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Eine aufgepeitschte Menge

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Marcia und Alice bahnten sich einen Weg durch die vor Begeisterung trampelnde und klatschende Menge. Für Marcia war es ungewohnt, dass man ihr nicht sofort Platz machte. »Verzeihung, Verzeihung«, sagte sie immer wieder gereizt.
»He! Bloß weil Sie wie diese herrschsüchtige Tante verkleidet sind, heißt das nicht, dass Sie sich auch so benehmen müssen«, beschwerte sich ein Riesenkobold, als Marcia ihn mit dem Ellbogen beiseite zu stoßen versuchte. Und dann versperrten ihr die Freunde des Riesenkobolds absichtlich den Weg zu den Hexen – eine große Wassernixe, ein Leuchtgespenst und zwei rosafarbene Magogs.
»Würden Sie gefälligst mit der Drängelei aufhören?«, raunzte einer der Magogs Marcia an. »Wir können nicht alle in der ersten Reihe stehen!«
Sie widerstand dem Drang, ihm eine Stechwanze mit Selbstantrieb unters rosa Magog-Kostüm zu zaubern, und schlug sich mit Alice weiter durch das Gewühl. Sie versuchten, die Kante des Kais zu erreichen, wo auf einem freien Platz vor der Menge eine offene Blechbüchse stand. Rings um die Büchse – in der sich unzählige Würmer ringelten und kringelten – standen die Hexenmutter, Linda, Veronica und Daphne, die sich fest die Augen zuhielt.
Linda führte das große Wort – sie hatte das Publikum fest im Griff und sprach gerade im Rhythmus der stampfenden Füße den Zauber. Am Ende jedes Satzes blickte sie in die Menge und brüllte »Ja!«, und die Menge brüllte begeistert zurück. Lindas Augen glühten vor Erregung, denn mit jedem »Ja!« verlieh die Menge dem Zauber zusätzliche Energie. Da wird eine gewaltige Kraft zusammenkommen, dachte Linda bei sich.
»Lass sie fliegen hoch hinaus!«, schrie Linda. »Ja!«
»Ja!«, brüllte die Menge.
»Lass sie wachsen, wenn sie steigen! Ja!«
»Ja!«
»Lass, was wir sehen, vergehen. Ja!«
»Ja!«
»Lass sie Teil des Meeres werden! Jawohl!«
»Ja!«
»Lass sie … Bohrasseln werden!«
Schlagartig herrschte betroffene Stille.
»Bohrasseln?«, fragte eine Mumie, die vor Marcia stand, die Mumie neben sich. »Aber sind das nicht diese Schädlinge?«
»Ja! Äh, ich meine: ja. Die fressen das Holz von Schiffen.«
Die erste Mumie lachte. »He, Bill, wir benehmen uns ja so, als wäre das alles echt.«
Die Mumie namens Bill lachte unbehaglich. »Es kommt einem aber auch so vor«, antwortete sie.
Linda hatte ganz vergessen, dass die Menschen hier eine enge Beziehung zur Schifffahrt und dem Meer hatten. Fast jeder am Kai wusste, was Bohrasseln waren – kleine Meeresbewohner, die sich in null Komma nichts durch Schiffsbalken bohrten. So konnte es vorkommen, dass ein Schiff mit ein paar Bohrasseln in den Planken von Port aus in See stach und wenige Wochen später im Ozean versank, ohne dass viel mehr von ihm übrigblieb als an der Wasseroberfläche treibender Holzmehlschaum.
Aber Linda war nicht dumm. Sie spürte gleich, dass die Stimmung in der Menge zu kippen und sich gegen sie zu wenden drohte. Der Zauberspruch brauchte aber Zeit zum Gären – die vielen Würmer mussten verwandelt werden –, und Linda wusste, dass sie das Publikum noch für wenigstens zwei Minuten bei Laune halten musste.
»Aber he, Leute, das wollen wir doch nicht – oder?«, brüllte sie.
»Nein!«, antwortete es unsicher aus wenigen Kehlen.
»Wir wollen Spaß haben!«, schrie Linda, hüpfte wild auf und ab und grinste so breit, dass sie schon fürchtete, ihre Lippen könnten reißen. »He! Und genau das werden wir auch! Ja?«
Es funktionierte.
»Ja!«, grölte die Menge.
Daphne hatte jetzt genug. Sie wandte sich der Menge zu und schrie: »Aber das ist kein Spaß. Kein Spaß. Ich hasse dich, Linda. Ich hasse euch alle!«
Linda – einst eine Schulhoftyrannin, wie sie im Buche steht – witterte ihre Chance. »Oho«, rief sie. »Sie hasst uns. Oho!«
»Oho«, wiederholten bereitwillig diejenigen unter den Zuschauern, die nie tyrannisiert worden waren.
»Soll ich sie vielleicht in eine Bohrassel verwandeln?«
»Ja!«, brüllte jemand von hinten. »In eine Assel!«
Linda spürte, dass die Menge allmählich wieder auf ihrer Seite stand. »Das würde ihr gefallen«, rief sie. »Sie würde sich gern da drinnen zwischen ihren schleimigen kleinen Freunden kringeln.« Sie deutete auf die Büchse zu ihren Füßen, in der es jetzt, wie sie mit Erleichterung feststellte, orangerot zu leuchten und zu zischen begann. Sie packte Daphne am Kragen und fragte das Publikum: »Also, was sagt ihr – soll ich diesen jammernden Wurm in eine Bohrassel verwandeln?«
Das Publikum fing Feuer. »Ja!«, brüllte es aus mehr Kehlen als zuvor. »Ja! Verwandle sie in eine Assel!« Ein Sprechchor bildete sich. »As-sel, As-sel, As-sel!«
Daphne blickte entsetzt. Sie riss sich von Linda los und stürzte davon. Die Menge teilte sich, um ihr Platz zu machen, und Daphne rannte direkt in Marcia hinein. Lautes Gelächter erscholl.
»Glänzend inszeniert!«, sagte jemand. »Genau im richtigen Moment.«
Marcia zuckte zusammen, als Daphnes speckiger Hexenmantel mit der Magie ihres eigenen Mantels in Berührung kam.
»Diese Hexen wirken sehr echt«, rief Alice, den Lärm übertönend, Marcia zu.
»Sie wirken nicht nur echt«, rief Marcia zurück, »sie sind es auch.«
»Sie sind echt?«, schrie Alice. »Wirklich?«
»Die Luft hier ist mit schwarzer Hexenmagie derart aufgeladen, dass man sie mit dem Messer schneiden könnte«, erklärte Marcia.
»Aber Marcia«, erwiderte Alice, »wenn sie echt sind, dann ist auch das, was sie tun, kein Spiel.«
»Das sollte man annehmen«, erwiderte Marcia trocken und marschierte, gefolgt von Alice, rasch durch die frei gewordene Gasse in Richtung Linda, die ihr Publikum jetzt zum Rasen brachte.
»Was wollen wir?«, schrie sie.
»As-sel, As-sel, As-sel!«, schrien alle zurück.
»Wann wollen wir es?«
»Jetzt!«
Zum Entzücken der Menge blieb Marcia direkt vor Linda stehen. »He«, rief jemand, »ein Duell zwischen Zauberin und Hexe!«
Der Ruf wurde sofort aufgegriffen. »Zauberin und Hexe! Duell! Duell! Zauberin und Hexe! Duell! Duell!«
»Ruhe!«, brüllte Linda, und ihre Macht über die Menge war so groß, dass sofort alle verstummten. »Zuerst die Assel – dann das Duell! Ja?«
»Ja«, brüllte die Menge. »Zuerst die Assel! Dann das Duell!«
Marcia spähte in die verdächtig glühende Dose mit den Holzwürmern und wartete, bis der Lärm so weit abgeebbt war, dass sie sich Gehör verschaffen konnte. Dann holte sie tief Luft und brüllte: »Hexen des Porter Hexenzirkels! Ich befehle euch, auf der Stelle damit aufzuhören!«
»Spielverderberin«, rief es aus der Menge, und sofort entstand erneut ein Sprechchor. »Spiel-ver-der-be-rin! Spiel-ver-der-be-rin! Spiel-ver-der-be-rin!«
Linda lachte, und Marcia überkam ein tiefes Unbehagen. Als Außergewöhnliche Zauberin konnte sie sich normalerweise darauf verlassen, dass ihr die Leute den gebührenden Respekt erwiesen. Aber hier war sie nur ein kostümierter Hallowseeth-Narr unter vielen – und diese Erkenntnis traf sie wie ein Schock.
Gespannt darauf, was als Nächstes geschehen würde, drängten Leute an ihr und Alice vorbei und schoben sich zwischen sie und die Hexen. Da riss Marcia der Geduldsfaden. Mithilfe einiger wohlgezielter Zauberstöße bahnte sie sich wieder einen Weg nach vorn zu der Büchse, aus deren Innerem, in dem es mittlerweile von rot glühenden Holzwürmern wimmelte, eine mächtige, von der Menge befeuerte Magie aufstieg. Linda und die Hexenmutter starrten in die Büchse, als wollten sie die Würmer darin zur Eile antreiben.
Veronica sah Marcia nahen. »Verflixt!«, rief sie. »Da kommt die Außergewöhnliche Zauberin!«
»Quatsch«, blaffte Linda, »das ist nur irgendeine dumme Kuh in einem lila Nachthemd.«
Aber die Hexenmutter kannte Marcia von früher. »Nein«, rief sie. »Schnell, Linda. Tu es.«
Linda wurde nervös. »Hab ich doch schon längst, du doofe alte Schachtel«, zischte sie. »Wir müssen nur warten, bis …«
Da war Marcia bei ihnen.
»Verschwinde!«, brüllte Linda.
Marcia schleuderte einen Gefrierblitz nach ihnen.
Doch es war zu spät. Die Energie des Blitzes wurde in Hexenmagie umgewandelt und löste den Zauber endgültig aus. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, der über den gesamten Hafenplatz dröhnte. Die Menge schrie vor Erregung auf. Eine grelle Flamme schoss aus Daphnes Büchse heraus, und ein Schwall leuchtend roter Sterne rauschte in den Himmel. Alle Blicke folgten ihnen, während sie immer höher und höher stiegen und dann mit einem leisen Paff in unzählige winzige Lichtpunkte zerstoben, die sachte auf die Schiffe herabrieselten. Ein lautes, bewunderndes Raunen ging durchs Publikum, gefolgt von tosendem Applaus.
»Ausgezeichnet«, sagte Linda zur Hexenmutter. »Bald werden die Ratten die Schiffe verlassen. Und ihr, Mädels, mischt euch jetzt unters Volk, bevor jemand merkt, was hier vorgeht. Denkt daran, ich will einen Jungen, der so klein ist, dass er ins Kanalisationsrohr passt. Es müsste nämlich dringend mal gereinigt werden. Haha!«
»Hiergeblieben!«, befahl Marcia.
»Ach, verzieh dich«, fauchte Linda und drängte sich an Marcia vorbei. Da drehte sich die Außergewöhnliche Zauberin ruckartig um und schleuderte einen langen Stolperzauber, der sich um Lindas Füße wickelte. Die Hexe schlug der Länge nach aufs nasse Kopfsteinpflaster und brach in Lachen aus. »Zu spät!«, rief sie. »Viel zu spät!«
Ein spitzer Schrei von Alice Nettles lenkte Marcias Aufmerksamkeit von den Hexen ab, und ihr Blick folgte dem ausgestreckten Zeigefinger der Oberzollinspektorin. »Du lieber Himmel!«, stieß Marcia hervor.
Die Schiffe lösten sich auf.