Tour Efele
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Die öffentlichen Parks in Paris sind wunderschön, wie von Kinderhand gemalt - Wege, die sich durch üppig grüne Rasenflächen schlängeln, Blumenbeete, hier und da ordentlich geschnittene Bäume und in der Mitte ein Springbrunnen, in dem Modellsegelboote schwimmen, die an Schnüren gezogen werden.

Aber man darf den Rasen nicht betreten.

Als ich Marc zum ersten mal erzählte, dass ich nach Australien zurückwolle, weil ich es vermissen würde, bequem in Shorts und T-Shirt auf die Straße zu gehen und barfuß über Gras und Sand zu laufen, und weil ich ihm das Land zeigen wolle, in dem ich aufgewachsen war, sagte er: »Eh bien, on y va!« gut, lass uns fahren!

Damals waren wir drei Jahre zusammen. In dieser frühen Zeit in Frankreich gab es keine Probleme. ich hatte Heimweh, also brachte Marc mich nach Hause. Allerdings scheint mir, dass er sich nicht richtig überlegt hatte, wie weit Weg das war. Erst als wir angekommen waren, als wir begonnen hatten, uns in Australien häuslich einzurichten, und Arbeit gefunden hatten, wurde ihm das bewusst. Die Entfernung zwischen Australien und Frankreich war groß, nicht nur in Kilometern.

Bis dahin war ich die étrangère gewesen - die Frau mit dem Akzent, die komische Ausländerin, über die die Franzosen lachen mussten, wenn sie bestimmte Wörter aussprach oder sich erfolglos bemühte, das R richtig im Rachen zu rollen. Jetzt jedoch war Marc der Fremde. Und ich konnte ihm keine Familie bieten. Ich war ein ruheloses Wesen ohne Geschichte. Drei Jahre zuvor war meine Großmutter gestorben, und seitdem hatte ich mit meiner Mutter nicht mehr gesprochen. ich hatte ihr nicht einmal mitgeteilt, dass ich wieder in Australien war.

»Fehlt dir deine Familie?«, fragte ich ihn gelegentlich in dieser Anfangszeit.

»Non.« Er lächelte. »ich habe ja dich!«

Aber manchmal fragte ich mich doch, worüber Marc an den Abenden nachdachte, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, ihm die Anstrengung in sein junges Gesicht geschrieben stand und er beim Abendessen stirnrunzelnd ins Leere starrte. Ja, es war anstrengend, eine neue Sprache zu lernen und mit unserer australischen Lebensweise klarzukommen - zum Beispiel mit dem kumpelhaft zwanglosen Umgangston der neuen Kollegen.

In diesem ersten Jahr in Sydney wurde ich schwanger, schon nach wenigen Monaten, als hätte mein Körper bemerkt, dass ich zu Hause angekommen war. Und neben der reinen Freude verspürte ich bei dieser Neuigkeit auch Erleichterung. Jetzt konnte ich Marc etwas von meiner Familie anbieten, etwas von mir - jetzt konnten wir unsere eigene Familie gründen, selbst neu anfangen, mit diesem Baby.

»Epouse-moi, Annie!« Heirate mich, Annie!, sagte Marc, als ich es ihm erzählte. Die Schlichtheit seiner Worte ließ Schmetterlinge um unser ungeborenes Kind herumflattern, und auch mein Herz umflatterten sie wild, während wir unten am Tamarama Beach barfuß durch den Sand wanderten. Wir blieben stehen und schauten aufs Meer hinaus. Als Mädchen war ich hier geschwommen, hatte mit meinen Freundinnen getaucht, und wir hatten uns am Seetang festgehalten, während die Wellen über uns hinwegrollten.

»Heirate mich, Annie, heirate mich!«

Also sprangen wir am nächsten Tag in den Bus und fuhren in das Stadtviertel The Rocks, vorbei am Quay, an Fähren und Touristen, am Geruch nach Bratfisch und Hafen, zum Standesamt, um unsere Hochzeit anzumelden.

Geburten, Todesfälle und Eheschließungen. Bitte ziehen Sie eine Wartemarke!

Als ich auf den Knopf drückte, flüsterte Marc mir ins Ohr: »Aber zieh nicht die falsche Marke, Annie.«

Wir warteten auf blauen Plastikstühlen neben einem Paar mit einem Neugeborenen, bis unsere Nummer aufgerufen wurde. Wir mussten darüber lachen, wie einfach das alles war, und wir lachten auch noch, als die Frau hinter dem Schreibtisch uns erklärte: »Sie müssen mindestens einen Monat und einen Tag lang warten, bis Sie heiraten können - das ist so Vorschrift.«

Erst danach, als unser Aufgebot ordentlich gefaltet in meiner Handtasche steckte und wir wieder ins grelle Licht des australischen Sommers hinausgetreten waren und am Hafen entlanggingen, stellte Marc die Frage.

»C'est tout?« Ist das alles?

»Ja!« Ich lächelte, schob meine Hand in seine und küsste ihn fest auf die Lippen. »So einfach ist das!«

»Aber willst du deine Familie denn nicht einladen?«

Vor uns hielt ein Bus am Straßenrand, aus dem japanische Touristen herauskletterten. Sie versperrten uns den Weg, indem sie sich einer neben dem anderen am Geländer aufstellten, um sich vor der Hafenkulisse gegenseitig zu fotografieren.

»Welche Familie, Marc?«, fragte ich.

»Ta mère, non?«

»Meine Mutter?« Seine Frage erschien mir absurd.

Einen Monat und einen Tag später wurden wir auf dem Standesamt getraut - eine fröhliche Heidenhochzeit. Ohne meine Mutter.

Aber eines Abends, als wir zusammen im Bett lagen, ließ Marc die Hand über meinen runden Bauch gleiten und fragte wieder: »Mais Annie, tu ne veux pas le lui dire?« Willst du es ihr nicht sagen?

»Du verstehst das nicht«, antwortete ich und legte meine Hand fest auf seine. »Es ist anders als in deiner Familie. das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir ist nicht so.«

Danach erwähnte Marc sie nie wieder - jedenfalls nicht während meiner Schwangerschaft. Daher nahm ich an, dass er mich verstanden hatte.