7
Der Boden unter mir war kalt. Ich unterdrückte das Zittern und versuchte still zu halten, während ich überlegte, wo zur Hölle ich war.
Ach ja. In der Hölle.
Ich hielt meine Augen geschlossen und horchte. Ganz nahe sprachen tiefe Stimmen Englisch, wenn auch mit starkem Akzent. Das Scharren ihrer Stiefel auf dem Fußboden, das Scheppern und Ächzen ihrer Rüstungen, ihre schnaubenden und grunzenden Atemzüge und ihr Gelächter … Es waren mindestens zwei. Ganz schlecht.
Ich blinzelte durch ein Auge – eine Zelle. Auf allen Seiten Steinmauern, nur vorne ein Gitter. Die Wächter saßen direkt davor. Langsam, vorsichtig drehte ich den Kopf. Das war schwieriger als gedacht. Erstens, weil mein Schädel sich anfühlte, als wäre das Innere nach außen gekehrt. Die Beule auf der Stirn brannte wie Feuer. Zweitens, weil etwas um die untere Hälfte meines Gesichts gebunden war.
Oh. Gott. Ich trug einen verdammten Maulkorb.
Nun versuchte ich meine bebenden Hände zu heben. Aber meine Hände … Sie steckten in Lederfäustlingen, die fest an meine Arme geschnallt waren. Panik kroch in mir hoch, direkt ins Gehirn. Abrupt setzte ich mich auf.
Was ich eine Sekunde später bereute. Mein Blick trübte sich und in meinem Hirn pochte es. Ich lehnte mich nach vorne und würgte trocken. Zum Glück für mich als Maulkorbträgerin war mein Magen leer. Ich rollte mich zu einer Kugel zusammen und gab vor, wieder bewusstlos zu werden, verdeckte mein Gesicht mit den Lederfäustlingen, beobachtete aber durch einen Spalt die Wächter. Sie saßen an einem grob gezimmerten Holztisch in der Mitte eines Raums, der auf drei Seiten von Zellen gesäumt war. Gaslampen an den Wänden und an der Decke beleuchteten schwach den fensterlosen Saal. Ich erkannte drei Holztüren an der hinteren Wand.
Einer der Wächter merkte, dass ich mich rührte. Er rammte seinen Kumpan mit seinem fleischigen Ellbogen und schaute mich an.
Die beiden traten an meinen Käfig. Sie sahen wie Zwillinge aus. Ihre Gesichtszüge waren grob geschnitzt, auffallend war das ausladende viereckige Kinn, der kahlköpfige Schädel und die markante, wulstige Stirn direkt über den juwelenfarbenen Augen. Und anscheinend interessierten sie sich lebhaft für mich.
»Ich finde, es ist richtig süß, Bilal. Sind wir sicher, dass es ein Mazakin ist?«, sagte der mit den saphirblauen Augen. »Es stinkt nicht so wie die.«
»Nun ja, Hani«, antwortete Bilal, »das da hat es Amid ganz schön gegeben, was es in meinen Augen weniger süß und eher wie ein Mazikin aussehen lässt.«
»Wir wissen es genau, wenn Malachi mit ihm fertig ist«, mutmaßte Hani.
Bilal sah besorgt aus. »Weiß Amid, dass es wach ist?«
Hani warf einen Blick über die Schulter. »Noch nicht. Ich hatte gehofft, dass es bewusstlos bleibt, bis Malachi hier ist, dann hätte er damit fertig werden müssen.«
Wir sprangen alle drei vor Schreck auf, als eine der Türen aufkrachte. Noch ein Wächter – der, dem ich ins Knie gestochen hatte. »Ich habe gehört, Malachi wurde herbeordert«, dröhnte er.
»Amid, so ist der Ablauf. Wenn ein lebender Mazikin gefangen wird, müssen wir den Captain rufen«, entschuldigte sich Bilal.
»Ich werde es selbst befragen«, knurrte Amid. Er nahm einen Schlüsselbund von einem Haken an der Wand und klimperte daran herum. Als er den richtigen Schlüssel gefunden hatte, rammte er ihn in das Schlüsselloch an der Tür meiner Zelle.
Bilal legte eine Hand auf Amids Arm. »Verlier nicht die Kontrolle.«
Amid zog seinen Arm weg. »Ich werde es befragen. Ich wette, ich bringe es dazu, seine Geheimnisse zu beichten, bevor Malachi einen Fuß über unsere bescheidene Türschwelle setzt. Dann wird er sehen, wer hier die Kontrolle hat.«
Hani blickte zu Bilal und schüttelte den Kopf. »Holen wir uns was zu essen.«
Bilal wirkte empört, aber er sagte nur: »Malachi wird das nicht gefallen.«
Mir wurde bange, als sie durch eine der Türen den Raum verließen.
Amid riss die Tür zu meiner Zelle auf und trat vorsichtig ein. Ich blieb still liegen, aber das hilflose, ängstliche Zittern konnte ich nicht ganz unterdrücken.
»Gut«, gurrte Amid böse, »du bist wach.« Er kugelte mir fast den Arm aus, als er mich auf die Beine zerrte. »Gehen wir wo hin, wo wir reden können, nur du und ich.«
Amid zerrte mich aus der Zelle und schob mich vor sich her. Mir blieb nichts anderes übrig, als einen Fuß vor den anderen zu setzen. Mein Kopf tat höllisch weh.
Schraubstockartig umschlossen seine Pranken meine Arme. Erinnerungen quollen wie heißer Teer aus den hintersten Ecken meines Gehirns. Ich schüttelte den Kopf, ich brauchte jetzt jedes bisschen Verstand und Cleverness, um hier lebendig rauszukommen. Sofort stellte ich fest, dass es eine bescheuerte Idee war, den Kopf zu schütteln, wenn man sich gerade eine Gehirnerschütterung zugezogen hat. Als die Wellen der Übelkeit über mir zusammenschlugen, wäre ich beinah umgekippt.
Amid dirigierte mich grob zu der Tür links von uns, beim Öffnen legte er mir einen Arm um den Hals. Ein paar dieser zähflüssigen, klebrigen Erinnerungsblasen platzten und als er von hinten immer näher an mich herankam, schlug ich zu. Er trat hart gegen mein Steißbein. Ich landete auf dem rauen Betonboden, stand wieder auf, aber meine Wirbelsäule war völlig lädiert, gerade aufrichten konnte ich mich nicht. Der Boden sah plötzlich sehr einladend aus.
Ich wich bis an die hintere Wand zurück, während Amid auf mich zukam. »Wie gesagt, ich will nur mit dir reden«, erklärte er und streckte die Hand aus. »Ich nehme dir den Maulkorb und die Handschuhe ab und du bist ein liebes kleines Monster, okay? Entspann dich, Mazikin – ich gebe dir etwas, das du willst.«
Ich blieb ruhig stehen, während er meine Fesseln löste. Sobald ich frei war, wich ich zurück. »Danke«, nuschelte ich, als ich so viel Abstand wie möglich zwischen uns brachte. Der Raum war groß, aber nicht annähernd so groß, wie ich es mir gewünscht hätte.
»Wie geht’s deinem Bein?«, fragte ich und ließ den Blick über die Wände schweifen. Der einzige Ausweg war die Tür, durch die wir gerade gekommen waren. Amid grunzte anstelle einer Antwort und beobachtete mich halb amüsiert, halb hasserfüllt. »Und ganz nebenbei«, fügte ich hinzu, während ich mich zentimeterweise auf die Tür zu bewegte, »nur um das zu klären, ich heiße nicht Mazikin. Ich heiße Lela.«
Die meergrünen Augen verengten sich, er kniete sich hin, um das Jagdmesser aus der Scheide zu ziehen. »Nenn dich, wie du willst.« Sein Blick durchbohrte mich, als er das Messer über den Boden zu mir schob. »Also – versuch noch einmal nach mir zu stechen.«
Okay, scheiße.
Weil ich keine Wahl hatte, schnappte ich das Messer vom Boden. Ich fragte mich, ob es mich in den nächsten Minuten durchbohren würde. Das kam mir sehr wahrscheinlich vor.
»Ich dachte, wir wollten nur reden«, sagte ich mit einer, wie ich hoffte, freundlichen Stimme. »Es tut mir wirklich leid mit deinem Bein. Du hast mich überrascht. Überlebensinstinkt, weißt du. War nicht persönlich gemeint.«
Ich schob mich seitwärts voran, versuchte einen Weg zur Tür zu finden, der mich gleichzeitig nicht in Amids Reichweite brachte. Grunzlaute ausstoßend kam er näher. Verdammt. Dieser Typ wollte mich abschlachten und ich hatte keine Ahnung warum, außer vielleicht der Tatsache, dass ich ihm bei seinem ersten Mordversuch entwischt war. Es musste sich um eine Verwechslung handeln – er nannte mich Mazikin und ich hatte nichts mit diesen schwertschwingenden Fuzzis zu tun, die der andere Wächter getötet hatte. Ich duckte mich (teilweise weil ich gar nicht aufrecht stehen konnte) und mir wurde klar, dass es keinen Fluchtweg gab. Er war jetzt zwischen mir und der Tür.
Einen verrückten Augenblick lang überlegte ich, ob es ein Jenseits nach dem Jenseits gab. Wenn er mich tötete, wo würde ich dann sein? Ich war schon tot. War einmal sterben nicht genug? Was mich betraf, auf jeden Fall. Um meinen scheinbar unausweichlichen zweiten Tod etwas aufzuschieben, warf ich das Messer mit der Kraft der Verzweiflung.
Amid hatte meine tapfere Tat offensichtlich nicht vorhergesehen. Blöde verwundert sah er an sich hinunter auf das Messer in seinem Bauch.
Ich brauchte keine Sekunde, um zu sehen, dass die Wunde nicht tief genug war, um das verdammte Rhinozeros zu bremsen. Bevor er die Klinge herauszog, hinkte ich an der Wand entlang. Jeden Augenblick konnte die Klinge zwischen meinen Rippen stecken, aber mein Überlebenstrieb ließ sich nicht unterdrücken.
Er lachte. »Guter Trick, Mazikin. Aber ich hoffe, du hast etwas Besseres auf Lager.«
Wie ein mitleiderregender Krebs krabbelte ich an der Wand entlang. »Nö. Du glaubst mir wohl nicht, dass ich kein Mazikin bin?«
»Nö«, äffte er mich nach. Er versperrte mir mit zwei langen Schritten den Weg zur Tür und schleuderte das Messer in die entfernteste Ecke des Raums. »Wie wär’s, noch ein Versuch?«
»Nein.« Das kam nicht infrage.
»Zu schade.« Er boxte mich in die Seite und ich ging zu Boden. Verkrümmt lag ich da, all meine schlauen Worte waren vergessen. Unfähig zu atmen fragte mich, ob die zerschmetterten Rippen meine Lunge durchbohrt hatten. Amid packte meinen Knöchel und zog mich zu sich heran. »Steh auf, Mazikin.«
Tatsächlich versuchte ich ihm zu gehorchen, irgendetwas zu tun, damit er mich nicht noch einmal schlug. Aber ich war ihm nicht schnell genug. Er zerrte mich an den Haaren auf die Beine, drückte mich in die Ecke und beugte sich über mich. Sein heißer Atem weckte böse Erinnerungen.
Auf dem Bauch in der Dunkelheit liegend, das Gewicht seines Körpers drückt mich in die pinkfarbenen Laken.
Nein. Nicht wieder. Das wird nie wieder passieren. Meine Faust schoss hoch und traf Amids Nase, während ich mit der anderen Hand nach seinem Schlagstock griff. Ich zog ihn raus, als Amid zurücktaumelte, und nahm den Stock in die linke Hand, die rechte konnte ich nicht einmal mehr über die Schulter heben. Verzweifelt sprang ich auf den Wächter zu und verpasste ihm mit dem Stock einen Hieb ins Gesicht. Er brüllte vor Schmerz. Ich floh zur Tür und hatte sie gerade erreicht, als er angriff.
Ein einziges Mal schaffte ich es, um Hilfe zu rufen und gegen die Tür zu schlagen, bevor er mich packte. Er knallte meinen Kopf gegen die Tür und stieß mich gegen die nächste Wand. Ich schwang den Schlagstock, aber mir blieb die Luft weg. Sehen konnte ich auch nichts. Ich schlug nur wild und hilflos um mich.
Ich hörte die Knochen in meinem Handgelenk knacken, als er mir die Waffe aus der Hand drehte, aber den Schmerz spürte ich erst, als er mich wieder gegen die Wand drückte, die Arme hielt er über meinem Kopf fest.
Ich schrie um Hilfe, um Erbarmen, drohte mit Rache, Gesicht, Hüfte und Knie gegen die Betonsteine gepresst, in panischen Erinnerungen ertrinkend. Ich war da und zugleich woanders. Obwohl ich mich wehrte wie verrückt, war mein Gehirn gnadenlos – es registrierte einfach den unerträglichen Druck von Amids Körper, der mich gegen die Wand presste. Nein. Nein.
Hilflos versuchte ich ihn zu treten. Helle und dunkle Streifen zuckten vor mir auf. Mit seinen dicken Fingern packte er mich brutal an den Haaren und schlug meinen Kopf wieder gegen die Wand. Nun sah ich gar nichts mehr. Grunzlaute und Wimmern kamen aus meinem Mund, bis ich keine Luft mehr hatte. Amid zerquetschte mich förmlich, sodass ich nicht mehr atmen konnte. Mit dem Gesicht nach unten in den pinkfarbenen Laken, erstickend. Niemand wird meine Schreie hören.
Dann geschahen mehrere Dinge auf einmal, die ich erst später einordnen konnte. Die Tür des Raums splitterte und flog auf. Eine zornige Stimme ließ die Wände erbeben, sie brüllte: »Nein.« Der Druck, der auf mir lastete, war plötzlich verschwunden. Der Betonboden empfing mich wie einen lang verlorenen Freund. Metall traf klatschend auf Fleisch und Amid schrie laut auf vor Schmerz. Stimmen stritten in einer unverständlichen Sprache. Vielleicht war es Englisch, aber verstehen konnte ich nichts mehr.
Ich war zu sehr mit dem Sterben beschäftigt. Wieder einmal.