10.Kapitel
Maurice
Meine Freude darüber so schnell wieder von Lilly zu hören, war schnell in blankes Entsetzten umgeschlagen, als sie mir den Grund ihres Anrufes verraten hatte. Sie hatte angekündigt gemeinsam mit Lukas, der offenbar doch nicht der Attentäter war, in das ihr bekannte Haus zu kommen. Ich hatte Rose angerufen und wir waren schleunigst dorthin gefahren.
Jetzt stehe ich wie auf Nadeln und warte, bis sie endlich kommen. Sie hatte zwar am Telefon gemeint ihr würde nichts fehlen, aber das konnte auch nur zu meiner Beruhigung gewesen sein. Als ich ihre Schritte höre, will ich zur Tür, aber Rose hält mich auf, „ich lasse sie rein, du würdest zu viel Krach machen, besser wir bleiben unauffällig, denk an die Nachbarn.“ Frustriert beiße ich die Zähne zusammen, aber ich weiß dass sie recht hat, also lasse ich ihr den Vortritt und zwinge mich im Wohnzimmer zu bleiben.
Kaum dass Lilly in der Tür auftaucht, bin ich bei ihr, reiße sie stürmisch in meine Arme und drücke sie an mich. „Gott sei Dank dir geht es gut“, stöhne ich erleichtert und küsse sie dann besitzergreifend. „Nimm die Hände von ihr“, blafft Lukas hinter ihr. Ich versteife mich, der Mistkerl mag ja nicht der Attentäter sein, aber er ist immer noch ihr Ex Lover, ich werde ihm klarmachen dass sie nun mir gehört. Ich knurre: „Sie gehört jetzt zu mir, wenn dir das nicht gefällt können wir es gleich austragen.“ Sein ganzer Körper strafft sich, und obwohl er seine rechte Hand, die einbandagiert ist, steif an seine Seite gedrückt hält, wirkt er so gefährlich wie eine aufgerichtete Kobra. Ich stoße ein warnendes Knurren aus. „Ach hört schon auf ihr beiden“, fährt Lilly dazwischen, „Lukas es ist alles in Ordnung, wir lieben uns. Und Maurice hör auf dich wie ein Neandertaler zu benehmen, er weiß dass er keine zweite Chance mehr bekommt.“ „Bist du sicher dass er das auch weiß?“, erwidere ich bissig. Da sagt der große blonde Hexer völlig kalt: „Sie hat recht, aber sie wird mir immer teuer sein. Im Moment will sie offenbar dich, also werde ich das akzeptieren, aber ich warne dich Vampir, solltest du ihr jemals wehtun, oder sie verraten dann werde ich dir dein totes Herz herausreißen und es mit einem brennenden Dolch aufspießen.“ Dabei sieht er mir ohne die geringste Regung direkt in die Augen. Es ist eine offene Herausforderung, vor Wut kommen meine Fangzähne hervor, aber in dem Moment wandert sein Blick kurz zu Lilly und dabei wird er weich und so warm und besorgt, dass meine Wut verpufft, denn mir wird klar, dass es noch jemand gibt, der sein Leben für sie geben würde, selbst wenn er sie nicht haben kann. Es hat nur einen Herzschlag lang gedauert, jetzt ist sein Blick wieder bei mir und eiskalt, aber ich antworte ruhig: „Das ist gut, denn sollte ich das jemals tun, dann verdiene ich es nicht besser.“ Was immer er dabei in meinen Augen gesehen hat, es hat ihn offenbar überzeugt, denn er nickt nur und sagt dann zu Lilly: „Du kannst ihnen ja alles genau erzählen, ich werde versuchen einen Arzt zu finden, um nicht bald völlig nutzlos zu sein.“ „Ich habe einen von Maurice Dienern hergebeten, als Lilly deine Verletzung erwähnt hat, er ist nebenan“, mischt Rose sich ein. Er nickt ihr zu und verlässt den Raum. Ich will mich Lilly zuwenden, aber Rose sagt schmunzelnd: „Man fasst es nicht, es gibt tatsächlich so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit.“ „Wie bitte?“, frage ich verblüfft, sie grinst mich frech an und erklärt dann amüsiert: „Du musst schon zugeben es hat etwas sehr Ironisches, dass du, der seit Monaten versucht mir als besorgter Freund in meiner Beziehung Vorschriften zu machen, jetzt eine Frau mit einem sehr besorgten Freund an deiner Seite hast, und zwar einen mit einem sehr scharfen Dolch, wie mir scheint.“ Ich verdrehe die Augen, das würde ich mir noch öfter anhören müssen, aber sie hatte ja recht, ich hatte mir wirklich einiges geleistet, seit beiden sich kennengelernt hatten.
Ein Räuspern von Lilly lässt uns beide zu ihr sehen, sie sagt spöttisch: „Möchtet ihr jetzt Einzelheiten hören, oder lieber über unser Privatleben tratschen?“ Ich zucke zusammen, aber Rose lacht auf: „Ich mag sie Maurice, vermassle das bloß nicht.“ Ich funkle sie wütend an und wende mich dann Lilly zu. Die hat inzwischen auf dem Sofa Platz genommen und erzählt uns alles, der Angriff, den Text über den Herrn der Schatten, und dass sie glaubt dass ihre Vision damals in der Höhle damit zu tun hat. Als sie fertig ist würde ich sie am liebsten in Watte wickeln und verstecken, „du kannst natürlich solange bei uns unterschlüpfen wie du willst, Lukas natürlich auch“, füge ich dann etwas knurrig hinzu. „Danke Maurice, aber das würde nichts nützen. Spätestens, wenn der Herr der Schatten wieder zurück ist, wären wir ohnehin alle verloren, ich werde versuchen seine Rückkehr zu verhindern und ich hatte dabei auf eure Hilfe gehofft.“ „Ich würde alles für dich tun Lilly, aber wir sind keine Hexer.“ „Das weiß ich, aber ich denke die Antwort liegt in Seths Domizil.“ „Du meinst die Bücher, von denen Eric dir erzählt hat?“, fragt Rose. „Unter anderem, aber vor allem hatte ich die Vision genau dort, das ist sicher kein Zufall gewesen. Und außerdem habe ich in dem Relief in der Höhle eine dunkle Magie gespürt. Rückblickend denke ich dass sie etwas mit dem Herrn der Schatten zu tun hat. Es ist nur eine Theorie, aber wenn es etwas mit ihm oder seinen Schatten zu tun hat, dann könnte in der Bibliothek doch auch etwas darüber zu finden sein. Vampire und Hexen haben sich früher oft bekämpft, ich denke euer antiker Vampir hat wohl Artefakte und Bücher eines besiegten Feindes an sich genommen, ich hoffe dort einen Hinweis zu finden, der uns verrät wie wir den Hexer oder die Hexe die diese Kreatur beschwören will finden können.“ „Nun, wenn das so ist, werde ich meinen Leuten dort mal bescheid sagen. Sie sollen, bis wir morgen Nacht dort ankommen, alles, was auch nur im entferntesten nach einem Hexenbuch aussieht, raussuchen. Ich bereite alles vor und du solltest dich ausruhen. Keine Sorge wegen deines Bodyguards, den werde ich, sobald ihr in Maurice Zimmer seit und er fertig verarztet ist, auf dem Sofa einquartieren“, kommandiert Rose und verschwindet dann, ehe ich protestieren kann. Aber ich muss ihr ohnehin Recht geben, Lilly sieht furchtbar erschöpft aus, ich werde mich besser um sie kümmern und Rose den Rest überlassen.
Nachdem ich Lilly ins Schlafzimmer bugsiert hatte, und sie es sich dort auf dem Bett bequem gemacht hat lege ich mich zu ihr und nehme sie sanft in die Arme.
Das Ganze hätte wirklich romantisch sein können. In einem Schlafzimmer, mit der Frau, die ich über alles liebe und die eben vor allen zugegeben hat dass wir uns lieben. Ja das hätte wirklich überaus romantisch sein können, wenn nicht vor der Tür ein angriffslustiger Hexer auf dem Sofa liegen würde, der vermutlich beim geringsten Stöhnen von Lilly die Tür eintreten würde, und einer Vampirin, die alles mithört und als Revanche für meine Einmischungen im schlechtesten Moment hier reinstürzen würde, und vor allem wenn Lilly nicht so fertig gewesen wäre. Also halte ich sie einfach nur zärtlich im Arm und sage leise: „Danke Lilly.“ Sie hebt den Kopf und sieht mich verwirrt an, „wofür denn?“ „Dafür dass du eben vor Lukas zugegeben hast dass wir zusammen sind.“ Sie seufzt leise auf und sagt dann traurig: „Ich hatte ja gedacht ich könnte einen günstigen Moment abwarten, aber da wir möglicherweise bald alle tot sein werden, schien es mir nicht mehr sinnvoll zu warten.“ „Die Neuigkeit hat ihm nicht gefallen“, stelle ich fest. „Nein, und den anderen Hexen wird es auch nicht gefallen. Aber falls wir das alles überstehen sollten finde ich eine Lösung um dich und mein Hexenleben unter einen Hut zu bringen, das verspreche ich.“ Ihr Hexenleben, das Wort ätzt sich wie Säure in mein Gehirn, als mir die Bedeutung für uns klar wird. Ich hatte diese Beziehung so lange für unmöglich gehalten dass ich nie darüber nachgedacht hatte. Und dann war ich viel zu glücklich darüber gewesen, dass sie mich auch liebt, aber die bittere Tatsache ist, sie wird sich vermutlich nie in eine Vampirin verwandeln lassen, einfach weil sie dann ihr Hexenleben verlieren würde. Es dürfte so schon so gut wie unmöglich sein die anderen Hexen dazu zu bringen einen Vampirpartner zu akzeptieren, aber eine Vampirhexe würden sie nie annehmen. Sie war schon ihr ganzes Leben eine Hexe und nun war sie noch dazu die rechtmäßige Regentin, würde sie überhaupt für mich darauf verzichten wollen? Mir wird klar dass ich die Antwort nicht wissen will, weil ich Angst habe dass sie nein lauten könnte. Ich ertappe mich dabei dass ich, ebenso wie Rose, zu hoffen anfange, dass sie diese verfluchte Formel, die auch Menschen ewig leben lässt finden werden. Und ich beginne Rose zu verstehen, es wäre nutzlos sich jetzt von Lilly zu trennen, selbst wenn ich wüsste dass sie in ein paar Jahrzenten sicher stirbt, denn es würde mir bereits jetzt das Herz herausreißen. „Maurice was ist mit dir?“, holt mich Lillys besorgte Stimme aus meinen Überlegungen. Ich bemerke dass mein ganzer Körper sich versteift hat, ich zwinge mich zu einer lockeren Haltung, küsse sie sanft auf die Stirn und sage neckend: „Ich mache mir nur Sorgen um die Zukunft, das kannst du einem alten Mann ja wohl nicht verdenken?“ „Wir schaffen das schon“, murmelt sie müde, ich ziehe ihren Kopf wieder an meine Schulter und halte sie, während sie einschläft.