Eighteen
“You’ve never had a one-night stand? →Shame on you.”
Wir saßen bei einer Kanne Tee im Wohnzimmer und Doreen las mir mal wieder die Leviten. Was war ich auch so leichtsinnig, ihr immer haarklein zu erzählen, wie mein Tag verlaufen war und was ich am Abend vorhatte? Eines hatte ich allerdings wohlweislich ausgelassen: Peters Auftauchen bei Jerome.
“A one-night stand is an experience every woman should have at least once in her life. It makes life easier!”, dozierte Doreen.
“Why?”
“Because it’s the perfect →cure for romantic →myths.”
“Like what?”
“Like: you can make a man fall in love with you by telling him he’s the best lover you ever had. Believe me, it never works.”
“It worked for me”, mischte sich Jill ein, lachte und steckte sich eine Praline in den Mund, ohne sich die Augen zuzuhalten. Sie hatte allen Diäten abgeschworen und sah hübscher aus denn je. Da sah man mal wieder, dass dieser ganze Diätenwahn vollkommen überflüssig war. Gutes Essen macht nicht nur glücklich, es macht auch schön. Meine Rede. “I’m going to the Salsa!to meet Javier tonight. Does anyone want to come along?”
Ich schüttelte den Kopf. “I told you that Alan’s sprained his ankle. I have to go and see him at home.”
“And I’m definitely not a dancer”, sagte Doreen. “My muscles still ache from last time.”
Jill und ich gingen anschließend gemeinsam zur U-Bahn. Ich stieg eine Station später aus als sie. Alan wohnte in der Nähe der National Gallery, nicht weit vom Embankment. Ich sah zur Themse und dachte mit einer gewissen Wehmut an den Lunch Cruise mit Peter. Es hätte der Beginn eines soliden Lebens sein können.
Als ich im zweiten Stock vor Alans Wohnungstür stand, fragte ich mich herzklopfend, wie ich wohl auf seinen Anblick reagieren würde. Würden die nachtblauen Augen noch wirken?
Kurz darauf war ich klüger, und die Antwort lautete eindeutig ‘Ja’. Sein Lächeln verwandelte meine Kniegelenke in zart schmelzende Schokolade. Zu allem Überfluss nahm er mich auch noch in die Arme. “Mandy, my →sweetheart.”
Ich konnte mir nicht helfen, aber es klang zu einstudiert. Meine Knie nahmen wieder ihre knöcherne Struktur an und trugen mich sicher ins Wohnzimmer. Alan humpelte hinter mir her. “Could you bring the food and drinks?”
Ich war noch damit beschäftigt, den Anblick des Wohnzimmers zu verdauen. Was für eine Unordnung! Ich bin ja selbst kein Sauberkeitsfanatiker, aber ich mache mir, bevor ich Besuch bekomme, wenigstens die Mühe, alles, was herumliegt, in Schubladen zu stopfen. Hier konnte man nicht mal sagen, in welchem Stil das Zimmer eingerichtet war und ob sich unter den Bücherbergen und den wie Kunstobjekte anmutenden Arrangements aus Tellern und Kaffeetassen Antiquitäten oder Billigmöbel aus dem Mitnahmemarkt verbargen.
Dann sah ich die Bilder: Men – Männer – Hommes und so weiter, in Riesenlettern, überwiegend Pastelle. “Vivian Eastwood”, sagte ich. “These are works from her early years when she wasn’t yet established as an artist and only worked with plurals.”
“→Incredible. Are you an →expert?”
“On men or art?”
Er lachte und deutete den Flur hinunter. “The kitchen is down there.”
Die Küche war vom Design her nüchtern und vom Allgemeinzustand her ein Fall für die Intensivstation. Von der Arbeitsfläche aus Edelstahl blitze nur hier und da ein Fleckchen durch. Ich fand im Kühlschrank eine Flasche Weißwein, eine Ecke Käse und zwei überreife Tomaten. Auf dem Toaster lag eine Packung Cracker. Als Notverpflegung war das gerade noch akzeptabel. Wir aßen von Papptellern, wobei Alan ungeniert aufs Sofa krümelte.
“Mandy”, sagte er zufrieden, “you’re a very special person, do you know that?”
“In what way?”
“In every way. You’re sweet and →unusual.”
Er streichelte meine Haare und ließ ein paar Crackerkrümel darin zurück. Ich merkte, dass ich auf einen Lachkrampf zusteuerte, weil er sich so krampfhaft bemühte, verführerisch zu sein, und dabei alles falsch machte.
Es gibt einige Dinge, die bei mir Schluckauf verursachen, aber am zuverlässigsten passiert es, wenn ich das Lachen unterdrücke. Das fiel mir leider erst ein, als es zu spät war und ich zu hicksen begann, gerade als Alan eine Hand nach meinem obersten Blusenknopf ausstreckte.
“Oops”, machte ich, während ich seine Hand energisch weg schob. “Sorry. Can I – hic – use your bathroom? I promise not to →flood it.”
“Flood it?”
“Ah, that’s a long story – hic.”
Und dann trollte ich mich.
Im Bad war alles vollgemüllt mit Waschlappen und Schmutzwäsche. Der Nassrasierer lag mit den Klingen nach oben am Waschbeckenrand. Ich hielt meinen Mund unter den Wasserhahn und ließ mich vollgluckern, bis das Hicksen endlich aufhörte.
Dann lehnte ich keuchend am Waschbecken und fragte mich, ob Alans Schubladen und Schränke so voll waren, dass er keine Möglichkeit hatte, Ordnung zu halten. Ich riss die beiden Türen des hohen Badezimmerschranks auf und fiel fast in Ohnmacht. Ordentlich gestapelte Hand tücher, farblich sortierte Waschlappen, nach Größe aufgereihte Pflegemittelflaschen, ein Stapel verpackter Seifen, ein Fön mit aufgewickelter Schnur. Alles sauber und mit viel Platz dazwischen. Im Spiegelschrank dasselbe Bild: Ordnung und Übersichtlichkeit. Die Wattepads in einem Spender!
Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich räumte die Waschlappen und den Rasierer vom Waschbecken. Es war frisch geputzt. Kein Haar, keine Kalkflecken. Den Unterschied zwischen einem sauberen und einem schmutzigen Waschbecken erkannte ich inzwischen auch, so wie jede anständige Hausfrau.
Nachdem ich die Toilettenschüssel, die Dusche und die Wäschetonne inspiziert hatte, war klar: Alan war ein Muster an Sauberkeit und Ordentlichkeit. Die Unordnung war nur oberflächlich. Womöglich hatte er, bevor ich kam, schnell ein paar Sachen verteilt, um den Eindruck von Unordnung zu erwecken. Was für ein Aufwand, und das mit seinem schmerzenden Knöchel. Es war widersinnig.
Vielleicht zog ich auch die falschen Schlüsse. Ich schlich durch den Flur am Wohnzimmer vorbei in die Küche und sah mir den Geschirrstapel in der Spüle genauer an: es handelte sich um sauberes Geschirr. Auch die Töpfe, Pfannen und Messer, die auf der Arbeitsplatte herumstanden, wiesen nicht die geringste Spur von Essensresten auf. Ein kurzer Blick in ein paar Oberschränke machte endgültig klar: Alan war das genaue Gegenteil von schlampig, versuchte aber krampfhaft, diesen Eindruck zu erzeugen.
War an ihm außer den blauen Augen überhaupt etwas echt?
Ich hörte seine Stimme im Wohnzimmer, und als ich wieder im Flur war, sah ich etwas, das mich in Rage brachte, so plötzlich und unvermittelt, dass ich mir nicht mal mehr die Zeit nahm, ihn den “biggest cheating idiot on this planet” zu schimpfen, bevor ich aus der Wohnung stürmte. Genug war genug: Alan hatte telefoniert und war, mit dem Hörer am Ohr, im Zimmer auf und ab spaziert. Ohne auch nur die Spur eines Humpelns!
Keine fünf Sekunden später hatte ich das Haus verlassen.
Ich ging zum Embankment und starrte eine Weile ins Wasser. Flüsse sehen im Dunkeln immer zugleich verheißungsvoll und bedrohlich aus, genau so widersprüchlich wie Männer.
Alan bestand nur aus Lügen, die keinen Sinn ergaben. Ich würde Doreen alles erzählen und sie um eine psychologisch fundierte Diagnose bitten. Ich setzte mich auf eine Bank unter einer Straßenlaterne und erstellte als Diskussionsgrundlage – und auch, um mich abzuregen – auf einem Umschlag, den ich in meiner Handtasche fand, eine Liste möglicher Erklärungen für Alans Verhalten.
1. He’s →impotent, but he’s trying to →keep up appearances by pretending he’s doing his best to →seduce women.
2. He loves being an actor so much he can’t help acting in his private life, too.
3. He was traumatized by a fan who →stalked him, and now he’s scared to death and can’t help behaving oddly.
4. He has seduced so many women that he’s starting to get bored and tries a new approach every time, simply to make it more interesting.
5. He thinks he’s so boring that he has to add some →mysterious behaviour.
6. He’s a →member of a →sect with →bizarre →rules, e.g. “It’s a →sin to admit you can dance.”
7. There are two Alans – →twin brothers. They take turns at livinghislife,whichis confusing because they look the same but have completely different →characters.
8. He suffers from →multiple personality disorder. One of his →personas can dance. Another can’t. One is →tidy . Another isn’t, and so on.
9. It’s a typical case of sexual immaturity.
10. Someone told him German girls liked mysterious men, so he →put on a show just to please me.
11. He’s →punishing me for saying I didn’t like Hamlet in a Hamlet.
12. He’s a terrible liar and just can’t help it.
13. He was a woman in his →former life and never really →got over it.
14. He’s →homosexual but hasn’t →come to terms with it yet.
15. He’s taking →medication with weird →side effects.
16. He was exposed to Vivien Eastwood’s art as a child, which →permanently →damaged him.
17. He’s not even real. He’s just a →figment of my imagination.
18. I’m not real. I’m a figment of someone else’s imagination.
19. Nothing is real, except Peter, Alaska and ice hockey. All the rest is something God made up just for fun.
20. Alan is an →alien trying to →adapt to life on earth.
Der letzte Punkt überzeugte mich. Alan war ein Außerirdischer. Kein Mensch hat solche Augen!