Der Name Ute Scheub stand ganz oben auf der Liste der Menschen, die ich für mein Projekt »Nachkriegskinder« zu interviewen wünschte. Es interessierte mich, etwas über die Auswirkungen ihrer 2006 veröffentlichten Vatersuche zu erfahren. Dahinter stand, platt ausgedrückt, die Frage: Hat sich für sie der ganze Aufwand |173|überhaupt gelohnt – vor allem der emotionale Aufwand? Wobei mir klar ist, dass Söhne und Töchter, die Familiengeheimnisse aufzudecken versuchen, in der Regel nicht die Wahl haben, es zu tun oder zu lassen. Sie tun es, weil sie nach einer längeren Phase der Unentschiedenheit merken: Sie können gar nicht anders. Häufig drücken sich die inneren Konflikte in Träumen aus, wovon auch Ute Scheub nicht verschont blieb.
Mir träumte, ich würde eine glitschige Kellertreppe hinuntersteigen, immer tiefer ins Dunkel, bis ich an eine geschlossene Tür gelangte. Eine Art Stahltür, doppelt dick und dreifach gesichert. Eine Tresortür oder Bunkertür. Ich wollte nachschauen, was sich dahinter verbarg. Ich wusste: etwas unaussprechlich Entsetzliches. Alles um mich herum stank, moderte und faulte. Ich hatte grauenhafte Angst, die Tür zu öffnen. Aber ich wollte es. Schließlich überwand ich mich und versuchte, die Türklinke hinunterzudrücken. Die Tür war verschlossen. Plötzlich spürte ich die Anwesenheit meines Vaters in meinem Rücken. »Das ist verboten!« schrie er. »Hau ab hier! Das geht dich gar nichts an!« Und ich floh, so schnell ich konnte.25
Am Telefon sagte mir Ute Scheub, mehr als eine Stunde könne sie nicht einplanen, da sie am nächsten Morgen mit der Familie in die Ferien aufbreche, sie sei einfach nur urlaubsreif. Doch während unseres Gesprächs im Sommer 2010 in Berlin wirkt sie auf mich überhaupt nicht abgekämpft und auch nicht verschattet durch die Geschichte ihres Vaters. Da sitzt eine Frau von Mitte fünfzig, sie trägt ein Sommerkleid, sie freut sich auf das Naheliegende, auf den Urlaub, und hat doch nichts dagegen, dass wir gemeinsam für eine begrenzte Zeit in Abgründe abtauchen.