Five

Die erste Krise in meinem Zusammenleben mit Doreen und Jill bahnte sich drei Tage später an, an einem Freitagabend, als ich von einem absolut katastrophalen Vorstellungsgespräch zurückkam. Es war wirklich fürchterlich verlaufen, und um ehrlich zu sein, kannte ich auch den Grund: Ich hätte meinem potenziellen Arbeitgeber mein Zeugnis lieber nicht zeigen sollen.

To whom it may concern

This letter is in reference to Amanda Bauer. She started work here at TruTrans as a translator of instruction manuals and worked with us in that capacity for three years.

Her translations showed her amazing creativity. During Amanda’s time with us I worked with her closely and found her to be easygoing and cheerful.

Amanda is leaving us because family matters made it necessary for her to move. I wish Amanda the best for her future. I also hope she never gets the hiccupsagain.

Please do not hesitate to contact me for further details of Amanda’s capabilities.

Yours faithfully,

Cathy Truman

Director

TruTrans Munich

Wie ich bei der Gelegenheit erfuhr, bedeutete das im Klartext:

Amanda Bauer never improved her skills. Her translations were too flowery. She likes to party and doesn’t take her work seriously. Some weird things happened while she was here.

Mit so einem Zeugnis kriegt man nicht mal einen Job als Zugführer auf dem Kinderkarussell. Ich wünschte mir von Herzen, Cathy würde von einem Eisbären gefressen.

Als ich heimkam, hockte Jill im Schneidersitz auf der Couch und tippte eine ihrer Kolumnen in ihren Laptop, den sie auf den Knien balancierte. Wenn sie arbeitete, durfte man sie nicht stören, aber ich brauchte dringend Trost und Zuspruch, darum fragte ich: “Where’s Doreen?”

“She’s got a date with a guy called Norman.”

Ich hatte Doreen als leidenschaftliche Männerhasserin kennen und lieben gelernt. Woher die Sinneswandlung? “You must be joking.”

Jill sah kurz auf. “Don’t worry, it’s for her thesis. She’s doing research, so to speak.”

Aha. “What’s for dinner?”

“Whatever you want to make. I haven’t got time to cook, I have a deadline to meet.”

Da war sie, die ultimative Krise. Ich sollte für Jill kochen!

Jill und Doreen aßen immer abends warm, weil sie spät und üppig frühstückten, das Mittagessen wegließen und nachmittags zum Tee nur ein paar Ingwerkekse vertilgten. Abends wurde dann richtig geschlemmt.

Ingwerkekse sind übrigens nicht etwas, das man isst, sondern etwas, das man sich antut. Erst schmecken sie wie ganz normale Kekse, leicht krümelig und süß, bis sich ein Hauch vonCitrusaroma entfaltet. Man ist gerade so weit, zu sagen: “Hm, yummy”, da werden die ahnungslosen Geschmacksnervenmit Schärfe bombardiert, dass einem die Augen tränen.

“I can’t cook”, gestand ich Jill, die inzwischen wieder wild auf die Tastatur einhämmerte. “Couldn’t we get something from the Chinese takeaway round the corner?”

No way, I’m on a diet. It’s pineapples for me this week. I’m sure you can cook something with pineapple.”

Ja, dachte ich, Toast Hawaii und Spaghetti Hawaii, und trollte mich hinter die Küchentheke, um mich nützlich zu machen, oder zumindest so zu tun als ob. Ich öffnete den Vorratsschrank und fand Ananasdosen en masse. Mein verzweifelt suchender Blick fiel auf eine Tube Currypaste und eine angebrochene Schachtel Ingwerkekse.

Eine halbe Stunde später servierte ich Jill “Ingwer-Ananas-Curry an Beutelreis”. Sie stürzte sich heißhungrig darauf – und blieb wie durch ein Wunder am Leben. Ein zähes Volk, die Briten. Ich holte mir lieber beim Chinesen um die Ecke eine Frühlingsrolle.

Doreen kam kurz vor Mitternacht heim, als Jill, Löffi und ich bei einem Schlaftrunk hockten und beratschlagten, wie ich trotz Cathys niederschmetterndem Arbeitszeugnis einen Job als Übersetzerin finden könnte.

Doreens Verabredung schien ein voller Erfolg gewesen zu sein, denn sie strahlte und kicherte und trank ein Glas Wein in einem Zug leer. “It was great. Fantastic. It was so fantasticI don’t have words to describe it.”

Adieu, du friedliches, männerfreies WG-Leben! Norman wird hier übernachten, seine schmutzige Wäsche anschleppen, Doreen zum Quieken bringen und sich über Löffi lustig machen.

“Was it that bad?”, fragte Jill kichernd.

Ich kapierte nicht, wie sie das meinte.

Doreen sagte: “It was an absolute catastrophe. Exactly the kind of nightmare date I needed for my thesis.”

Ein Felsbrocken fiel mir vom Herzen. Kein Norman, kein Quieken. Die Welt war wieder in Ordnung.

“Tell me all about it.”

Doreen wärmte erst mal den Rest Ingwer-Ananas-Curry auf, weil sie nach dem anstrengenden Abend mit Norman eine Stärkung brauchte. “Delicious.”

Ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus. Ob ich es in England zum Drei-Sterne-Koch bringen könnte? Ich sah mich schon mit Jamie Oliver im Fernsehstudio. Ganz England schwärmte von Spaghetti Hawaii, während Cathy sich im fernen Alaska mit zähen Elchsteaks begnügen musste.

First”, sagte Doreen, nachdem sie den Teller abgeschleckt hatte, um von der leckeren Sauce nichts zu verschwenden, “Norman took me to a film. A horror film. What a way to start a date! It was really horrible. Afterwards he asked me if I’d like to go to a restaurant, but I said no because I’d lost my appetite. I’m sure that was his intention from the start because he looked very pleased about it.”

Jill und ich waren angemessen schockiert über so viel Unverfrorenheit.

“I suggested we go to his house”, fuhr Doreen fort. “I wanted to get to the main test quickly. We sat on the sofa sipping wine, and he started to touch me all over. I pretended I liked it – in fact, I probably overdid it a little because I got the hiccups.”

“How awful.” Mir wurde ganz heiß vor Mitgefühl. “I’m terribly scared of getting the hiccups. I have to drink gallons of water to make it stop. Did Norman help you?”

“I bet he didn’t even notice. He didn’t stop kissing me, and his hands quickly found their way up my shirt. Norman is a perfect example of a totally self-centred man. But it gets worse. His cat Rembrandt threw up on the carpet, next to my feet. Norman carried on as if nothing had happened.”

Jill wurde blass. “You didn’t let him go all the way, did you?”

Auch ich sah Doreen aufmerksam an und fragte mich insgeheim, ob sie mit ihren Forschungen nicht manchmal einen Schritt zu weit ging. Doreen grinste breit, als habe sie meine Gedanken erraten.

“Of course not. I’m very good at getting out of these situations. All in all, it was a very successful evening.” Sie rieb sich die Hände. “Men are so useless.”

Darauf stießen wir erst mal an, obwohl ich ehrlich zugeben muss, dass ich Männer nicht gänzlich nutzlos finde. Immerhin war ich mit einigen doch ein bisschen glücklich gewesen, wenn auch nur für kurze Zeit. Ein männerfreies Jahr täte mir auf jeden Fall gut, um endlich einen Blick dafür zu entwickeln, welcher Mann echte Qualitäten hatte. Bisher war ich nämlich recht blind in meine Beziehungen hinein- und wieder herausgestolpert.

Das Telefon klingelte. “I hope you didn’t give Norman our number”, sagte Jill, ehe sie das Gespräch annahm.

Das ging an Doreens Ehre, wie unschwer zu erkennen war. “I wasn’t born yesterday”, schnarrte sie pikiert. “I wouldn’tgive a man my phone number if my life depended on it.”

Aber Jill hörte gar nicht mehr zu. “Oh, it’s you, Steve. Hi.” Sie verschwand mit dem Telefon in ihrem Zimmer, woraufhin ich endlich Gelegenheit hatte, Doreen von meinem völlig misslungenen Bewerbungsgespräch zu erzählen.

Wenige Minuten später erschien Jill im Türrahmen, leichenblass, hyperventilierend, das Telefon in der zitternden Hand. “I got two tickets”, hauchte sie, sank auf die Couch und gab nur noch japsende Laute von sich.

Mit Atemübungen brachte Doreen Jill wieder zur Ruhe.

Bei ‘Tickets’ dachte ich erst mal an Strafzettel, aber weder Doreen noch Jill besaßen ein Auto. “What’s the matter? What’s the deal with the tickets?”

Doreen warf mir einen ihrer ‘Typisch: Männer!’-Blicke zu. “It’s about Alan Rodnick.”

Bei der Erwähnung des Namens wurde Jill wieder ganz hektisch. Ich überließ ihr Löffi, der für seine beruhigende Wirkung berühmt ist. “Who’s Alan Rodnick?”

“He’s an actor”, hauchte Jill. “He’s the best. He’s one of a kind. I love him.” Sie drückte Löffi an ihre Brust. “And he doesn’t even know I exist.”

“Well, maybe he read your review”, sagte Doreen.

“Which review?”

“Myreview of Hamlet in a Hamlet, the play he wrote and directed himself”, sagte Jill. “Alan also plays the lead role.”

Hamlet in a Hamlet? Weird.”

“It’s a pun, you see. Hamlet is the name of Shakespeare’s most famous hero, but ‘hamlet’ also means ‘small village’.”

“Hamlet in a small village.” Irgendwie erschloss sich mir nicht, was daran so prickelnd sein sollte.

Doreen kramte durch einen Stapel Zeitschriften und fand die aktuelle Ausgabe eines Theatermagazins. “Here, take a look.”

Ich las Jills Kritik.

Hamlet in a Hamlet

Reviewed by Jill Connolly

‘To See or Not to See’

In Hamlet in a Hamlet, Alan Rodnick, the much-loved romantic hero of Housewife Alert, stars as a lost soul. The start of the play is as magnificent as the deeply emotional conclusion. In this exciting study of a man torn between faith and doubt, Rodnick speaks his lines with an excellent sense of timing.

Written and directed by Alan Rodnick himself, Hamlet in a Hamletis a masterpiece.

Rodnick found a new approach to old clichés and stereotypes and left no stone unturned to find the perfect answer to Hamlet’s famous question: “To be or not to be.”

Rodnick gives an overwhelming performance,showing Hamlet in all his joy and suffering.

The humour of Rodnick’s script adds to the inner momentum of the play. Don’t miss this excellent work of great emotional honesty.

Was für ein Geschwafel. Es wurde nichts gesagt, und doch war es eine fantastische Lobeshymne. Genau so hätte ich mir mein Arbeitszeugnis gewünscht. “Jill, would you write a new reference for me?”

“I could try.”

Thanks a million. The play must be really great. How many times have you seen it?”

“I haven’t seen it at all because it’s almost impossible to get tickets. It’s sold out for years in advance.”

“You wrote the review without seeing the play?”

“Sure, a lot of critics do it. It doesn’t matter as long as the review is well-written and based on the information that the production company sends out. I’ve only seen Alan Rodnick once so far, a year ago, in Housewife Alert. Now I’ve finally got tickets for Hamlet in a Hamlet. A friend has tickets for Friday night, but he’s ill. So the tickets are all mine now. In only two days, I’ll see Alan on stage again! I’m going to die of excitement. Doreen, I hope you haven’t got a date on Friday already.”

Jill hatte Löffi derart platt gequetscht, dass ich ihn aus ihren Händen befreite, an den Schlenkerbeinen packte und wieder in Form brachte.

Doreen schüttelte entschieden ihre roten Locken. “Date or no date, I’m not going to do that again. You’re a clever girl, Jill, to only fall in love with men who are unavailable. You’ll never be disappointed. I admire you. But I’m definitely not going with you. Once was enough.”

“What’s so bad about going to the theatre to see a great play?”, wollte ich wissen.

“The problem’s neither the theatre nor the play, but the stage door. When we went to see Housewife Alert, Jill insisted on waiting for Alan at the stage door, so she could get his autograph.”

“I don’t mind waiting”, sagte ich. “If you want me to, I’ll go with you.” Wann bekam man schon mal gratis Theaterkarten für Londons bestes Theaterstück?

Jill war nahe daran mich abzuküssen. “Would you really do that for me?”

“Sure, no problem.”

Doreen sah mich erstaunt an und drückte meine Schulter, als zöge ich in eine verlustreiche Schlacht.