Eight

Mit Liebe auf den ersten Blick ist nicht zu spaßen. Damit habe ich schon hinreichend schlechte Erfahrungen gemacht; das letzte Mal mit Peter.

Es war der Morgen danach, also: nach dem Theaterabend, nach der schicksalhaften Begegnung mit Alan Rodnick, nach dem BLICK. Seine Augen schienen mich immer noch anzusehen, als ich aufwachte und schwach vor Entzücken daran dachte, wie er seine Visitenkarte für mich signiert hatte. Wo hatte ich sie überhaupt hingetan?

Ich fand sie nach einigem Suchen und Herumwühlen in meiner Handtasche und las, was er geschrieben hatte. “Dear Mandy, Please call me if you like. Kisses, Alan.”

Ach du Schreck, deshalb war Jill auf dem Heimweg so schlecht drauf gewesen. Ich hatte ihr die Karte zu lesen gegeben, ohne sie mir selbst näher anzusehen. Jill kam wahrscheinlich gerade um vor Eifersucht. Ihr großer Schwarm wartete auf meinen Anruf. Ich bekam feuchte Handflächen. Aber ich würde ihn natürlich nicht anrufen. Auf gar keinen Fall. Und wenn, dann nur, um ihm zu sagen, dass ich mir eine Auszeit genommen hatte, ein männerfreies Jahr, um emotional zur Ruhe zu kommen. Dann würde er mich schon mal nicht für so eine Art Groupie halten.

Oder verpasste ich da eine riesige Chance?

“Mensch, Löffi, sag doch was! Bin ich gerade dabei, genauso überstürzt auf ein paar schöne Augen reinzufallen, wie ich damals auf Peters Stimme abgefahren bin? Wird Jill mir je verzeihen, wenn ich mit Alan ausgehe?”

Löffi ließ sich geduldig drücken, aber weiterhelfen konnte er mir auch nicht. Ich würde mich langsam vortasten müssen, ohne überstürzte Entscheidungen zu treffen.

Als ich zum Frühstück runterkam, fand ich Doreen in ein Psychologiemagazin vertieft und Jill in einem seltsamen Zustand vor. Also wie jeden Morgen, wenn Jill mit ihren Diätvorsätzen rang, nur dass sie heute außerdem eine schwarze Augenbinde trug und die Fingerspitzen voller Marmelade hatte.

Is something wrong with your eyes?”

Sie schleckte ihre Finger ab. “Oh, hi, Mandy, good morning. I’m starting a new diet today.” Sie tastete nach dem Croissant auf ihrem Teller. “It’s a behaviouristic diet.”

Ich nahm eine Scheibe Toast und beschmierte sie großzügig mit Butter. “What does that mean?”

“A behaviouristic diet is not about whatyou eat, but howyou eat. Eating with a blindfold is the latest trend. The idea is that when you can’t see what you’re eating, you’ll eat less.”

“And you make a horrible mess”, meinte Doreen grinsend. “Mandy, you’re lucky that you weren’t here when she was trying to eather scrambled eggs.” Sie legte die Zeitschrift beiseite undbeäugte mich kritisch. “Jill told me you showed all the symptoms of being madly in love last night.”

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. “Me? No way. I admit I was impressed by Alan Rodnick, but that was all.” So hoffte ich, Jills Eifersucht etwas abzumildern.

“He signed his business card for her.” Jill schob die Augenbinde hoch und sah mich fragend an. “Can I tell Doreen what he wrote?”

“He asked me to call him”, sagte ich möglichst beiläufig. “He must think I’m some kind of groupie.” Ich schenkte Tee ein und überlegte, wie ich möglichst geschickt das Thema wechseln konnte.

Das Telefon rettete mich vor weiteren Nachfragen. Doreen reichte mir den Hörer, nachdem sie sich gemeldet hatte. “It’s your friend from Germany.”

“Ich muss dich unbedingt warnen”, sagte Sabine ohne große Vorrede. “Wappne dich für einen großen Schock.”

Der Schreck fuhr mir in die Glieder. Jerome Constantine hatte es sich anders überlegt und brauchte nun doch keine Assistentin, jedenfalls nicht so eine wie mich, die über keine vernünftigen Referenzen verfügte. Was sonst?

“Worum geht es?”

“Um Alaska-Peter. Er hat vorhin angerufen und wollte unbedingt deine neue Adresse haben. Ich habe sie ihm natürlich nicht gegeben, aber er wird sich bestimmt so lange durchfragen, bis er sie hat.”

Große Erleichterung. Mein Arbeitsplatz war nicht in Gefahr. “Ach so, na ja, vielleicht will er mir einen Brief schreiben und sich entschuldigen. Wenn er noch mal anruft, sag ihm ruhig die Adresse.”

“Von wegen Brief schreiben. Er kommt Mitte nächster Woche für ein paar Tage geschäftlich nach London und will dich besuchen, um dich um eine zweite Chance zu bitten.”

“WAS?! Auf gar keinen Fall. Ich will Peter nie wieder sehen.”

“Das habe ich ihm auch gesagt. Aber ich wollte dich trotzdem warnen.”

Brave, tüchtige Sabine.

Fünf Minuten, nachdem ich aufgelegt hatte, sank mein Blutdruck wieder auf Normalniveau. Diese Unverfrorenheit! Erst betrog er mich mit Cathy und dann dachte er, er könnte mir gleich ein zweites Mal das Herz brechen.

Doreen legte das Messer ordentlich über den Teller und rückte im Aufstehen ihre Bluse zurecht. “I have an appointment with my thesis supervisor. See you later.”

Jill wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. “Could you clear the table, Mandy? I have to go into town to do some research.”

“Sure, have a lovely day”, sagte ich geistesabwesend. Die Frage, die mich beschäftigte, war: Hatte Peter überhaupt eine Chance, mir noch mal das Herz zu brechen? War ich nicht gerade dabei, es an Alan Rodnick zu verlieren?

Um das herauszufinden, musste ich Alan anrufen, und wenn es mich noch so viel Überwindung kostete. Ich war zwar nicht übermäßig schüchtern, aber ich hatte noch nie einen Schauspieler angerufen.

Ich wartete, bis ich die Wohnungstür zufallen hörte, dann holte ich das Telefon und starrte es so konzentriert an, als wolle ich eine Bedienungsanleitung dafür entwerfen. Schließlich nahm ich es mit auf mein Zimmer, wo die Visitenkarte mich vom Nachttisch her anzuspringen schien. Ich drehte sie hin und her, las die Adresse, versuchte mir vorzustellen, was Alan gerade machte, wurde meiner Verzögerungstaktik langsam müde und tippte die Nummer ein.

“Hello?”, meldete sich Alan.

“Hi, this is Amanda Bauer.” Ob das Zittern in meiner Stimme verführerisch klang oder einfach nur unsicher?

“Who?”

Meine Kehle wurde eng. Was in Gottes Namen tat ich da? Ich hörte mich sagen: “You signed your business card for me last night.”

“Ah, now I remember. I’m glad you called, Mandy.”

In die folgende Stille hinein konnte ich nur leise seufzen. Was sollte ich jetzt sagen? Warum gab er mir kein Stichwort? Ich versuchte es mit Höflichkeit. “I hope I’m not interrupting anything.”

“Not at all. I just got up; I was about to get into the shower.”

Sollte das heißen, er war nackt? Wenn ich das Jill erzählte! Was ich natürlich nicht tun würde, um sie nicht unnötig zu quälen. Und Doreen schon gleich gar nicht, sonst waren meine Tage in dieser WG gezählt. Was ich gerade machte, widersprach ihren sämtlichen Prinzipien. Ich lief Alan ja regelrecht nach.

Ich schwieg, weil mir nur unpassende Bemerkungen einfielen.

“Well, hm, Mandy”, sagte Alan endlich, “would you like to have lunch with me tomorrow?”

Hoffentlich führte er mich nicht in eines dieser erlesenen Lokale, in die man nur reinkommt, wenn man drei Generationen vorher einen Tisch reserviert hat. Das wäre eine Nummer zu groß für mich. Womöglich würden uns Paparazzi auflauern. Sabine hatte gesagt, ich bräuchte einen zuverlässigen, treuen, liebevollen, häuslichen, soliden Mann. Alan hatte bestimmt an jedem Finger fünf Frauen.

Trotz meiner tausend Bedenken sagte ich: “Yes, I’d like that very much.”

“I’ll come and pick you up around midday.”

Ich gab ihm meine Adresse, wünschte ihm frohes Duschen und legte kopfschüttelnd auf.

“Have a nice shower”, sagte ich kopfschüttelnd zu Löffi. “Hast du schon mal so einen Quatsch gehört? Dieser Kerl ist für meinen Verstand ja noch verheerender, als Peter es war.”