13
Die Wahrheit

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Auf dem Weg nach Hause eilten die Hexen durch die Vordere Straße, wo sie DomDaniel und die Dunkelkröte einholten.
»Her mit der Dunkelkröte, und dann schieb ab, du altes Klappergestell«, fauchte die Hexenmutter.
DomDaniel und die anderen Hexen sahen sie schockiert an, und auch die Hexenmutter blickte entsetzt. »Habe ich das wirklich gerade gesagt?«, fragte sie.
»Ja, du stinkende alte Makrele«, antwortete die sonst so schüchterne Daphne.
»Daphne!«, rief Linda. »Du nimmst mir das Wort aus dem Mund!«
»Und mir auch«, meinte Veronica lachend. »Hexenmutter, mit dieser dämlichen weißen Schmiere im Gesicht siehst du aus wie eine gesprungene alte Teetasse.«
»Oder wie der Pilz unter unserem Spülstein«, kicherte Daphne.
Die Hexen starrten einander entsetzt an – alle sagten genau das, was sie dachten.
Nahendes Hufgeklapper kündigte Simons Rückkehr an. Er führte ein großes, schönes, schwarzes Pferd am Zügel, das er in einem kleinen, schmutzigen und unverschlossenen Stall gefunden hatte. Simon, den immer noch gewisse Skrupel plagten, hatte eine Krone (den üblichen Preis für ein Pferd) plus sechs Silberschillinge für Sattel und Zaumzeug dortgelassen.
DomDaniel musterte das Pferd wohlwollend. »Sehr schön«, sagte er. »Zeit zum Aufbruch. Du kannst zu Fuß gehen, Heap. Ich werde reiten.«
»Aber nicht lange, du widerlicher alter Blödian«, feixte die Hexenmutter lachend.
»Was hast du gesagt?«, fragte DomDaniel.
»Du hast mich schon verstanden«, raunzte die Hexenmutter. »Gib mir die Dunkelkröte, du knopfäugiges Rübengesicht.«
DomDaniel war es gewohnt, dass die Hexenmutter grob zu ihm war. Das hatte er stets an ihr gemocht, aber nun ging sie für seinen Geschmack etwas zu weit. »Ich habe nicht vergessen, dass die Dunkelkröte Teil unseres Handels war, Pamela«, erwiderte er schroff, bückte sich ganz langsam – er spürte, wie Haut und Fett über seine Knochen rutschten, ein höchst unangenehmes Gefühl – und nahm die Kröte hoch.
Begierig betrachtete die Hexenmutter die Dunkelkröte, die blinzelnd und schluckend auf DomDaniels wabbeliger Hand saß. »Her damit«, forderte sie. »Mach schon!«
DomDaniel runzelte die Stirn – wie gern hätte er sich geweigert, aber ein schwarzmagischer Handel musste eingehalten werden. Mürrisch ließ er die Kröte in die ausgestreckte Hand der Hexenmutter plumpsen.
»Sprich die Worte«, fuhr ihn die Hexenmutter an.
»Sprich die Worte, bitte«, erwiderte DomDaniel gereizt.
»Nun mach schon, Fettsack«, blaffte die Hexenmutter.
DomDaniel blickte sehr ungehalten. Hätte er in diesem Moment nicht plötzlich einen unangenehmen Juckreiz verspürt, hätte er eine ähnliche Grobheit entgegnet. So aber wollte er nur möglichst schnell fort von den Hexen, damit er sich ausgiebig kratzen konnte. »Madam, ich übertrage Ihnen alle Rechte an dieser Dunkelkröte. Mögen ihre Dunkelkräfte Sie bis zum Ende Ihrer Tage begleiten. So sei es. Uff.« DomDaniel hielt es nicht länger aus. Er fand eine besonders stark juckende Stelle an seinem Bauch und kratzte sich heimlich.
Die Hexenmutter wiegte die Dunkelkröte in den Händen. »Liebes Krötili«, gurrte sie.
»Ich gehe jetzt«, keuchte DomDaniel, der ein Kribbeln wie von tausend Ameisen auf der Haut spürte.
»Wird auch Zeit, du alter Stinkstiefel«, erwiderte die Hexenmutter. »Kommt Mädels, ab nach Hause. Ach, und Daphne, gib Heap die Schubkarre.«
»Wozu?«, fragte Daphne.
»Weil die umhüllten Knochen nicht mehr lange zusammenhalten werden. Haha!«
DomDaniel konnte das Jucken nicht mehr ertragen. »Was …« Kratz. »… meinst …« Kratz. »… du …« Kratz, kratz, kratz. »… damit?«
Die Hexenmutter lachte noch lauter. »Du eingebildeter alter Knorpelhaufen, begreifst du denn nicht? Wir verstehen nicht die Bohne von solchen Dingen. Einem so mächtigen Zauber können wir keine Dauerhaftigkeit verleihen, nicht einmal mit Menschenblut. Ich wundere mich, dass er überhaupt so lange gehalten hat. Haha!« Sie stupste DomDaniel gegen die Brust, und ihr Finger bohrte sich tief in sein Gewand. »Igitt, das ist ja ekelhaft.«
DomDaniel senkte den Blick auf das Loch in seiner Brust und hob ihn dann wieder entsetzt zur Hexenmutter, während sein Mantel zusammenschnurrte wie ein angepikster Luftballon und die Reste des Umhüllungszaubers der Hexen sich verflüchtigten. DomDaniel entfuhr ein langes, tiefes Stöhnen, dann knickten die Beine unter ihm ein, und er sackte auf der Straße zu einem Haufen zusammen.
»Du hast mich betrogen!«, schrie sein – noch umkleideter – Kopf.
»Allerdings«, entgegnete die Hexenmutter. »Und das geschieht dir ganz recht, du widerlicher, hinterhältiger Halsabschneider.«
Linda staunte. »Dem hast du’s aber gegeben, Hexenmutter. Ich muss sagen, ich bin beeindruckt. Du bist gar nicht so erbärmlich, wie du aussiehst.«
Die Hexenmutter würdigte sie keines Blickes, wandte sich an Veronica und Daphne und sagte: »Im Unterschied zu Linda. Die ist nämlich so gemein, wie sie aussieht.«
Daphne und Veronica lachten vergnügt. »Ja. Gemein!«, sagten sie wie aus einem Mund.
Linda war sprachlos vor Wut.
Die Hexenmutter kicherte – sie hatte ihren Zirkel wieder fest im Griff. Sie hielt die Dunkelkröte in die Höhe und lächelte. Ein Klumpen weiße Schminke fiel auf DomDaniels Kopf, der nun wieder auf einem Haufen Knochen saß. Die Hexenmutter blickte zu ihm hinab. »Niemand wird sich jetzt mit uns anlegen«, sagte sie. »Nicht einmal du.«
DomDaniel brüllte den abziehenden Hexen die schlimmstmöglichen schwarzmagischen Schimpfwörter hinterher, aber sie hörten gar nicht hin, sondern folgten der Hexenmutter die Straße entlang wie eine Reihe nicht zusammenpassender Küken, die hinter der Glucke herwackelten.
Mit zusammengebissenen Zähnen hob Simon die Knochen auf und legte sie in die Schubkarre, den ihn beschimpfenden Kopf obenauf. Dann streichelte er dem Pferd über die Nase und überlegte, ob er es zurücklassen sollte. Er beschloss, dem Tier die Entscheidung zu überlassen.
»Donner«, flüsterte er – denn dieser Name hatte über der Stalltür gestanden –, »du kannst mitkommen, wenn du magst. Es ist ein weiter Weg, aber ich werde für dich sorgen, das verspreche ich.« Das Pferd scharrte am Boden und schnupperte die frühmorgendliche Luft. Bald würde die Sonne aufgehen, und dann wollte es weit weg sein von dem dunklen, engen Stall.
Als sich der erste Silberstreif des Morgens am Nachthimmel zeigte, hallte die Vordere Straße von Donners Hufschlag und dem Quietschen eines Rades wider. Simon schob die Schubkarre samt Inhalt über das Pflaster. Am Ende der Vorderen Straße ging an der Schubkarre das Rad ab, und DomDaniels Kopf kullerte auf die Straße. »Setz mich aufs Pferd, du dummer Schussel«, knurrte er.
Simon hatte für heute Nacht genug von den Beschimpfungen. »Na schön«, sagte er, und mit einer einzigen flüssigen Bewegung zog er seinen Mantel aus, breitete ihn über den Kopf und die nackten Knochen, schnürte alles zu einem Bündel zusammen und warf es aufs Pferd. Dann schwang er sich in den Sattel und ritt los, der Morgendämmerung und dem Pfad entgegen, der sich durch die Dünen schlängelte und durch die Schaflande hinauf in die Ödlande führte, zurück ins düstere, feuchte Observatorium.
Von ihrem neuen Zuhause auf dem Türklopfer des Porter Hexenzirkels aus sah die Dunkelkröte blinzelnd zu, wie sie davonritten.
Septimus und Marcia traten aus der Krummen Fischbauchgasse auf den verlassenen Hafenplatz. Eine bedrückte Stimmung lag über dem Hafen, und ein paar Leute saßen traurig auf der Kaimauer und stierten in das dunkle, mit Trümmern übersäte Wasser. Das Haus des Hafenmeisters war noch hell erleuchtet, als die überlebenden Seeleute sich für den Rest der Nacht schlafen legten.
Mit einem leisen Klacken zog Marcia die dicke Eichentür des Zollhauses zu. Sie und Septimus durchquerten die Eingangshalle und erklommen die breite Steintreppe zu den Gästezimmern.
»Es war sehr nett von Ihnen, dass Sie die Stummzauber der Hexen rückgängig gemacht haben«, sagte Septimus, als Marcia ein Nachtlicht entzündete und es ihm gab, damit er es in sein Zimmer mitnahm.
»Nicht ganz so nett, wie man meinen könnte«, erwiderte Marcia schmunzelnd.
»Wieso?«
»Ich habe den Umkehrzauber mit einem vierundzwanzigstündigen Sag-was-du-denkst-Zauber versehen.«
Septimus lachte. »Sie meinen, die Hexen werden jetzt vierundzwanzig Stunden lang immer genau das sagen, was sie denken?«
»Ganz recht«, erwiderte Marcia. »Das wird ihrem Leben eine besondere Würze geben, könnte ich mir vorstellen. Nun aber ab ins Bett, Septimus. Das war genug Aufregung für eine Nacht.«
Septimus gähnte. Wahrscheinlich hatte Marcia recht. »Gute Nacht«, sagte er, und dann fragte er noch: »Dieser Junge … warum ist er vor uns weggelaufen? Wir wollten ihm doch nur helfen.«
»Ich meine mich an einen anderen Jungen zu erinnern, der vor gar nicht allzu langer Zeit weglaufen wollte«, antwortete Marcia. »Auch er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass ich ihm helfen wollte.«
»Was für ein Junge?«, fragte Septimus, und da dämmerte ihm, dass Marcia ihn meinte. »Oh, ich verstehe.«
»Gute Nacht, Septimus«, sagte Marcia lächelnd. »Schlaf gut.«
»Das werde ich«, antwortete Septimus.