Seelennahrung
Den Zeitungsbericht hatte er fein säuberlich mit transparenten Klebstreifen an den Spiegelrahmen geklebt und zwar auf Augenhöhe, so dass er beim Vorbeigehen unausweichlich einen Blick darauf erhaschen konnte. Dass ER im Zentrum des Interesses stand, ja sogar die Titelgeschichte belebte, machte ihn stolz: Der Rummel um seine Person bedeutete ihm viel.
Sobald er wieder in Gedanken schwelgte, sandte ihm sein Magen lautknurrend Signale, und er erinnerte sich, wie er sich gierig über den zarten Hintern des Journalisten hergemacht hatte. Er hatte ihn optimal gegart, besser als er je zuvor die Hinterbacke zubereitet hatte. Das Essen war unglaublich lecker gewesen. Selten war ihm das Rezept so hervorragend gelungen wie dieses Mal. Gierig schlürfte er seinen Speichel im Mund zusammen und schluckte ihn allesamt runter. Ein Rülpser mit seiner prägnanten, physischen Äusserung rundete den gedanklichen Abstecher ab.
Allerdings war er alles andere als zufrieden mit dem Inhalt des Zeitungsartikels. Wenn man ihn so las, konnte man den Eindruck vermittelt bekommen, er wäre ein abgebrühter Mörder. Es waren alles Dilettanten, die Leute bei der Zeitung. Offenbar teilten sie seine Vorliebe nicht. Er war doch kein Monster! Im Gegenteil, er kannte keinen, der Menschen so liebte wie er selbst. Niemand musste sterben, ohne dass er ihm sein Einverständnis gegeben hatte. Sie wollten es doch genauso wie er. Auch der Journalist hatte es gewollt und war schliesslich freiwillig zu ihm auf den Hof gekommen. Er hatte ihnen nur dabei geholfen, ihren Willen zu bekommen. Das war seine bescheidene Sicht der Dinge. Er sinnierte noch eine Weile und löste sich dann vom innigen Betrachten seines überzeichneten Eigenbildes.
Es war der würzige Duft vom Chili con Carne, der ihn zurück in die Küche lockte. Er hatte sich einen Rest Hackfleisch vom Mund abgespart, um möglichst lange vom Journalisten-Fleisch zehren zu können. Seine heutige Mahlzeit hatte er mit viel Herzensfreude zubereitet. Das Rumoren in seinem Magen erinnerte ihn erneut an die Pflicht, den Tisch zu decken. Für besondere Anlässe wählte er das weisse Tischtuch. Sein Vater hatte ihm das Tuch mit den feinen Stickereien zur Volljährigkeit geschenkt, begleitet von den Worten, dass er nun auf eigenen Beinen stünde und die Tradition ehrwürdig fortsetzen werde. Auch der verzierte Teller gehörte auf die Tafel, genauso wie das silberne Besteck seines Grossvaters und der polierte Kelch für den Wein. Die Vorfreude auf das Dinner stieg mit jedem Handgriff. Er begann lustvoll sein Lied zu summen.
Nur noch wenige Minuten dauerte es bis zum Essen. Belustigt erinnerte er sich an den Scherz, den er sich mit dem älteren Kommissar erlaubt hatte. Zu gerne hätte er das Gesicht von Aemisegger gesehen, während der das Paket mit den Überresten des Journalisten öffnete. Wenn er schon nicht seine Freude mit ihm teilen konnte, so hatte er doch extra für ihn einige menschliche Requisiten zusammengestellt. Schön wäre es gewesen, wenn der Kommissar ihm Worte des Lobes ausgesprochen hätte. Seine Meinung wäre ihm ausserordentlich viel wert gewesen. Aemisegger war wie er: ein Held. Doch der Kommissar konnte oder wollte es nicht begreifen. Er war offenbar zu blöd, ihn zu finden. Von Aemisegger hätte er mehr erwartet, ganz im Gegensatz zu diesem Köppel. Der war etwa in seinem Alter oder jünger und viel zu naiv. Der konnte ihm längst nicht das Wasser reichen. Für eine Mahlzeit hingegen würde sich Köppel geradezu anerbieten.
Es war sein inniger Wunsch, Kommissar Aemisegger persönlich zu treffen. Er hatte ihn nach der Paketsendung auf dem Hof erwartet. Doch er war nicht gekommen. Also sah er sich gezwungen, dem Kommissar eine weitere Botschaft zukommen zu lassen und hatte sich mit den Überresten seines nächsten Opfers etwas Besonderes ausgedacht. Die Knochen und der Schädel schienen den Kommissar nicht aus der Verfassung gebracht zu haben. Etwas Markanteres musste her: ein Auge und ein Ohr zum Beispiel. Es war gar nicht so einfach gewesen, diese Körperteile für ihren Auftritt bereitzustellen. Als er das Auge auf dem Fenstersims hatte positionieren wollte, war es ihm mehrmals wieder auf den Boden gekullert und war schon leicht beschädigt, als er es endlich in die gewünschte Stellung brachte. Die Pupille war genauso platziert, dass man ihr beim Eintreten in die Waldhütte ins Auge sah. Beim Herabsenken des Blickes stiess man unweigerlich auf das Ohr. Gut hatte es ausgesehen, obwohl er wusste, dass er das Dekorieren nicht im Blut hatte. Er hoffte, dass ihn der Kommissar nach diesem Anblick nie mehr im Leben vergessen würde. Von weitem hatte er beobachtet, wie sich Köppel am Baumstamm hielt und sich wieder und wieder übergeben musste. Lustig fand er das. Köppel würde ihn nie verstehen. Die Idee war abgehakt.
Dass sein Kumpel Kusi für die Showeinlage hatte hinhalten müssen, blendete er vollends aus. Kusi hatte ohnehin ganz oben auf seiner Pendenzenliste gestanden, es war höchstens noch eine Frage der Zeit gewesen. Und da Kusis Fleisch mit dem Alter nicht mehr schmackhafter werden würde, hatte er die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Die Rechtfertigung, dass dieser ja schon tot gewesen war, als er sich mit seinen Überresten ein Spiel erlaubte, hatte ihn in der Sache bestärkt.
Was ihn störte, war das Herbeiziehen dieser Schnüfflerin. Ihr fehlte dieser Sinn für das Kostbare. Sie würde den Kommissar nur negativ beeinflussen. Das einzige, was sie konnte, war, sich einzumischen in Dinge, die sie nichts angingen.
Das Chili con Carne war fertig gekocht. Behutsam hob er den Deckel, roch noch einmal den köstlichen Duft des Gerichtes bevor er den Kochtopf vom Herd hob, ins Esszimmer trug und auf die feuerfeste Unterlage auf der gedeckten Tafel stellte. Zur Vorspeise hatte er das Herz zubereitet. Er liebte dieses ausgesprochen zarte Fleisch. So frisch; es war, als könnte er sein Pochen noch hören. Neben dem Herz liebte er ganz speziell das Hirn, das er jeweils als erstes verschlang. Hirn essen war eine Art Siegesfeier, und obendrein war es ein ganz besonderer Genuss.
Vom roten Saft hatte er sich die Tropfen aufgespart. Sein Menu für heute war angerichtet. Er band sich eine zweite Serviette um den Hals. Sein Tischgebet hielt er heute kurz, er konnte sich kaum konzentrieren. Vielmehr sprach er seinen Wunsch aus, Kommissar Aemisegger möge ihn doch sehr bald besuchen kommen. Wer weiss, womöglich liesse dieser sich von ihm bekehren und er würde ihn mit seinen Köstlichkeiten verführen. Er hoffte, Aemisegger würde das zu schätzen wissen.