|126|Der Typ unvitaler Vater

Bei Manfred Holdts ständig erschöpftem Vater handelte es sich offenbar nicht um eine Ausnahmeerscheinung. In dem Buch »Ich wußte nie, was mit Vater ist« des Psychoanalytikers Wolfgang Schmidbauer ist der Typus des unvitalen Familienoberhaupts in der Nachkriegszeit beschrieben: »Der Vater ist nur ruhebedürftig, ihm ist alles zuviel, er liegt auf dem Sofa, ist krank, reagiert nicht, spritzt sich Opiate, trinkt, nimmt Schlafmittel. Er hat keine Meinung, keinen beruflichen Ehrgeiz, kann nur mit Mühe oder gar keinen Arbeitsplatz behalten. Wenn er einmal etwas sagt oder sich in irgendeiner Weise auf das Kind bezieht, ist dieses verblüfft, als sei es in ein Sterntaler-Märchen geraten.«15

So war der Vater von Reinhard Pahle* nicht. Er gehörte zum Typus der aufbrausenden Väter. Seinen Sohn lernte ich kennen, als ich im Frühjahr 2009 für eine Hörfunksendung in einer psychosomatischen Klinik recherchierte. Im Garten, auf einer Bank, kam ich ins Gespräch mit einem Mann von Mitte fünfzig, der sich als Patient zu erkennen gab. Seine Stimme klang matt, sein Körper wirkte spannungslos, was mich irritierte, weil er einen Trainingsanzug trug. Als ich ihn fragte, ob er seinen Sport noch vor oder schon hinter sich habe, winkte er müde ab und meinte: »Alles Tarnung«. Seine Kraft beim Joggen reiche genau für fünf Minuten. In der Klinik hätten sie ihm das Walken empfohlen. Hier schaute er mich verblüffend wach an und sagte: »Ich finde, beim Walken sieht man bescheuert aus, besonders als Mann. Was meinen Sie?« Ich weiß nicht mehr, was ich ihm antwortete, vielleicht gab ich ihm sogar Recht. Daraufhin kam er auf sein Burnout und seine Depressionen zu sprechen. Er tat es freimütig, gelegentlich mit Galgenhumor, was aber nicht verdecken konnte: Die letzten drei Jahre waren für ihn eine Zeit der wachsenden Verzweiflung gewesen, daher die Entscheidung, in eine Klinik zu gehen.