SIEBZEHNTES
KAPITEL
DIE ETHIK DER
MACHT
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Wir haben uns auf den vorhergehenden Seiten so viel mit den Übeln befasst, die mit der Macht in Verbindung stehen, dass es natürlich scheinen würde, einen asketischen Schluss zu ziehen und als beste Lebensweise für das Individuum einen völligen Verzicht auf alle Versuche zu empfehlen, andere, sei es nun zum Guten oder Schlechten, zu beeinflussen. Dieser Standpunkt hat von jeher seit Laotse beredte und weise Befürworter gehabt; viele Mystiker haben ihn vertreten, die Quietisten und jene, die persönliche Heiligkeit hochschätzten, indem man ihn eher als Geisteszustand denn als Aktivität betrachtete. Ich kann mich mit diesen Leuten nicht einverstanden erklären, obwohl ich zugebe, dass einige von ihnen in sehr wohltuendem Sinne tätig gewesen sind. Aber sie sind so gewesen, weil sie, obwohl sie glaubten, dass sie auf Macht verzichtet hätten, tatsächlich nur gewisse Formen der Macht aufgegeben hatten; wenn sie auf sie völlig verzichtet hätten, so würden sie nicht ihre Lehren verbreitet haben und nicht wohltätig gewesen sein. Sie verzichteten auf die Macht des Zwangs, aber nicht auf die Macht, die auf Überzeugung beruht.
Machtliebe im weitesten Sinne ist der Wunsch, imstande zu sein, beabsichtigte Wirkungen auf die Außenwelt, ob menschlich oder nichtmenschlich, zu erzielen. Dieser Wunsch ist ein wesentlicher Teil der menschlichen Natur, und in energischen Menschen ist er ein sehr großer und bedeutender Teil. Jeder Wunsch, der nicht augenblicklich befriedigt werden kann, bringt den Wunsch nach der Fähigkeit der Befriedigung hervor und damit eine Form der Machtliebe. Das trifft sowohl auf die besten wie auf die schlimmsten Begierden zu. Wenn man seinen Nächsten liebt, wird man sich Macht wünschen, um ihn glücklich zu machen. Alle Machtliebe verurteilen heißt daher, die Nächstenliebe verurteilen.
Es gibt allerdings einen großen Unterschied zwischen der als Mittel und der als Endzweck ersehnten Macht. Der Mensch, der Macht als ein Mittel ersehnt, hat zunächst irgendeinen anderen Wunsch und wird dann dazu geführt, sich die Stellung zu ersehnen, in der sein Wunsch erfüllt werden kann. Der Mensch, der Macht als Zweck ersehnt, wird sein Ziel der Sicherung der Macht entsprechend wählen. In der Politik zum Beispiel möchte ein Mann bestimmte Maßnahmen durchgeführt sehen und kommt so dazu, an öffentlichen Angelegenheiten Anteil zu nehmen, während ein anderer, der nur nach persönlichem Erfolg strebt, jedes Programm unterschreibt, das ihm ein solches Ergebnis am sichersten zu verbürgen scheint.
Die dritte Versuchung Christi in der Wildnis beleuchtet diesen Unterschied. Alle Königreiche der Erde werden ihm geboten, wenn er niederfällt und den Teufel anbetet; das heißt, man bietet ihm die Macht an zur Erreichung gewisser Ziele, aber nicht jener, die er vor sich sieht. Dieser Versuchung ist fast jeder moderne Mensch ausgesetzt, manchmal in grober, manchmal in subtiler Form. Er kann, obwohl er Sozialist ist, eine Stellung bei einer konservativen Zeitung annehmen; das ist eine verhältnismäßig grobe Form. Er kann an der Errichtung des Sozialismus mit friedlichen Mitteln verzweifeln und Kommunist werden, nicht weil er annimmt, dass das, was er wünscht, auf diesem Wege verwirklicht werden wird, sondern weil er glaubt, dass irgend etwas verwirklicht werden wird. Erfolglos zu vertreten, was er wünscht, scheint ihm sinnloser als erfolgreich zu vertreten, was er nicht wünscht. Wenn aber seine Wünsche, und zwar solche außerhalb des persönlichen Erfolgs, stark und bestimmt sind, wird es für seinen Machtsinn keine Befriedigung geben, bevor nicht diese Wünsche befriedigt sind, und um des Erfolgs willen seine Ziele zu ändern, mag ihm als apostatische Handlung erscheinen, die man als Verehrung des Teufels bezeichnen könnte.
Machtliebe muss, wenn sie wohltätig sein soll, mit einem Zweck verbunden sein, der nicht die Macht ist. Ich meine nicht, dass es keine Machtliebe um ihrer selbst willen geben dürfe, denn dieser Trieb wird im Lauf einer aktiven Laufbahn erweckt werden; ich meine, dass der Wunsch nach einem anderen Ziel so stark sein muss, dass Macht unbefriedigend ist, sofern sie nicht dieses Ziel näherrückt.
Es genügt nicht, dass es einen Zweck außerhalb der Macht gibt. Es ist notwendig, dass dieser Zweck, wenn er erreicht ist, dazu beiträgt, die Wünsche anderer zu befriedigen. Wenn man auf Entdeckung aus ist oder auf die Schaffung eines Kunstwerks oder auf die Erfindung einer arbeitssparenden Maschine oder auf die Versöhnung von bisher einander feindlich gegenüberstehenden Gruppen, wird der Erfolg, wenn man Erfolg hat, leicht zur Ursache der Zufriedenheit auch anderer werden. Das ist die zweite Bedingung, die die Machtliebe erfüllen muss, um wohltätig zu werden: Sie muss mit einem Zweck verbunden sein, der, ganz allgemein gesprochen, sich in Übereinstimmung mit den Wünschen der anderen Leute befindet, die von dem erfüllten Zweck betroffen werden.
Es gibt noch eine dritte Bedingung, die etwas schwieriger zu formulieren ist. Die Mittel zur Verwirklichung eines Vorsatzes dürfen nicht vorübergehende böse Wirkungen haben, die die Vorzüglichkeit des zu erreichenden Zieles aufwiegen. Der Charakter und die Wünsche jedes Menschen sind ständigen Wandlungen als Ergebnis seiner Handlungen und Leiden unterworfen. Gewalt und Ungerechtigkeit bringen Gewalt und Ungerechtigkeit hervor, sowohl in denen, die sie zufügen, als auch in den Opfern. Wenn die Niederlage unvollständig ist, bringt sie Wut und Hass hervor, wenn sie vollständig ist, Apathie und Inaktivität. Der gewaltsame Sieg erzeugt Skrupellosigkeit und Überheblichkeit gegenüber den Besiegten, wie hochstehend auch die ursprünglichen Triebkräfte des Krieges gewesen sein mögen. Wenn auch all diese Überlegungen nicht beweisen, dass kein guter Zweck je durch Gewalt erreicht werden könne, so zeigen sie doch, dass Gewalt gefährlich ist und dass, wo immer sie reichlich vorhanden ist, ein ursprünglicher guter Zweck noch vor dem Ende der Bemühung aus dem Blickfeld schwinden kann.
Der Bestand zivilisierter Gemeinschaften jedoch ist ohne ein bestimmtes Element der Gewalt unmöglich, da es Verbrecher und Menschen mit asozialen Bestrebungen gibt, die, wenn man sie nicht in Schach hält, bald eine Umwälzung zur Anarchie und Barbarei hin herbeiführen würden. Wo die Gewalt unvermeidlich ist, sollte sie von der eingesetzten Behörde in Übereinstimmung mit dem Willen der Gemeinschaft, wie er sich im Strafrecht ausdrückt, angewandt werden. Jedoch tauchen hier zwei Schwierigkeiten auf: Erstens findet die wesentlichste Gewaltanwendung zwischen verschiedenen Staaten statt, für die es keine gemeinsame Regierung und kein wirklich anerkanntes Gesetz sowie auch keine entsprechende juristische Autorität gibt; zweitens gestattet die Machtkonzentration in den Händen der Regierung dieser, in gewissem Ausmaß den Rest des Gemeinwesens zu tyrannisieren. Diese beiden Schwierigkeiten werde ich im nächsten Kapitel untersuchen. In diesem hier betrachte ich die Macht in Bezug auf die individuelle Moral, nicht in Bezug auf die Regierung.
Machtliebe ist wie der Geschlechtstrieb eine so starke Kraft, dass sie die Handlungen der meisten Menschen stärker beeinflusst, als sie es wahrhaben möchten. Man könnte daher behaupten, dass die Ethik mit den besten Folgen der Machtliebe gegenüber feindlicher auftreten müsste, als der Verstand rechtfertigen kann: Da die Menschen mit ziemlicher Sicherheit gegen ihre eigene Vorschrift für das Streben nach der Macht sündigen werden, werden ihre Handlungen – so könnte man sagen – ungefähr richtig sein, wenn die Vorschrift etwas zu streng ist. Ein Mann, der eine ethische Lehre verbreitet, könnte sich jedoch kaum erlauben, von derartigen Erwägungen beeinflusst zu werden, da er sonst im Interesse der Tugend wissentlich lügen müsste. Der Wunsch, eher erzieherisch als wahrhaftig zu sein, ist das Verhängnis von Predigern und Erziehern; und was man auch theoretisch zu seinen Gunsten sagen mag, so ist er in der Praxis ohne jeden Zweifel schädlich. Wir müssen zugeben, dass Menschen aus Machtliebe schlecht gehandelt haben und weiter so handeln werden; aber wir dürfen aus diesem Grunde nicht glauben, dass Machtliebe nicht wünschenswert in bestimmten Formen und Umständen sei, in denen wir sie für günstig oder zumindest für harmlos halten.
Die Formen, die die Machtliebe eines Menschen annehmen wird, hängen von seinem Temperament, von seinen Möglichkeiten und seiner Erfahrung ab; dazu ist sein Temperament in großem Maße von seinen Umständen geformt. Die Machtliebe eines Menschen in bestimmte Kanäle zu leiten, bedeutet daher, ihm die rechten Umstände und Möglichkeiten und die geeignete Ausbildung zu verschaffen. Das lässt die Frage der Konstitution außer Betracht, die, soweit man sie behandeln kann, den Eugenikern überlassen bleibt; aber es ist wahrscheinlich nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung, der auf die oben angeführte Weise nicht dazu gebracht werden kann, eine nützliche Form der Aktivität zu wählen.
Um mit den Umständen anzufangen, die das Temperament beeinflussen: Die Ursache von Grausamkeit ist in der Regel entweder in einer unglücklichen Kindheit oder in Erlebnissen, wie zum Beispiel Bürgerkrieg, zu finden, Erlebnissen, bei denen Leiden und Tod häufig bei anderen gesehen und über andere verhängt wird; das Fehlen eines legitimen Ventils für die Energie in der Kinder-und Jugendzeit kann die gleiche Wirkung haben. Ich glaube, dass wenige Menschen grausam sind, wenn sie eine richtige Erziehung in der Kindheit genossen, keine gewaltsamen Vorgänge erlebt und keine unnötigen Schwierigkeiten in ihrer Laufbahn gehabt haben. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, wird die Machtliebe der meisten Menschen einen nützlichen oder zumindest unschädlichen Ausweg suchen.
Die Frage der Möglichkeit hat sowohl einen positiven als auch einen negativen Aspekt: Es ist wichtig, dass es für die Laufbahn eines Piraten oder Räubers oder Diktators keine Möglichkeiten gibt, genauso, wie es für einen weniger zerstörerischen Beruf Möglichkeiten geben sollte. Es muss eine starke Regierung geben, um Verbrechen zu verhindern, und ein kluges Wirtschaftssystem, um sowohl die Möglichkeit legaler Formen des Raubes zu verhindern als auch um so vielen jungen Leuten wie möglich anziehende Laufbahnen bieten zu können. Das ist viel leichter in einem Gemeinwesen, das reicher wird, als in einem, das verarmt. Nichts hebt das moralische Niveau einer Gemeinschaft mehr als wachsender Wohlstand, und nichts senkt es so sehr wie eine Verringerung der Lebenshaltung. Dass der allgemeine Ausblick vom Rhein bis zum Stillen Ozean heutzutage so trübselig ist, beruht zum großen Teil auf der Tatsache, dass so viele Leute ärmer sind als ihre Eltern waren.
Die Bedeutung der Ausbildung für die Herausbildung der Form, die die Machtliebe annimmt, ist sehr groß. Um ganz allgemein zu sprechen, erfordert Zerstörung, abgesehen von bestimmten Formen des modernen Krieges, sehr wenig Ausbildung, während Aufbau immer welche verlangt, in den höchsten Formen sogar sehr viel. Die meisten Menschen, die eine schwierige Ausbildung gehabt haben, haben Freude an ihrer Arbeit und ziehen sie einer leichteren vor; dies kommt daher, dass die qualifizierte Ausbildung, bei Gleichstand der anderen Faktoren, der Machtliebe zuträglicher ist. Der Mann, der gelernt hat, Bomben aus einem Flugzeug zu werfen, wird diese Arbeit der lächerlichen Beschäftigung vorziehen, die sich ihm in Friedenszeiten bietet; aber der Mann, der gelernt hat, sagen wir, das gelbe Fieber zu bekämpfen, wird dies der Arbeit eines Heeresarztes in Kriegszeiten vorziehen. Der moderne Krieg erfordert eine bedeutende Ausbildung, und das macht ihn für alle möglichen Sorten von Fachleuten anziehend. Eine große wissenschaftliche Ausbildung ist gleichermaßen in Frieden und Krieg vonnöten; ein wissenschaftlicher Pazifist besitzt keine Möglichkeiten, sich zu vergewissern, dass seine Entdeckungen und Erfindungen nicht dazu benutzt werden, die Zerstörung der nächsten Auseinandersetzung zu vermehren. Nichtsdestoweniger gibt es, allgemein gesprochen, einen Unterschied zwischen einer Ausbildung, die ihren breitesten Wirkungskreis im Frieden, und einer solchen, die ihn im Kriege findet. Soweit ein solcher Unterschied besteht, wird die Machtliebe eines Menschen ihn dem Frieden geneigt machen, wenn seine Ausbildung von der ersten Art ist – im anderen Falle wird er den Krieg vorziehen. Auf diese Weise kann die technische Ausbildung viel zur Form beitragen, die die Machtliebe annehmen wird.
Es ist nicht durchaus wahr, dass Überzeugung eine Sache ist und Gewalt eine andere. Viele Formen der Überzeugung – von denen viele selbst von jedermann gebilligt werden – stellen tatsächlich eine Art Gewalt dar. Man sehe sich an, was wir mit unseren Kindern machen. Wir sagen ihnen nicht: »Manche Leute glauben, die Erde sei rund, und andere glauben, sie sei platt; wenn du groß bist, kannst du, wenn du willst, den Tatbestand untersuchen und deine eigenen Schlüsse daraus ziehen.« Statt dessen sagen wir: »Die Erde ist rund.« Wenn unsere Kinder alt genug sind, die Dinge zu prüfen, hat unsere Propaganda ihren Verstand festgelegt, und die überzeugendsten Argumente der Platt-Erde-Gesellschaft machen keinen Eindruck mehr auf sie. Das gleiche trifft auf moralische Vorschriften zu, die wir für wirklich wichtig halten, wie zum Beispiel »Du sollst nicht in der Nase bohren« oder »Du sollst Erbsen nicht mit dem Messer essen«. Es mögen, ohne dass ich es weiß, wundervolle Gründe dafür vorhanden sein, Erbsen mit dem Messer zu essen, aber die hypnotische Wirkung der frühzeitigen Überzeugung hat mich völlig unfähig gemacht, sie in ihrer Bedeutung zu erkennen.
Die Ethik der Macht kann nicht darin bestehen, dass man bestimmte Formen der Macht für legitim und andere für nicht legitim erklärt. Wie wir gerade gesehen haben, billigen wir alle in gewissen Fällen eine Art Überzeugung, die ihrem Wesen nach eine Anwendung von Gewalt darstellt. Fast jeder würde in leicht vorzustellenden Bedingungen die Anwendung physischer Gewalt, sogar das Töten, billigen. Man stelle sich vor, man hätte Guy Fawkes in flagranti getroffen und die Katastrophe nur verhüten können, dass man ihn niedergeschossen hätte; sogar die ausgemachtesten Pazifisten würden zugegeben haben, dass man recht gehandelt hätte. Der Versuch, die Frage auf der Grundlage abstrakter, allgemeiner Prinzipien zu lösen, indem man bestimmte Handlungen lobt und andere verwirft, ist sinnlos. Wir müssen Macht nach ihren Wirkungen beurteilen und müssen daher zuerst einmal entscheiden, welche Wirkungen wir wünschen.
Ich für meinen Teil glaube, dass, was immer gut oder schlecht ist, in Einzelpersönlichkeiten liegt und nicht in erster Linie in Gemeinschaften. Gewisse philosophische Systeme, die man zur Verteidigung des korporativen Staates gebrauchen könnte – vor allem die Philosophie Hegels –, sprechen Gemeinschaften als solchen ethische Qualitäten zu, so dass ein solcher Staat wundervoll sein könnte, obwohl die meisten seiner Bürger Schurken wären. Ich glaube, dass derartige philosophische Systeme nur die Privilegien der Machthaber rechtfertigen sollen und dass es, wie immer auch unsere Politik beschaffen sein mag, kein stichhaltiges Argument für eine undemokratische Ethik gibt. Ich verstehe unter undemokratischer Ethik eine, die einen Teil der Menschheit von den übrigen absondert und sagt: »Diese Leute sollen es sich wohl sein lassen, und der Rest ist nur dazu da, ihnen zu dienen.« Ich würde eine solche Ethik in jedem Falle zurückweisen, sie hat aber, wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, den Nachteil, sich selbst zu widerlegen, denn es ist in der Praxis sehr unwahrscheinlich, dass die Übermenschen imstande sein werden, das Leben zu führen, das die aristokratischen Theoretiker für sie erdacht haben.
Bestimmte Wunschziele können logischerweise von allen erreicht werden, während andere ihrer Natur nach einem Teil der Gemeinschaft vorbehalten sein müssen. Allen könnte es – mit ein wenig vernünftiger Zusammenarbeit – ganz gut gehen, aber es ist nicht für alle möglich, das Vergnügen zu haben, reicher als der Nachbar zu sein. Alle könnten sich eines bestimmten Grades an Selbstbestimmung erfreuen, aber es ist unmöglich, dass alle Diktatoren über die anderen sind. Vielleicht wird es einmal eine Bevölkerung geben, in der jedermann ziemlich intelligent ist, aber es ist nicht für alle möglich, die Vorteile zu genießen, die ungewöhnliche Intelligenz mit sich bringt. Und so fort.
Gesellschaftliche Zusammenarbeit ist möglich in Bezug auf die guten Dinge, die universal sein können – genügender materieller Wohlstand, Gesundheit, Intelligenz und jede Form des Glücks, die nicht in Überlegenheit über andere besteht. Aber das Glück, das im Sieg im Wettbewerb besteht, kann nicht allgemein sein. Die erste Form des Glücks wird durch Freundlichkeit, die letztere (und die ihr entsprechende Form des Unglücklichseins) durch Unfreundlichkeit gefördert. Unfreundliches Fühlen kann das vernünftige Streben nach Glück völlig lahmlegen; es offenbart sich heutzutage auf diese Weise in den wirtschaftlichen Beziehungen der Nationen. In einer Bevölkerung mit vorherrschend freundlichen Gefühlen wird es keinen Zusammenstoß zwischen den Interessen verschiedener Individuen oder Gruppen geben; die sich heute ereignenden Zusammenstöße werden durch unfreundliches Fühlen verursacht, das sie wiederum intensivieren. England und Schottland bekämpften sich Jahrhunderte hindurch; schließlich kamen sie durch eine zufällige Erbfolge unter den gleichen König, und die Kriege hörten auf. Jedermann war infolgedessen glücklicher, selbst Dr. Johnson, dessen Späße ihm ohne Zweifel mehr Vergnügen bereiteten, als er an gewonnenen Schlachten gehabt hätte.
Wir kommen nun zu bestimmten Schlussfolgerungen bei der Behandlung unseres Themas der Ethik der Macht.
Das äußerste Ziel jener, die Macht haben (und wir alle besitzen ein wenig Macht), sollte in der Förderung gesellschaftlicher Zusammenarbeit bestehen, und zwar nicht in einer Gruppe gegen eine andere, sondern in der ganzen Menschheit. Das Haupthindernis für die Erreichung dieses Ziels ist gegenwärtig das Bestehen von unfreundlichem Fühlen und der Wunsch nach Überlegenheit. Solches Fühlen kann entweder direkt durch Religion und Moral oder indirekt vermindert werden, indem man wirtschaftliche und politische Umstände beseitigt, die dieses Fühlen gegenwärtig stärken – vor allem den Machtkampf zwischen Staaten und der damit verbundene Kampf um Reichtum zwischen großen nationalen Industrien. Beide Methoden sind notwendig: Sie stellen keine Alternativen dar, sondern ergänzen sich gegenseitig.
Der Weltkrieg mit seinem Gefolge von Diktaturen hat viele dazu gebracht, alle Formen der Macht zu unterschätzen neben Militär-und Regierungsgewalt. Das ist eine kurzsichtige und ungeschichtliche Anschauungsweise. Wenn ich vier Männer nennen sollte, die mehr Macht hatten als sonst einer, würde ich Buddha, Christus, Pythagoras und Galilei nennen. Keiner von ihnen hatte die Unterstützung des Staates, bis seine Propaganda einen großen Teil des Erfolges gesichert hatte. Keiner von den vier hatte zur Zeit seines Lebens viel Erfolg. Keiner von den vier hätte das Leben der Menschen in solchem Maße beeinflusst, wenn Macht sein Hauptziel gewesen wäre. Keiner von den vier suchte Macht, die andere versklavt, sondern jene Macht, die sie befreit – im Falle der ersten beiden, indem sie zeigten, wie man die Begierden meistert, die zum Ehrgeiz führen, und dann, wie man Sklaverei und Unterdrückung besiegt; im Falle der anderen beiden, indem man den Weg zur Herrschaft über die Natur weist. Es ist letzten Endes nicht die Gewalt, die die Menschen regiert, sondern die Weisheit jener, die die gemeinsamen Sehnsüchte der Menschheit anrufen – Glück, inneren und äußeren Frieden und Verständnis für eine Welt, in der wir, nicht durch eigene Wahl, leben müssen.