1.Kapitel
Sie rannte durch den brennenden Wald, Rauch drang in ihre Lunge und lies sie qualvoll husten. Die flirrende Hitze versengte ihre Haut, die brennenden Zweige der Büsche verkohlten den Stoff ihres Nachthemds, und doch lief sie weiter, immer weiter, ins Zentrum des Brandes. Dorthin, wo der alte große Baum stand, dort wo die Magie dieses Ortes wohnte. Zu diesem uralten mächtigen Baum, der schon seit Urzeiten hier zu stehen schien, und der sie vom ersten Moment an gerufen hatte, damals, als sie noch ein Kind gewesen war. Gerade als das Inferno drohte sie zu verschlingen, öffnete der Himmel seine Schleusen. Sie blieb stehen und atmete tief ein, um den beißenden Geschmack nach Rauch aus ihrer Kehle zu bekommen, aber anstatt des sauberen Geschmacks von frischem Regen, legte sich ein schwerer nach Kupfer schmeckender Belag auf ihre Zunge. Sie hob ihre Hände und schrie auf, die Ströme, die das Feuer löschten und ihr langes Nachthemd tränken waren rot, es regnete Blut vom Himmel. Sie taumelte weiter, zu dem alten Ort, der immer noch nach ihr rief. Als sie endlich ankam, watete sie bereits bis zu den Knöcheln im Blut, aber es war der Anblick vor ihr, der sie straucheln lies. Von dem majestätischen Baumriesen war nur noch ein verkohlter Stumpf übrig, das weiche Moos um ihn herum war bereits in der blutigen Flut verschwunden. Sie sank vor dem Skelet des Baumes, der einst einen heiligen Ort markiert hatte auf die Knie und schluchzte auf. Sie kauerte dort im roten Matsch, bis ein Brodeln und Gluckern ihre Aufmerksamkeit erregte. Es kam von dem Stamm, fast gegen ihren Willen taumelte sie hoch und wankte zu dem Stumpf, um sich darüber zu beugen. Kaltes Grauen stieg in ihr auf, der Stumpf war hohl und in ihm brodelte eine blutige Masse. Jede Faser von ihr schrie danach zurückzuweichen, aber wie von jemand anderem gelenkt schob sie sich immer weiter vor, bis sie über den Stamm gebeugt stehen blieb. In dem Moment ertönte ein tiefes Grollen, als ob die Erde selbst klagen würde, dann schoss die Masse, wie ein Geysir aus dem Stumpf hoch, ergoss sich über sie, warf sie um und überschwemmte den gesamten Wald.
Anna fuhr mit einem Schrei hoch, und bemerkte zu ihrer Erleichterung, dass sie nicht im Wald, sondern in ihrem Bett war. Sie stöhnte gequält auf, sie hatte wieder von dem Brand und der blutigen Flut geträumt, oder besser gesagt sie hatte eine Vision gehabt, wie jede Nacht seit Monaten. Mit zitternden Händen schob sie die Bettdecke, die sich um ihre Füße verstrickt hatte, weg, um aufzustehen und zum Bad zu taumeln. Dort angekommen wusch sie sich das schweißnasse Gesicht. Aus dem Spiegel sah ihr ein blasses Gesicht entgegen, Anna war eine Hexe, Visionen waren ihr nicht neu, die Magie sprach öfter mit ihr. Aber noch nie war sie so lange von einer Vision gequält worden, ohne auch nur einen Hinweis auf die Lösung zu erhalten. Sie lachte bitter auf, die Magie war offenbar nachtragender als ihre Eltern. Das war wohl die Strafe, weil sie vor einigen Monaten gegen die Regeln des Zirkels verstoßen hatte, um ihrer Freundin Jess das Leben zu retten. Es war Hexen verboten sich in die Belange von anderen übersinnlichen Wesen einzumischen, und Jess Gefährte war ein Werwolf. Dabei hatte die Magie selbst ihr die Vision von dem anderen Wolf geschickt, die sie dann an Lukas weitergegeben hatte. Lukas, wenigstes hatte ihre Freundin seitdem ein herrliches Leben, der Wolf las seiner Gefährtin jeden Wunsch von den Augen ab. Während Anna selbst sich mit flüchtigen Bekanntschaften zufriedengeben musste, verscheuchten ihre Eltern doch zuverlässig jeden Mann aus ihrem Leben. Hatten sie doch die verrückte Idee, nur ein Hexer käme für Anna infrage. Sie seufzte abermals auf, natürlich hätte sie ausziehen können, sie war immerhin schon dreißig und nicht dreizehn. Aber zum einen wäre das Leben als Hexe um ein ganzes Stück schwieriger geworden, wenn sie all die Rituale und Angewohnheiten vor jemand hätte verstecken müssen. Und zum Zweiten hätte sie ihre Eltern verloren, da die beiden so sehr an den alten Traditionen hingen, dass es für sie schier undenkbar war, dass Anna sich vom Zirkel abwenden könnte. Zumal dadurch die Beiden dort ebenfalls in Ungnade gefallen wären, das konnte und wollte sie ihnen nicht antun. Anna liebte die Magie und die sanfte Berührung von Mutter Erde und ihre Eltern, aber diese verstaubten Zirkelregeln waren ihr zuwider. Sie spielte nur wegen ihrer Eltern mit, also führte sie praktisch ein Doppelleben. Vor ihnen gab sie die brave Zirkelhexe, die sich nur dann und wann einen kleinen Ausreißer aus der Routine vergönnte. Aber hinter ihrem Rücken hatte sie sich ein kleines Stück Freiheit geschaffen. Sie traf sich in den Nachbarstädten mit Männern, manchmal hielt so eine lockere Beziehung sogar einige Monate, bis es selbst dem gutmütigsten zu viel wurde, und er darauf bestand, ihre Familie kennenzulernen. Aber eigentlich war ihr in den vergangenen Monaten die Lust auf solche lockeren Sachen vergangen, Jess und Lukas Glück vor Augen, war weniger als das einfach nur unbefriedigend. Sie schüttelte sich, um ihren Kopf freizubekommen, egal wie deprimierend ihr Leben, und wie grauenerregend diese Visionen auch waren, sie hatte keine Lust sich deswegen auch noch die Hysterie ihrer Eltern anzuhören. Die waren schon wegen der Sache mit Jess aus dem Häuschen gewesen, und hatten ihr praktisch Haussarest verpasst. Nicht, dass sie den nicht sabotiert hätte, sobald die beiden geschlafen hatten. Aber jetzt war bald Weihnachten, und sie hatten sich gerade ein wenig beruhigt, heute hatten sie zur Beendigung von Annas Haussarest sogar ein feierliches Abendessen angekündigt. Da würde sie den Teufel tun und sie mit Weltuntergangsszenarien wieder in Aufregung versetzten.
Einige Stunden später
Anna saß an ihrem Platz am Tisch und wartete, bis ihre Mutter das Essen auftrug. Da ihr Versuch Hilfe anzubieten mit einer gebieterischen Handbewegung ihrer Mutter beendet worden war, lies sie sich nun eben bedienen. Ihr Vater saß ihr gegenüber und musterte sie ernst, sie bemühte sich feierlich zu wirken, malte sich in Gedanken aber schon aus was sie nach dem Ende ihres „Haussarestes“ heute tun würde. Sie musste nur noch das Essen und die abschließende Predigt durchstehen, dann war sie endlich wieder offiziell frei.
Nachdem ihre Mutter alle drei Gänge der Reihe nach gebracht hatte, und alles verspeist worden war, brachte sie jetzt das edle Kristall, und ihr Vater erhob sich, um den Wein, den er zuvor aus dem Keller geholt hatte einzugießen. Der Mittfünfziger, von dem Anna ihren großen schlanken Wuchs geerbt hatte, erhob sein Glas, prostete ihnen zu und begann nun feierlich zu sprechen: „Anna, du weißt, dass du im Herbst etwas Falsches getan hast, aber du hast deine Strafe abgebüßt“, „denkst du“, dachte Anna ironisch, „und ich freue mich, dir neben deiner Freiheit auch noch eine freudige Botschaft überbringen zu können.“ Bei Anna begannen in diesem Moment sämtliche Alarmglocken zu schrillen, Wein plus freudige Nachricht für ihren Vater ergab vermutlich sehr viel Ärger für sie. „Welche freudige Nachricht denn?“, fragte sie, griff nach ihrem Weinglas und nahm einen Schluck, um ihre Nerven zu beruhigen. Ihr Vater strahlte sie mit seinen blauen Augen an, „du wirst heiraten mein liebes Kind.“ Anna keuchte auf, verschluckte sich dabei am Wein und begann qualvoll zu husten. Ihre Mutter sprang auf und eilte zu ihr, um ihr auf den Rücken zu klopfen. Anna, die zum Glück inzwischen wieder Luft bekam, schüttelte sie ab, sprang nun selbst auf und fauchte: „Das ist nicht dein Ernst.“ Die feierliche Miene ihres Vaters war einem strengen Gesicht gewichen, „Wir haben dir mehr als genug Freiheiten gelassen, es wird Zeit, dass du deine Pflicht tust. Du bist jetzt dreißig, hast aber, wie wir im Herbst gesehen haben, immer noch nur Flausen im Kopf, das muss jetzt aufhören. Wir haben schon vor Jahren eine Abmachung getroffen, du wirst David Namarra heiraten, den Sohn des Zirkelherrn.“ „Hallo, willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert, arrangierte Ehen kommen im westlichen Kulturkreis nicht mehr vor“, protestierte sie lautstark, sie fühlte sich, als ob ihr Kopf gleich explodieren würde, so wütend war sie. Sie hatte auf so viele Dinge verzichtet, aus Liebe zu ihren Eltern und der Magie, aber das war nur noch absurd. „Bei uns Hexen sehr wohl, und das ist auch notwendig, du weißt sehr gut, nur wenn du deine Kinder mit einem Hexer zeugst, werden sie vollwertige Hexer oder Hexen, als unser einziges Kind hast du die Pflicht unser Blut weiterzugeben.“ Sie schnappte: „Habe ich euch vielleicht verboten noch mehr kleine Hexen in die Welt zu setzen.“ Ein Aufschluchzen ihrer Mutter lies Anna herumfahren, die kleine etwas mollige aber immer noch sehr hübsche Frau schniefte: „Mach deinem Vater keine Vorwürfe, das ist meine Schuld, nach dir bin konnte ich keine Kinder mehr bekommen.“ Das offensichtliche Elend ihrer Mutter schwemmte Annas Wut weg und lies nur Schuldgefühle und Verzweiflung übrig, sie murmelte: „So hatte ich das nicht gemeint Mama, tut mir leid, aber das könnt ihr doch nicht von mir verlangen.“ Jürgen Steiner fragte ernst: „Findest du denn das Leben deiner Eltern so furchtbar?“, „Nein, natürlich nicht, aber …..“, „nun wir wurden auch per Abmachung verheiratet, deine Mutter zog zu mir in die Staaten ohne mich auch nur zu kennen, und wir sind sehr glücklich geworden.“ „Genau, und du kennst David ja sogar, du mochtest ihn doch immer“, schniefte ihre Mutter nun von hinten. Anna begann sich wie ein Ping Bong Ball zu fühlen, sie trat einen Schritt zur Seite, um endlich beide zusammen im Blickfeld zu haben. „Ja sicher doch, aber wir waren damals Teenies, ich habe ihn seit fast fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, und was sagt überhaupt er dazu? Ich meine vielleicht ist er ja inzwischen verliebt?“ „Natürlich ist er das mein Lämmchen, in dich, er war ja immer schon verrückt nach dir“, fügte ihre Mutter eifrig hinzu. Anna stöhnte gequält auf, „um mal eines klarzustellen, ich werde nicht, ich betone nicht heiraten, nur weil irgendeine idiotische Zirkelregel das verlangt.“ Die Augen ihres Vaters begannen wütend zu funkeln, und Anna machte sich auf eine verbale Attacke gefasst, aber die traf nicht sie, sondern ihre Mutter, er knurrte sie an: „Das ist nur deine Schuld, ich war ja dagegen sie auf diese öffentlichen Schulen gehen zu lassen, sie hätte in Europa eine Zirkelschule besuchen sollen, so wie wir, dann hätte sie nicht solche Flausen im Kopf.“ Ihre Mutter zuckte zusammen und flüsterte schluchzend: „Aber ich wollte doch nur, dass sie eine glückliche Kindheit hat.“ „Und das haben wir jetzt davon, sie wird Schande über uns alle bringen, weil sie keinen Sinn für die Überlieferungen und unser Erbe hat, gerade sie, sie werden uns verbannen, wir werden Ausgestoßene sein.“ Ihre Mutter sackte immer weiter in sich zusammen, Anna schaltete sich ein: „Moment mal, jetzt übertreibst du aber, die werden doch nicht euch rauswerfen, weil ich etwas Verbotenes mache.“ Die Blicke der Beiden richteten sich auf sie, der ihrer Mutter tränenblind, der ihres Vaters eisig, er sagte kalt: „Es ist unser Versagen, wenn der Zirkel das Erbe des Erdenkindes verliert, also gebührt uns diese Strafe.“ „Erdenkind? Was soll das jetzt wieder sein?“, fragte Anna verwirrt. Susanne Steiner antwortete flüsternd: „Ich habe dir doch als Kind oft von unseren Vorfahren erzählt, auch von Salia und von ihrer Prophezeiung, du erinnerst dich sicher.“ Anna kramte in ihren Erinnerungen, ihr ganzes Leben war von Magie geprägt, sie brauchte eine Weile um sich auf die Richtige zu besinnen. Ihre Augen weiteten sich, „ihr denkt ernsthaft ich wäre das weisgesagte Mädchen?“ Ihre Mutter nickte nur stumm, während ihr Vater antwortete: „Alle drei Zeichen stimmen, vor deiner Geburt träumte deine Mutter sie würde eine Wurzel des alten Baumes gebären, dort wo du deine ersten Schritte gemacht hast, hat der Boden begonnen zu blühen, und deine Verbindung mit dem alten Baum kennst du ja. Du siehst, die ganze Hexenwelt blickt auf uns, du kannst diese Familie groß machen, oder du kannst uns zerstören.“ Verdammt, verdammt, verdammt, da hatte sie gedacht das Schlimmste wäre vorbei. Und falls die Beiden die Wahrheit sagten, könnte ihre Vision durchaus eine Warnung sein, aber wovor bloß, ihr fehlte immer noch der Hinweis, den brauchte sie jetzt, und zwar flott. Sie krächzte: „Wäre …, wäre euch denn geholfen, wenn ich es mir überlegen würde?“ Ihr Vater runzelte missbilligend die Stirn, aber ihre Mutter sagte rasch: „Das ist gut, wir werden David einladen, wenn ihr euch wieder trefft, wirst du erkennen, wie gut ihr zusammenpasst, du wirst schon sehen.“ Daran zweifelte Anna, und zwar ernsthaft. Sie hatte den Briten als Teenie sehr gemocht, aber nur als Freund, da müsste der Funke schon blitzartig überspringen, damit sie sich verliebte, aber sie konnte damit immerhin Zeit schinden, um vielleicht doch noch einen Ausweg zu finden, auch wenn die Chancen sehr schlecht standen. Vernunftehe und vielleicht Weltuntergang, oder alles inklusive ihrer Eltern zu verlieren und vielleicht Weltuntergang, das waren entzückende Aussichten, die Magie hatte offenbar wirklich beschlossen, sie zu bestrafen. Zum ersten Mal in ihrem Leben verfluchte Anna ihr Hexenerbe.