15.Kapitel

Lilly

Da, abgesehen von mir, Rose die einzige Frau mit moderner Kleidung im ganzen Palast ist, und meine Kurven für ihre Kleidung ein ganzes Stück zu üppig sind, hat Maurice eine Art Toga für mich besorgt. Mit der bekleidet stehe ich jetzt, gemeinsam mit Maurice und Rose, in einer Art Bibliothek und sehe Lukas erwartungsvoll an.

Der wirkt, nach der Freude über meine Wiedergeburt, inzwischen sehr besorgt. Vor ihm liegt das Buch, das ich auf dem Beschwörungstisch meiner Tante gesehen hatte. Jetzt bei gutem Licht kann ich erkennen, dass es steinalt sein muss, der Einband ist aus rissigem Leder und die Seiten knistern bedenklich als Lukas es nun aufschlägt. Er dreht es zu uns, um uns eine Zeichnung zu zeigen. Die Zeichnung zeigt einen Krieger, der in die Schatten gezogen wird. „Der Herr der Schatten?“, frage ich. „Das, was er einmal war. In diesem Buch ist nicht nur sein wahrer Name, sondern auch seine Geschichte“, erklärt er. Maurice wirft ein: „Das ist ja schön und gut, aber was mich mehr interessiert, ist er nun hier oder nicht?“ „Ja und nein“, erwidert der Hexer rätselhaft. Rose verdreht die Augen und murrt: „So einen Unsinn redet er schon die ganze Zeit. Kannst du nicht etwas Vernünftiges aus ihm herausholen“, fragt sie mit einem Blick zu mir. Was diesmal Lukas dazu bringt die Augen zu verdrehen. „Okay, das reicht“, schreite ich ein, „erklär es bitte.“ Er seufzt: „Um es zu begreifen, wäre die Geschichte sehr hilfreich, aber bitte für nicht Magie Interessierte die Kurzform. Ragnar aus den Nebeln ist hier. Aber der Großteil des Herrn der Schatten noch drüben.“ „Also gut, zuerst die Geschichte“, stimme ich ihm zu. Er nickt und beginnt zu erzählen: „Ragnar war früher ein Mensch, er wurde im ersten Jahrhundert geboren. Er war der Sohn einer Hexe und eines Nordländers, der bei den Hexen gestrandet war. Man könnte sagen er hatte keinen sehr günstigen Start ins Leben. Sein Vater hat die Hexe verführt und sich dann abgesetzt, er war also ein Bastard. Da er noch dazu nur sehr geringe magische Fähigkeiten hatte, haben die Hexen ihn den Wachen überlassen und sich nicht weiter um ihn gekümmert. Laut diesen Aufzeichnungen hatte er aber wohl zumindest als Krieger ein großes Talent und hat es schließlich geschafft bei den Hexenkriegern aufgenommen zu werden. Eines Tages ist er der damaligen Regentin aufgefallen, sie hat ihn als ihren persönlichen Leibwächter ausgewählt und als ihren Liebhaber. Alles in allem wäre das eine prima Sache für ihn gewesen, aber er ist bei ihr in Ungnade gefallen. Er hatte offenbar eine Affaire mit ihrer Schwester. Als die Regentin dahinter gekommen ist, hat sie ihre Schwester eingekerkert und ihn hat sie verflucht.“ Ich unterbreche ihn: „Moment mal, soll das heißen wir haben ihn erschaffen?“ „Ich glaube nicht, dass sie es so geplant hatte. Sie hat ihn dazu verflucht als Schatten zu leben und sich von der Energie der Lebenden zu ernähren. Dann hat sie ihn zu ihrer Schwester gesperrt, das Ergebnis könnt ihr euch ja wohl vorstellen.“ „Das ist ja abscheulich“, stößt Rose hervor. „Zweifellos“, stimmt Lukas ihr zu, „aber das eigentliche Unglück für uns alle nahm seinen Lauf, weil sie die Auswirkungen des Fluches unterschätzt hat. Er hat viele Jahrzehnte als schwacher Schatten vor sich hinvegetiert und sich nur von den Hilflosen und Schwachen ernährt. Aber mit jedem Opfer ist er selbst immer mehr zum Schatten geworden, bis er eins mit den Schatten und der Dunkelheit war. Das ist das Fatale, mit jedem Opfer wird er stärker und weniger ein Mensch. Als er damals eingekerkert wurde, hat ihn die Macht des Hexenmeisters, der sich geopfert hat, mit seiner Macht in dem Relief festgehalten. Es hätte wieder die ganze Macht eines Hexenmeisters gebraucht um den Bann zu brechen, und die hatte Amanda nicht. Bedauerlicherweise hat sie eine andere Möglichkeit gefunden. Er ist so sehr ein Geschöpf der Schatten, dass man ihn wie einen Dämon mit seinem wahren Namen herbeirufen kann. Als Amanda das getan hat, ist erst mal nur ein Teil von ihm in unsere Welt gekommen. Der Großteil seiner Macht ist in dem Bann hängen geblieben. Hätte er es in dem Ritual geschafft Amanda mit ihrer Zustimmung völlig auszusaugen, dann wäre der Bann gebrochen worden, denn freiwillige Opfer haben viel Kraft. Aber nun ist er hier, seine Macht noch immer drüben, zumindest das Meiste davon.“ „Dann müsste doch alles in Ordnung sein“, fragt Rose verwirrt. „Wohl kaum, er hat die Schatten benutzt, um von dort zu verschwinden, er kann nicht völlig machtlos sein“, wirft Maurice ein. Lukas fährt fort: „Das stimmt. Er hat seine Macht ja über Jahrhunderte hinweg angehäuft, nun ist er im Prinzip wieder so weit wie kurz nach dem Fluch. Im Moment ist er sehr schwach, aber er kann wieder stärker werden, es wird nur dauern.“ „Dann müssen wir ihn vorher zerstören“, bestimmt Rose. „Ich glaube nicht, dass das so einfach ist“, melde ich mich nun zu Wort. „Wieso wenn er doch schwach ist?“, fragt sie verblüfft. „Weil er immer noch ein Schatten ist“, antwortet Lukas an meiner Stelle. Wie willst du einen Schatten zerstören? Die Hexe hat ihn unabsichtlich wahrhaft unsterblich gemacht. Es gibt nur zwei Möglichkeiten die Welt vor ihm zu schützen. Entweder wir müssen ihn wieder verbannen, oder ihn von dem Fluch erlösen.“ „Was, da uns die Hexenmeister und uralten Vampire gerade ausgegangen sind, etwas schwierig werden dürfte“, stelle ich seufzend fest.

Einige Stunden später sitzen wir alle am Boden, um uns herum alle nur erdenklichen Bücher, Pergamente und Ähnliches, was Erfolg versprechend erscheint, selbst Eric hat sich vom Krankenbett seines Bruders losgerissen und hilft uns beim Suchen.

Ich schlage entnervt wieder ein Buch zu und lasse die Schultern hängen, es ist deprimierend, aber ich beschließe, dass jemand die Wahrheit aussprechen muss. „So weit ich das sehe gibt es keine Möglichkeit ihn zu erlösen, zumindest nicht mit den Mitteln, die wir haben.“ „Aber in diesem ganzen Papierhaufen gibt es hunderte Sprüche, einer muss doch zu gebrauchen sein. Oder wenn nicht könnten wir doch selbst einen entwerfen“, protestiert Rose. Sie hat wirklich keine Ahnung von Hexerei, ich erkläre geduldig: „Wenn wir den genauen Wortlaut des Fluches kennen würden, dann hätten wir eine Chance, aber den kennen wir nicht.“ „Aber in dem Buch steht doch alles über ihn“, widerspricht sie. Lukas nimmt mir die Antwort ab: „Das Buch wurde Jahrzehnte später geschrieben, als der Herr der Schatten zur Gefahr geworden war. Zu dem Zeitpunkt dürfte die Hexe die den Fluch gesprochen hat schon tot gewesen sein. Oder sie haben ihn absichtlich nicht aufgeschrieben, damit niemand noch mal so einen Fehler begehen kann. Wenn wir ohne das Wissen um die genaue Formel einen Gegenbann versuchen würden, könnte es sogar noch schlimmer werden.“ Jetzt sacken auch ihre Schultern nach unten. Maurice ergreift das Wort: Und wie sieht es mit dem Verbannen aus?“ Lukas erwidert zögernd: „Nun dafür könnten wir selbst einen Spruch weben, aber das letzte Mal hat ein Hexenmeister sein Leben gegeben, damit er wirken konnte.“ Eric springt auf und knurrt: „Rose wird sich nicht opfern.“ „Beruhige dich, das will niemand von uns“, sagt Maurice ernst. Aber alle starren sich betreten an, bis Rose schließlich sagt: „Wenn es die einzige Möglichkeit ist.“ „Nein“, fleht Eric und zieht sie an sich, „das kannst du nicht tun.“ „Wenn ich es nicht tue, werden wir alle untergehen, ich auch, es wäre nur aufgeschoben.“ Er umschlingt sie völlig und flüstert heiser: „Wenn du dich opferst dann werde ich auch gehen, ohne dich will ich nicht weitermachen.“ „Sie versteift sich in seinen Armen und schiebt ihn weg, in ihren Augen glitzern blutige Tränen und sie schluchzt: „Sag so etwas nicht, ich will wissen, dass wenigstens du überlebst, wenn ich mich schon opfern muss. Ich würde es nicht tun, wenn es eine andere Möglichkeit geben würde, aber ich bin die Einzige die noch die Macht eines Hexenmeisters hat.“ Natürlich das war es, ich unterbreche Erics rührende Versuche sie zu überzeugen, indem ich herausschreie: „Wir sind alle Idioten.“ Alle Köpfe rucken verblüfft zu mir herum. Etwas verlegen fahre ich fort: „Tut mir leid, aber wir haben alle nicht an das Naheliegende gedacht.“ „Und das wäre was?“, fragt Lukas verwirrt. „Möglicherweise ist es ja völlig verrückt, aber ich glaube es gibt einen Weg, um ihm seine Macht zu nehmen, ohne dass sich jemand opfern muss.“ „Wie?", fragt Eric drängend. Ich beginne zu erklären: „Korrigiert mich, falls ich Unsinn rede, aber der Fluch hat ihn ja erst zum Herrn der Schatten gemacht. Wir müssen den Herrn der Schatten von ihm lösen.“ „Wie du gerade selbst festgestellt hast, gibt es keine Möglichkeit den Fluch zu brechen“, unterbricht Lukas mich. „Das stimmt, ich habe aber vor ihn zu …, sagen wir mal extrahieren.“ Jetzt starren mich erst recht alle verwirrt an. Ich fahre fort: „Es ist natürlich so etwas wie eine Generalprobe, denn ich glaube nicht, dass etwas Ähnliches schon jemals versucht wurde. Damals musste der Hexenmeister sich opfern, weil seine Macht ja in ihm verankert ist. Deshalb ist ja auch der Hexenmeister, von dem Rose ihr Artefakt hat, tot, er konnte es nicht überleben fast seine ganze Macht in etwas Anderes zu transferiren, dazu ist die Magie zu sehr Teil von uns. Aber bei Rose ist es anders, die Magie ist zwar mit ihr verschmolzen, aber sie ist kein essenzieller Teil von ihr. Wenn sie das Artefakt freiwillig abnimmt, dann wäre die Macht wieder frei verfügbar. Natürlich würde sie dabei fast all ihre Magie verlieren und wäre bis auf ein paar kleine Fähigkeiten die möglicherweise zurückbleiben wieder eine normale Vampirin.“ „Aber man könnte den Herrn der Schatten so verbannen?“, fragt Rose angespannt. „Nicht ganz“, „jetzt fang du nicht auch noch mit diesen Rätseln an“, stöhnt sie. „Tut mir leid, aber Magie ist eben immer kompliziert. Ich war in dem Schutzkreis, da drinnen war nicht nur die Magie des Hexenmeisters, sondern auch Reste seiner Essenz. Macht bindet Macht, Leben bindet Leben. Um ihn wieder völlig zu bannen, müsstest du die Magie behalten und dich opfern. Und selbst das wäre nicht sicher, denn ich denke auch Seth hat etwas beigesteuert, nur hat er nichts darüber aufgeschrieben, warum auch immer. Aber Macht bindet immer noch Macht. Natürlich gibt es ein gewisses Risiko, aber ich denke, wenn wir deine Magie ohne einen menschlichen bzw. vampirischen Anker für den Bann verwenden. Dann würde nur seine Macht, und damit der Fluch, wieder ins Relief geschickt werden. Und es hätte noch einen Vorteil, da dann keine Person mehr gebannt ist, kann man die Macht auch nicht mehr rufen.“ Ich verstumme und sehen sie abwartend an. „Wie sicher bist du dir?“, fragt Rose ernst. „Wie gesagt es gibt ein Restrisiko, aber ich denke es wird funktionieren.“ Lukas mischt sich ein: „Und was passiert mit Ragnar? Wird er dann wieder ein Mensch?“ „Das ist die Frage“, gebe ich zu, „genau wie Rose etwas Magie behalten könnte, da sie eine Zeit lang damit verbunden war, könnte auch er etwas von der Macht zurückbehalten. Da er solange damit verbunden war, ist das sogar wahrscheinlich. Er wird denke ich einige Gaben behalten, aber was wichtig ist, der Teil der Magie der ihn zum Schatten gemacht hat, der wird mit dem Fluch an die Macht im Relief gebunden. Er kann also nie wieder zum Herrn der Schatten werden.“ „Und man kann ihn töten, falls er mit den Resten seiner Macht eine Gefahr darstellt, nicht wahr?“, fragt Maurice besorgt. „Er wird entweder Mensch, Hexer oder vielleicht auch eine Art Vampir sein, aber kein Schatten, also kann man ihn dann irgendwie töten.“ „Dann tun wir es“, sagt er ernst und alle nicken bestätigend.

Nachdem wir erst mal beschlossen hatten meine Idee zu versuche, waren alle in hektische Aktivität verfallen. Während Lukas und ich einen Bann vorbereitet hatten, hatten die Vampire begonnen die Höhle, in der die Beschwörung stattfinden sollte, so gut wie möglich für uns sicher zu machen. Wir sind nun fast fertig, nur noch eines fehlt, Rose muss sich von ihrem Rosenartefakt trennen.

Ich hatte nach ihr geschickt und nun steht sie vor mir, ich sehe sie ernst an und frage leise: „Du bist dir sicher?“ Sie lächelt ironisch: „Habe ich denn eine andere Wahl, wenn ich nicht sterben will?“ „Wohl nicht“, seufze ich leise. Sie ergreift plötzlich meine Hand und sagt gepresst: „Aber du musst mir eines versprechen.“ „Alles, was in meiner Macht steht“, verspreche ich. Der Druck ihrer Finger wird fast schmerzhaft, wäre ich noch ein Mensch würde ich morgen wohl blaue Flecken haben, „wenn das hier vorbei ist und du noch lebst, dann suchst du nach dem Zauber der auch Menschen unsterblich machen kann, und wenn du ihn findest, dann wendest du ihn auf Eric an, denn ich werde es dann nicht mehr können“, sagt sie fast kläglich. Ich ziehe sie sanft in meine Arme und schwöre: „Solange ich lebe und es für Eric nicht zu spät ist werde ich versuchen das für euch zu tun.“ Sie erwidert kurz die Umarmung schiebt mich dann weg und sagt fest: „Nun dann sollten wir anfangen.“

Ich weise sie an sich mit mir auf den Boden zu setzten und sich in die leichte Trance zu versetzten die ich ihr schon beigebracht habe. Dann lege ich die Hand auf den um ihren Arm geschlungenen Schmuck und konzentriere mich darauf. Ich folge den magischen Spuren, wie der Reif um ihren Arm, hat die Magie sich um ihre Essenz gewickelt, sie ist immer wieder in Rose verankert, und doch ist sie nicht ganz ein Teil von ihr. Ich sage leise: „Konzentriere dich ganz auf den Gedanken, das Artefakt abstreifen zu wollen.“ Ich verharre in völliger Konzentration, einen Teil meiner Sinne auf das Artefakt, den anderen auf Rose selbst gerichtet. Über die Berührung ihres Armes spüre ich, dass sie wie eine Stahlfeder angespannt ist. Es scheint eine kleine Ewigkeit zu vergehen, aber schließlich merke ich wie die Verbindung lockerer wird. Ich schiebe meine eigene Magie vor, locke das Artefakt und ziehe sanft an ihm. Nach kurzem Zögern löst die Magie sich völlig von ihr, der Armreif, der bis jetzt um ihren halben Unterarm geschlungen war, zieht sich zu einem schmalen Reif zusammen und fällt in meine Hand. „Geschafft“, sage ich erleichtert und öffne die Augen. Rose wirkt etwas desorientiert. „Alles in Ordnung?“, frage ich besorgt. „Ich hatte mich an das verdammte Ding gewöhnt. Ich kann es selbst kaum glauben, aber ich denke ich werde die Magie vermissen. Jetzt bist du die einzige Vampirhexe“, scherzt sie, aber es wirkt aufgesetzt. Ich lege den Reif vorsichtig auf den Boden und berühre sie sanft an der Schläfe. Ich suche den mir schon bekannten Pfad in ihr Inneres und taste nach Magie. Ich spüre, wie von selbst ein kleines Lächeln auf meine Lippen gleitet, als ich die kleine warme Flamme in ihr spüre. Ich löse mich von ihr und sage immer noch lächelnd: „Nicht so ganz. Wie ich geahnt hatte, ist ein wenig Magie in dir zurückgeblieben. Du bist immer noch eine Feuerhexe, wenn auch eine schwache. Wenn du fleißig lernst, kannst du noch immer einige Tricks schaffen.“ „Also noch mehr Unterricht“, jammert sie übertrieben, aber in ihren Augen kann ich Erleichterung sehen.