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Ein Ausflug

DomDaniel blickte missmutig auf seinen
dicken runden Bauch. »Pamela, ich bin nie so fett gewesen!«
»Doch«, widersprach die Hexenmutter. »Wenn du
mich fragst, habe ich dich eher schlanker gemacht.«
»Und sieh dir den Zustand meiner Kleider an –
ekelhaft.« DomDaniel inspizierte sein Gewand. »Die Vorderseite ist
bis unten hin mit Ei bekleckert.«
Simon staunte, wie grob die Hexenmutter zu
DomDaniel war.
»Hör auf mit dem Gejammer, Dommie. So hatte ich
dich in Erinnerung, und so bist du jetzt.«
DomDaniel seufzte laut. »Dann muss das wohl
genügen. Würdest du mir bitte herunterhelfen, Pamela?«
Von der Hexenmutter gestützt, stieg DomDaniel
vorsichtig vom Tisch. »So«, sagte sie, »und jetzt wird es Zeit,
nach Hause zu gehen. Ich bringe dich noch zur Tür, dann kannst du
mir die Kröte übergeben.«
»Ich muss mich vorher ein wenig ausruhen«,
erwiderte DomDaniel.
»Was – hier?«, fragte die Hexenmutter alles
andere als begeistert.
»Wenn es woanders wäre, müsste ich ja aufstehen
und dort hingehen, nicht wahr? Dann könnte ich mich nicht ausruhen,
oder?«, knurrte DomDaniel gereizt und ließ
sich mit einem Seufzer der Erleichterung in das klumpige Sofa
sinken. Der frisch befleischte Zauberer musterte die Hexenmutter
argwöhnisch. Sie hatte irgendeinen Hintergedanken, da war er sich
sicher. »Und wenn ich mich ausgeruht habe«, fuhr er fort, »werde
ich eine kleine Proberunde drehen.«
»Eine Proberunde?«,
wiederholte die Hexenmutter. »Was um alles in der Welt meinst du
damit?«
»Ich möchte überprüfen, ob mein Körper richtig
funktioniert, Pamela. Und wenn nicht, wirst du ja wohl in der Lage
sein, den Fehler zu beheben.« DomDaniel starrte sie an. »Oder etwa
nicht?«
»Aber was ist mit der Kröte?«
»Du wirst deine Kröte bekommen, Pamela«,
antwortete DomDaniel. »Aber Geschäft ist Geschäft. Ich lasse mich
nicht drängen. Ich werde hier sitzen und mich an meine neue Hülle
gewöhnen. Anschließend unternehmen wir einen kleinen Spaziergang
durch Port. Um sicherzugehen, dass nichts abfällt.«
Veronica und Daphne wurden von einem
Kicheranfall geschüttelt, aber Linda war aus härterem Holz
geschnitzt. Ein Spaziergang mit DomDaniel eröffnete ihr die
Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. »Jetzt, wo wir die
Dunkelkröte bekommen«, sagte sie zur Hexenmutter, »brauchen wir
einen Dienstboten, der die Tür öffnet.«
»Oh, ja«, schaltete sich Veronica ein. »Einen
Dienstboten. Das wäre lustig. Aber einen,
der bleibt und nicht abhaut wie all die anderen.«
»Sie bleiben nie, Veronica«, entgegnete die
Hexenmutter. »Das ist ja das Dumme. Heutzutage bekommt man einfach
kein Personal.«
»Wenn wir ihnen zu essen geben«, schlug Daphne
vor, »bleiben sie vielleicht etwas länger.«
»Ihnen zu essen geben?«, rief die Hexenmutter
schockiert. »Mach dich nicht lächerlich, Daphne.«
Aber Linda wollte einen Dienstboten. Und was
Linda wollte, bekam sie auch – besonders jetzt, nachdem sie Dorinda
Elefantenohren verpasst hatte.
Sie hatte sich alles genau überlegt. »Diesmal
holen wir uns nicht irgendein dummes Porter Mädchen von der Straße.
Wir brauchen eine Fachkraft, die ein hartes Leben gewohnt ist. Wenn
wir ihr nur ein wenig zu essen geben – es muss nicht viel sein –,
hält sie nach meiner Schätzung mindestens sechs Monate, bevor sie
verschlissen ist.«
Die Hexenmutter wirkte beeindruckt. Sie hatte
Dienstboten nie lang genug gehabt, um sie zu verschleißen. »Das ist
eine gute Idee, Linda. Aber was für eine Art von Fachkraft? Doch
hoffentlich keinen unausstehlichen kleinen Zauberlehrling?«
Linda lachte. »Etwas viel Besseres. Eine
Schiffsratte.«
»Eine Ratte?«, fragte die Hexenmutter
abschätzig. »Davon haben wir in dem Müll hier genug.« Sie trat
gegen den Boden, sodass ein paar matschige Karotten durch die Luft
flogen. Wie bestellt flitzte eine Ratte davon und suchte
Deckung.
Linda seufzte. »Keine richtige Ratte,
Hexenmutter. So nennt man Jungen, die auf Schiffen all die
unangenehmen Arbeiten verrichten, die sonst keiner tun will. Das
sind zähe Burschen. So einer würde ewig halten.«
Die Hexen wurden ganz still, und Simon spürte,
dass ihnen der Vorschlag missfiel.
»Aber Linda«, wagte Daphne einzuwenden, »solche
Rattenjungen leben auf Schiffen. Und Schiffe schwimmen im
Salzwasser. Und, na ja, du weißt ja, was mit uns geschieht, wenn
wir …« Sie verstummte. Angeblich brachte es Unglück, wenn man
laut aussprach, dass sich Schwarzhexen in Salzwasser auflösten (was
im Übrigen auch der Grund dafür ist, warum man eine Schwarzhexe
niemals weinen sehen wird).
»Besten Dank, Daphne«, entgegnete Linda, »ich
weiß sehr wohl, was mit uns geschieht. Aber wir brauchen uns diesen
Salzwasserpötten gar nicht zu nähern. Denn wir werden dafür sorgen,
dass der Junge zu uns kommt.«
»Wie denn?«, fragte Daphne.
»Mit einem Holzwurm«, antwortete Linda.
Daphne erbleichte. Sie spürte, dass Linda eine
Gemeinheit im Schilde führte.
Linda wandte sich an die Hexenmutter. »Bitte
sag Daphne, sie soll ihre Riesenholzwürmer holen,
Hexenmutter.«
»Hol deine Riesenholzwürmer, Daphne«, gab die
Hexenmutter gehorsam weiter.
Daphne blickte sie entsetzt an. »Wozu?«
»Wozu?«, fragte die Hexenmutter Linda.
»Weil ich es sage«, antwortete Linda.
»A… aber …«, stammelte Daphne.
»Außer natürlich«, fauchte Linda, »du hättest
auch gern einen Satz Elefantenohren, Daphne. Dann könntet ihr euch
gegenseitig beim Hübschmachen helfen, du und Dorinda.«
Die Hexenmutter kicherte laut, und Veronica
stimmte brav mit ein.
Daphne schluckte. »Wie viele Holzwürmer
möchtest du denn, Linda?«
Linda lächelte, und ihre gelben Zähne blitzten
im Schein des Herdfeuers. »Alle.«
Daphne sah sie bestürzt an. »Alle?«
»Du hast es gehört. Hol sie!«
Daphne trappelte eilig eine Leiter hinauf und
verschwand durch ein Loch in der Küchendecke.
Simon und DomDaniel saßen betreten auf dem Sofa
und sahen bei den Vorbereitungen für den Ausflug zu. Schläfrig von
der miefigen Wärme in der Küche, nickte Simon ein und wachte erst
eine halbe Stunde später wieder auf, als er DomDaniels teigige Hand
auf seiner Schulter spürte. Ein ekliges Gefühl.
»Auf geht’s, Heap«, sagte sein Meister. »Es
wird Zeit für meine Proberunde.«
Simon erhob sich schlaftrunken und stolperte um
ein Haar über die Schubkarre.
»Gib auf meine Holzwürmer acht!«, schrie
Daphne.
»Oh, Verzeihung«, murmelte Simon.
Daphne funkelte ihn an. »Wehe, wenn ihnen etwas
zustößt.«
Linda stieß ein schrilles Lachen aus. »Gewöhn
dich schon mal an den Gedanken, Daphne. Diesen dummen und
verbohrten kleinen Biestern wird allerhand zustoßen – haha,
verbohrt, versteht ihr?«
Begeistert über die Aussicht, einen Dienstboten
und die Dunkelkröte zu bekommen – und
zusätzlich dadurch ermuntert, dass die umhüllten Knochen noch immer
umhüllt waren –, lächelte die Hexenmutter, sodass ihre Schminke
noch mehr Risse bekam wie ein ausgetrocknetes Flussbett. »Ach
Dommie«, schwärmte sie, »ein Streifzug durch die Stadt! Genau wie
in guten alten Zeiten.«
DomDaniel seufzte. In den guten alten Zeiten
hatte es mit der Hexenmutter immer nur Ärger gegeben. »Gewiss,
Pamela«, grummelte er.
»Du weißt, dass du mich Pammie nennen darfst,
Dommie.«
DomDaniel zog eine Grimasse, und Simon verkniff
sich ein Grinsen – das war dem Meister dann wohl doch des Guten zu
viel.
»Gehen wir!« Die Hexenmutter öffnete die
Küchentür und bot DomDaniel ihren Arm an, der ihn gehorsam ergriff
und sie hinausgeleitete. Hinter ihnen kam es zu einem kurzen
Handgemenge zwischen Linda und Veronica, die sich uneins waren,
welche als Nächste an die Reihe kam. Ein heimtückischer
Schienbeintritt führte die Entscheidung herbei, und Veroncia
humpelte hinter Linda den Korridor entlang.
Simon folgte Daphne und ihrer Schubkarre, in
der eine große schwarze Blechbüchse lag, die, wie er vermutete, die
Holzwürmer enthielt. Die Büchse war mit winzigen Beschriftungen
versehen, die Simon zu entziffern versuchte.
»Neugierig bist du gar nicht, wie?«, fuhr ihn
Daphne an.
Simon zuckte zurück. »Tut mir leid«, sagte er.
»Um deine Holzwürmer, meine ich.«
Daphne taute sofort auf. Noch nie hatte jemand
so nett über ihre Holzwürmer gesprochen. »Sie sind meine Freunde«,
erklärte sie. »Ich habe jeden Einzelnen von ihnen lieb. Sieh mal,
ich habe alle ihre Namen auf die Büchse geschrieben.«
Im Bemühen, freundlich zu sein, entgegnete
Simon: »Alle Achtung! Wie hast du dir denn so viele Namen
ausgedacht?«
Daphne sah ihn entrüstet an. »Die habe ich mir
doch nicht ausgedacht, du Dummkopf. Sie sagen mir, wie sie
heißen.«
»Ach so. Natürlich.«
Daphne seufzte. »Sie sind alle da drinnen bis
auf Louise, Paulie, Bernina und Freddo. Die wurden von den Dornen
an den Schuhen der Hexenmutter aufgespießt. Ach ja, und Dukey. Der
ist letzte Nacht gestorben. Willst du ihn sehen?«
»Oh! Nein, danke, ich …«
Aber Daphne hörte nicht hin. Sie zog einen
erstaunlich großen, fetten und – angesichts seiner Steifheit und
der vielen an ihm klebenden Taschenflusen – unzweifelhaft toten
braunen Ringelwurm mit Stummelfüßen aus der Tasche. »Er war einer
meiner Lieblinge«, sagte sie traurig. »Ich habe ihm immer
Gutenachtgeschichten erzählt, und er hatte ein eigenes kleines Haus
und all das. Aber letzte Woche ist er krank geworden, nachdem ich
ihm Katzenfutter gegeben hatte. Du glaubst doch nicht, dass ich ihn
umgebracht habe, oder?«
Simon hielt es für wahrscheinlich, hütete sich
aber, das zu sagen. »Nein, natürlich nicht«, antwortete er.
Daphne steckte den toten Dukey wieder in die
Tasche, wischte sich mit dem Arm über die Augen und schniefte.
»Wahrscheinlich war es Linda. Das hinterhältige Biest.« Damit
packte sie die Schubkarre an den Griffen und schob sie aus der
Küche.
Simon folgte den anderen durch den dunklen Gang
in Richtung Haustür. Aber plötzlich geriet die Prozession ins
Stocken. Eine Tür wurde geöffnet, und Dorinda trat heraus, ein
großes Handtuch um den Kopf geschlungen.
»Hallo, Dorinda«, rief die Hexenmutter, als
hätte es nie einen Zwischenfall mit Elefantenohren gegeben. »Wir
gehen aus. Kommst du mit?«
Dorinda betastete vorsichtig den Handtuchturban
und rang sich ein Lächeln ab. »Danke, Hexenmutter, nicht heute
Abend. Ich habe mir gerade die Haare gewaschen.« Damit verschwand
sie wieder in der Dunkelheit.
Die Hexen taumelten den Gang hinunter und
stürzten, brüllend vor Lachen, aus der Haustür.
Von ihrem Platz auf dem Türklopfer aus
beobachtete die Dunkelkröte, wie ihr Meister sich entfernte. Sie
wartete die vorgeschriebene Lauschzeit – fünf Minuten und ein paar
Zerquetschte –, dann hüpfte sie auf die Straße und folgte dem
Meister, wie es sich für eine pflichtschuldige Kröte gehörte.