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Wer ist da?

In der Küche des Porter Hexenzirkels
roch es sehr sonderbar. Simon saß auf einem kleinen, speckigen
Sofa, eingequetscht zwischen Veronica, der Hexe mit der
kegelförmigen Frisur, und Daphne, der kleinen Pummeligen. Um sich
von ihrer unangenehmen Nähe – und Veronicas spitzen Ellbogen –
abzulenken, versuchte Simon, dem seltsamen Geruch auf die Spur zu
kommen. Bald hatten sich seine Augen an das trübe Dunkel, das nur
das Feuer im Herd erhellte, gewöhnt, und er begriff, wonach es
roch. Katzen. Zahllose, im Schein der Flammen funkelnde gelbe
Augenpaare starrten ihn an.
Simon wurde ganz kribbelig. Er war zwischen den
Hexen so eingezwängt, dass er kaum Luft bekam. Ein Glück nur, dass
sich die nette Hexe, die die Schubkarre geholt hatte, nicht auch
noch zu ihm gesetzt hatte. Sie stand jetzt am Herd und rührte emsig
in einem schmutzigen alten Topf, dem ein weiterer seltsamer Geruch
entstieg – Hexengebräu. Von Zeit zu Zeit warf sie Simon einen Blick
zu und lächelte schüchtern, und er lächelte zurück. Doch selbst
Dorindas Lächeln konnte nichts daran ändern, dass er am liebsten
aufgesprungen und dem Gestank entflohen wäre, hinaus in die frische
Porter Nachtluft. Aber er hütete sich, den Meister allein zu
lassen, den Dorinda inzwischen auf den Küchentisch gesetzt hatte,
mit dem Kopf in kecker Schräglage obenauf.
DomDaniel blickte zur Hexenmutter, die, wie es
Simon schien, noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hatte. »Was habe
ich dir gesagt, Dommie?«, frohlockte sie hämisch. »Ich habe dir
prophezeit, dass es kein gutes Ende mit dir nehmen wird. Ich habe
dir gesagt, dass du bei deinem nächsten Besuch in einer Schubkarre
hier anrollen wirst.«
»Ach, lass es gut sein, Pamela«, raunzte
DomDaniel. »Ist doch alles bestens. Ich erschaffe mich neu. Mache
mir neue Gedanken. Schöpfe neue Kräfte. Diese Marcia Overstrand
wird sich noch wundern. Ich habe Pläne. Ziemlich schlaue Pläne, um
genau zu sein. Bald bin ich zurück und nehme Rache. Habe ich recht,
Heap?«
»Ja«, antwortete Simon gehorsam, obwohl er das
in diesem Augenblick für äußerst unwahrscheinlich hielt.
DomDaniel hob den Blick wieder zur Hexenmutter.
»Und dazu brauche ich ein klein wenig Unterstützung, Pamela.«
Die Hexenmutter schnaubte belustigt. »Ein klein wenig!«
»Ähm, in Form eines Knochenumhüllungszaubers.
Den kann man schwer an sich selbst durchführen.«
Die Hexenmutter beugte sich vor, stemmte die
Ellbogen auf den Tisch und sah DomDaniels Kopf direkt in die Augen.
Simon bemerkte, wie der Kopf unter dem nach Katze stinkenden Atem
zurückzuckte. »Tja, wer hätte das gedacht«, sagte die Hexenmutter
mit einem Zahnstummelgrinsen. »Dass du mich einmal um einen
Gefallen bitten würdest!«
DomDaniel wurde es sichtlich unbehaglich. »Du
wirst es nicht bereuen, Pamela. Wenn du mir auf die Beine hilfst,
damit ich die alte Schrulla Overstrand ein für alle Mal erledigen
kann, darfst du die Dunkelkröte behalten, die im Moment auf deiner
Tür sitzt.«
»Die Dunkelkröte? Für immer?«
»Für immer, als Gegenleistung für einen
erstklassigen Befleischungszauber mit Dauerwirkung. Ich brauche
einen, dessen Wirkung auch ohne Knochen noch anhält – also auch
dann, wenn die Knochen beispielsweise woanders platziert werden.
Kann dein Zirkel so etwas, Pamela?«
Die Hexenmutter runzelte die Stirn. DomDaniel
verlangte einen sehr schwierigen und komplizierten
Schwarzkunstzauber, und sie war sich nicht sicher, ob der Zirkel
dergleichen beherrschte – vor allem eine Dauerwirkung, die auch
ohne Knochen funktionierte. Was, so fragte sie sich, hatte der alte
Ziegenbock nur vor? Aber eine Dunkelkröte verschaffte dem Zirkel
hohes Ansehen – sie verriet allen durchreisenden Hexen und
Hexenmeistern, dass hinter dieser Tür ernsthafte schwarze Magie
betrieben wurde. Die Hexenmutter fasste einen Entschluss:
Irgendetwas würde der Zirkel schon zustande bringen, und wenn die
Dunkelkröte erst einmal ihnen gehörte, wen interessierte es dann
noch, was aus DomDaniels dämlichen alten Knochen wurde?
»Ja«, sagte sie. »So etwas können wir. Kein
Problem.«
Rums! Die Haustür wurde
aufgerissen und wieder zugeschlagen. Der Küchenboden bebte, und
Simon spürte, dass sich weit, weit darunter etwas regte. Schwere
Schritte kamen in Richtung Küche. Dann flog die Tür auf, knallte
gegen die Wand, und die fünfte Hexe, Linda, stürmte herein. Ihre
dunkelblauen Augen leuchteten in der Dunkelheit, und ihre langen
schwarzen Fingernägel blitzten wie Krallen. Sie sah wütend aus.
Simon bemerkte, wie Dorinda ängstlich den Kopf einzog und die neben
ihm sitzenden Junghexen Daphne und Veronica erstarrten.
»Du neugierige Ziege!«, schrie Linda zu Dorinda
hinüber.
Dorinda ließ den Holzlöffel fallen, und wie ein
Kaninchen, das vom Lichtstrahl einer Taschenlampe erfasst wird, sah
sie erschrocken zu, wie sich Linda, durch den Müll auf dem Fußboden
stapfend, einen Weg zu ihr bahnte. Dann war Linda bei ihr und
versetzte ihr einen Knuff in die Rippen. »Madrigor ist fort«, rief
sie. »Und er kommt nicht wieder. Nie mehr. Und daran bist nur du
schuld, du elende kleine Schnüfflerin, du widerliche Rotzpopeline,
du …«
»Aber, aber, Linda«, sagte die Hexenmutter.
»Was sind denn das für Ausdrücke?«
»Die werde ich lehren, an meiner Tür zu
horchen«, fauchte Linda. »Sie hat jedes Wort mitgehört, das wir
gesprochen haben. Und dann gekichert!«
Dorinda wimmerte und vergrub das Gesicht in den
Händen. »Das habe ich nicht gewollt«, jammerte sie.
»Von wegen, du verlogenes kleines Biest. Du
lauschst an jeder Tür. Bilde dir bloß nicht ein, ich wüsste das
nicht.«
»Ist das wahr?«, fragte die Hexenmutter und
blickte alarmiert in die Runde.
»Ja. Du würdest dich wundern, wie viele
Geheimnisse diese empfindlichen kleinen Ohren aufgeschnappt
haben.«
»Du liebe Zeit«, murmelte die
Hexenmutter.
Linda hob die Hand und zwickte Dorinda ins Ohr.
Dorinda kreischte. Linda beugte sich näher zu ihr und behauchte die
entsetzte Hexe mit ihrem speziellen Linda-Mäuseatem. »Nichts für
ungut, Dorinda. Ich tue dir nur einen Gefallen.«
Erleichterung huschte über Dorindas Gesicht.
»Wirklich, Linda?«
Simon seufzte. Dorinda musste sehr dumm sein –
alle anderen spürten, dass Linda eine große Gemeinheit im Schilde
führte. Veronica und Daphne neben ihm waren begeistert. »Was hast
du vor, Linda?«, fragten sie wie aus einem Mund.
»Nun, da Dorinda so gern herumschleicht und
lange Ohren macht, soll sie auch schöne lange bekommen.«
Jetzt war Dorindas Blick besorgt.
Blitzschnell packte Linda sie an den Ohren und
grub rücksichtslos ihre Fingernägel hinein. Dorinda heulte auf vor
Schmerz. »Ich an deiner Stelle würde jetzt stillhalten«, zischte
Linda. »Denn du bekommst nun von mir das schönste
Paar …«
»Ja, ja?«, riefen Daphne, Veronica und die
Hexenmutter im Chor.
»… Elefantenohren!«
Dorinda kreischte so laut, dass sich Simon die
eigenen – zum Glück menschlichen – Ohren zuhielt und die Augen
schloss. Als der Rauch sich verzog und der Gestank nach verbranntem
Fleisch wieder dem vergleichsweise angenehmen Geruch nach
Katzenkacke wich, schlug Simon die Augen wieder auf und sah gerade
noch, wie Dorinda, begleitet von wüstem Gelächter, aus der Küche
stürzte, am Kopf das riesige, wild schlackernde graue Ohrenpaar
eines afrikanischen Elefanten. Simon bekam Mitleid mit der jungen
Hexe, denn er wusste, dass Lindas Zauber ein Dauerzauber war und
Dorinda bis zum Ende ihrer Tage mit zwei Elefantenohren am Kopf
würde leben müssen. Und der Umstand, dass sie damit wirklich
komisch aussah und er Mühe hatte, nicht in das Gelächter der
anderen mit einzustimmen, machte es noch schlimmer.
Das Gelächter verklang, und die Hexenmutter
wandte ihre Aufmerksamkeit wieder DomDaniel zu. Der
Elefantenohren-Zauber hatte sie in beste Laune versetzt. Und er
hatte ihr gezeigt, dass Linda eine Kraft war, auf die sie zählen
konnte.
»Linda, mein Liebes«, sagte sie in anbiederndem
Ton, »würdest du uns, falls es dir keine allzu großen Umstände
bereitet, bei einem Knochenumhüllungszauber helfen?«
Linda lächelte. »Mit Vergnügen, Hexenmutter.«
Sie senkte den Blick auf DomDaniel, der erleichtert aufatmete. »Wer
ist denn der Glückliche? Der alte Rumtreiber da?«
DomDaniel runzelte die Stirn, schwieg aber. Er
war seinem Ziel jetzt so nahe, dass er es nicht aufs Spiel setzen
wollte.
Die Hexenmutter kicherte. Es klang nicht
angenehm. »Ach, Linda, du bist ja so komisch. Hahaha. Wirklich
köstlich. Das ist kein Geringerer als DomDaniel!«
Linda blickte sie schockiert an. »Wirklich?«
Sie beugte sich vor und beäugte DomDaniels Kopf. »Donnerwetter!«,
flüsterte sie, wackelte mit den Fingern, was, wie Simon vermutete,
wohl ein Winken darstellen sollte, und flötete: »Hallo, Mr. Daniel,
ich wollte Sie schon immer mal kennenlernen.«
»Nun fangt schon endlich an«, stöhnte
DomDaniel, dessen Geduld endgültig erschöpft war.
»Na schön«, befand die Hexenmutter. »Beginnen
wir.«