8.Kapitel

Maurice

Einige Tage später

Ich erinnere mich nur vage was in der Zeit zwischen dem Feuerball und meinem Erwachen hier passiert ist. Da war Lilly und dieser Lukas war auch da, und natürlich der sengende Schmerz. Als ich endlich wieder zu mir gekommen war, hatte Rose an meinem Bett gesessen. Am liebsten wäre ich sofort zu Lilly gestürzt, aber dazu war ich weiß Gott nicht in der Lage gewesen, also hatte ich die letzten drei Tage damit verbracht Blut zu trinken, mich auszuruhen und mir Sorgen zu machen.

Auch jetzt laufe ich unruhig im Zimmer auf und ab, „beruhige dich endlich und setz dich, du trittst noch ein Loch in den Teppich“, spöttelt Rose. Ich fahre wütend zu ihr herum und knurre: „Ich will mich aber nicht beruhigen, wer weiß was sie mit ihr angestellt haben, ich hätte längst zu ihr gehen sollen.“ Sie seufzt entnervt auf, ehe sie seelenruhig, wohl zum hundertsten Mal, seit sie gekommen ist, sagt: „Du warst bis heute nicht in der Lage auch nur geradeaus zu gehen, du hast Glück, dass du überhaupt noch lebst. Feuer kann uns töten, das weißt du doch. Und sie lebt, das habe ich dir doch gesagt.“ „Aber sie halten sie gefangen.“ „Möglich, sie hat seit Tagen ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Und der blonde Hexer bewacht ihre Tür. Mehr kann ich dir nicht sagen. Da Eric leider noch immer bei Jacob ist, habe wir niemand hier der etwas vom Observieren versteht.“ Ich beiße wütend die Zähne aufeinander, typisch ständig beglückt diese Nervensäge mich mit seiner Anwesenheit, aber wenn man ihn einmal braucht, ist er nicht da, „du hättest zu ihr gehen sollen“, beschuldige ich Rose. „Und dem Wachhund direkt in die Arme laufen? Tolle Idee und wer hätte sich dann um dich gekümmert?“ Widerstrebend gebe ich zu: „Tut mir leid, du hast ja recht. Aber ich muss ihr helfen.“ „Du weißt nicht mal ob sie überhaupt Hilfe braucht.“ „Wenn Eric irgendwo eingesperrt wäre, dann würdest du nicht zögern dort einzubrechen, egal wie gefährlich es wäre“, fauche ich. „Und du würdest mich als guter Freund davon abhalten“, erwidert sie lächelnd. In mir kocht die Frustration hoch, ich schnappe mir eines der Nippes, die hier überall rumstehen, und schleudere es heftig gegen die Wand, wo es klirrend zerspringt. „Ich mochte das Ding noch nie“, stellt sie ironisch fest. Ich drehe mich zu ihr um, sehe ihr fest in die Augen und sage hart: "Sobald es dunkel ist, gehe ich zu ihr.“ „Sei doch nicht dumm Maurice, der Hexer würde dich nie vorbeilassen.“ „Dann reiße ich ihm die Kehle heraus.“ „Und verdirbst deine vielleicht einzige Chance bei ihr, falls sie gar nicht eingesperrt ist. Davon abgesehen bist du noch nicht wieder bei Kräften, du könntest auch verlieren.“ „Aber sie werden mich nicht zu ihr lassen, um es herauszufinden.“ „Stimmt werden sie nicht, aber zu deinem Glück hast du eine gute, nicht nachtragende Freundin, die den Wachhund ablenken wird.“ Wärme durchflutet mich, ich stoße heiser hervor: „Danke.“ Sie zuckt nur die Schultern: „Ich will eben nicht auf meinen besten Freund verzichten. Sobald es dunkel wird, legen wir los.“

Nach einem quälend langem Tag stehe ich nun an der Ecke des Hochhauses, in dem Lillys Wohnung sich befindet. Unser Plan ist simpel und wird hoffentlich funktionieren, jede Wohnung hat einen kleinen Balkon, und viele Ziervorsprünge, an denen ich mich hochhangeln kann, denn dass wir fliegen können, ist leider eine Erfindung der Literatur. Rose ist vor wenigen Augenblicken ins Haus verschwunden und ich warte auf das Zeichen, dass Lukas ihr folgt. Endlich ertönt das kurze Piepen meines Handys, das mir Roses abgeschickte SMS anzeigt, was war nur aus den guten alten Zeiten geworden. Aber ich verschwende keine Zeit und hangle mich sofort hoch. Nach einigen Augenblicken habe ich Lillys Balkon erreicht. Ich ziehe mich rüber und trete zur Tür und klopfe. Ich weiß, dass ich erst einige Sekunden hier stehe, aber es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, bis sich endlich der Vorhang leicht bewegt. „Gut sie ist vorsichtig“, schießt mir durch den Kopf, „aber was wenn sie mich gar nicht mehr sehen will?“, folgt kurz darauf, und dieser Gedanke versetzt mir einen scharfen Stich. Als ich dann endlich den Türriegel höre, stehe ich bereits wie auf Nadeln. Die Tür geht auf und eine völlig aufgelöste Lilly fällt mir um den Hals. Ihre Arme umschlingen mich und sie schluchzt: „Gott sei Dank du lebst, ich hatte solche Angst um dich.“ Zärtlichkeit explodiert förmlich in meinem Inneren, ich drücke sie an mich und wiege sie sanft, bis sie zu weinen aufhört. Erst als sie mich sacht wegdrückt, lasse ich sie los. Verlegen wischt sie sich die Tränen weg, „du musst mich ja für eine Heulsuse halten“, murmelt sie. Zärtlich streiche ich ihr eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht und flüstere heiser: „Geht es dir gut? Haben sie dir etwas getan?“ Sie schüttelt den Kopf, „nein mir geht es gut, aber sie lassen mich nicht mehr zu dir oder zu Rose. Ich muss wieder in mein Leben zurück, ich hatte gehofft wir hätten mehr Zeit. Aber wir wussten ja dass es irgendwann enden würde, es kam nur früher als erwartet. Es tut mir nur für Rose leid, ich hätte ihr so gerne geholfen.“ Ihre Worte treffen mich wie ein Schlag in den Magen, sie keucht auf, als meine Finger sich in ihre Schultern bohren, aber ich kann nur noch den beißenden Schmerz fühlen, den der Gedanke an ein Leben ohne sie auslöst, „nein“, presse ich hervor. All die kunstvollen Pläne, mit denen ich sie langsam für mich hatte gewinnen wollen, lösen sich vor mir auf. „Maurice du tust mir weh“, schreit sie auf. Schuldbewusst lasse ich sie sofort los, sage aber hastig: „Vergib mir Lilly, aber ich kann dich nicht loslassen.“ „Was redest du denn da?“ Ich sehe sie beschwörend an und lege jedes bischen Überredungskunst, dass ich mir jemals angeeignet habe, in meine Stimme: „Lilly hör mir zu, ich weiß was wir vereinbar hatten, und ich weiß dass es eigentlich unmöglich ist, aber ich kann dich nicht loslassen, weil ich dich liebe.“ Ihre Augen weiten sich, aber ich lasse sie nicht zu Wort kommen: „Noch nie hat mir jemand so viel bedeutet wie du, ich weiß dass es gefährlich ist, aber das ist mir egal. Die letzten drei Tage, als ich nicht wusste was mit dir ist und nicht zu dir konnte, das war die furchtbarste Zeit meines Lebens. Lilly Mac Evan ich sterbe lieber als ohne dich weiter zu existieren. Und egal was ich tun muss um dich zu überzeugen, ich werde nie aufgeben, bis du zugibst dass wir zusammengehören. So das musste ich endlich loswerden und jetzt kannst du mich auslachen, wenn du willst“, füge ich unsicher hinzu und starre sie fast ängstlich an. Die ganze Zeit über hatte sie mich ungläubig angestarrt und in mir verkrampft sich alles in Erwartung einer Abfuhr. Sie fragt heiser: „Ist das dein Ernst?“ Ich würge hervor: „Ich weiß du wolltest das nicht, aber ...“, sie unterbricht mich schluchzend: „Ich liebe dich auch.“ Ich wage es nicht meinen Ohren zu trauen, „Du liebst mich auch?“, krächze ich ungläubig. „Ich liebe dich schon die ganze Zeit, schon fast vom Anfang an, aber ich dachte du würdest nie eine feste Bindung wollen, schon gar nicht mit einer Hexe.“ „Ich werde nie wieder eine andere Frau wollen.“ Damit ziehe ich sie wieder an mich und küsse sie stürmisch, in mir tobt ein Orkan aus Liebe, Glück und Verlangen. Aber nach einem Moment drückt sie mich sanft weg und sagt ernst: „Wir sollten trotzdem etwas warten bis wir uns wiedersehen, im Moment sind sie alle ziemlich aufgebracht. Es wird leichter sein ihnen das mit uns beizubringen wenn sie sich etwas beruhigt haben. Selbst dann wird es noch ein hartes Stück Arbeit sein.“ Ich seufze gequält auf: „Du bringst mich um.“ „Im Gegenteil, ich will dich am Leben halten“, sagt sie lächelnd, „du musst nur etwas auf mich warten.“ Ich würde für den Rest der Ewigkeit auf sie warten. Ich schenke ihr ein sinnliches Lächeln und sage herausfordernd: „Dann gib mir etwas mit auf den Weg, damit ich die Zeit ohne dich überstehen kann.“ Aber bevor sie antworten kann, meldet sich mein Handy zu Wort. „Du gehst doch nicht ernsthaft jetzt an dein Handy“, fragt sie empört, als ich danach greife. Ich sage frustriert: „Ich muss, Rose lenkt gerade deinen Wächter ab, und das ist sie.“ Als ich abnehme meldet sich genau die hastig: „Du musst da weg, er lässt sich nicht länger weglocken. Er ist bereits auf dem Weg zurück zur Wohnung.“ Ich fluche unterdrückt, Lilly sieht mich besorgt an, ich seufze: „Ich muss wohl auch so durchhalten, Lukas ist auf dem Weg zurück. Aber sobald du meinst dass sie es schlucken werden meldest du dich. Oder wenn du in Gefahr bist, egal was das für mich bedeutet.“ „Maurice“, protestiert sie, „nichts da, ich gehe nur, wenn du versprichst, mich bei Gefahr sofort anzurufen. Vergiss nicht, ohne dich mache ich ohnehin nicht weiter, also versprich es.“ „Also gut“, gibt sie widerstrebend nach. Ich ziehe sie noch mal kurz an mich und küsse sie besitzergreifend, dann schwinge ich mich über die Brüstung und klettere rasch nach unten.

Lilly

Mein Herz pocht so heftig dass mir schwindlig wird, während ich Maurice nach unten verschwinden sehe. Es ist immer noch Wahnsinn und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich es meiner Großmutter beibringen soll, aber ich weiß jetzt dass ich ihn nie aufgeben werde, egal wie schwierig es wird. Ich schwebe wie auf Wolken als ich zurück in die Wohnung gehe. Dort reißt Lukas gerade schwungvoll die Tür auf und stürzt herein, „bist du in Ordnung?“ stößt er hervor. In Ordnung? Ich fühle mich großartig, aber das sollte er besser nicht merken, ich fauche ihn an: „Was denn sonst, wo doch nicht mal eine Fliege hier reinkommen würde.“ Sein Kiefer spannt sich an, ehe er knurrt: „Eine von diesen verdammten Vampiren war hier.“ „Nun hier ist jedenfalls keiner, oder siehst du einen?“, frage ich schnippisch. Schon während wir sprechen wandert sein Blick durch die Wohnung, als er die offene Balkontür sieht schnappt er: „Du warst am Balkon?“ „Stell dir vor, ich hatte das Bedürfnis nach frischer Luft.“ „Lilly das ist gefährlich, ich kann dich nicht beschützen, wenn du so unvernünftig bist. Lass mich wenigstens hier in der Wohnung auf dich aufpassen, dann kann ich schneller bei dir sein.“ Ich schnaube nur abfällig. Seine Stimme wird sanft: „Lilly ich tue das alles nur um dich zu beschützen, auch wenn du mich nicht mehr willst bist du mir wichtig, nicht nur weil du die nächste Regentin bist.“ Dabei sieht er mich so liebevoll an, dass ich nicht mehr weiß ob er ein fantastischer Schauspieler ist, oder doch unschuldig, aber ich kann es mir nicht leisten dem Falschen zu vertrauen, also sage ich nur kalt: „Wie schön, dann bewachst du eben weiter meine Haustür, denn hier will ich dich nicht haben.“ Er zuckt kurz zusammen, strafft sich dann aber und nimmt seinen Posten wieder ein.

Nachdem mich die Sorge um Maurice fast in den Wahnsinn getrieben hatte, war ich in den vergangenen Tagen dazu übergegangen mich abzulenken indem ich in meinen Büchern nach Hinweisen auf die Dunkelheit, die ich in meiner Vision gesehen hatte, und der alten Magie in den Höhlen zu suchen. Kurz bevor Maurice an die Scheibe geklopft hatte, war ich über eine interessante Stelle gestolpert. Ich nehme Platz, um weiterzulesen.

Bericht von Regentin Valeria Anno Domini 500

Am heutigen Tag konnte eine große Bedrohung abgewendet werden, es ist uns gelungen den Herrn der Schatten, dessen wahrer Name ungenannt bleiben soll, um ihn nicht zurückzurufen, einzukerkern. Aber es hat einen hohen Blutzoll gefordert. Der letzte der großen Hexenmeister hat sein Leben gegeben, um ihn mit seiner Magie an den magischen Kerker zu binden.

Er ist ein Geschöpf der Dunkelheit, er ernährt sich von dunklen Gefühlen wie ein Vampir von Blut. Dabei ist es ihm gleich ob er Mensch, Hexe, Vampir oder sonst ein Geschöpf zerstört. Seine Diener sind lebendige Schatten, die jeden verschlingen und ihn als leere Hülle wieder ausspucken. Und das sind nur die Gaben, von denen wir wissen. Ich warne hiermit jede Hexe und jeden Hexer davor ihn jemals wieder freizulassen, denn er würde uns alle zerstören.

Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken und verscheucht meine rosige Stimmung. Es muss nicht sein, aber das, was ich gesehen hatte, konnten diese lebendigen Schatten gewesen sein, und sie hatten Maurice verschlungen. Ich klappe das schwere Buch ruckartig zu, es war sicher kein Zufall, dass ich diese Vision genau dort gehabt hatte, wo die dunkle Magie zu spüren gewesen war. Ich muss diesen Ort näher untersuchen, sobald ich wieder etwas Freiheit habe, nur hat sich das miese Gefühl in mir verkrallt, dass ich nicht mehr viel Zeit dafür habe.