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Poch, poch, poch

DomDaniel und Simon standen vor der
breiten Eingangsstufe eines Gebäudes, das früher einmal ein
typisches Porter Stadthaus gewesen war: hoch und schmal, mit einer
großen Tür. Nur sah dieses Gemäuer so aus, als könnte es jeden
Augenblick einstürzen. Außerdem waren die Fenster mit Brettern
vernagelt, und an der Wand prangten schwarzmagische Symbole, die
mit unanständigen Kritzeleien überschmiert waren. Dass DomDaniel
ausgerechnet so ein Haus aufsuchte, wunderte Simon überhaupt
nicht.
»Kröte, Heap«, bellte DomDaniel.
»Aber …«, begann Simon entrüstet, da er
glaubte, DomDaniel wollte ihn beleidigen.
»Die Kröte im Krötensack, du Schafskopf.«
DomDaniels Lippen bewegten sich beim Sprechen
nicht ganz synchron, sodass Simon das seltsame Gefühl hatte, mit
einem schlechten Bauchredner zusammen zu sein – aber wäre er selbst
dann nicht die Puppe des Bauchredners? Er schob den unbehaglichen
Gedanken beiseite, griff in den Krötensack und wühlte sich an den
Armknochen vorbei, bis er ganz unten einen feuchten, weichen
Klumpen ertastete. Gleich darauf saß die Kröte, mit Knochenmehl
bestäubt, auf Simons Hand und blinzelte verstört in die kühle
Nacht.
DomDaniel kicherte. »Fett und hässlich«, sagte
er. »Die wird ihnen gefallen.«
Simon verzog das Gesicht. Er verstand beim
besten Willen nicht, was man an einer Kröte finden konnte.
»Wenn ich dir einen Rat geben darf, Heap«,
erklärte DomDaniel in vertraulichem Ton. »Schenke einer Hexe eine
Dunkelkröte, dann tut sie dir jeden Gefallen, um den du sie
bittest. Einem Hexenzirkel, auf dessen Tür eine solche Kröte sitzt,
zollt jeder andere Zirkel im Land Respekt. Keine Hexe wird es dann
mehr wagen, sich mit ihm anzulegen. Nun mach schon, Heap. Setz die
Kröte ab.«
Simon blickte verwirrt. »Wohin?«
DomDaniel verdrehte genervt die Augen. »Na, auf
die Tür, du Kohlkopf.«
Simon betrachtete die Tür. Sie war mit Nägeln
gespickt wie ein Igel mit Stacheln und obendrein, wie es aussah,
mit einem Hammer traktiert worden. Aber zwischen den Nägeln
entdeckte er einen schlichten, flachen Türklopfer und darunter
einen kleinen, vorspringenden Sockel, über den jemand Krötili gekritzelt hatte. Er setzte die Kröte
vorsichtig auf den Sockel. Doch zu seinem Erstaunen blieb sie nicht
sitzen. Sie hopste in die Höhe, landete elegant auf dem Türklopfer,
der, wie er erst jetzt bemerkte, die Form einer Kröte hatte, und
machte es sich bequem. Ein schwarzmagisches Kräuseln lief über
ihren Körper und verwandelte sie in einen Türklopfer in
Krötengestalt.
»Gut«, sagte DomDaniel, »wenn eine Dunkelkröte
klopft, muss der Zirkel öffnen. Also, nun mach schon.«
»Was denn?«
»Klopfen, du Esel.«
Simon griff nach der kalten Metallkröte, doch
bevor er sie bewegen konnte, nahten aus dem Inneren des Hauses
polternde Schritte, und die Tür wurde aufgerissen. Simon sprang
gerade noch rechtzeitig zur Seite, ehe ein schwarz gekleideter
junger Mann mit Strubbelhaar und durchdringenden blauen Augen
herausstürzte. Mit einem blitzsauberen Rempler stieß der Mann
DomDaniel aus dem Weg und flitzte die Straße hinunter, als jagte er
einem Ball hinterher. DomDaniel wankte bedenklich, und Simon hörte
unter seinem Mantel unheilvoll Knochen klappern.
Doch DomDaniel fand in dem Moment sein
Gleichgewicht wieder, als eine zweite schwarz gekleidete Gestalt –
eine Frau diesmal – aus der Tür gestürmt kam und schrie: »Madrigor!
Madrigor! Warte. Bitte warte. Bitte!«
Wie vor ihr der junge Mann stieß auch sie
DomDaniel mit dem Ellbogen zur Seite, und diesmal wurde er auf dem
falschen Fuß erwischt. Unter lautem Geklapper fiel sein Gerippe auf
der Schwelle zu einem ordentlichen Haufen zusammen, über den sich
sein Mantel breitete wie ein Tuch über einen Vogelkäfig, ehe
zuoberst sein Kopf zu liegen kam. Wütend starrte der Kopf zu Simon
hinauf, als wäre der an allem schuld. Simon erwiderte den Blick mit
fassungslosem Erstaunen und kämpfte gleichzeitig gegen das
Verlangen an, den Kopf zu schnappen, damit loszurennen und sich dem
Rugby-Spiel anzuschließen, das weiter unten in der Straße in vollem
Gang zu sein schien – inzwischen begleitet von spitzen Schreien und
wohlgezielten Hieben der weiblichen Akteurin.
Im nächsten Moment erschien eine zweite Frau
mit einem sehr weißen Gesicht in der Tür. Sie war ganz in Schwarz
gehüllt und stakste auf Schuhen, aus deren Sohlen ein Wald von
dreißig Zentimeter langen Eisendornen ragte. Sie sah Simon an,
entblößte mehrere schwarze Zahnstümpfe zu einem grausigen Lächeln,
drehte sich um und rief ins Haus: »Veronica! Dorinda! Daphne! Seht
mal, wen wir hier haben!« Dann wandte sie sich wieder Simon zu und
grinste boshaft. »Hallo, junger
Mann!«
Simon wurde höchst unbehaglich zumute. Nun
erschienen drei junge Hexen in der Tür. »Oh, Hexenmutter!« Sie
kicherten und gafften Simon an. »Wo kommt der denn her?«
Simon spürte, wie er errötete.
»Er wird rot«, stellte eine der Hexen fest, die
eine kegelförmige Frisur auf dem Kopf balancierte.
»Ach, wie süß«, meinte die kleine
Pummelige.
Die dritte Hexe sagte gar nichts und musterte
Simon aus beunruhigend großen blauen Augen.
Die Hexenmutter beugte sich vor und nahm Simon
aus größerer Nähe in Augenschein. Ihr Atem, der nach alter Katze
roch, ließ ihn zurückprallen. Sie tat noch einen Schritt nach vorn,
da ertönte plötzlich ein Kreischen neben ihrem linken Schuh –
dessen spitze Dornen waren DomDaniels Augen bedrohlich nahe
gekommen.
»Pamela!«, schrie DomDaniels Kopf.
»Halt!«
Die Frau spähte nach unten und fluchte
laut.
»Was sind denn das für Ausdrücke!«, mäkelte
DomDaniel übertrieben empfindlich.
Die Hexenmutter starrte ungläubig auf den Kopf,
der da fein säuberlich auf einem Mantel thronte. Dann begannen ihre
Schultern zu beben, die dicke Schminke, mit der ihr Gesicht
zugekleistert war, bekam Risse, und aus ihrer Kehle stieg ein
heiseres, wieherndes Lachen herauf. »Dommie, bist du das?«,
prustete sie.
»Allerdings«, antwortete DomDaniel, »und ich
weiß nicht, was daran komisch sein soll, Pamela.«
»Sinn für Humor hattest du noch nie«, bemerkte
die Hexenmutter. »Und? Willst du eintreten?«
»Im Moment bin ich in meiner Bewegungsfreiheit
etwas eingeschränkt, Pamela. Aber mein Assistent wird mir helfen –
wenn er endlich aufhört zu glotzen wie ein Fisch am Spieß. Würdest
du mich gefälligst hochheben, Heap?«
Simon starrte auf den fleischigen Kopf, der auf
seinem Knochenhaufen saß, und unterdrückte ein Schaudern. »Ach so,
ja … äh …«
Unverhofft kam ihm die Hexenmutter zu Hilfe.
»Lass«, befahl sie ihm und wandte sich an die junge Hexe mit den
großen blauen Augen. »Dorinda! Eine Schubkarre!«
»Ja, Hexenmutter«, antwortete Dorinda und
verschwand wieder im Haus.
»Nein!«, brüllte DomDaniels Kopf.
Die Hexenmutter schaute wieder nach unten und
schenkte DomDaniel ein schwarzzahniges Grinsen. »Du bestehst wohl
nur aus einem Haufen Knochen unter dem schicken Mantel da,
wie?«
DomDaniel antwortete mit einem finsteren
Blick.
Das Grinsen der Hexenmutter wurde noch breiter
und schwärzer. »Hab ich mir gedacht. Und wir wollen doch nicht,
dass sie durcheinanderpurzeln, oder? Eine Schubkarre muss
sein.«
»Pamela, du bist grausam.«
»Aber auch praktisch veranlagt, liebster
Dommie.«
Und so kam es, dass DomDaniel auf schmachvolle
Weise in einer Schubkarre über die Türschwelle des Porter
Hexenzirkels gerollt wurde – wie es ihm einst von der Hexenmutter
in einem Wutanfall prophezeit worden war, nachdem er ein
Versprechen zu viel gebrochen hatte. Simon hingegen spazierte
stilvoll, an jedem Arm eine junge Hexe, ins Haus.