Nine

Nach dem Sonntagsfrühstück breitete ich meine sämtlichen Outfits auf dem Bett aus und stellte fest, dass nichts davon für ein Date mit einem Theaterstar edel genug war.

Jill schaute rein. “Mandy, could you ...” Da sah sie das Durcheinander. “You aren’t moving out again, are you?”

Mist, ich hatte mal wieder vergessen, dass man erst nachdenken und dann handeln sollte. Ich hätte mit Alan nicht verabreden dürfen, dass er mich abholt, denn nun würde Jill mitbekommen, dass ich ein Date mit ihrem Schwarm hatte. Ich mochte Jill sehr und wollte auf keinen Fall ihre Gefühle verletzen. Nun musste ich damit rausrücken, aber ich formulierte es so positiv wie möglich.

“Well, Jill, what would you say if you had another chance to see Alan Rodnick face to face?”

Ihre Augen wurden groß. “Have you got theatre tickets?”

“No, um, actually ...” Ich zögerte. “He’s coming here. You can open the door and say hello to him if you want to.”

Jill ließ sich rückwärts auf meine ausgebreiteten Klamotten fallen. “He’s coming here? You mean right here, to our house? But why would he do that?” Dann dämmerte es ihr. Sie setzte sich auf. “You called him. Oh, Mandy!”

Jill platzte fast vor Eifersucht, als ich ihr erzählte, dass er mich zum Essen ausführen würde, auch wenn sie tapfer versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie wich mir die nächste halbe Stunde nicht von der Pelle und bestand darauf, dass ich mir alles merken musste, was Alan sagte. Jede noch so kleine Nuance seiner Bewegungen sollte ich ihr anschließend detailgetreu wiedergeben.

“Look”, sagte ich, als es mir zu viel wurde, “why don’t you go instead of me?”

Sofort nahm sie ihre unruhig wühlenden Finger von einer Seidenbluse und trat den Rückzug zur Tür an. “Oh, no no no. I’d never be able to survive a date with Alan Rodnick. It would be too exciting for me. And I can’t date anyone at all at the moment because of my diet. What would he think if I put on my blindfold as soon as the first course arrived?” Und weg war sie.

Ich entschloss mich nach einigen Anproben, wieder das rote Kleid zu tragen. Damit hatte ich beim Vorstellungsgespräch schließlich Glück gehabt. Rot ging immer, wenn man nicht gerade Cathy Truman war und in der Farbe aussah wie eine überreife Flaschentomate.

Ich brauchte zehn Minuten für mein Make-up und eine halbe Stunde, um sämtliche Knoten aus meinen Haaren herauszukämmen, die ich im Laufe des Morgens vor Aufregung hineingezwirbelt hatte. Am liebsten hätte ich Löffi mitgenommen, aber ich war keine vierzehn mehr und das war nicht mein erstes Date, auch wenn ich mich fühlte, als würde ich völliges Neuland betreten. Ein Schauspieler! Der Schwarm von abermillionen Frauen! Und selbst wenn es nur tausend waren, immerhin war Alan Rodnick nicht irgendjemand.

Dummerweise spukte in meinem Hinterkopf immer noch Peter herum, vor allem seit ich wusste, dass er bald nach London kommen würde. Da war so ein Hauch von Sehnsucht in mir, ein Bewusstsein von Verletzlichkeit und eine daraus resultierende Abwehrhaltung nicht nur Peter, sondern sämtlichen Männern gegenüber.

Ach, warum musste alles so kompliziert sein? Sabine schaffte es doch auch, immer schön eine Beziehung nach der anderen zu haben, sauber voneinander getrennt, ganz ohne Eifersuchtsdramen und Nervenzusammenbrüche.

Um zehn vor zwölf saß ich abmarschbereit auf der weißen Ledercouch im Wohnzimmer und starrte in den Flur, wo Jill die Wohnungstür bewachte.

Doreen, die gerade Geschirr abtrocknete, sah über die Theke zu mir herüber. “You’re fiddling with your hair again.”

Schnell faltete ich meine Hände im Schoß.

“You and Jill are making such fools of yourselves. I bet Alan Rodnick is a womanizer.”

Laut Doreen war jeder Mann ein Schürzenjäger, darum nahm ich ihre Warnung nicht allzu ernst.

Ich fuhr zusammen, als es klingelte. Jill drückte geistesgegenwärtig auf den Summer und zog die Tür auf. Da stand er, der Mann mit den nachtblauen Augen, in unserem unscheinbaren Hausflur!

Ich erhob mich und stolperte auf dem Weg in den Flur fast über die Ecke des Couchtischs.

“Oh, it’s Jill, isn’t it?” Alan deutete eine Verbeugung an. “Nice to see you again.”

Ich war inzwischen unfallfrei an der Tür angelangt.

“He remembers my name”, hauchte Jill mir zu.

“Hello, Mandy.” Alan lächelte mich an. “I hope you enjoyed the play.”

Dazu fiel mir außer ein paar Ausflüchten und Notlügen wie “quite nice” oder “not bad” nichts ein, darum hielt ich den Mund.

Jill, die sonst in Alans Gegenwart kaum zum Atmen fähig war, spulte herunter: “I found the opening magnificent and the end deeply moving. I was totally captivated by the claustrophobic atmosphere. You found a new approach to old clichés and gave an overwhelming performance.”

Alan grinste. “What a coincidence. Some stupid critic said exactly that. I bet the idiot never even saw the play.”

Eine erschreckende Wandlung ging mit Jill vor. Gerade noch hatte sie gestrahlt wie frisch vermählt. Jetzt wurden ihre Lippen schmal und die Farbe wich aus ihren Wangen. “If you say so”, presste sie hervor und rauschte davon.

Ich war soeben Zeuge geworden, wie jemand sich spontan entliebte.

Mir war sowohl Alans als auch Jills Benehmen entsetzlich peinlich, so als wäre ich für beide dem jeweils anderen gegenüber verantwortlich.

Ich wartete, bis Jill außer Hörweite war, obwohl es natürlich sein konnte, dass sie hinter der Wohnzimmertür lauschte.

“Why did you offend her?”

Alan zuckte die Schultern. “Did I? All I said was that she was quotinga silly review.”

“She wrote the review.”

“Oops.” Er zeigte mir sein hinreißend spitzbübisches, schiefes Grinsen. “It’s just that sometimes it’s so obvious that a critic wrote a review without seeing the play. Shall we go now?”

Ich war angenehm überrascht, als Alan sich wie ein ganz normaler Mensch mit mir auf den Weg zur U-Bahn machte. Er hatte überhaupt keine Allüren. Womöglich überschätzte ich seinen Ruhm aber auch. Schließlich war er kein Hollywood-Star sondern ein hart arbeitender Theaterschauspieler, von denen es in London tausende gab.

“Where are we going?”

“I’ll take you to Porters, a restaurant in Covent Garden. They do good, simple, traditional English food.”

Good, simple, traditional. Bei diesen Worten entspannte ich mich, denn erlesene Lokale verunsichern mich wegen des vielen Bestecks und der seltsam anmutenden Menü-Kombinationen, gegen die mein Ingwerkeks-Curry sich geradezu nach Hausmannskost anhört. Außerdem bin ich mir oft nicht sicher, ob ich die Garnitur mitessen darf. Einmal hatte Peter mich in ein Drei-Sterne-Restaurant eingeladen. Der Nachtisch war mit Blattgold verziert. Als ich sagte: “But I can’t eat metal!”, fand er das höchst amüsant.

“I go there every Sunday because of their Sunday Roast Special”, fügte Alan hinzu.

“Sounds good.” Er führte mich gewissermaßen in sein Stammlokal. Das war eine sehr persönliche Geste.

Der erste Eindruck, den ich von Porters bekam, war zwar nicht überwältigend, aber es roch unheimlich lecker. Trotz der unsäglich hässlichen rot-grünen Blockstreifentapete, den schlichten Holztischen und Stühlen mit niedrigen Lehnen aus spillerig gedrechselten Holzstäben, strahlte das Lokal eine gemütliche Atmosphäre aus.

Wir bestellten; dann wiederholte Alan die Frage, von der ich so sehr gehofft hatte, dass er sie inzwischen vergessen hatte. “What did you think of Hamlet in a Hamlet?”

Na gut, wenn er es unbedingt wissen wollte! “I didn’t like anything about it. It was confusing, boring, and all in all I wasn’t very impressed. And the red wig you wear is ridiculous.”

Er wirkte kein bisschen zerknirscht. “Thanks for your honesty. I know it’s a play that people either love or hate, nothing in between.”

Der erste Gang war eine Suppe: “White onion and cider soup.” Absolut köstlich.

Ich genoss das Essen schweigend, aber Alan redete fast ununterbrochen. Ausführlich erzählte er mir von seinen sämtlichen bisherigen Stücken und wie die Kritiker darauf reagiert hatten.

In der Wartezeit auf den nächsten Gang sah ich mir die Fotos an der Wand neben unserem Tisch näher an.

“These are all celebrities who are regulars here.” Alan deutete auf die gegenüberliegende Wand. “There’s also a photo of me.”

Etwas eingebildet war er ja schon, aber er hatte auch allen Grund dazu, wenn man seine Erfolge bedachte.

Wer ich war und was ich beruflich machte, schien ihn allerdings überhaupt nicht zu interessieren. Hatte ihm niemand beigebracht, dass Frauen auf Männer stehen, die gut zuhören können?

Der Hauptgang war ein Gedicht: “Honey cider glazed roast chicken, with apricot stuffing.”

Alan füllte unsere Weißweingläser nach. Das Date entwickelte sich merkwürdig. Während Alan mir haarklein schilderte, wie sein erstes Casting abgelaufen war, schaltete ich auf Durchzug und überlegte, was hier nicht stimmte. Es fehlte der Flirtfaktor. Da saß ich mit Londons meistangehimmeltem Theaterschauspieler, dessen Augen zum Dahinschmelzen waren, bei einem köstlichen Mittagessen und fühlte mich absolut austauschbar.

Nachdem die Teller abgeräumt worden waren, ergriff ich die Gelegenheit, etwas zu sagen, weil Alan tatsächlich mal für zwei Sekunden den Mund hielt. “I almost became an actress, too. But I had a bad experience.”

“If a bad experience stopped you from becoming an actress”, sagte Alan in geradezu strengem Ton, “then you didn’t really want to become one.”

“Oh, but my first performance was a disaster”, versuchte ich, mein prägendes Erlebnis zu erzählen.

“So was mine”, unterbrach er mich.

“Oh, was it?”, entgegnete ich säuerlich, weil es ihm schon wieder gelungen war, sich zum Mittelpunkt der Unterhaltung zu machen. Doch dann kam der Nachtisch und mir wurde warm ums Herz beim Duft von “Apple and blackberry pie”.

“Absolutely horrible”, fuhr er fort. “I walked onto the stage and the next minute I fell and grazed my knee. I started crying like a baby. Someone carried me backstage. I criedall the way home.”

“How old were you when that happened?”

“Four.”

Wider Willen musste ich lachen.

Wir tranken jeder noch einen Kaffee und gingen. Bis jetzt wusste Alan von mir nichts außer meinem Vornamen und meiner Adresse.

“Thanks for the fantastic lunch”, sagte ich.

“I knew you’d like it.”

Passender wäre gewesen: “I enjoyed your company”, oder “Thanks for coming.”

Alan Rodnick konnte wohl nur mit den Augen flirten, nicht mit Worten.

“Why don’t we go back to my place to talk some more?”, sagte er, und ließ seinen Blick auf mich wirken.

Beinahe hätte ich gesagt: “You mean youwant to talk some more and Ishall listen some more.”Zum Glück wurde mir rechtzeitig bewusst, wie zickig das klingen würde.

Dann, ganz plötzlich, streckte er eine Hand aus, legte sie in meinen Nacken und zog mich zu sich.

Wenn ein Mann, der überhaupt kein Interesse an seinem Gesprächspartner gezeigt hat, so unvermittelt zu Phase Zwei übergeht, dann wirkt das eher schockierend als erotisierend. Ich entzog mich der Berührung und machte zwei hastige Schritte rückwärts. Dass ich dabei gegen ein am Straßenrand geparktes Auto stieß, nahm mir den letzten Rest von Romantik.

“I’ll find my own way home”, stammelte ich, drehte mich um und floh, enttäuscht und verwirrt.

What a pity”, meinte Doreen, nachdem ich ihr ausführlich von meinem Date erzählt hatte. “Why didn’t you go home with him? I bet he would have treated you like a prostitute.”

Unglaublich, Doreen hatte wirklich immer ihre Dissertation im Kopf. Laut sagte ich: “That’s an experience I don’t want to have, thank you very much. Not even with an actor.”

Im Grunde dachte ich nicht, dass es wirklich so schlimm geworden wäre. Auf der Heimfahrt hatte ich bereits umgeschwenkt und mir Vorwürfe gemacht, dass ich mich so prüde angestellt hatte. Vielleicht hatte Alan gespürt, wie sehr ich für ihn schwärmte, und hatte instinktiv darauf reagiert, indem er mich küssen wollte. Was wäre daran so schlimm gewesen? Es gab schließlich deutlich Schlimmeres, als geküsst zu werden. Mehr noch: Was war mir entgangen? Vielleicht der aufregendste Kuss meines Lebens!

Jill hatte die ganze Zeit schweigend gelauscht und sich mit Rotwein bekleckert, weil sie wissen wollte, ob sie mit verbundenen Augen nicht nur weniger aß, sondern auch weniger trank. “He’s an idiot”, sagte sie.

“He’s got the most amazing eyes I’ve ever seen”, verteidigte ich Alan.

Doch Jill war gnadenlos in ihrer Entliebtheit. “I bet he wears tinted contact lenses. Nobody has eyes like that. Next time you see him, take a close look at his eyes.”

Ich schüttelte niedergeschlagen den Kopf: “I’m afraid there won’t be a next time.”