Er bezeichnet sich als Pazifist. Aber gewaltfreier Widerstand, räumt er ein, wäre heute nicht mehr sein Weg. Überzeugender findet er politische Konzepte, wie durch wirtschaftlichen Aufbau Krieg verhindert werden kann. »Den Jugoslawen«, erläutert er, »hätte ich direkt nach Titos Tod gesagt: Ihr kommt in die EU, aber nur als ein gemeinsames Land, ihr bleibt zusammen und wir geben euch 20 Milliarden Aufbauhilfe.«
1972 durfte Martin zum ersten Mal wählen, sein Kandidat hieß Willy Brandt. Die Mutter verband mit Brandt eine große Hoffnung, sein Vater befürchtete den Anfang des Sozialismus. Später erkannte der Sohn: Die lautstarken politischen Debatten hatten nicht nur die Funktion Dampf abzulassen, wenn man sich über den Ehepartner geärgert hatte. Auffällig war, dass seine Eltern nur selten Themen der deutschen Vergangenheit berührten, während davon im Fernsehen immer häufiger die Rede war, als im Zuge der Studentenunruhen von 1968 die NS-Verbrechen auf den Tisch der Nation kamen.
Viel, sehr viel hätten Martins Eltern dazu sagen können, wären sie in der Lage gewesen, die Gewalteinbrüche in ihr Leben und das Unglück in ihren Familien zu betrauern. Martin Best weiß viel über Trauer, wie wichtig sie ist, um mit seinem Schicksal Frieden schließen zu können. Zwar gelang es Harald und Hannelore Best, stabil zu bleiben, doch heftige Gefühle, scheinbar von der Vergangenheit abgekoppelt, führten ein Eigenleben und drängten |40|zum Ausbruch. Die Wortgefechte zur aktuellen Politik dienten stellvertretend der emotionalen Entladung. Auf diese Weise gelang es, zumindest kurzfristig, innere Spannungen und Aggressionen loszuwerden.
Der Vater von Hannelore Best, ein Funktionär der Zentrumspartei, war von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Auf Grund seiner Kontakte zu Widerständlern des Kreisauer Kreises wurde er mehrfach verhaftet, er verlor seine Arbeit, was die ganze Familie in tiefe Armut stürzte. Martins Mutter stand dem Widerstand ambivalent gegenüber, sie kritisierte die Männer, die ohne Rücksicht auf ihre Familien gehandelt hätten. Ihr Sohn berichtet, sie sei lange überhaupt nicht stolz auf ihren Vater gewesen, sondern habe die Meinung vertreten, nur Junggesellen und Priester dürften sich dem Widerstand anschließen. »Die Geschichte meines Opas wurde früher genauso verschwiegen wie die Kriegsgeschichte meines Vaters«, berichtet Martin Best. Lange Zeit konnte Hannelore ihrem Vater nicht verzeihen, sie gab ihm die Schuld an Angst, Not und Unglück in ihrer Kindheit. Grundsätzlich warf sie ihm unverantwortliches Verhalten gegenüber der Familie vor. Sie selbst wandte sich linken politischen Positionen und dem Feminismus zu, organisierte sich politisch. Sie praktizierte Gleichberechtigung unter ihren Kindern; auch die Söhne wurden zur Hausarbeit herangezogen. Inhaltlich folgte sie der Linie ihres Vaters.
Mit 12 Jahren hatte Hannelore ihre Mutter bei einem Bombenangriff verloren. Das Haus war zerstört worden. Die Familie kam auf einem Bauernhof unter, wo die Kinder dankbar sein mussten, wenn sie Abfälle essen durften. Der Vater starb nach Kriegsende an den Haftfolgen.
Später verlor Hannelore Best eine Tochter. Sohn Martin kommt zu dem Schluss: Die ersten Verluste seiner Mutter fielen in Zeiten des Überlebenskampfes, Innehalten war nicht möglich gewesen und daher hatte sie Trauern nicht gelernt.
Eine Konsequenz war ihre Partnerwahl. Mit Harald Best hatte |41|sie einen absolut zuverlässigen Mann an ihrer Seite. Als 19-Jährige lernte Hannelore ihn kennen, einen Kriegsversehrten. Der hatte mit 20 Jahren an der Front sein Bein verloren. In seiner Nähe war eine Granate explodiert, nicht alle Splitter konnten entfernt werden. Danach gab es für ihn keinen schmerzfreien Tag mehr in seinem Leben. Auch seine Leber hatte Schaden genommen, weil er im Lazarett Blutkonserven mit der falschen Blutgruppe erhalten hatte. Dass ihm dennoch ein erfülltes Leben gelang und dass es seiner sechsköpfigen Familie an nichts fehlte, beruhte auf ungeheurer Disziplin und Arbeitsbereitschaft, auf Optimismus und Kreativität. Als Kriegsverletzter musste er sich, um Arbeit zu haben, selbständig machen und hatte als Handwerker einen Betrieb aufgebaut. Er hatte sogar Erfindungen gemacht, mit denen sich zeitweise sehr gut Geld verdienen ließ.