8
»Tierblut? Du bist dir ganz sicher?«, fragte Davy.
»Hundertprozentig«, bestätigte Monique. »Von welchem Tier konnte ich noch nicht bestimmen. Das erfordert zusätzliche Tests, aber ich war heute zu sehr mit Arbeit eingedeckt.«
»Hm, das ist interessant«, sagte Davy nachdenklich. »Wie viel schulde ich …?«
»Denk nicht mal dran«, fiel Monique ihm ins Wort. »War ja keine große Sache. Aber hättest du Lust, mir beim Abendessen zu erzählen, was du in letzter Zeit so getrieben hast?«
Davy zögerte. »Nun, eigentlich …«
»Sprich nicht weiter.« Moniques Stimme klang bedauernd, aber gutmütig. »Man kann einer Frau nicht zum Vorwurf machen, dass sie es versucht.«
»Danke, dass du das so schnell für mich erledigt hast«, sagte Davy. »Du bist wirklich …«
»Ein echter Kumpel. Ich weiß. Viel Spaß heute Abend, was auch immer du vorhast. Bis bald.«
Davy klappte das Handy zu und rollte auf seinen Parkplatz hinter dem Dojo, während seine Gedanken in einer Kombination aus Zuneigung und Bedauern bei Monique verweilten. Sie arbeitete als technische Assistentin in einem Kriminallabor und war eine ehemalige Klientin, deren treuloser Ehemann mit seiner Geliebten und dem gesamten Vermögen durchgebrannt war und Monique nur die beiden kleinen Kinder, eine Mietwohnung und fünfzigtausend Dollar Schulden zurückgelassen hatte. Davy hatte das selbstsüchtige Arschloch aufgespürt und es tief in die Tasche greifen lassen. Es war eines der wenigen Male, wo ihm seine Arbeit als Schnüffler pure, ungetrübte Befriedigung verschafft hatte.
Vielleicht hätte er wie Connor Polizist werden sollen. Das Problem war nur, dass er mit Regeln, Bürokratie, Politik und Machtspielen auf Kriegsfuß stand. Connor war in dieser Hinsicht duldsamer als er. Davy war nie wirklich ein Teamspieler gewesen – wohl eine Folge seiner seltsamen Erziehung.
Monique war eine attraktive Frau. Er hatte darüber nachgedacht, etwas mit ihr anzufangen, war über diesen Punkt jedoch nie hinausgekommen. Über das Nachdenken. Während er bei Margot keine zwei zusammenhängenden Gedanken mehr zustande brachte. Er funktionierte nur noch blindwütig impulsiv, als würde er mit geschlossenen Augen und durchgetretenem Gaspedal Auto fahren.
Er sah durch die Tür des Dojos. Seans rauer Kickboxkurs war in vollem Gang. Es klang mehr nach einem Straßenkampf oder einer wilden Party als nach Kampfsportunterricht. Davy ging weiter und öffnete die Tür zum Women’s Wellness Center nebenan.
Die weibliche Atmosphäre erschlug ihn fast. Pastellfarben, Pflanzen, die Obst- und Gemüsesäftebar, die Düfte, die von den Aromatherapieregalen in der New-Age-Boutique herüberwehten.
Seine Mieterin Tilda, die das Fitnesscenter leitete, kam mit einem strahlenden Lächeln in ihrem dunklen Gesicht hinter der Bar hervorgetänzelt. Sie verpasste ihm einen schmatzenden Kuss.
»Ich habe meine Miete gezahlt, Süßer, was verschafft mir also die Ehre deines Besuchs?«
Davys Blick verharrte auf Tildas feuchtem fuchsienrotem Lippenstift, und er überlegte, ob sie wohl einen Abdruck auf seiner Wange hinterlassen hatte. »Ich wollte nur sehen, ob Margot gerade da ist.«
Tildas schimmernde braune Augen weiteten sich in belustigter Spekulation. »Ja, das ist sie tatsächlich. Sie bringt nur noch eben Armer Bauch und Po zu Ende.«
»Kein Witz?« Er grinste.
»Toller Name, was? Hab ich mir selbst ausgedacht. Danach muss sie noch die abendliche Step-Stunde geben, dann ist sie fertig. Ich glaube, sie ist schon beim Cool-down. Sie wird in einer Minute rauskommen. Warum setzt du dich nicht an die Bar und lässt dir von mir einen Saft aus Weizengras, roter Bete und Limonen pressen? Der ist eine echte Energiebombe und hält dich am Laufen wie den Duracell-Hasen.«
»Nein, danke«, lehnte Davy hastig ab. »Mir geht’s bestens. Ich werde einfach warten.«
Wenige Augenblicke später verklang die Musik, und eine Gruppe dampfender, erschöpft aussehender Frauen strömte heraus. Margot war die Letzte von ihnen, bekleidet mit ihrem lilafarbenen Outfit, das ihren prachtvollen Körper wie eine zweite Haut einhüllte. Das Lila biss sich wie verrückt mit ihren grün-orange gestreiften Leggins.
Sie entdeckte ihn und blieb mit aufgerissenen Augen wie angewurzelt stehen.
Sein Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, dass seine Annäherungsversuche nicht nur unwillkommen waren, sondern sie sogar verschreckten. Er versuchte, ein nicht bedrohliches Lächeln aufzusetzen und sie nicht anzustarren, während sie auf ihn zukam.
»Hallo«, begrüßte sie ihn. »Was verschafft mir die Ehre?«
»Äh …« Sein Hirn streikte für eine peinliche Sekunde, bevor ihm der Grund seines Besuchs wieder einfiel. »Ich habe das vorläufige Ergebnis aus dem Labor. Es handelt sich um Tierblut.«
Ihre Brauen zuckten nach oben. »Wie bizarr. Es tut mir natürlich leid um das Tier, aber zum Glück war es kein … nun, du weißt schon.«
»Ja«, bestätigte er. »Der Reinigungsdienst sollte heute da gewesen sein. Sie haben mir versprochen, sich darum zu kümmern.«
»Danke, aber du hättest das nicht tun sollen. Ich hatte dich extra darum gebeten. Trotzdem war es sehr lieb von dir. Du bist ein Schatz.«
Davys Blick huschte zu Tilda, die gierig jedem ihrer Worte lauschte. »Ich habe mich gefragt, ob du mit mir zu Abend essen würdest«, sagte er. »Ich habe Steaks mariniert. Wahlweise könnten wir uns etwas vom Chinesen oder Inder oder worauf du sonst Lust hast, kommen lassen. Wir müssen besprechen, wie wir weiter vorgehen.«
Sie zog die Brauen hoch. »Oh, gehen wir denn weiter vor? Das wusste ich nicht.«
Ihr kühler Ton traf ihn. »Die Situation ist nicht akzeptabel.«
Margots Mund wurde schmal. »Du bist nicht derjenige, der sie akzeptieren muss. Hör zu, McCloud – ich meine Davy«, berichtigte sie sich. »Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, aber ich habe heute Morgen ein Blutbad vorgefunden und heute Nachmittag meinen Job im Restaurant verloren. Ich bin gelinde gesagt mit den Nerven am Ende. Darum versuch erst gar nicht, den Macho zu markieren.«
Tilde lehnte sich über die Theke. »Sei keine Idiotin!«, zischte sie. »Er bietet dir seine Hilfe an, und du machst ihm die Hölle heiß? Wie dumm bist du denn, Mädel?«
Margot wandte den Blick nicht von Davys Gesicht ab. »Til, du bist eine tolle Frau, aber das hier ist kompliziert. Also halt dich bitte raus!«
Davy atmete tief ein, um sich zu beruhigen, und kratzte all seine Geduld zusammen. »Würdest du bitte eine Minute mit mir nach draußen kommen?«
Sie guckte Tilda an. »Ich muss noch den …«
»Step-Kurs geben, ich weiß. Es dauert nur einen Moment. Bitte, Margot.«
Sie nickte. Davy folgte ihr aus dem Fitnesscenter zu dem überdachten Gang zwischen den Gebäuden. Margot biss sich auf die Lippe – sie war eindeutig nervös. »Ich habe nicht viel Zeit.«
»Lass uns einen neuen Versuch starten«, sagte er grimmig. »Wir waren gerade bei der dringenden Frage stehen geblieben, ob du Steaks, chinesisch, indisch oder thailändisch bevorzugst. Worauf hast du am meisten Lust?«
»Aber du hast mich erst gestern Abend zum Essen eingeladen«, protestierte sie.
»Du solltest nicht so viel Wind darum machen. Vor allem, da es eine reine Manipulationstaktik ist. Ich umgarne dich, damit du mir einen Gefallen tust.«
Ihre Augen wurden groß. Plötzlich hing eine greifbare Spannung in der Luft.
»Sei nicht so argwöhnisch«, fügte er rasch hinzu. »Es geht um einen harmlosen, jugendfreien Gefallen.«
Margot funkelte ihn an. »Nichts von dem, was du sagst oder tust, ist je harmlos oder jugendfrei, Davy McCloud.«
»Ich brauche eine Begleitung für die Hochzeit meines Bruders morgen«, platzte er heraus.
Ihr Mund klappte auf, und sie wusste mehrere Sekunden lang nicht, was sie sagen sollte. Sie hob die Hände, um die Röte auf ihren Wangen zu bedecken, und senkte gleichzeitig die Wimpern, um ihre Augen zu beschatten. »Du willst mich mitnehmen? Zu so einem Anlass?«
»Ich weiß, Hochzeiten können stinklangweilig sein, aber diese sollte recht unterhaltsam werden«, fuhr er hastig fort. »Sean allein ist schon ein echter Bühnenkomiker. Und Connor wünscht sich eine richtig wilde Party. Deshalb, na ja …«
»Eine Familienfeier?« Sie flüsterte fast vor Ungläubigkeit. »Mich?«
»So eine große Sache ist es auch wieder nicht«, beruhigte er sie. »Es ist eine nette Location. Das Endicott Falls Resort. Du müsstest einfach nur mit mir dort herumlaufen und gut aussehen. Wir würden uns unter die Leute mischen und für Getuschel sorgen, um die zukünftige Schwiegermutter meines Bruders davon abzubringen, mich verkuppeln zu wollen, denn das hasse ich. Du müsstest eventuell ein paarmal mit mir tanzen. Vorausgesetzt, du tanzt gern.«
»Ich liebe es zu tanzen«, wisperte sie.
»Großartig. Das ist doch toll. Du kommst also mit?«
Erschrocken registrierte er, dass in ihren Augen Tränen schwammen. »Du tust das nur, weil du mich im Auge behalten willst, stimmt’s?«
»Das ist eine positive Begleiterscheinung«, räumte er ein. »Aber ich brauche wirklich eine Begleitung. Sean wird mir überhaupt keine Hilfe sein. Er wird, sobald die Party in vollem Gang ist, unter einem Haufen strampelnder Brautjungfern begraben sein. Bitte, Margot!« Er zog ihre Hand an sein Gesicht und drückte einen impulsiven Kuss auf die Innenseite. »Zwing mich nicht, das allein durchzustehen.«
»Das ist unglaublich süß von dir.« Sie klang, als spräche sie mit sich selbst. »Danke, Davy.«
Der traurige, geistesabwesende Unterton in ihrer Stimme beunruhigte ihn. »Also?«, drängte er sie. »Du bist dabei? Abgemacht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein. Ich kann nicht …«
»Warum nicht?«
Sie presste die Augen zusammen. »Gott, bist du stur! Zum einen kann ich Mikey nicht allein lassen.«
»Bring ihn mit«, schlug er hastig vor.
»Zu einer Hochzeit? In einer noblen Hotelanlage?« Sie sah skeptisch aus. »Das ist nicht dein Ernst.«
»Dort gibt es bestimmt Zimmer, in die man Haustiere mitnehmen darf.« Er hatte keine Ahnung, ob ein solches Zimmer verfügbar war, aber er war zu jeder Art von Einschüchterung bereit, um eines verfügbar zu machen.
Margot schüttelte erneut den Kopf, doch dann kam ihm ein anderer Gedanke. »Es ist eine formelle Nachmittagshochzeit in einem Rosengarten. Ich bin einer der Trauzeugen, darum muss ich einen verdammten Smoking tragen. Falls du dir ein Kleid kaufen musst …«
»Sei still, bevor du noch etwas sagst, das wir beide bereuen würden.« Margots Ton war scharf.
Er schluckte den Rest seiner Worte hinunter. »Tut mir leid«, murmelte er.
»Nein, ich bin diejenige, der es leidtut. Danke, dass du mich gefragt hast. Es würde mir sehr gefallen, auf eine tolle Party an einem schönen Ort zu gehen, wo die Menschen ein glückliches Ereignis feiern. Ich wünschte wirklich, ich könnte dich begleiten, Davy, aber es geht nicht.« Als er den Mund öffnete, hob sie die Hand und runzelte die Stirn. »Frag mich nicht, warum. Du hast kein Recht, eine Erklärung von mir zu verlangen.«
Er bemühte sich, den roten Nebel zorniger Frustration zu vertreiben. »Wirst du dann wenigstens heute mit mir zu Abend essen?« Er artikulierte jedes einzelne Wort mit stählerner Ruhe.
Sie warf die Hände in die Luft. »Davy, bitte! Lass es dabei bewenden. Ich muss meine Stunde geben, anschließend muss ich Mikey abholen.«
»Ich habe einen Napf und eine Dose Hundefutter für ihn gekauft. Mikeys Hausmarke. Er ist natürlich zu der Party eingeladen. Das versteht sich von selbst.«
Margot blieb für einen Moment der Mund offen stehen, und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie sah ihn lange an, dann begann sie, hilflos zu lächeln.
Sie streckte die Hand nach ihm aus und streichelte ihm über die Wange. »Du hinterhältiger, manipulativer Mistkerl. Es fällt mir übrigens schwer, einen Mann ernst zu nehmen, in dessen Gesicht ein dicker, fetter Lippenstiftabdruck prangt.«
Seine Wangen wurden heiß. Er rubbelte mit den Knöcheln über die Stelle. »Besser?«, brummte er. »Kannst du mich jetzt ernst nehmen?«
»Ja«, sagte sie leise. »Und Steaks klingen super.«
Um Margot einen Gefallen zu tun, hatte Faris ihren Hund und seine Überreste loswerden wollen, bevor er ihr heute Abend einen Besuch abstatten würde. Er hatte überlegt, ihr den Hund zu lassen, um ihr die harte Umstellung zu erleichtern, doch bei gründlicherem Nachdenken hatte er erkannt, dass ein solch fauler Kompromiss ihr nicht wirklich helfen würde. Ein radikaler Bruch mit allem Vertrauten wäre auf lange Sicht besser. Er durfte nicht weich werden.
Schwäche hatte keinen Platz in der Welt, die sie bald schon bewohnen würde.
Sobald er sie angemessen mürbe gemacht hätte, würde er sie mit einem neuen Hund belohnen. Einem wertvollen, reinrassigen Tier, das ihrer Schönheit würdig war.
Er umkreiste den Gebäudeblock, der die Tierpension beherbergte, dann vergrößerte er seinen Radius. Die geeignete Person für diese Aufgabe würde sich schnell finden lassen. Er fuhr am Bürgersteig entlang, wo eine Gruppe junger Nichtsnutze in schwarzen Lederklamotten auf dem Boden herumlümmelte, bog um die Ecke und passierte sie ein weiteres Mal, um sie einer genaueren Musterung zu unterziehen. Er durfte vom Personal der Tierpension nicht gesehen werden, einer dieser wertlosen Taugenichtse hingegen schon.
Er wusste in der gleichen Sekunde, in der er sie entdeckte, dass sie die Richtige war. Ein zierliches Mädchen mit strähnigen weißblonden Locken, Gesichtspiercings und dunkel geschminkten Augen. Noch immer hübsch und noch nicht zu weit von ihrer behüteten Kindheit in der Vorstadt losgelöst, um gänzlich nutzlos zu sein. Er drosselte das Tempo und starrte sie an, bis sie hochsah und ihn bemerkte. Ihre Miene wurde eisig, und sie zeigte ihm den Mittelfinger.
Ihr blasses Gesicht war von derselben diffusen Totenschädelmaske überzeichnet, die er bei Joe Pantani gesehen hatte. Sie war die Auserwählte.
Faris kurbelte das Fenster nach unten und schenkte ihr sein unbedrohlichstes Lächeln. Er hatte das Glück, ein hübsches, sanftes Gesicht zu haben. Seinen starken, muskulösen Körper versteckte er unter weiter Kleidung, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Marcus hatte ihm einmal gesagt, dass er vom Hals aufwärts wie ein Buchhalter aussah. Obwohl seine Sehkraft perfekt war, trug er oft Metallrandbrillen, um diesen Eindruck zu verstärken.
»Entschuldigen Sie bitte?«, rief er ihr zu.
Sie stand auf und kam ihm schwankend entgegen. »Was wollen Sie?«
»Ich hätte einen Job für Sie, falls Sie Interesse haben.«
Sie schrak mit angewiderter Miene zurück. »Ich mache diese Scheiße nicht für Geld. Halt dich von mir fern, du Pisser!«
»Sie missverstehen mich. Es geht nicht um Sex«, versicherte er ihr. »Ich möchte lediglich, dass sie einen harmlosen Auftrag für mich erledigen. Er ist weder gefährlich noch schwierig und auch nicht illegal. Außerdem würde er höchstens fünf Minuten in Anspruch nehmen.«
Sie verzog argwöhnisch das Gesicht. »Warum sollte ich?«
Faris fragte sich gelangweilt, ob ihr die Ringe in ihrer Braue wehtaten, wenn sie so mürrisch dreinsah. Er wühlte in seiner Tasche, bis er das Tütchen Ecstasy fand, das Marcus ihm gegeben hatte.
Er hielt es hoch. Die Augen des Mädchens weiteten sich. »Ich kenne Ihre persönlichen Präferenzen nicht, aber die hier sind …«
»Allererste Sahne.« Sie streckte die Hand aus. »Geben Sie schon her! Ich mach’s.«
Er zog die Tüte zurück. »Noch nicht. Ich brauche Sie bei klarem Verstand. Sie bekommen sie danach.«
Sie schob die Hände in die Taschen ihrer kurzen Lederjacke und nickte ungeduldig. »Also? Was muss ich tun?«
»Ich möchte, dass Sie zu der Tierpension der Ecke Hardwick und Sorenson Avenue gehen. Sie werden dort einen Hund für mich abholen. Es ist ein kleiner schwarzer Pudelmischling. Sein Name ist Mikey. Sie müssen sagen, dass Sie Margot Vetters Nichte sind. Wiederholen Sie das.«
»Ich bin Margot Vetters Nichte«, sagte das Mädchen gehorsam.
»Sie holen den Hund heute früher ab, weil Sie eine Geburtstagsüberraschungsparty für Ihre Tante schmeißen«, instruierte Faris sie. »Bestehen Sie darauf. Seien Sie überzeugend und charmant.«
Angst loderte hinter dem Totenschädel auf, der das Gesicht des Mädchens überlagerte. »Was haben Sie mit dem Hund vor? Werden Sie ihm wehtun?«
»Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf«, blockte Faris ab. »Das ist für Sie nicht von Belang. Denken Sie einfach an …« – er schüttelte den Inhalt des Tütchens – »… die hier.«
Nachdem er sie wenige Blocks von dem Tierheim entfernt abgesetzt und seine Anweisungen wiederholt hatte, fuhr er weiter zu ihrem vereinbarten Treffpunkt, einem Parkplatz hinter einer gerade neu eingerichteten Baustelle.
Zwanzig Minuten später kam das Mädchen um den Maschendrahtzaun herum. Es hatte den Hund nicht dabei. Faris spürte, wie sich ein bleiernes Gewicht auf seinen Magen legte. Ein schlechtes Zeichen. Er stieg aus dem Wagen und stellte seine Frage mit einem einzigen Blick.
Das Mädchen reagierte defensiv. »Die haben gesagt, dass die Frau ihnen verboten habe, ihren blöden ollen Hund unter welchen Umständen auch immer von jemand anders als ihr selbst abholen zu lassen. Ich schwöre, dass ich alles versucht habe. Hab ’nen Riesenwirbel veranstaltet und behauptet, dass sie die ganze Party versauen würden und so weiter. Aber es hat nichts gebracht. Scheiße, Mann. Diese verdammten Trottel!«
»Ist schon in Ordnung.« Es überraschte Faris, dass Margaret ihn durchschaut hatte. Andererseits hätte er es wissen müssen.
»Und jetzt?« In ihrem Blick lag noch immer Hoffnung. »Es war nicht meine Schuld. Ich habe alles befolgt, was Sie gesagt haben.«
»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf«, sagte er milde. Er zog das Tütchen heraus und gab es ihr. »Hier, nehmen Sie es.« Er konnte es sich leisten. Marcus hatte Zugriff auf eine nie versiegende Quelle an Pharmazeutika.
Sie riss ihm die Pillen aus der Hand, fischte eine heraus und steckte sie sich mit der Verzweiflung einer verlorenen Seele in den Mund. So jung, und trotzdem war sie innerlich längst tot. Sein Überraschungsangriff würde ein Akt der Gnade sein, um sie davon abzuhalten, weitere Schande über sich zu bringen. Wie unendlich traurig. Für einen Moment liebte er sie fast. Er war nun ihre Erlösung. Ihre einzige Hoffnung.
Das Mädchen warf den Kopf nach hinten, schaute zu dem fahlen frühabendlichen Himmel hinauf, die Augen geweitet, und strahlte in erwartungsvoller Vorfreude. »Das wird so geil werden«, gurrte sie. »Oh Mann, ich liebe Sie.«
»Ich liebe Sie auch«, antwortete Faris und meinte es von ganzem Herzen.
Er traktierte mit der Fingerspitze drei Druckpunkte an ihrer Wirbelsäule. Seine peitschenartigen Bewegungen folgten derart schnell aufeinander, dass das Mädchen nur wimmern und röcheln konnte. Die Nadeln waren nicht nötig. Jede Situation erforderte ihre eigene Technik. Jedes Mal traf er sein Ziel sicherer. Der Tod selbst führte ihm die Hand. Er verstand sein Geschäft.
Das blonde Mädchen sackte auf die Knie, dann fiel es hin. Es rollte sich auf die Seite und formte ein schwarzes Lederkomma auf dem Boden, die Haare eine bleiche Flamme vor dem dunklen Staub und Geröll, die Augen aufgerissen und starr. Das Tütchen fiel ihr aus der Hand, und die Pillen verteilten sich auf der Erde.
Faris vergewisserte sich, dass sie ungestört waren, bevor er neben ihr in die Hocke ging. Geduldig und respektvoll hielt er bei ihr Wache, bis die Zuckungen einsetzten.
Er stand auf und überprüfte seine Fußabdrücke. Zum Glück war der Boden unter dem losen Geröll trocken und hart. Er verneigte sich kurz vor seinem zuckenden, japsenden Opfer.
Dann stieg er ins Auto und fuhr davon.