9.Kapitel

Lilly

Am nächsten Morgen teilt Lukas mir mit, dass ich bei der Regentin erwartet werde. Ich mache mir nicht die Mühe mich besonders zurechtzumachen, denn im Gegensatz zu früher habe ich nicht mehr vor ihr alles recht zu machen.

Als Lukas mich in ihr Büro führt, ist dort, zu meiner Überraschung auch meine Tante Amanda anwesend. Kaum dass die Tür zu ist befiehlt meine Großmutter: „Setz dich.“ Ich straffe mich, „danke ich stehe lieber.“ Alle drei sehen mich verblüfft an. Ich sage hart: „Könnten wir es einfach hinter uns bringen?“ „Wie du willst, deine Behauptung Lukas wäre an dem Attentat schuld ist unsinnig, sonst hätte er dich ja wohl in den vergangenen Tagen umgebracht, findest du nicht?“ „Ich habe ja auch nie behauptet, dass ich das Ziel war. Es sollte nur so aussehen, damit ich meine Aufgabe beenden muss.“ Ihr Blick wird noch kälter, „diese sogenannte Aufgabe ist ohnehin vorbei. Du wirst Morgen wieder deinen Dienst hier aufnehmen und wir fangen ernsthaft mit deiner Ausbildung an.“ „Aber ...“, sie unterbricht mich: „Keine Widerrede, ich werde nicht ewig leben, und dann musst du bereit sein.“ Ehe wir ernsthaft in Streit geraten können, mischt meine Tante sich ein: „Verzeih meine Einmischung, aber mir scheint immer noch, dass es klug wäre diese Vampirhexe auf unsere Seite zu ziehen.“ „Wir brauchen diese Vampire nicht, und auch nicht ihre Hexe“, wehrt die Regentin ab. „Aber Mutter, überlege doch mal die Vorteile, wenn sie weiterhin ...", "Amanda es reicht, ich wünsche keine Diskussion mehr.“ Ich beobachte ungläubig wie meine Tante es noch mal versucht: „Gib ihr doch einen Wächter mit, das werden sie schon schlucken wenn sie ihre Hexe ausgebildet haben wollen. Lukas würde sicher ...“, ein nun völlig eiskalter Blick lässt sie nun aber doch verstummen. Meine Großmutter sagt beißend: „Deswegen meine Tochter wird Lilly mir nachfolgen und nicht du, du hast einfach kein Gespür für das Richtige. Die Sache ist beendet und damit Schluss.“ Für einen Moment meine ich blanke Wut in Amandas Augen aufleuchten zu sehen, ehe sie sich wieder unter Kontrolle hat, aber kein Wunder auch ich würde Elisa Mac Evan im Moment am liebsten an die Kehle springen, wenn es denn etwas bringen würde. Die beginnt nun, ohne uns weiter zu beachten, in einem Buch zu blättern, wir sind wohl entlassen. „Komm Lilly gehen wir“, sagt Lukas leise, ehe ich ihm nach draußen folge werfe ich meiner Tante noch einen dankbaren Blick zu, auch wenn es nichts genützt hat, bin ich dankbar für ihre Unterstützung, selbst wenn mir nicht ganz klar ist, wieso sie es getan hat.

Am nächsten Morgen

Da ich, wenn ich Maurice jemals wiedersehen will, wohl oder übel mitspielen muss, erscheine ich, natürlich in Lukas Begleitung, pünktlich zum Dienst. Aber noch bevor ich auch nur am Schreibtisch Platz nehmen kann ruft sie uns schon herein. Wie immer thront sie hinter ihrem Schreibtisch, auf dem im Moment einige alte Bücher liegen, und ein Manuskript, das wirkt als ob es gleich zerbröseln würde. Sie deutet auf den Stuhl vor dem Tisch und diesmal nehme ich gehorsam Platz, Lukas ist an der Tür stehen geblieben. „Es ist schön dass du vernünftig geworden bist“, sagt sie nun, noch immer ohne mich anzusehen. Als ich nicht antworte hebt sie dann doch den Blick, sie mustert mich kurz fährt dann aber ohne Kommentar fort: „Heute wirst du die Rituale für die Angelobung als Regentin durchgehen. Ich will, dass dir klar wird, was es bedeutet die Hexen zu führen.“ Das fing ja gut an, ich unterdrücke ein Seufzen und nicke nur. Sie schiebt mir vorsichtig die Rolle zu, aber gerade als ich danach greifen will läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich zucke zurück, meine Großmutter runzelt missbilligend die Stirn, aber dann erstarrt auch sie. Die Luft scheint kälter zu werden und gleichzeitiger drückender. Instinktiv greife ich nach meinem Hals, als Lukas plötzlich schreit: „Vorsicht die Tür.“ Ich springe auf und wirble herum, und erstarre endgültig zu Eis, wabernde Schatten drücken sich durch die Tür.

Sie dringen durch das Schlüsselloch nach innen und kriechen auf uns zu. Ich sollte weglaufen, aber ich bin wie erstarrt, als ich sie erkenne, es sind die Schatten aus meiner Vision. Sie bäumen sich auf und wogen schließlich auf mich zu. Ich kreische auf und werde von Lukas, der zu uns gerannt ist, zu Boden geworfen, sodass die Schatten über uns hinweggleiten. Hinter uns höre ich das Fauchen eines Feuers. Lukas springt wieder auf und gibt mir damit den Blick frei. Meine Großmutter steht aufrecht hinter ihrem Schreibtisch, über dem die Schatten nun schweben, und um sie herum lodert ein Ring aus Feuer. Die Schatten verharren, Lukas hat zwischen uns Stellung bezogen und rezitiert, ich erkenne einen Feuerzauber, und schleudert ihn schließlich auf die Schatten. Die erzittern kurz, verschlucken dann aber das Feuer, nur um noch größer zu werden. „Was zur Hölle ist das?“, schreit Lukas über die Schatten hinweg, der Regentin zu. Die steht mit verzerrtem Gesicht da, die Arme erhoben, und drückt sie nach außen um die Feuerwand aufrechtzuerhalten, aber die Schatten haben sie jetzt umkreist und rücken immer weiter auf sie zu. Ich antworte an ihrer Stelle flüsternd, als ich begreife: „Die Diener des Herrn der Schatten.“ Sein Kopf ruckt zu mir herum, der Blick fragend, aber ich kann ihm auch nicht helfen. Als er das erkennt reißt er seinen magischen Dolch heraus, lässt ihn auflodern und springt auf die Schatten zu. Er sticht nach ihnen, für einen Moment lassen sie von der Regentin ab und werfen sich gegen Lukas. Sein Dolch verlischt zischend und Lukas lässt ihn mit einem Fluch fallen. Als die Schatten wieder zurückweichen, kann ich sehen, dass seine Hand blau und steif vor Kälte ist. Die Schatten umringen nun wieder die Regentin, wo sie das Feuer berühren zischt es, als ob es mit etwas Feuchtem in Berührung kommen würde. Ich taste nach ihnen, versuche Wasser in ihnen zu finden, um meinen Trick aus der Höhle zu wiederholen, aber sie haben überhaupt kein Element in sich, da ist nur Leere. Während Lukas mit halb erfrorenen Fingern versucht einen Zauber zu wirken, erlischt das Feuer von Elisa Mac Evan vollständig. Kaltes Entsetzten kriecht meine Wirbelsäule hoch, als sie sich an sie haften und beginnen sie einzuhüllen. Sie keucht vor Schmerz auf, Lukas brüllt vor Wut, ich schreie: „Sag mir doch was wir tun können?“ Sie bäumt sich auf, lässt noch mal Feuer um sich auflodern, das die Schatten für einen Augenblick zurücktreibt, dann greift sie nach dem Pergament und wirft es mir zu. Instinktiv fange ich es auf, sie krächzt: „Mir könnt ihr nicht mehr helfen. Lukas du musst Lilly schützen, bring sie hier weg. Ihr müsst den Verräter stoppen, sonst sind wir alle verloren.“ Wie immer gehorcht er und hechtet zu mir, während ich sie noch entsetzt anstarre. Die Schatten haben sie nun fast völlig eingehüllt, nur noch ihre Augen, die immer so eisig waren, sind zu sehen, jetzt steht Entsetzen in ihnen. Ich stolpere hinter Lukas her, als er mich mitreißt.

Mein Herz hämmert vor Panik hart gegen meine Rippen, ich achte nicht auf den Weg, ich konzentriere mich einfach nur noch darauf weiterzulaufen, während er mich mitschleift. Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit endlich stehen bleiben, keuche ich vor Erschöpfung und meine Seiten stechen, als ob Messer darin stecken würden. Wir sind in einer winzigen Wohnung, die ich nie zuvor gesehen habe. Lukas hat mich in die Mitte des Zimmers geschoben und ist nun dabei die Tür mit einem Tarnzauber zu belegen, was eine ganze Weile dauert, weil er nur die linke Hand benutzt. Als er fertig ist kommt er wieder zu mir. Der letzte Rest Zweifel, den ich nach dem Kampf und meiner Rettung noch an seiner Unschuld gehabt hatte, vergeht, als ich seine rechte Hand nun näher betrachte. Sie ist halb erfroren, er hält sie steif an seine Seite gedrückt. „Darf ich deine Hand untersuchen?“, frage ich schuldbewusst. Er reicht sie mir schweigend. Ich weiß kaum wo ich sie anfassen soll so übel sieht sie aus, ich verfluche die Tatsache keine Heilerin zu sein. „Du brauchst einen Arzt“, stelle ich überflüssigerweise fest. Er entzieht mir die Hand und schüttelt den Kopf, „eine Heilerin wird das schneller in Ordnung bringen.“ Gequält weiche ich seinem Blick aus, er hat es noch nicht begriffen, und ich hasse es ihm die bittere Wahrheit beibringen zu müssen. Ich würge hervor: „Ja, aber wir können keiner von ihnen trauen.“ „Was redest du da?“, fragt er verwirrt. Ich zwinge mich ihn wieder anzusehen und sage hart: „Die Schatten, die uns angegriffen haben, sind Geschöpfe des Herrn der Schatten, eine Kreatur, die vor langer Zeit verbannt worden ist. Jemand versucht ihn zu befreien, und dieser jemand ist einer von uns.“ Er wird aschfahl, als er begreift, als er sich schließlich die heile Hand an die Brust legt und feierlich schwört: „Ich werde alles tun, um dich zu schützen und deine Großmutter zu rächen, selbst wenn es mein Leben kosten sollte“, bohrt sich schlechtes Gewissen wie ein Stachel in mein Herz. „Lukas es tut mir leid“, sage ich heiser. „Das muss es nicht, die Hand kommt sicher wieder in Ordnung, es sieht schlimmer aus, als es ist.“ „Das meine ich nicht, ich …, Lukas ich hätte dich nie verdächtigen dürfen. Trotz unserer persönlichen Differenzen hätte ich nie an deiner Loyalität zweifeln dürfen.“ Beschämt senke ich dabei den Kopf, aber er legt mir sanft einen Finger unter mein Kinn und hebt es zu sich empor, sodass ich ihm wieder in die Augen sehen muss. Zu meiner Überraschung liegen darin nur Wärme und Zuneigung, er sagt ernst: „Ich tue es nicht nur, weil es meine Pflicht ist, sondern weil ich es will. Lilly bloß weil es zwischen uns nicht funktioniert hat heißt das nicht, dass du mir egal bist.“ Der Stachel bohrt sich tiefer, ich schlucke und krächze belegt: „Aber ich werde nie mehr ...“, er unterbricht mich sanft: „Ich bin kein Idiot, ich weiß, dass es vorbei ist, und dass wir nicht zusammenpassen.“ „Aber all die Male als du die Männer, mit denen ich ausgehen wollte, verscheucht und eingeschüchtert hast, ich dachte ...“, er seufzt: „Das war der Wunsch der Regentin, sie hatte die fixe Idee, dass wir wieder zusammenkommen sollen. Ich habe ihr gesagt, dass das nichts wird, aber sie ist …, war ...“, „die sturste Person, die wir kennen“, vollende ich den Satz. Er nickt und fährt dann fort: „Irgendwann wirst du jemand haben, und ich hoffe ich werde auch jemand finden, aber egal was passiert, du wirst mir immer wichtig sein. Es tut mir leid, dass du mich für deinen Gefängniswärter hältst, aber ich will dich nur beschützen, bitte lass mich das tun, vor allem jetzt, wo wir auf uns allein gestellt sind.“ Ich komme mir wie ein komplettes Miststück vor, weil ich ihn für den Verräter gehalten hatte, aber wenigstens eine gute Nachricht habe ich für ihn, nun ja, zumindest halte ich es für eine gute Nachricht. Ich sage lächelnd: „Aber wir sind nicht ganz allein.“ Er runzelt die Stirn, „aber du sagtest ...“, „dass wir keiner Hexe trauen können, und das stimmt. Aber die Vampire werden uns helfen.“