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Mikey würde sie dafür büßen lassen, dass sie ihn in der Tierpension abgegeben hatte. Das ganze Ausmaß seines Kummers und Zorns war daran erkennbar, wie starr er seinen kleinen Körper hielt, als sie ihn die Treppe zu ihrer Veranda hinauftrug. Sie bezwang ihre übelkeiterregende Angst, bevor sie in die Schatten spähte, um sich zu vergewissern, dass nichts Grauenvolles auf ihrem Türvorleger wartete.
Heute nicht. Snakey, dieser perverse Irre, hatte sich den Tag freigenommen.
Während sie die Tür aufsperrte, normalisierte sich ihre Atmung langsam wieder. Sie knipste das Deckenlicht an – eine nackte Glühbirne, die scheinbar speziell dazu gedacht war, Wasserschäden und Risse im Putz hervorzuheben, ganz zu schweigen von Augenringen und diversen Hautunreinheiten. Margot verabscheute das Ding, aber ihre hübschen Lampen waren bei dem Einbruch kaputtgegangen. Sie musste mit der nackten Funzel vorliebnehmen, bis sie ihr Leben wieder auf Kurs gebracht hatte. Aber nach dem, wie die Dinge derzeit liefen, schien dieser Tag in immer weitere Ferne zu rücken.
Behutsam setzte sie Mikey ab. Er schüttelte sich, bevor er sich mit leiser Verwirrung umsah, fast, als wollte er sagen: Wo sind wir hier? Ich erinnere mich kaum daran … oder an dich. Er wandte sich von ihr ab und humpelte langsam und erbarmungswürdig in Richtung Küche.
Natürlich humpelte er schon seit jenem Tag vor sieben Monaten, als ihre Flucht aus Kalifornien sie schließlich nach Seattle verschlagen und sie ihn halb tot am Straßenrand gefunden hatte. Ein Auto hatte seine Hinterbeine zertrümmert. Der Tierarzt hatte dazu geraten, ihn sofort einschläfern zu lassen, nur war sie nie dafür berühmt gewesen, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Stattdessen hatte sie Mikey ihre eigene, intuitive Auffassung von Hundetherapie angedeihen lassen und es sich zur Aufgabe gemacht, ihn zu retten, als wäre er die Verkörperung all dessen, was sich im Leben zu retten lohnte. Denn wenn ihr das gelänge, würden sich die Dinge am Ende auch für sie wieder zum Guten wenden.
Möglich, dass das dumm und abergläubisch von ihr war, aber es spielte letztendlich keine Rolle, denn Mikey, der Wunderköter, war Belohnung genug. Er war klug, ihr treu ergeben und der schamloseste Manipulator, den sie je gekannt hatte. Sein hinkender Gang zerriss ihr das Herz. Wahrscheinlich übertrieb er immer, damit sie sich schlecht fühlte, gleichzeitig wusste sie aus Erfahrung, dass Kummer und Schmerz umso größer waren, wenn man sich einsam und deprimiert fühlte. Warum sollte es Mikey da anders gehen?
Falls er es tatsächlich vortäuschte, dann sah sie ihm die List auf jeden Fall nach. Er war ein kleiner Hund. Alt noch dazu, in Hundejahren gerechnet. Er musste sämtliche Waffen einsetzen, die ihm zur Verfügung standen. Das war etwas, was sie gut nachempfinden konnte.
Sie zog ihre verschwitzten Trainingsklamotten aus, während sie Mikey in die Küche folgte, und füllte dort die Spüle mit heißem Wasser und einer Verschlusskappe Waschmittel. Mikey kletterte in sein Körbchen, vollführte seine obligatorischen dreieinhalb Umdrehungen und ließ sich mit einem schwermütigen Seufzen hineinplumpsen.
Auch ihr entfuhr ein schwermütiger Seufzer, als sie ihren Gymnastikanzug in die Seifenlauge tauchte. Eine schnelle Dusche in ihrem schimmligen Badezimmer, eine weite Jogginghose und ihr übergroßes Superman-T-Shirt, und sie fühlte sich fast wieder wie ein Mensch. Sie wühlte in dem Korb auf ihrer Kommode nach einem Kamm, als sich ihre Finger um den schweren goldenen Schlangenanhänger schlossen.
Margot zog das Ding heraus und kämpfte den Anflug von Angst nieder, den es ihr einflößte. Sie wünschte sich, der Dieb hätte dies anstelle ihres Laptops mitgenommen. Obwohl es wertvoller war, wäre sie heilfroh gewesen, es los zu sein. Sie würde das grauenvolle Schmuckstück zu einem Pfandleiher bringen. Das Geld würde schmutzig sein, aber damit konnte sie leben. Irgendwie mussten die Tierarztrechnungen schließlich bezahlt werden.
Sie wusste, warum sie es behielt, auch wenn sie es sich nicht gern eingestand. Der Anhänger war der einzige Schlüssel zu dem albtraumhaften Puzzle, das ihr Leben geworden war. Er war wie ein magischer Talisman. Wenn sie ihn verkaufte, würde sie vielleicht für immer in diesem einsamen, düsteren Niemandsland gefangen sein – ohne Ausweg.
Stopp, hör auf damit! Sie durfte sich nicht dazu hinreißen lassen, auch nur eine Sekunde in diese Richtung zu denken. Ihre einzige Chance, geistig gesund zu bleiben, bestand darin, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, einzuatmen, auszuatmen und dankbar dafür zu sein, dass sie am Leben war.
Sie ging in die Küche und hockte sich neben Mikeys Körbchen, absolut bereit, um Vergebung zu betteln. Er hatte sich zu einem Ball zusammengerollt und die grau werdende Schnauze zwischen den Pfoten vergraben. Seine Augen waren fest geschlossen. Kein Schwanzwedeln, kein Händelecken, kein freudiges Jaulen, keine freundliche Reaktion jedweder Art. Er mimte die Eiskönigin in Hundegestalt.
»Hey, Mikey! Willst du denn kein Abendessen?«, fragte sie.
Mikey war weit davon entfernt, auf eine solch plumpe Bestechung reinzufallen. Er zuckte nicht mit einem einzigen Barthaar. Margot stand auf und suchte im Schrank nach den Hundeleckerbissen. Sie wedelte mit einem vor seiner Nase herum.
Er öffnete ein Auge halb und bedachte sie mit seinem typischen »Vergiss es«-Blick.
»Das ist nicht fair«, schalt sie ihn. »Ich bringe dich in diese Tierpension, um dich vor Snakey zu beschützen, du undankbarer kleiner Rotzlöffel. Dabei kann ich es mir noch nicht mal leisten. Ich stehe wegen deinem letzten Kampf noch immer bei dem Tierarzt in der Kreide. Der Hund war zehnmal so groß wie du, aber hast du darüber nachgedacht, bevor du dich mit ihm anlegen musstest?«
Mikey bedeutete ihr mit einem schnüffelnden Grunzen, dass ein Hund nun mal ein Hund war und sie sich ihre finanziellen Probleme sonst wohin stecken konnte.
»Außerdem schuldest du mir was«, erinnerte sie ihn. »Ohne mich wärst du nur Matsch auf der Straße, Fellgesicht.«
Keine Chance. Mikey würde heute Abend nicht von seinem hohen Ross heruntersteigen.
Margot ließ sich neben sein Körbchen sinken und konzentrierte sich darauf, ihn so zu hätscheln, wie er es am liebsten hatte: ein sanftes Streicheln von der Stirn zum Nacken, mit einem Extrakraulen gegen den Strich rund um die Ohren. Er ließ sich ihre Berührung gefallen, weigerte sich aber, darauf zu reagieren. Sie fuhr mit den Fingern durch sein seidiges Fell, sorgsam darauf achtend, die rasierten Stellen um seine Stiche nicht zu berühren. Ein Andenken an seine Auseinandersetzung mit dem bissigen Streuner im Park.
Mikey war ein rauflustiger kleiner Bursche. Sie bewunderte das an ihm, auch wenn es sie Geld kostete. Er kapierte nicht, wann er seine große Klappe lieber halten sollte. In diesem Punkt ähnelten sie sich sehr, deshalb konnte sie ihm kaum einen Vorwurf machen.
Obwohl sie total erledigt war, sollte sie unbedingt an ihrem Webdesign-Projekt arbeiten oder sich zumindest mit ihrer privaten, laienhaften Mordermittlung befassen.
Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, bevor ihr wieder einfiel, dass sie ihren Laptop nicht mehr hatte. Jetzt hatte ihn diese hinterhältige Ratte von einem Dieb.
Egal. Sie war heute sowieso komplett am Ende. Fix und fertig. Sie war noch vor Morgengrauen aufgestanden, um Mikey zur Hundepension zu bringen, bevor ihre Schicht als Bedienung anfing. Anschließend hatte sie sich in die Innenstadt geschleppt, um mittags eine Körperstraffungs- und Aerobicstunde in einem Fitnesscenter zu geben, das auf Mitarbeiter größerer Unternehmen ausgerichtet war, und schließlich noch die Abendkurse im Women’s Wellness. Außerdem fühlte sie sich nach einer Woche mit ihrer neuen Radikaldiät allmählich etwas schummrig. Die Hundebetreuungsgebühren und Tierarztrechnungen hatten ein großes Loch in ihr ohnehin mageres Haushaltsbudget gerissen.
Trotzdem war ihr Hintern kein bisschen kleiner geworden. Das stelle man sich mal vor!
Zeit, auf Nahrungssuche zu gehen. Es erforderte Charakterstärke und Sinn für Humor, um aus dem, was ihre Küche noch zu bieten hatte, eine Mahlzeit zu zaubern. Margot stellte sich auf die Zehenspitzen und öffnete den Hängeschrank: Krümel auf dem Boden der Cornflakes-Schachtel, Reste im Erdnussbutterglas, die man herauskratzen musste, und dazu ein paar geschälte Babykarotten in einer Tüte im Kühlschrank. Heute Abend war sie hungrig genug, um sie tatsächlich zu essen, anstatt sich nur zu sagen, dass sie es tun sollte. Oh, es wäre herrlich, einfach zum Telefon zu greifen und irgendeine sündige, köstliche Kalorienbombe zu bestellen.
Das rief ihr Davy McClouds Einladung zum mexikanischen Essen in Erinnerung. Ein heißkalter Schauder lief ihr über den Rücken. Sie beobachtete den Mann, seit sie im Women’s Wellness angefangen hatte. Er war der typische ernste, wortkarge nordische Krieger: muskulös, atemberaubend und kalt wie Eis. Offenkundig nicht interessiert an ihr, aber doch so faszinierend – der Reiz des Unerreichbaren und dieser ganze Mist.
Sie starrte auf den schwarzen Pfeffer und die Teebeutel, während die Bilder durch ihren Kopf drifteten – McClouds kraftvoller Körper, der sich mit der geschmeidigen, tödlichen Anmut eines geworfenen Speers über die Tatami bewegte. Er war so gut proportioniert, dass man gar nicht bemerkte, wie riesig er war, bis er direkt vor einem stand – und dann, schwuppdiwupp, war es zu spät.
Er war viel zu groß für sie. Große Männer machten sie nervös. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich von ihren niederen Instinkten hatte leiten lassen – damals, in prähistorischen Zeiten, als sie noch den nötigen Mumm besaß –, hatte sie sanftmütige, schlaksige Männer bevorzugt, die sie zum Lachen brachten. Männer, die sie, falls nötig, in den Schwitzkasten nehmen konnte. Craig hatte zu dieser Kategorie gehört.
Ihre Gedanken scheuten vor der Erinnerung an den armen Craig zurück. Sie konzentrierte sich wieder auf die weitaus verlockendere Vision von Davy McClouds halb nacktem Körper. Niemand könnte McCloud in den Schwitzkasten nehmen. Aber es fiel ihr ebenso schwer, sich ihn lachend vorzustellen. Der Gedanke an seine durchdringenden Augen trieb ihr die Hitze ins Gesicht – und in verschiedene andere Körperregionen.
Seltsam, diese primitive sexuelle Reaktion auf einen Kerl, den sie kaum kannte. Sie entsagte dem männlichen Geschlecht schon seit Monaten. Nackt und orientierungslos in einem fremden Hotelzimmer aufzuwachen, nachdem man Zeuge eines brutalen Mordes geworden war, konnte so was durchaus zur Folge haben. Ein echter Killer für die Libido. Es brachte die Hormone zum Versiegen wie bei einem kaputten Wasserhahn.
Oh Gott, sie wollte darüber heute Abend wirklich, wirklich lieber nicht nachdenken, sonst würde sie sich armselig und beschmutzt fühlen und müsste ein weiteres Mal duschen.
Eine heiße, schlüpfrige Fantasie mit Davy McCloud und ihrem treuen Vibrator in den Hauptrollen wäre eine fabelhafte Ablenkung. Solange sie nicht vergaß, dass es nur eine Fantasie war. Mit seinen markanten Gesichtszügen, dem grimmigen Mund und dem vom Schwitzen stacheligen Bürstenhaarschnitt hatte er einen leicht militärischen Touch. Viel zu tough für sie. Sobald sie sich erst mal um seinen Ständer gekümmert hätte, würde sie einen Typen wie ihn mit ihrer großen Klappe in den Wahnsinn treiben.
Es musste das alte Gegensätze-ziehen-sich-an-Klischee sein. Seine strenge Disziplin und sein autoritäres Auftreten reizten sie auf die falsche Weise und brachten sie dazu, ihn provozieren zu wollen. Frei nach dem Motto: Wer hat dich zum Chef des Universums gemacht, Kumpel?
Anschließend würde sie ihn nackt ausziehen, ihn mit Öl einreiben, auf den Rücken werfen und auf ihm in den Sonnenuntergang reiten. In hartem Galopp.
Wow! Sie öffnete den Kühlschrank, fischte eine Karotte aus der Tüte und knabberte daran. Ebenso gut könnte sie diesem Extraspeichel etwas Vernünftiges zu tun geben.
Sie sollte nicht so streng mit sich sein. Sich nach McCloud zu verzehren, machte wesentlich mehr Spaß, als sich wegen Mikeys großer, kummervoller Augen zu grämen, wenn sie ihn in der kostspieligen Tierpension abgab. Und es war auch unterhaltsamer, als vor Angst fast kotzen zu müssen, wann immer sie in die Schatten ihrer eigenen Veranda spähte. Es war besser, als sich ständig Sorgen zu machen, dass Snakey ihr im Dunkeln auflauern könnte. Oder sich in das hineinzusteigern, was Craig und Mandi zugestoßen war.
Sie schnappte sich das Erdnussbutterglas und die Karottentüte, dann setzte sie sich neben Mikeys Körbchen und rollte sich um das kalte, hässliche Ziehen in ihrem Bauch zusammen. Manchmal half das. Ein bisschen zumindest.
Sie strich mit der Karotte am Innenrand des Glases entlang und biss mit grimmiger Entschlossenheit hinein. Sie brauchte einen neuen, brillanten Plan, aber Snakey belegte den gesamten Arbeitsspeicher in ihrem Gehirn. Es gab nicht genügend Platz auf ihrer Festplatte, um das sagenhaft phänomenale Programm für kreative Lösungen zu starten. Sie hatte erst vor ein paar Wochen begonnen, sich aus dieser Jauchegrube zu befreien, und einen Job in einer neuen Grafikdesignfirma in Belltown ergattert. Die falschen Referenzen, die sie für ihre neue Identität gekauft hatte, hatten die kümmerlichen Ersparnisse mehrerer Monate verschlungen, aber damals schien es die Sache wert zu sein.
Es hatte exakt zehn glorreiche Tage gedauert, bis die Firma niedergebrannt war. Es war, als läge ein Fluch auf ihr.
Scheiß drauf! Sie würde den Witzbold, der ihr diese bösen Streiche spielte, zur Strecke bringen und ihm sämtliche Gliedmaßen sowie andere bewegliche Körperanhänge herausreißen. Anschließend würde sie Mikey aus seiner Schutzhaft holen, ihren Namen reinwaschen und ihr Leben ein für alle Mal wieder in die richtigen Bahnen lenken. Die Details waren noch unscharf, aber so lautete der Plan. Einen Plan zu haben war ein guter erster Schritt, richtig? Richtig.
Sie starrte das Telefon an, zum millionsten Mal versucht, Jenny oder Christine oder Pia, ihre besten Freundinnen aus ihrem alten Leben, anzurufen. Nur um sie wissen zu lassen, dass sie lebte und sie vermisste.
Angst und Schuldgefühle besiegten diesen Impuls. Nach dem, was Craig und Mandi zugestoßen war, durfte sie ihre Freundinnen nicht so leichtfertig in Gefahr bringen. Ihre Einsamkeit war keine ausreichende Rechtfertigung. Ganz egal, wie schlimm es wurde.
Margot wünschte sich, mit ihrer Mutter sprechen zu können. Nur war sie mittlerweile seit acht Jahren, fast neun, tot, dahingerafft vom Lungenkrebs. Vielleicht schwebte sie ja irgendwo im Äther umher und hielt ein wachsames Auge auf ihre glücklose, naive Tochter. Ein leicht tröstlicher Gedanke. Wenn auch ein wehmütiger.
Sie musste den Verstand verloren haben, dass sie McCloud heute in seinem Dojo aufgesucht hatte – getrieben von dem Wunsch, zumindest einen streng zensierten Teil ihrer Leidensgeschichte bei jemandem abzuladen, der kein Hund war. Mikey war ein guter Zuhörer, nur konnte er nicht mit vielen brauchbaren Ratschlägen aufwarten. Der Kickbox-Lehrer, Sean – sie konnte kaum fassen, dass dieser fröhliche Sonnyboy mit seinen Grübchen der Bruder des beängstigend hinreißenden Davy McCloud sein sollte – hatte das Keine-Kohle-Thema abgetan, als wäre dies kein Problem. Abgesehen davon hatte sie nur auf einen Grund gewartet, sich Davy McCloud aus der Nähe anzusehen, als Anregung für ihre Fantasie sozusagen. Und die brauchte sie dringend. Die Nächte konnten lang werden für ein Mädchen, das sich vor dem Einschlafen fürchtete.
Es war eine verdammte Schande, dass er so groß war. Dazu nur ein paar Pakete von einem Waschbrettbauch entfernt und die bizarren Dinge, die er sagte. Der Geist des Drachen, herrje!
Mikey hob den Kopf und knurrte. Jedes von Margots Körperhaaren richtete sich auf. Dann hörte sie ein hartes, gebieterisches Klopfen, und das Entsetzen, das sie erfasst hatte, fiel von ihr ab und ließ sie mit schwammigen Knien zurück.
Snakey würde niemals so klopfen. Tatsächlich würde er überhaupt nicht klopfen. Er würde wie eine stinkende Dunstschwade durch ein Kanalisationsrohr wabern und mit einem feucht klingenden Ploppen aus dem Abfluss im Bad schlüpfen.
Gott, wie ekelhaft! Gut gemacht, Erbsenhirn! Jetzt lehrte sie sich schon selbst das Fürchten.
Es klopfte wieder, kurz und geschäftsmäßig. Mikey kletterte aus seinem Körbchen. Margot sah an sich runter, als sie ihm zur Haustür folgte. Die Brüste lagen frei und ungebändigt unter ihrem Superman-T-Shirt, die Haare waren feucht und standen wirr nach allen Seiten ab, und ihr Gesicht musste in Ermangelung jedweder kosmetischer Hilfsmittel oder Abdeckcremes in dem gnadenlosen Licht der nackten Glühbirne tapfer für sich selbst einstehen.
Selbst wenn sie sich die größte Mühe gäbe, könnte sie die Situation nicht noch ungünstiger für sich selbst hinbekommen.
Mikeys Krallen klackten über das Linoleum, sein Hinken hatte er vollständig vergessen. Margot schnappte sich im Schlafzimmer ihren Kamm und versuchte ihre Haare zu bändigen, während sie durch den Spion blinzelte. Kein Zweifel. Er war es. Ihr Herz begann zu rasen. Sie schaute wieder nach draußen, betrachtete die markante Kontur seines Unterkiefers, seinen grimmigen und doch unglaublich erotischen Mund. Die Linien, die ihn umrahmten, bewiesen, dass er wusste, wie man lächelte. Vielleicht tat er es nur im Dunkeln, wenn niemand zusah. Emotional blockiert, ganz eindeutig. Ihrer Erfahrung nach waren solche starken, schweigsamen Männer in der Regel langweilig und geistlos.
Sie hatte ihm gesagt, dass er sie in Ruhe lassen sollte. Er war zu groß, zu seltsam, zu ernst für sie. Und auch zu neugierig. Sie durfte ihm ihre groteske Geschichte nicht anvertrauen.
Sie müsste eigentlich stinkwütend sein und würde es nun vortäuschen müssen. Das erforderte Energie, und wo sollte sie die hernehmen?
Es klopfte schon wieder. War das zu fassen? Seine königliche Hoheit verlor die Geduld. Das verlieh ihr die nötige Entschlossenheit, die Tür aufzureißen und ihn unheilvoll anzublinzeln. »Ich habe Nein gesagt, mein Freund.«
Davy sah sich auf der Veranda um. »Haben Sie hier den Hund gefunden?«
Ihre vorgespielte Verärgerung löste sich in Luft auf. Sie schluckte schwer und nickte.
»Irgendwelche weiteren Vorkommnisse?«
In seiner Stimme lag eine kühle Sachlichkeit, als hätte er einen Schalter umgelegt, woraufhin ein spezieller Mechanismus zu knirschen und zu rattern begann.
»Hey.« Sie streckte die Hand aus der Tür und wedelte vor seinem Gesicht herum. »Haben Sie gehört, was ich sagte? Danke, aber ich verzichte. Und wie haben Sie mich überhaupt gefunden? Ich habe keinen Eintrag im … oh! Mein Gott!«
Er hielt eine große Papiertüte hoch. Köstliche Aromen entströmten ihr.
»Enchiladas«, erklärte er. »Tamales. Gefüllte Pfefferschoten. Tacos mit gegrilltem Schweinefleisch. Shrimps in Butter und Knoblauch. Und …« – er hob die andere Hand – »… ein Sechserpack eisgekühltes Bier.«
Sie hielt sich am Türpfosten fest. Der Duft der reichhaltigen, würzigen Speisen raubte ihr fast das Bewusstsein. Mist – sie sollte wenigstens so viel Stolz haben wie ihr Hund. Mikey verriet seine Prinzipien niemals für Futter.
Sie schluckte krampfhaft. »Äh …«
Der leichte Anflug eines beinahe amüsierten Lächelns veränderte die Züge seines schmalen Gesichts. »Wenn Sie mich wegschicken, werfe ich alles vor Ihren Augen in die Mülltonne«, warnte er sie. »Nur um Sie zu ärgern.«
»Das ist krank und niederträchtig.«
»Ja, ich weiß. Mein Plan war, hier zu sein, bevor Sie zu Abend gegessen hätten. Ich weiß, wie ich mich fühle, wenn ich zwei Kurse hintereinander gegeben habe.«
»Fünf, um genau zu sein«, berichtigte sie.
Seine Augen wurden groß. »Fünf? Hut ab! Das ist eine reife Leistung.«
»In zwei verschiedenen Fitnesscentern. An manchen Tagen mehr als fünf. Benimm dich, Mikey! Er hat mexikanisches Essen dabei. Beiß ihn nicht, solange wir nichts davon abbekommen haben!«
Mikey stellte sich auf die Hinterbeine und schnüffelte an der Tüte. Anschließend beschnupperte er McClouds Schuhe und Knöchel und bellte einen schrillen Befehl.
»Mikey hat Sie soeben reingebeten«, übersetzte Margot. »Er liebt Shrimps.«
Ein träges Grinsen breitete sich auf Davys Gesicht aus und brachte ein paar umwerfende Lachfältchen zum Vorschein, zusammen mit einem Aufblitzen verführerischer Sinnlichkeit, das ihr den Atem verschlug. »Mikeys Einladung ist nicht genug. Ich will Ihre.«
Margot zwang sich, Luft zu holen. Sie war ausmanövriert.
»Na schön, dann rein mit Ihnen«, grummelte sie.
Faris’ Magen überschlug sich förmlich vor nervöser Aufregung, als die Tür hinter McCloud zufiel. Er zwang sich, auszuatmen und klar zu denken. Er musste geduldig sein, sich in Erinnerung rufen, wie verzweifelt sie war, wie wehrlos und allein. Marcus hatte ihn angewiesen, ihr Haus zu durchsuchen und ihr Telefon zu verwanzen, um herauszufinden, mit wem sie in Kontakt stand, und bislang war die Antwort gewesen: mit niemandem. Sie hatte ganz allein in ihrem heruntergekommenen Mietshaus auf dem Capitol Hill gelebt und darauf gewartet, dass er sie zu der Seinen machte. Bis zu diesem Abend.
Er schlich durch die Dunkelheit zu seinem Beobachtungsposten in dem überwucherten Rhododendron neben ihrem Küchenfenster. Zwei Wochen zuvor hatte er in die Mitte einen Hohlraum hineingehackt und die Äste entfernt, die ihm die Sicht versperrten. Dies war nicht das erste Mal, dass Faris Davy McCloud bemerkte. Er hatte den Mann dabei ertappt, wie er Margaret mit lüsternem Gesichtsausdruck beim Verlassen des Fitnesscenters, in dem sie arbeitete, beobachtet hatte.
Aber Faris durfte seine Anonymität nicht gefährden, indem er in Margarets Haus stürmte und McCloud in blutige Fetzen riss. Marcus würde ihm niemals vergeben, wenn er in diesem Ausmaß die Kontrolle verlöre.
Abgesehen davon verfügte McCloud über gute Beziehungen. Ehemaliger Soldat, angesehener Privatdetektiv, enge Kontakte zur örtlichen Polizei, Bruder beim FBI. Diskretion war vonnöten. Faris würde etwas Spezielles für ihn vorbereiten. Etwas Leises, was nicht zurückverfolgt werden konnte, etwas sehr Persönliches – und sehr, sehr Schmerzhaftes.
Er starrte mit brennenden Augen durch das Fenster. Er war entsetzlich verletzt gewesen, als sie aus dem Hotelzimmer geflüchtet war, ohne auf ihn zu warten. Doch er hatte ihr vergeben. Trotz der Probleme, die sie ihm dadurch verursacht hatte. Der Abdruck, den Caruso versteckt hatte, war der Schlüssel zu Marcus’ Plan, und Faris hatte in seiner Dummheit die einzige Person, die das Versteck kannte, entwischen lassen. Marcus war unglaublich wütend gewesen. Die Erinnerung daran ließ Faris noch immer erschaudern.
Die Situation war nun heikel. Es hatte zermürbend lange gedauert, sie aufzuspüren, und die Zeit war knapp geworden. Marcus kochte vor Ungeduld. Faris würde sich nicht noch einmal von ihr zum Narren halten lassen. Er liebte sie, aber wenn es nötig war, konnte er sehr streng sein. Sehr grausam. Marcus hatte es ihn gelehrt.
Die Emotionen überwältigten ihn, wenn er daran zurückdachte, wie er ihren bewusstlosen Körper in seinen Armen getragen und ihr Kopf mit kindlichem Vertrauen schlaff an seiner Schulter geruht hatte. Irgendwo hatte er gehört, dass wenn man jemandem das Leben rettete, man für diesen Menschen fortan verantwortlich war.
Er hatte Margarets Leben verschont, also war es seine Aufgabe, sie vor den Raubtieren zu beschützen, die von ihrer außerordentlichen Verletzlichkeit angelockt wurden – wie Haie vom Blut.
Faris durfte nicht zulassen, dass Margarets Aufmerksamkeit jetzt von ihm abgelenkt wurde. Er lockte sie sukzessive in seine Falle, sodass sie erschöpft sein würde, sobald die Zeit reif wäre. Dankbar und erleichtert, sich hineinfallen lassen zu können.
Sie brauchte weder Arbeit noch Geld oder andere Menschen. Sie sollte sich nicht den Gefahren des Straßenverkehrs aussetzen oder in dieser Grafikfirma von Männern mit lüsternen Gedanken umgeben sein. Sie musste sich nicht bis tief in die Nacht an ihrem Computer abrackern und sich die schönen Augen verderben, um ein Geschäft aufzubauen, das ohnehin keine Zukunft hatte. Ebenso wenig brauchte sie diesen wertlosen, verkrüppelten Hund.
Stück für Stück befreite er sie von alldem. Sobald alles verschwunden wäre, würde sie begreifen. Sie musste ihm lediglich ihre Seele schenken. Mehr nicht. Er würde ihr Universum sein, ihr einziger Lebenssinn. Der Rest war nur überflüssiges Chaos. Sie würde es lernen.