Nineteen

Ich faltete den Umschlag zusammen und ärgerte mich, dass ich wegen der Verabredung mit Alan Jeromes Einladung nicht angenommen hatte. Schlimmer noch, ich hatte Peter verprellt. Er hatte gesagt, er würde morgen nach Alaska zurückfliegen und ich würde ihn wochenlang nicht sehen können. Nach einem Streit sollte man sich versöhnen. Vielleicht gab es ja noch eine Chance.

Ich stopfte den Umschlag in die Handtasche und rammte mir dabei eine Kante unter den Daumennagel. Es war das Kärtchen mit dem Magnetstreifen zu Peters Hotelzimmer. ‘Ein Wink des Himmels, was sonst?’, dachte ich, während ich zwecks Schmerzstillung an meinem Daumen nuckelte.

Ich nahm ein Taxi zum Hyde Park Hotel, ging an der Rezeption vorbei, als wäre ich hier daheim – damit mich keiner fragen konnte, warum ich die Magnetkarte nach meinem letzten Besuch nicht abgegeben hatte – und blieb vor Peters Zimmertür erst einmal stehen. Ich fächelte mir mit dem Kärtchen Luft zu und sammelte mich innerlich. Jetzt galt es, keinen Fehler zu machen, keinen Streit zu provozieren, keine Knoten in die Haare zu fabrizieren und keinen Schluckauf zu bekommen.

Ich klopfte zaghaft, dann schob ich das Kärtchen in den Schlitz, wartete auf das Aufleuchten der grünen LED und das Klicken des Schlosses, zog das Kärtchen wieder raus und erstarrte, als ich seltsames Gekeuche und Gequieke hörte, das von mehreren Personen zu kommen schien.

‘Ruhig Blut’, sagte die Stimme meiner Vernunft, die ich so selten zu hören kriege, dass ich sie kaum erkenne, wenn sie sich mal meldet. ‘Bestimmt sieht er sich gerade etwas auf dem Pornokanal an. Machen das nicht alle Männer, wenn sie allein im Hotel sind?’

Ja, wenn sie allein sind, machen sie das. Aber Peter war nicht allein. Als ich die Tür weit genug geöffnet hatte, dass ich das Fußende des Betts sehen konnte, schauten zwei Paar Füße unter der Decke hervor. Ich linste um die Ecke. Doreen war bei Peter, oder vielmehr unter ihm. Genau wie damals Cathy, nur deutlich lauter.

Ich zog die Tür so leise wieder zu, wie ich sie geöffnet hatte. Kein Grund, eine Szene zu machen. Alles wird gut. Oder zumindest konnte es nicht wesentlich schlimmer werden, als es schon war.

So schnell war Peter mir wieder untreu geworden.

Eine halbe Stunde später war ich immer noch völlig durch den Wind, aber wenigstens war ich daheim, wo ich mich mit Löffi im Bett zusammenkuscheln und in mein Kissen weinen konnte. Dachte ich. Doch dann empfingen mich ähnliche Geräusche wie im Hotel. Mit vor Schreck geweiteten Augen tappte ich an Jills Zimmer vorbei in meins. Die Wand war zu dünn, um den Schall zu dämmen. Sie wackelte sogar, oder bildete ich mir das ein? Jill und Javier kannten jedenfalls keine Hemmungen.

Ich packte frische Unterwäsche, eine Bluse, Zahnbürste, Kamm und anderen lebensnotwendigen Kram in eine Sporttasche, setzte Löffi obendrauf und ging. Ich wusste nur noch nicht, wohin.

Georgina’s B&B? Das lag zu nah an Peters Hotel. Das Salsa!? Nach Tanzen war mir überhaupt nicht zumute. Da stand ich nun, im kälter werdenden Abend, in einer Luft, die nach Regen und ausgewaschenem Staub roch, und war heimatlos. Sabine war zu weit weg, um mir zu helfen. Aber ihr tüchtiger Cousin sonstwievielten Grades, der war ja hier. Und falls er nicht daheim war – kein Problem, ich hatte einen Schlüssel. Ob es Hausfriedensbruch war, wenn ich außerhalb meiner Arbeitszeit Jeromes Haus betrat?

Solche Erwägungen wurden zweitrangig, als der Regen mit solcher Heftigkeit herunterzuprasseln begann, dass ich nass bis auf die Haarwurzeln bei ihm ankam. Erleichtert sah ich, dass im Haus Licht brannte, und klingelte Sturm. Jerome erschien fast augenblicklich. Ohne mich mit Fragen zu bedrängen, ließ er mich herein und zeigte mir, wo die Dusche und frische Badetücher waren.

“I’ll put your bag in the guest room. It’s the second door on the right.” Jerome stopfte Löffi noch schnell in den Trockner, bevor er mich im Bad allein ließ – ein sauberes UND aufgeräumtes Bad, wie ich anmerken möchte. Jerome war so erfrischend geradlinig und authentisch. Womöglich war er der Außerirdische, nicht Alan, denn Doreens These zufolge sind ehrliche Kerle die Ausnahme.

Ich streifte mir den Bademantel über, der an der Tür hing. Er war aus dunkelroter Seide. Ich versuchte, mir Jerome darin vorzustellen. Ich hatte noch nie einen Mann gekannt, der Bademäntel aus Seide trug. Die meisten bevorzugten robusten Frottier. Peter fand Bademäntel sogar gänzlich unmännlich.

Ich holte Löffi aus dem Trockner und drapierte ihn auf dem Kissen im Gästezimmer. Die Gästezimmer, die ich bisher gesehen hatte, waren Räume von der Art, die Besucher schnellstmöglich wieder aus dem Haus jagen sollten. Triste Kammern, in denen alles herumstand, was sonst im Haus keinen Platz hatte, mit einem zwischen Bügelbrett und Skiausrüstung eingezwängten Bett mit knubbeliger Matratze. Jeromes Gästezimmer war geräumig, das Bett gut gepolstert, die Gardinen farblich auf die Tapete abgestimmt.

Da ich heute noch kein vernünftiges Abendbrot bekommen hatte, ging ich in die Küche. Jerome stellte gerade eine Terrine auf den mit Suppentellern gedeckten Tisch. “Would you like some homemade chicken soup?”

“Yes, please.” Ich saß schon am Tisch, den Löffel einsatzbereit in der Hand.

Jerome schöpfte mir Suppe in den Teller. “Be careful, it’s hot.”

Während ich die Suppe löffelte, begann ich mich langsam wieder wie ein Mensch zu fühlen.

Jerome beobachtete mich besorgt. “If Alan hurt you, I’ll go and strangle him.”

“No, he didn’t hurt me. He turned out to be an alien, that’s all.”

“Ah, I see. Not that it would surprise me. I mean, the way he danced – as if he were still learning to use his legs.”

“You’re so sweet.” Ich lächelte ihn dankbar an. “Really, I’ve never known anyone like you. With you, I’d feel at home anywhere in the universe.”

Jerome hatte fertig gegessen. Er legte den Löffel in den Teller und sah mir in die Augen. “Then why are you still looking so sad and confused? It can’t just be Alan.”

“No, it’s Peter. He and Doreen – well, you know – they – ” Unvermittelt brach ich in Schluchzen aus.

“You mean he slept with Doreen?”

“Yes. It was my fault really. I should have agreed to see him tonight. I’ve been very rude to him lately.”

“No, it’s not your fault at all.” Wieder einmal bekam ich einTaschentuch von ihm gereicht. “If a man really loves awoman, he’ll put up witha lot more than a few rude words.”

Ich schnäuzte mich und wischte die Tränen weg. “You put up with a lot from your ex-wife, right?”

Der Blick, mit dem er mich ansah, war unergründlich. “Time to go to bed, don’t you think?” Er stand auf und begann, den Tisch abzuräumen.

“Now that you mention it, I’m exhausted.” Ich gähnte ausgiebig. “Thanks for – well, for everything.”

My pleasure. Sleep well. And if you need to talk or just need a shoulder to cry on, you can always knock on my bedroom door.”