aufrichtig neugierig.

Sie setzte wieder die abweisende Maske auf. Dieses Mal kostete es sie mehr Anstrengung. »Du weißt, dass ich aus gutem Grund Nein gesagt habe, als du mich in deinem Dojo zum Abendessen einladen wolltest«, erklärte sie. »Es ist derselbe Grund, aus dem ich Männer nicht für mich bezahlen lasse – weder Essen noch Drinks. Weil sie sich ansonsten aufführen, wie du dich gerade aufführst. So als würde ich ihnen etwas schulden.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte nie die Absicht …«

»Denk drüber nach. Gute Nacht! Und noch mal danke für das Essen.«

»Aber ich weiß, dass du dich zu mir hingezogen fühlst«, insistierte er stur.

»Und? Was, wenn es so wäre?«, fuhr sie auf. »Ich habe schon genug am Hals! Mich plagen Geldprobleme, mein Hund macht mir Sorgen, und ich muss mich mit Snakey, diesem psychopathischen Irren herumschlagen, der mir Geschenke aus der Gruft schickt. Ich brauche nicht auch noch Probleme mit einem Mann!«

»Ich bin nicht …«

»Ich habe weder die Zeit noch die Energie für einen festen Freund! Momentan bekomme ich nicht mal meine Beziehung zu meinem Hund auf die Reihe!«

Er hob beschwichtigend die Hände. »Ich wollte damit nicht sagen …«

»Ebenso wenig lasse ich mich auf One-Night-Stands ein. Ich komme mit unverbindlichem Sex nicht klar. Was bedeutet das also für uns?« Er wollte antworten, doch Margot kam ihm zuvor. »Gar nichts! Es gibt nichts mehr zu besprechen! Also, mach’s gut.«

McCloud zog seine Brieftasche heraus, entnahm ihr eine Visitenkarte und legte sie auf die Küchenzeile. »Ruf mich an, falls du weitere Geschenke aus der Gruft bekommst.«

Er ging in Richtung Tür. Nicht hastig, nicht verlegen, nicht wütend. Beinahe wünschte sie sich, er würde sie hinter sich zuknallen. Das gäbe ihr das Gefühl, seinen Panzer durchbrochen, einen Punkt gegen ihn erzielt zu haben.

Es sollte ihr nicht vergönnt sein, denn er tat es nicht. Die Tür fiel leise ins Schloss.

Jetzt hatte sie nur noch Mikey und sein leises Schnarchen zur Gesellschaft, während sich die Dunkelheit erbarmungslos gegen ihre Fenster stemmte.

Mit einem Gefühl der Erschöpfung putzte sie ihre Zähne und stellte den Wecker. Die Enttäuschung war riesig nach all der prickelnden Spannung. Und sie konnte nichts weiter tun, als zu schlafen, doch stattdessen warf sie sich unruhig auf ihrem provisorischen Lager herum.

Sie war erhitzt, ruhelos, gepeinigt von einer sinnlichen Sehnsucht. Genau das hatte ihr noch gefehlt, um ihr Elend komplett zu machen.

Gott, wie sehr sie sich ihr altes Leben zurückwünschte! Wieder Mag Callahan zu sein, mit ihrem hübschen kleinen Haus am See, ihrem Webdesign-Unternehmen, das nach Jahren geduldigen Strampelns endlich richtig angelaufen war. Mit ihren tollen Klamotten, ihrem Weinregal, ihrer Buntglaslampe, ihren orthopädischen Matratzen, ihrer Sozialversicherungsnummer, ihren Kreditkarten. Ihrer Zukunft.

Sie wollte ihre Freundinnen zurück. Mit Jenny, Chris und Pia auf ihrem gemütlichen breiten Sofa Frauenfilme gucken, während sie Chips knabberten und Margaritas tranken. Selbst die Sorgen, die sie früher belastet hatten, stimmten sie nun nostalgisch. Verabredungen oder wahlweise deren Ausbleiben. Sichtbare Slipabdrücke. Kalorien. PMS. Steuerabschreibungen. Ameisen in der Küche. Schimmel in den Badezimmerfugen. Ha!

Sie wollte die schlimmen Erinnerungen auslöschen.

Sie fühlte sich so klein und hilflos. An Sex war unter diesen Umständen nicht zu denken, doch das bewahrte sie nicht davor, sich nach Körperkontakt zu sehnen.

Angeschlagen, wie sie war, wusste sie nicht mal mehr, wie es sich anfühlte, selbstbewusst genug zu sein, um sich auf einen Mann wie McCloud einzulassen. Vielleicht war sie es nie gewesen. Er war so verdammt überwältigend. Ein Supermacho. Sie war stets darauf bedacht gewesen, sich von solchen Typen fernzuhalten. Sie waren viel zu kompliziert.

Sie musste ihrer sexuellen Fantasie die Zügel schießen lassen, um die Vorstellung von Sex mit Davy McCloud zuzulassen. Je weiter von der Realität entfernt, desto besser. Wie zum Beispiel … eine Barbarenkönigin und ihr gefangener feindlicher Krieger. Ja. Die Idee war lächerlich und unwahrscheinlich genug, um zu funktionieren. Er mit nichts als einem Schwertgürtel und einem zerlumpten Lendenschurz bekleidet, um seine Männlichkeit zu bedecken. Hände und Füße angekettet, seine Augen glühend vor hilflosem Zorn. Frisch aus der Schlacht, zerschlagen und verbittert. Mmmm! Das hier konnte echt gut werden.

Dann sie selbst, in ihrem klitzekleinen Kettenpanzer-Bikinioberteil, das jede Menge Busen preisgab. Ein hauchdünner, beidseitig geschlitzter Rock, der an ihrem juwelenbesetzten Gürtel befestigt war. Sie stellte sich ihr Haar in seinem ursprünglichen Kupferrot vor, ließ es bis zur Hüfte wachsen, legte Make-up auf – dunkle Bronzetöne, die sie wild und verrucht aussehen ließen. Wie auf den Titeln der Fantasyromane, die sie früher verschlungen hatte, nur dass in diesem Fall sie diejenige war, die mit königlicher Miene das Schwert schwang, während er vor ihr auf den Knien kauerte und ihre Schenkel umklammerte. Die Vision war derart surreal, dass sie kichern musste.

Böser Fehler. Das Lachen hätte um ein Haar ihre Tränendrüsen aktiviert. Sie rollte sich herum, vergrub ihr heißes Gesicht im Kissen und schob die Hand in ihren Schlüpfer. Sie war schon jetzt feucht, angeheizt von einer unersättlichen Begierde. Sie brauchte noch nicht mal ihren Vibrator. Allein der Gedanke an seine Augen trieb sie an den Rand eines unkontrollierbaren Orgasmus.

Margot schloss die Augen, nahm ihre Klitoris zwischen zwei Finger und drückte ihre zitternden Oberschenkel zusammen. Sie musste dieses lustvolle Brennen unbedingt besänftigen. Es machte ihr Angst. Ihr ganzes verdammtes Leben machte ihr Angst.

Die Barbarenkönigin kannte keine Angst. Sie besaß die Macht, jeder spontanen Laune nachzugeben. Ihre Armee stand ihr jederzeit zur Verfügung. Die Glückliche.

Exotische Bilder nahmen Gestalt an, lösten sich auf und formten sich neu. McCloud auf den Knien, die Augen zornig blitzend, unfähig, seine Erregung unter dem dürftigen Lendenschurz zu verbergen. Sie stellte sich vor, wie sie ihn berührte, während sie sich selbst streichelte, wie sie ihre Hände über seine angespannten, kraftvollen Muskeln, sein heißes Gesicht wandern ließ.

Er glänzte vor Schweiß, und er zitterte. Sie schob die Hand unter den Lendenschurz, umfasste seinen harten Penis und massierte ihn völlig unverfroren. Er bäumte sich auf, keuchte und drängte sich ihr in hilflosen, ekstatischen Zuckungen entgegen.

Die Bilder verschwammen vor ihrem geistigen Auge, die Vielzahl an Möglichkeiten zerrte sie in die verschiedensten Richtungen. Der Fokus wurde wieder scharf. Nackt und mit weit gespreizten Beinen stand sie über ihm, die Hände um sein Gesicht gelegt. Mit den Augen befahl sie ihm: Mach dich ans Werk, Soldat, und besorg es mir richtig, falls du weißt, was gut für dich ist.

Und das tat er. Oh, das tat er! Noch nie hatte sie eine derart klare erotische Fantasie erlebt, in der jeder Nerv vor Empfänglichkeit pulsierte, als würde es tatsächlich passieren. Seine kraftvolle Zunge stieß zu und leckte an ihr, sie fuhr in ihrer Spalte auf und ab und saugte gierig, bis sich das herrliche Gefühl verselbstständigte, intensiver und lustvoller wurde … fast dort … fast … dort …

Die Erregung kühlte einen Grad ab, und sie hing in den Seilen. Unbefriedigt.

Sie war außer sich. Das hier war bizarr. Sie war in ihrem ganzen Leben noch nie so geil gewesen. Es war absolut unverständlich, dass sie nicht in der Lage sein sollte, sich selbst zum Höhepunkt zu bringen.

Also weiter zur nächsten Einstellung. Szenenwechsel zu dem prächtigen Himmelbett, dem flackernden Feuer. Er war nun splitterfasernackt und mit seidenen Kordeln an die geschnitzten Pfosten gefesselt. Sie versuchte es mit einer frivolen Vision, in der sie ihn von ein paar ihrer scharfen barbarischen Kammerzofen necken und quälen ließ, um ihn auf das Hauptereignis vorzubereiten. Es dauerte nur eine Nanosekunde, bis sie die dämlichen Weiber zum Teufel jagte. Puff, waren sie verschwunden!

Er gehörte ihr allein. Jeder Tropfen von ihm.

Das stille Zimmer pulsierte vor sexueller Energie. Die einzigen Geräusche waren das Knistern des Feuers und das leise, erstickte Stöhnen des Mannes unter ihr. Er wand sich so verzweifelt, dass die Sehnen an seinem Hals hervortraten, während sich seine stahlharten Muskeln mit aller Kraft gegen die Fesseln stemmten. Doch sie war gnadenlos. Sie umfasste seinen Penis mit ihren eingeölten Händen, bewegte sie entlang seines Schafts und massierte mit der geschlossenen Faust seine pralle Eichel, hypnotisierte ihn und sich selbst mit ihren rhythmischen Liebkosungen.

Es war an der Zeit. Sie setzte sich rittlings auf ihn und führte seinen Penis zu der weichen, geschwollenen Öffnung ihres Geschlechts, dann warf sie mit einem lustvollen Stöhnen den Kopf zurück und nahm seinen dicken, pochenden Schwanz in sich auf. Sie unterwarf ihn, erhob Anspruch auf ihn. Mit dem stummen Befehl, ihre Überlegenheit anzuerkennen, sah sie ihm in die Augen.

Doch das tat er nicht. Sich unter ihr windend und aufbäumend stieß er zu, doch seine Augen hielten ihrem Blick stand, hell und wild funkelnd und absolut unbesiegt.

Und noch immer blieb ihr der Höhepunkt versagt. Sie kam ihm so nahe, wartete mit klopfendem Herzen nur darauf, in diesem Quell dunklen Vergessens zu ertrinken, als er ihr plötzlich entglitt. Er verflüchtigte sich, und der Mann schaute zu ihr hoch, in seinen Augen ein Glitzern voll hinterhältiger Belustigung. Er tat es absichtlich.

Verdammt sollte er sein! Das hier war grotesk. Dies war ihre Fantasie, die sich ausschließlich in der Privatheit ihres Kopfes abspielte, und er hatte nicht das Recht, sich einzumischen.

Nur dass es jetzt mehr als eine Fantasie war. Es glich eher einer Art Trance oder einem Wachtraum, der eine verrückte Eigendynamik entwickelte. Sie schaffte es nicht, ihn zu dirigieren oder zu befehligen. Sie fasste nach dem Messer, das in den prunkvollen Bettvorhängen versteckt war, und hielt es gerade lange genug ruhig in der Hand, um dieses verschlagene Funkeln in seinen Augen zu verscheuchen und zu sehen, das es einem Ausdruck argwöhnischer Verunsicherung Platz machte.

Sie lehnte sich nach hinten und durchtrennte die Seidenkordeln, die seine Knöchel fixierten … eins, zwei. Sie beugte sich über ihn, bis ihre Brüste sein Gesicht berührten, und zerschnitt die Fesseln um seine Handgelenke. Sie setzte sich zurück und ließ seinen Penis so tief wie möglich in ihren Körper gleiten. Dann legte sie das Messer auf die Kissen neben seinem Kopf, wo er es jederzeit erreichen könnte.

Die Entscheidung lag ganz bei ihm. Sie betrachtete sein überraschtes Gesicht.

Der paralysierte Teil ihres Bewusstseins hinter den umherwirbelnden Traumbildern war fassungslos. Hatte sie den Verstand verloren? Verdiente sie noch nicht mal den irrealen Luxus, in einer billigen Sexfantasie das Sagen zu haben?

Die Fantasie gewann an Tempo. Er legte seine großen Hände um ihre Hüfte und rollte sie mit einem Knurren aus den Tiefen seiner Kehle auf den Rücken. Er nahm sie unter seinem gewaltigen Körper gefangen und stieß tief und unbarmherzig in sie hinein.

Seine entfesselte Lust entfesselte ihre und trieb sie in ungeahnte Höhen.

Als sie wieder zu Sinnen kam, waren die letzten Zuckungen der erlebten Ekstase noch immer am Abklingen. Benommen rang sie nach Luft.

Sie war noch immer allein in ihrem Bett. Allein in ihrem gescheiterten Leben. Erfüllt von einer Traurigkeit über den Verlust von etwas, das sie niemals besessen hatte.

Was war sie doch für eine Idiotin. Sich selbst mit ihren Fantasien zu quälen. Sie kämpfte gegen die Tränen an. Sie hatte schon genug für ein ganzes Leben geweint.