ZWÖLFTES
KAPITEL
REGIERUNGSMACHT UND IHRE
FORMEN
Abgesehen vom Zweck einer Organisation sind ihre wichtigsten Eigenschaften a) Umfang, b) Macht über ihre Mitglieder, c) Macht über Nichtmitglieder, d) Regierungsform. Die Frage des Umfangs werde ich im nächsten Kapitel behandeln; die übrigen Punkte bilden den Gegenstand dieses Abschnitts.
Gesetzlich geduldete Organisationen, vom Staate abgesehen, haben Befugnisse über ihre Mitglieder, die vom Gesetz genau beschränkt sind. Wenn man ein Rechtsanwalt, ein Arzt oder ein Rennstallbesitzer ist, kann man ausgeschlossen, aus den Listen gestrichen, disqualifiziert oder von der Rennbahn verwiesen werden. All diese Strafen bedeuten Schmach, und die ersten drei können außerordentliche wirtschaftliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Wie unpopulär man aber auch in seinem Beruf sein mag, die Kollegen können gesetzlich nicht mehr tun, als einen daran zu hindern, diesen Beruf auszuüben. Wenn man Politiker ist, muss man von seiner Partei als zuverlässig angesehen werden, um die Hilfe der Parteimaschine zu erhalten; man kann jedoch nicht daran gehindert werden, einer anderen Partei beizutreten oder ein friedliches Leben fern vom parlamentarischen Kampf zu führen. Die Macht, die nichtstaatliche Organisationen über ihre Mitglieder ausüben, beruht auf dem Recht des Ausschlusses und ist mehr oder weniger bedeutend entsprechend dem Verruf und dem finanziellen Nachteil, die mit dem Ausschluss zusammenhängen.
Die Befugnisse des Staates über seine Bürger sind im Gegensatz dazu unbegrenzt mit der Einschränkung verfassungsmäßiger Bestimmungen, die willkürliche Verhaftung oder Ausplünderung untersagen können. In den Vereinigten Staaten darf keinem Menschen Leben, Freiheit oder Eigentum außer auf gesetzmäßigem Wege genommen werden, das heißt nur dann, wenn die Rechtsbehörde nachweist, dass er sich einer Handlung schuldig gemacht hat, die vorher unter entsprechende Strafe gestellt worden war. Obwohl in England die Befugnisse der Exekutive auf ähnliche Weise beschränkt sind, ist die Legislatur allmächtig: Sie kann einen Erlass herausbringen, demzufolge Herr John Smith hinzurichten ist oder seines Eigentums verlustig geht, ohne dass sie nachweisen müsste, dass er ein Verbrechen begangen hat. In der Form der »Acts of Attainder« war diese Befugnis eines der Mittel, durch welche das Parlament die Regierung unter seine Kontrolle bekam. In totalitären Ländern gehört diese Macht einer Exekutive, die sie unbehindert ausübt. Das steht in Übereinstimmung mit der Tradition, und wo Staaten diese Allgewalt eingebüßt haben, da war dies das Ergebnis des Grundsatzes von den Menschenrechten.
Die Befugnisse von Organisationen über Nichtmitglieder sind weniger leicht zu definieren. Die Macht eines Staates in Bezug auf Ausländer beruht auf Krieg und Kriegsdrohung; das trifft selbst auf Zölle und Einwanderungsgesetze zu, die in China beide von Verträgen nach einer militärischen Niederlage festgelegt waren. Nur der Mangel an militärischer Stärke begrenzt die Macht eines Staates über einen anderen; wenn eine ausreichende Überlegenheit gegeben ist, kann selbst Ausrottung oder Umsiedlung der ganzen Bevölkerung angeordnet werden, und oftmals ist das geschehen. Betrachten wir zum Beispiel das Buch Josua, die babylonische Gefangenschaft und die Ansiedlung nordamerikanischer Indianer, soweit sie nicht ausgerottet wurden, in Reservaten.(22)
Die äußeren Befugnisse privater Organisationen können vom Staat leicht mit eifersüchtigen Augen betrachtet werden und sind daher in weitem Maße außergesetzlich. Sie beruhen hauptsächlich auf dem Boykott und ähnlichen extremen Formen von Einschüchterung. Ein solcher terroristischer Einfluss ist meistens das Vorspiel zu Revolution oder Anarchie. In Irland brachte Mord zuerst den Sturz der Landeigentümer, später den der englischen Herrschaft. Im zaristischen Russland machten die Revolutionäre vor allem von terroristischen Methoden Gebrauch. Die Nazis kamen durch ungesetzliche Gewaltsamkeit vorwärts. Eine Zeitlang erhielten in der Tschechoslowakei Leute aus der deutschen Bevölkerung, die sich nicht der Henleinpartei anschließen wollten, Warnungen, wie »Du bist vorgemerkt« oder »Auch du wirst an die Reihe kommen«; und wenn man sieht, was Gegnern bei der Besetzung Österreichs durch die Deutschen geschah, sind solche Drohungen sehr wirksam. Ein Staat, der einer solchen Art von Illegalität nichts entgegenzusetzen hat, kommt in der Regel bald in Schwierigkeiten. Wenn der gesetzlose Zustand von einer einzelnen Organisation mit festumrissenem politischem Programm ausgeht, ist das Ergebnis eine Revolution, wenn er aber durch Räuberbanden oder meuternde Soldaten herbeigeführt wird, kann es einfach zu Anarchie und Chaos kommen.
In demokratischen Ländern sind die bedeutendsten privaten Organisationen solche wirtschaftlicher Art. Ungleich Geheimgesellschaften können sie ihren Terror auf nicht illegale Weise ausüben, da sie ihren Feinden nicht mit Ermordung, sondern nur mit Aushungerung drohen. Durch derartige Drohungen die nicht immer ausgesprochen werden müssen – haben sie selbst oft Regierungen geschlagen. Solange Privatorganisationen darüber entscheiden können, ob Personen, die ihnen nicht angehören, genug zu essen haben oder nicht, ist die Macht des Staates offenbar sehr ernsten Beschränkungen unterworfen In Deutschland und Italien hat sich der Staat nicht weniger als in Russland in dieser Hinsicht über das Privatkapital aufgeschwungen.
Ich komme nun zur Frage der Regierungsformen, und es ist natürlich, mit der absoluten Monarchie, der ältesten, einfachsten und verbreitetsten Verfassung in der Geschichte, zu beginnen. Ich unterscheide jetzt nicht zwischen dem König und dem Tyrannen; ich untersuche einfach die EinMann-Herrschaft, ob es sich nun um einen erblichen König oder um einen Usurpator handelt. Diese Regierungsform hat in Asien zu allen Zeiten vorgeherrscht, seit dem Beginn der babylonischen Geschichte über die persische Monarchie, die mazedonische und römische Herrschaft und das Kalifat bis zu den Tagen des Großmoguls. Zwar war in China der Kaiser kein absoluter Herrscher, außer während der Regierung des Schu Huang Ti (3. Jahrhundert vor Christi Geburt), der die Bücher verbrannte; zu anderen Zeiten konnten die Gelehrten ihn in der Regel schlagen. Aber China war immer eine Ausnahme gewesen. Obwohl man die absolute Monarchie auf dem Abstieg glaubt, gab es in unserer Zeit etwas sehr Ähnliches in Deutschland, Italien, Russland, in der Türkei und in Japan. Offenbar finden die Menschen diese Regierungsform natürlich.
Vom Psychologischen aus gesehen liegen ihre Verdienste auf der Hand. Im Allgemeinen führt der Herrscher einen Stamm oder eine Sekte zur Eroberung, und seine Gefolgsleute fühlen sich als Teilhaber seines Ruhmes. Cyrus führte die Perser zur Empörung gegen die Meder; Alexander gab seinen Mazedoniern Macht und Reichtum; Napoleon brachte den Armeen der Revolution den Sieg. Die Beziehungen Lenins und Hitlers zu ihren Parteien waren von der gleichen Art. Der Stamm oder die Sekte unter einem Eroberer folgt ihm willig und fühlt sich durch seine Erfolge erhoben; die Unterworfenen empfinden mit Bewunderung gemischte Furcht. Keine politische Übung, keine Gewohnheit im Kompromiss ist erforderlich; die einzige instinktive gesellschaftliche Kohäsion, die notwendig ist, ist der Zusammenhalt in einer kleinen inneren Gruppe von Anhängern, was durch die Tatsache erleichtert wird, dass alle von den Erfolgen des Helden abhängig sind. Wenn er stirbt, kann sein Werk in Stücke zerfallen, wie das Alexanders; aber mit etwas Glück kann ein fähiger Nachfolger es fortsetzen, bis die neue Macht traditionell geworden ist.
Die Schwierigkeit jeder anderen Beziehung zwischen den Menschen – nämlich als sie in eine Gemeinschaft zusammenschließendes Band – außerhalb der von Befehlen und Gehorchen kann am Verhältnis der Staaten zueinander deutlich gemacht werden. Es gibt unzählige Beispiele für kleine Staaten, die durch Eroberung in große Reiche hineinwachsen, aber kaum eines für freiwilligen Beitritt. Für Griechenland in der Zeit Philipps und Italien in der Renaissance war eine gewisse Zusammenarbeit zwischen verschiedenen souveränen Staaten eine Frage von Leben und Tod, und doch kam sie nicht zustande. Das gleiche gilt heutzutage von Europa. Es ist nicht leicht, Menschen, die ans Befehlen oder auch nur an Unabhängigkeit gewöhnt sind, dazu zu bringen, sich freiwillig einer äußeren Autorität unterzuordnen. Wenn das vorkommt, dann in der Regel etwa bei einer Bande von Seeräubern, nämlich da, wo eine kleine Gruppe großen Gewinn auf Kosten der Allgemeinheit erhofft und solches Zutrauen zu ihrem Führer hat, dass sie bereit ist, die Leitung des Unternehmens in seine Hände zu legen. Nur in einer derartigen Situation können wir von einer Regierung sprechen, die aus einem »Gesellschaftsvertrag« hervorgeht, und in diesem Fall handelt es sich eher um Hobbes' als um Rousseaus Vertrag, das heißt, es ist ein Vertrag, den die Bürger (oder Seeräuber) untereinander abschließen, nicht ein Vertrag zwischen ihnen und ihrem Führer. Der psychologisch wichtige Punkt ist der, dass Menschen nur bereit sind, einem solchen Vertrag zuzustimmen, wenn er große Möglichkeiten für Raub oder Eroberung bietet. Es ist dieser psychologische Mechanismus, obwohl er in der Regel nicht offen zutage liegt, der nicht-absoluten Königen gestattete, durch kriegerische Erfolge ungefähr absolut zu werden.
Die aus diesen Erwägungen hergeleitete Schlussfolgerung lautet, dass, während eine Art freiwilliger Zustimmung zur willkürlichen Macht eines Monarchen von einer Gruppe naher Gefährten aus vorhanden sein muss, die Mehrheit seiner Untertanen sich gewöhnlich zunächst aus Furcht, später als Ergebnis von Brauch und Tradition unterwirft. Der »Gesellschaftsvertrag« im einzigen nicht völlig mythischen Sinne ist ein Vertrag unter Eroberern, der seine Daseinsberechtigung verliert, wenn die Eroberer der Vorteile der Eroberung verlustig gehen. Was die Untertanen in ihrer Mehrheit anbelangt, so ist eher Furcht als Zustimmung die ursprüngliche Ursache für ihre Unterwerfung unter einen König, dessen Macht sich über einen einzelnen Stamm hinaus erstreckt.
Weil die Ursachen für Loyalität in einem inneren Kreis und Furcht in der Bevölkerung so einfach sind, ist beinahe jeder Gebietszuwachs souveräner Staaten durch Eroberung und nicht durch freiwilligen Beitritt erfolgt; und aus eben demselben Grunde hat die Monarchie in der Geschichte eine so große Rolle gespielt.
Immerhin hat die Monarchie große Nachteile. Wenn sie erblich ist, ist es unwahrscheinlich, dass die Herrscher immer fähige Leute sein werden; und wenn über die Erbfolge Ungewissheit besteht, wird es zu dynastischen Kriegen kommen. Im Osten begann ein neuer Herrscher in der Regel seine Laufbahn damit, dass er seine Brüder hinrichten ließ; wenn aber einer von ihnen entkam, beanspruchte er den Thron, da dies seine einzige Chance war, die Hinrichtung zu vermeiden. Man lese zum Beispiel Mainuccis »Storia do Mogor«, die die Großmoguln behandelt und klarlegt, dass Erbfolgekriege mehr als jeder andere Umstand zur Schwächung ihres Reichs beitrugen. In unserem Lande ergibt sich aus den Rosenkriegen dieselbe Moral.
Wenn andererseits die Monarchie nicht erblich ist, werden Bürgerkriege noch wahrscheinlicher. Diese Gefahr wird durch die Geschichte des römischen Reiches vom Tode des Commodus bis zum Machtantritt des Konstantin beleuchtet. Nur eine wirklich erfolgreiche Lösung dieses Problems ist bisher gefunden worden: Es ist die Methode, durch welche der Papst gewählt wird. Aber sie ist das letzte Wort einer Entwicklung, die aus der Demokratie hervorging; und auch in diesem Falle zeigt das große Schisma, dass die Methode nicht unfehlbar ist.
Ein noch ernsterer Nachteil der Monarchie liegt in der Tatsache, dass sie in der Regel den Interessen ihrer Untertanen gleichgültig gegenübersteht, sofern sie nicht mit denen des Königs übereinstimmen. Übereinstimmung der Interessen mag bis zu einem gewissen Punkt vorhanden sein. Der König hat ein Interesse daran, innere Anarchie zu unterdrücken, und wird daher vom gesetzeverehrenden Teil seiner Untertanen unterstützt werden, wann immer die Gefahr der Anarchie groß ist. Er hat ein Interesse daran, dass seine Untertanen reich sind, weil das die Steuern ergiebiger macht. Im Kriege werden die Interessen des Königs und seiner Untertanen für identisch angesehen werden, solange er siegreich ist. Solange er die von ihm beherrschten Gebiete ausdehnt, wird der innere Kreis, den er mehr anführt als beherrscht, den Dienst bei ihm vorteilhaft finden. Aber Könige werden durch zwei Ursachen vom richtigen Wege abgebracht: durch Stolz und dadurch, dass sie sich auf einen inneren Kreis verlassen, der seine Kommandogewalt verloren hat. Was den Stolz betrifft: Obwohl die Ägypter den Bau der Pyramiden ertrugen, flüsterten die Franzosen schließlich gegen Versailles und den Louvre; und Moralisten haben immer gegen den Luxus der Höfe ihre Stimme erhoben. »Wein ist verrucht, Frauen sind verrucht, der König ist verrucht«, sagt man uns in den Apokryphen.
Die andere Ursache für den Niedergang der Monarchie ist wichtiger. Könige nehmen die Gewohnheit an, sich auf einen Teil der Bevölkerung zu stützen: die Aristokratie, die Kirche, das Großbürgertum, manchmal vielleicht auch auf eine geographische Gruppe, wie die Kosaken. Allmählich vermindern wirtschaftliche oder kulturelle Veränderungen die Macht der bevorzugten Gruppe, und der König teilt ihre Unpopularität. Er kann sogar so unklug sein wie Nikolaus II. und die Unterstützung der Kreise verlieren, die am meisten auf seiner Seite sein müssten; aber das ist die Ausnahme. Karl I. und Ludwig XVI. wurden von der Aristokratie gestützt, fielen aber, weil das Bürgertum ihnen feindlich gesinnt war.
Ein König oder ein Despot kann seine Macht aufrechterhalten, wenn er in der Innenpolitik beschlagen und erfolgreich in der Außenpolitik ist. Wenn er das Ansehen eines Halbgottes genießt, kann seine Dynastie unbegrenzt weiterdauern. Aber das Wachstum der Zivilisation macht dem Glauben an seine Gottähnlichkeit ein Ende; Niederlage im Krieg kann nicht immer vermieden werden; und politische Beschlagenheit kann nicht ein unveränderliches Attribut der Monarchen sein. Daher kommt es früher oder später, wenn es keine Eroberungen gibt, zur Revolution, und die Monarchie wird entweder abgeschafft oder ihrer Macht entkleidet.
Die natürliche Nachfolge der absoluten Monarchie tritt die Oligarchie an. Aber die Oligarchie kann sehr unterschiedlicher Natur sein; sie mag Herrschaft einer erblichen Aristokratie sein oder Herrschaft der Reichen, einer Kirche oder einer politischen Partei. Die sich daraus ergebenden Resultate sind sehr verschieden. Eine erbliche grundbesitzende Aristokratie ist leicht konservativ, hochmütig, dumm und ziemlich brutal; aus diesen Gründen – unter anderen –wird sie stets im Kampf mit dem Großbürgertum geschlagen. Eine Regierung der Reichen bestand in allen freien Städten des Mittelalters und dauerte in Venedig fort, bis Napoleon sie zum Erlöschen brachte. Solche Regierungen sind, alles in allem, aufgeklärter und beschlagener gewesen als irgendwelche anderen in der Geschichte bekannten. Besonders Venedig steuerte durch Jahrhunderte komplizierter Intrige einen klugen Kurs und besaß eine Diplomatie, die der jedes anderen Staates überlegen war. Durch Handel gewonnenes Geld wird durch eine Art Klugheit gewonnen, die nicht diktatorisch ist, und dieser Zug ist für Regierungen typisch, die aus erfolgreichen Handelsherren bestehen. Der moderne Industriemagnat ist ein völlig anderer Typus, teils, weil er in großem Maße mit der technischen Handhabung von Materialien zu tun hat, teils, weil seine Beziehungen zu Menschen sich vor allem auf eine Armee von Beschäftigten statt auf Gleichgestellte beschränken, auf Gleichgestellte, die überzeugt, nicht erpresst werden müssen.
Regierung, ausgeübt von einer Kirche oder einer politischen Partei – was man eine Theokratie nennen kann – ist die Form einer Oligarchie, die in den letzten Jahren eine neue Bedeutung gewonnen hat. Sie besaß eine ältere Form, die im Patrimonium der Peterskirche und in der Jesuitenherrschaft in Paraguay fortlebte, ihre moderne Form jedoch beginnt mit Calvins Regierung in Genf –von der kurzen Episode der Wiedertäufer in Münster abgesehen. Noch moderner war die Herrschaft der Heiligen, die in England mit der Restauration endete, in Neuengland aber noch eine längere Zeit fortlebte. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert hätte man diesen Regierungstypus für gänzlich erloschen halten können. Er wurde jedoch von Lenin wiederbelebt, in Italien und Deutschland angenommen und seine Errichtung in China ernsthaft unternommen.
In einem Land wie Russland oder China, wo die große Masse der Bevölkerung analphabetisch und ohne politische Erfahrung war, befand sich der erfolgreiche Revolutionär in einer sehr schwierigen Lage. Demokratie nach westlichem Vorbild konnte keinen Erfolg haben; man versuchte, sie in China einzuführen, aber es war von Anfang an ein Fiasko. Andererseits hatten die revolutionären Parteien in Russland nur hochmütige Abneigung gegenüber der landbesitzenden Aristokratie und den Reichen des Bürgertums; keines der Ziele, die sie im Auge hatten, konnte mit einer aus diesen Klassen gewählten Oligarchie erreicht werden. Sie sagten dementsprechend: »Wir, die Partei, die die Revolution gemacht hat, werden die politische Macht so lange behalten, bis das Land für die Demokratie reif ist; und inzwischen werden wir das Land unseren Grundsätzen gemäß erziehen.«
Das Ergebnis fiel immerhin nicht ganz so aus, wie die alten Bolschewiki erhofft hatten. Unter dem Druck von Bürgerkrieg, Hunger und bäuerlicher Unzufriedenheit wurde die Diktatur allmählich härter, während der Kampf innerhalb der Kommunistischen Partei nach Lenins Tod sie allmählich aus einer Parteiregierung in EinMann-Herrschaft verwandelte. All das war nicht schwer vorauszusehen. Im Jahre 1920 schrieb ich: »Die bolschewistische Theorie behauptet, dass früher oder später jedes Land durchmachen wird, was Russland gegenwärtig durchmacht. Und in jedem Land in ähnlicher Lage dürfen wir erwarten, dass die Herrschaft skrupellosen Männern in die Hände fällt, die von Natur aus keine Freiheitsliebe besitzen und wenig Eile haben, die Diktatur in Freiheit umzuwandeln ... Ist es nicht beinahe unvermeidlich, dass Männer in der Lage der Bolschewiki in Russland ... nicht willens sein werden, ihr Machtonopol zu lockern, und Gründe finden werden, es zu behalten, bis eine neue Revolution sie aus ihren Stellungen wirft?« Aus diesen Gründen kann man schwerlich eine Theokratie als einen Schritt in Richtung der Demokratie betrachten, obwohl sie in anderer Beziehung ihre Verdienste haben mag.
Die Verdienste von Theokratien sind manchmal, wenn sie einen neuen Glauben vertreten, sehr groß und manchmal nahezu Null. Zuerst bilden die Gläubigen einen Kern des gesellschaftlichen Zusammenhalts nach der Revolution und können leicht zusammenwirken, weil sie sich über Grundsätzliches einig sind; es ist ihnen daher möglich, eine kraftvolle Regierung zu errichten, die weiß, was sie will. Zweitens ist, wie bereits festgestellt wurde, die Partei oder Kirche eine Minderheit nicht nach Geburt oder Wohlstand, der man politische Macht anvertrauen kann, wo aus irgendeinem Grund die Demokratie versagen musste. Drittens können die Gläubigen beinahe gewiss sein, dass sie energischer und politisch bewusster sind als der Durchschnitt der Bevölkerung, der sie auch, was viele Beispiele beweisen, in intellektueller Hinsicht überlegen gewesen sind. Manche Anschauungen allerdings, von denen einige sehr mächtig geworden sind, haben nur für Dummköpfe Anziehungskraft, ohne von der Hefe der Abenteurer zu sprechen, die sich nach einer Arbeit umtun. Intelligenz ist daher nur in einigen Theokratien ein Wesenszug.
Wenn die Macht auf die Mitglieder einer Sekte beschränkt ist, muss es unvermeidlich eine druckende ideologische Zensur geben. überzeugte Gläubige werden mit Eifer den wahren Glauben verkünden; andere werden sich mit äußerlicher Zustimmung begnügen. Die eine Haltung erstickt den freien Gebrauch der Intelligenz; die letztere fördert das Heuchlertum. Erziehung und Literatur werden stereotyp und sind mehr darauf abgestellt, Gläubigkeit hervorzubringen als Initiative und Kritik. Wenn die Führer an ihrer eigenen Theologie interessiert sind, wird es Ketzerei geben und der orthodoxe Glaube wird immer enger umrissen werden. Von einer Anschauung stark beeinflusste Menschen unterscheiden sich vom Durchschnitt in der Fähigkeit, von mehr oder weniger abstrakten oder mehr oder weniger lebensfernen Dingen bewegt zu werden.
Wenn solche Menschen eine unpopuläre Regierung kontrollieren, wird als Ergebnis die Masse der Bevölkerung noch oberflächlicher und gedankenloser, als sie von Natur aus sein würde – ein Ergebnis, das von der Erkenntnis gefördert wird, dass jeder Gedanke möglicherweise Ketzerei und daher gefährlich ist. Die Herrschenden in einer Theokratie sind mit Wahrscheinlichkeit Fanatiker; da sie Fanatiker sind, werden sie streng sein; da sie streng sind, werden sie auf Widerstand stoßen; da sie auf Widerstand stoßen, werden sie noch strenger werden. Ihr Machttrieb wird sogar vor ihnen selbst den Schein religiösen Eifers tragen und daher keiner Beschränkung unterworfen sein. Daher Folterwerkzeug und Brandpfahl, Gestapo und Tscheka.
Wir haben gesehen, dass Monarchie und Oligarchie Verdienste und Nachteile haben. Der grundsätzliche Nachteil beider ist, dass die Regierung früher oder später den Wünschen der gewöhnlichen Leute gegenüber so gleichgültig wird, dass es zur Revolution kommt. Wenn die Demokratie fest errichtet ist, ist sie ein Schutz gegen diese Art von Unsicherheit. Da Bürgerkrieg ein sehr großes Übel ist, ist eine Regierungsform, die ihn unwahrscheinlich macht, zu empfehlen. Nun wird der Bürgerkrieg dann unwahrscheinlich, wenn er, falls es dazu kommen sollte, den früheren Machthabern den Sieg geben würde. Wenn die Macht, beim Gleichstand der übrigen Dinge, in den Händen der Mehrheit ist, wird in einem Bürgerkrieg die Regierung leichter siegen, als wenn sie nur eine Minderheit vertritt. Das ist in gewisser Hinsicht ein Argument zugunsten der Demokratie; aber einige Beispiele aus neuerer Zeit zeigen uns, dass es vielen Einschränkungen unterworfen ist.
Eine Regierung wird in der Regel »demokratisch« genannt, wenn ein erheblicher Prozentsatz der Bevölkerung am Besitz der politischen Macht beteiligt ist. Die extremsten griechischen Demokratien schlossen Weiber und Sklaven aus, und Amerika nannte sich eine Demokratie, bevor die Frauen das Stimmrecht hatten. Es ist klar, dass eine Oligarchie sich einer Demokratie in dem Maße nähert, als der Prozentsatz innegehabter politischer Macht anwächst. Die charakteristischen Merkmale der Oligarchie treten nur in Erscheinung, wenn dieser Prozentsatz ziemlich klein ist.
In allen Organisationen, besonders aber in Staaten, ist das Problem der Regierung ein Doppeltes. Vom Standpunkt der Regierung aus handelt es sich darum, sich die Zustimmung der Regierten zu sichern; vom Standpunkt der Regierten aus muss die Regierung nicht nur seine eigenen, sondern auch die Interessen der von ihr Regierten in Rechnung stellen. Wenn jedes dieser Probleme völlig gelöst ist, kann das andere nicht auftauchen; wenn keines gelöst ist, kommt es zur Revolution. Aber in der Regel wird eine Kompromisslösung erreicht. Von brutaler Kraft abgesehen, sind die hauptsächlichen Faktoren auf Regierungsseite Tradition, Religion, Furcht vor fremden Feinden und der natürliche Wunsch der meisten Menschen, einem Führer zu folgen. Zum Schutz der Regierten hat man bisher nur eine Methode entdeckt, die überhaupt wirksam ist, nämlich die Demokratie.
Demokratie als Regierungsform ist einigen Beschränkungen unterworfen, die wesentlich, anderen, die im Prinzip vermeidbar sind. Die wesentlichen Einschränkungen haben in der Hauptsache zwei Gründe: manche Entscheidungen müssen schnell getroffen werden und andere erfordern fachmännische Kenntnisse. Als Großbritannien im Jahre 1931 den Goldstandard aufgab, waren beide Faktoren im Spiel: Es war absolut notwendig, schnell zu handeln, und die meisten Leute konnten die Fragen, um die es ging, nicht verstehen. Die Demokratie konnte daher ihre Meinung nur auf retrospektivem Wege ausdrücken. Krieg, wenn er auch weniger technischer Natur ist als die Währung, ist noch dringlicher: Es ist möglich, das Parlament oder den Kongress zu konsultieren (obwohl das in der Regel eine Farce ist, weil die Entscheidung in der Tatsache, wenn nicht in der Form, bereits gefallen sein wird), aber es ist nicht möglich, die Wählerschaft zu befragen.
Infolge dieser wesentlichen Beschränkungen müssen viele der wichtigsten Fragen der Regierung durch die Wählerschaft anvertraut werden. Demokratie ist soweit erfolgreich, als die Regierung gezwungen ist, die öffentliche Meinung zu berücksichtigen. Das »lange« Parlament ordnete an, dass es ohne seine Zustimmung nicht aufgelöst werden könne; was hat die folgenden Parlamente gehindert, ähnlich zu handeln? Die Antwort ist weder einfach noch tröstlich. Zunächst war bei Anwesenheit einer revolutionären Situation den Mitgliedern des zu Ende gehenden Parlaments ein angenehmes Leben sicher, selbst wenn sie der geschlagenen Partei angehörten; die meisten von ihnen konnten wiedergewählt werden, und wenn sie der Freuden des Regierens verlustig gingen, konnten sie das beinahe gleichwertige Vergnügen haben, die Fehler ihrer Rivalen öffentlich zu kritisieren. Und folgerichtig wären sie an die Macht zurückgekehrt. Wenn sie es andererseits der Wählerschaft unmöglich machten, sie auf verfassungsmäßigem Wege loszuwerden, würden sie eine revolutionäre Situation schaffen, die ihr Eigentum und vielleicht ihr Leben bedrohen würde. Das Schicksal Straffords und Karls I. war eine Warnung vor zu großer Eile.
All dies wäre anders, wenn es bereits eine revolutionäre Situation gäbe. Man stelle sich vor, ein konservatives Parlament hätte Grund zu fürchten, dass die nächste Wahl eine kommunistische Mehrheit ergeben würde, die das Privateigentum entschädigungslos enteignen würde. In einem solchen Fall könnte die Partei an der Macht wohl das »lange« Parlament nachahmen und seine eigene ewige Dauer dekretieren. Es würde dabei kaum von der Achtung vor demokratischen Grundsätzen beschränkt werden; wenn überhaupt, würde es der Zweifel an der Loyalität der Streitkräfte zurückhalten.
Daraus ergibt sich, dass eine Demokratie, da sie gezwungen ist, gewählten Vertretern Macht anzuvertrauen, nicht sicher sein kann, dass in einer revolutionären Situation ihre Repräsentanten weiter ihren Willen vertreten werden. Der Willen des Parlaments kann, in leicht vorstellbaren Umständen, dem der Mehrheit der Nation entgegengesetzt sein. Wenn das Parlament in einer derartigen Lage auf ein Übergewicht an Kraft rechnen kann, kann es die Mehrheit ungestraft übergehen.
Das will nicht besagen, dass es eine bessere Regierungsform gäbe als die Demokratie. Ich will nur feststellen, dass es Fragen gibt, um deren Lösung die Menschen kämpfen werden, und wenn sie auftreten, kann keine Regierungsform den Bürgerkrieg verhindern. Eine der wichtigsten Aufgaben einer Regierung sollte darin bestehen, Fragen nicht so akut werden zu lassen, dass sie zum Bürgerkrieg führen könnten; und von diesem Gesichtspunkt aus ist die Demokratie, wo sie üblich ist, wahrscheinlich jeder anderen bekannten Regierungsform vorzuziehen.
Die Schwierigkeit der Demokratie als Regierungsform liegt darin, dass sie Bereitschaft zum Kompromiss verlangt. Die geschlagene Partei darf nicht annehmen, dass es um einen so wichtigen Grundsatz ginge, dass Nachgeben Feigheit wäre; auf der anderen Seite darf die Mehrheit den Vorteil nicht bis zu einem Grade ausnützen, wo es zur Revolte käme. Das verlangt Erfahrung, Achtung vor dem Gesetz und die Gewohnheit zu glauben, dass Meinungen, die sich von der eigenen unterscheiden, kein Beweis für Verdorbenheit sein müssen. Noch wichtiger ist, dass kein Zustand akuter Furcht besteht, denn wenn es ihn gibt, sehen sich die Leute nach einem Führer um und unterwerfen sich ihm mit dem Ergebnis, dass er wahrscheinlich zum Diktator wird. Unter diesen Bedingungen kann die Demokratie die festeste Regierungsform sein, die bisher bekannt ist. In den Vereinigten Staaten, Großbritannien, den Dominions, in Skandinavien und in der Schweiz läuft sie kaum irgendwelche Gefahr, wenn nicht von außen her; in Frankreich festigt sie sich mehr und mehr. Außer ihrer Stabilität hat sie Glas Verdienst, die Regierungen zu veranlassen, dem Wohlergehen ihrer Bürger erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken – vielleicht nicht so viel, wie wünschenswert ist, aber doch vielmehr als in absoluten Monarchien, Oligarchien und Diktaturen.
Demokratie in einem modernen großen Staat hat gewisse Nachteile, keineswegs bedeutende allerdings im Vergleich mit anderen Regierungsformen überein ähnlich großes Gebiet, aber doch unvermeidlich Nachteile infolge der gewaltigen Bevölkerungsmasse. Im Altertum, als das Vertretungssystem unbekannt war, versammelten sich die Bürger auf dem Markt und stimmten persönlich über jede Frage ab. Solange der Staat auf eine einzelne Stadt beschränkt blieb, gab das jedem Bürger ein Gefühl wirklicher Macht und Verantwortlichkeit, um so mehr, als seine eigene Erfahrung ihn befähigte, die meisten der behandelten Fragen zu verstehen. Aber durch das Fehlen einer gewählten Legislatur konnte sich die Demokratie nicht über ein weiteres Gebiet erstrecken. Als den Einwohnern anderer Teile Italiens die römische Staatsbürgerschaft gewährt wurde, konnten die neuen Bürger in Wirklichkeit nicht an der politischen Macht teilhaben, weil das nur den in Rom Lebenden möglich war. Die geographische Schwierigkeit wurde in der modernen Welt durch die Wahl von Vertretern überwunden. Bis vor ganz kurzer Zeit hatten die einmal gewählten Vertreter eine beträchtliche unabhängige Gewalt, weil die Leute, die von der Hauptstadt entfernt lebten, nicht früh oder ausführlich genug wissen konnten, was geschehen würde, um ihre Meinung tatsächlich ausdrücken zu können. Heute dagegen sind große Länder durch Rundfunk, bewegliche Verkehrsverhältnisse und Zeitungen den Stadtstaaten des Altertums immer ähnlicher geworden; es gibt einen mehr persönlichen Kontakt (in gewissem Sinne) zwischen den Leuten im Zentrum und den entfernteren Wählern; Anhänger können auf Führer einen Druck ausüben, und umgekehrt können Führer auf ihre Anhänger in einem Maße Einfluss nehmen, das im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert unmöglich war. Als Ergebnis hat sich die Bedeutung des Vertreters vermindert und die des Führers vermehrt. Parlamente sind nicht mehr tatsächliche Vermittler zwischen Wählern und Regierungen. Alle zweifelhaften propagandistischen Tricks, die früher auf die Wahlzeit beschränkt blieben, können nun ununterbrochen angewendet werden. Der griechische Stadtstaat mit seinen Demagogen, Tyrannen, Leibwachen und Verbannten ist wieder erstanden, weil seine Propagandamethoden wieder verfügbar wurden.
Außer, wenn er für einen Führer begeistert ist, hat der Wähler in einer großen Demokratie in so geringem Maße das Gefühl von Macht, dass er es oft nicht für lohnend hält, von seinem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Wenn er kein eifriger Propagandist für eine der großen Parteien ist, lässt der riesige Umfang der Kräfte, die darüber entscheiden, wer regieren soll, seinen eigenen Teil völlig unbedeutend erscheinen. Tatsächlich besteht alles, was er in der Regel tun kann, darin, für einen von zwei Männern zu stimmen, deren Programme ihn nicht sehr interessieren und sich nur wenig voneinander unterscheiden, und die, wie er weiß, ungestraft auf ihre Programme verzichten können, sobald sie gewählt sind. Wenn andererseits ein Führer existiert, den er begeistert bewundert, treffen wir auf den gleichen psychologischen Vorgang, den wir in Verbindung mit der Monarchie untersuchten: die Psychologie des Bandes zwischen einem König und dem Stamm oder der Sekte seiner aktiven Anhänger. Jeder geschickte politische Agitator oder Organisator bemüht sich, Ergebenheit gegenüber einer Person zu erregen. Wenn die Person ein großer Führer ist, so ergibt sich eine EinMann-Regierung; ist sie es nicht, so wird die Parteiclique, die ihre Wahl gesichert hat, zum wirklichen Träger der Macht.
Das ist keine wahre Demokratie. Die Frage der Bewahrung der Demokratie in einem weiten Gebiet ist sehr schwierig. Ich werde in einem späteren Kapitel auf sie zurückkommen.
Bisher haben wir uns mit Regierungsformen in der Politik beschäftigt. Aber die in wirtschaftlichen Organisationen auftretenden Formen sind so wichtig und eigenartig, dass sie gesondert betrachtet werden müssen.
In einem Industrieunternehmen gibt es zunächst einmal einen Unterschied, der dem zwischen Bürgern und Sklaven im Altertum vergleichbar ist. Die Bürger sind jene, die in das Unternehmen Kapital investiert haben, während die Angestellten ihre Sklaven sind. Ich will diesen Vergleich nicht zu weit treiben. Der Angestellte unterscheidet sich vom Sklaven durch den Umstand, dass er frei seine Beschäftigung wechseln kann und das Recht hat, seine Freizeit zu verbringen, wie es ihm gefällt. Der Vergleich, den ich anstellen möchte, bezieht sich auf die Regierung. Tyranneien, Oligarchien und Demokratien unterschieden sich in ihren Beziehungen zu Freien; in ihrer Beziehung zu Sklaven waren sie alle gleich. Auf ähnliche Weise kann die Macht in einem kapitalistischen Industrieunternehmen unter den Inhabern der Investierungen auf monarchische, oligarchische oder demokratische Art aufgeteilt sein, aber Angestellte haben überhaupt keinen Anteil an ihr, sofern sie nicht investiert haben, und man ist der Ansicht, dass sie so wenig Anspruch auf Macht besitzen wie Sklaven im Altertum.
Wirtschaftsverbände weisen eine große Vielfalt an oligarchischen Verfassungsformen auf. Ich denke im Moment nicht an die Tatsache, dass die Angestellten von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind; ich denke nur an die Aktienbesitzer. Am besten behandelt dieses Thema nach meinem Wissen ein Buch, das ich bereits erwähnt habe, »The Modern Corporation and Private Property« von Berle und Means. In einem Kapitel, das die Überschrift trägt »Die Entwicklung der Kontrolle«, zeigen sie, wie Oligarchien, oft bei ganz geringer Besitzbeteiligung, sich die Führung mächtiger Kapitalaggregate angeeignet haben. Durch gewisse Schachzüge, die mit dem »proxy committee« zusammenhängen, »kann die Leitung in der Tat ihre eigenen Nachfolger ernennen. Wo der Besitz in genügendem Maße unterteilt ist, kann die Leitung auf diese Weise eine sich selbst verewigende Körperschaft werden, selbst wenn ihr Anteil am Besitz ganz geringfügig ist. Die diesem Zustand am nächsten kommende Form, die die Autoren finden konnten, ist die Organisation, die die katholische Kirche beherrscht. Der Papst wählt die Kardinäle aus, und das Kardinalskollegium wiederum wählt den nachfolgenden Papst.« Diese Leitungsform besteht in einigen der größten bestehenden Verbände, zum Beispiel in der American Telephone and Telegraph Company und in der United States Steel Corporation, die am 1. Januar 1930 über Kapitalien von vier bzw. zwei Milliarden Dollars verfügten. Im letzteren Verband besitzen die Direktoren nur 1,4 % der Aktien, und doch gehört die wirtschaftliche Macht allein ihnen.
Die organisatorische Kompliziertheit eines Wirtschaftsverbands kann leicht größer sein als die einer politischen Institution. Direktoren, Aktienbesitzer, Inhaber von Schuldscheinen, Aufsichtsrat und gewöhnliche Angestellte haben alle verschiedene Funktionen. Die Leitung ist in der Regel oligarchisch, und die Einheiten der Oligarchie bilden Aktien, nicht Aktieninhaber, deren gewählte Vertreter die Direktoren sind. In Wirklichkeit haben die Direktoren gewöhnlich viel mehr Gewalt, verglichen mit Aktieninhabern, als die Regierung einer politischen Oligarchie, verglichen mit den einzelnen Oligarchen. Dagegen haben dort, wo die Gewerkschaften gut organisiert sind, die Angestellten ein gewichtiges Wort bei der Festlegung ihrer Arbeitsbedingungen mitzureden. In kapitalistischen Unternehmen besteht eine eigenartige Dualität des Zwecks: Einesteils sind sie dazu da, um Waren oder Erleichterungen für das Publikum herzustellen, andererseits streben sie nach Profiten für die Aktieninhaber. In politischen Organisationen nimmt man an, dass die Politiker nach dem allgemeinen Wohl streben und nicht nur nach größtmöglicher Erweiterung ihrer Gehälter; diese Ansicht wird sogar unter dem Despotismus aufrechterhalten. Aus diesem Grunde gibt es in der Politik mehr Heuchelei als im Geschäftsleben. Aber unter dem doppelten Einfluss von Demokratie und sozialistischer Kritik haben viele bedeutende Industriemagnaten die Kunst des politischen Schwindels erlernt und verstehen vorzugeben, dass das öffentliche Wohl für sie der Anlass ist, sich zu bereichern. Hier ist ein weiteres Beispiel für die neue Tendenz zur Verschmelzung von Politik und Wirtschaft.
Etwas muss noch darüber gesagt werden, wie in einer gegebenen Institution die Regierungsformen wechseln. In dieser Angelegenheit stellt die Geschichte keinen zuverlässigen Führer dar. Wir haben gesehen, dass in Ägypten und Babylonien die absolute Monarchie völlig entwickelt war, als die Geschichtsschreibung begann; aus anthropologischen Funden kann man schließen, dass sie sich aus der Autorität von Häuptlingen entwickelt hat, die ursprünglich von einem Ältestenrat beschränkt wurde. In ganz Asien mit der Ausnahme von China hat die absolute Monarchie niemals, außer unter europäischem Einfluss, Anzeichen gegeben, dass sie einer anderen Regierungsform Platz machen würde. Hingegen ist sie in Europa in geschichtlichen Zeiten niemals beständig gewesen. Im Mittelalter war die Macht der Könige durch den Feudaladel eingeschränkt sowie durch die Autonomie der größten Handelsstädte. Nach der Renaissance nahm zwar die Macht der Könige in ganz Europa zu, aber dieser Zuwachs wurde durch den Aufstieg des Bürgertums zuerst in England, dann in Frankreich und schließlich im restlichen Westeuropa beendet, Bis zur Auflösung der konstituierenden Versammlung zu Anfang des Jahres 1918 durch die Bolschewiki hätte man denken können, dass die parlamentarische Demokratie mit Sicherheit in der ganzen zivilisierten Welt siegen werde.
Von der Demokratie wegstrebende Bewegungen sind jedoch nicht neu. Sie traten in vielen griechischen Stadtstaaten auf, ferner in Rom, als das Reich errichtet war, und in den Handelsrepubliken des mittelalterlichen Italien. Lassen sich irgendwelche Grundprinzipien für die Entwicklung zur Demokratie oder von der Demokratie weg finden?
In der Vergangenheit waren die beiden mächtigen Gegenströmungen gegen die Demokratie Reichtum und Krieg. Als Beispiele für beide können wir die Medici und Napoleon nehmen. Menschen, deren Reichtum durch Handel erworben wird, sind in der Regel weniger schroff und versöhnlicher als jene, deren Macht auf Grundbesitz beruht; sie besitzen daher mehr Geschicklichkeit, sich den Weg zur Macht zu erkaufen und später so zu regieren, dass sie keinen heftigen Widerspruch erwecken, als jene, deren Situation auf Nachfolge und Tradition gegründet ist. Die zum Beispiel in Venedig oder in den Städten der Hanse im Handel erzielten Gewinne gingen zu Unkosten des Auslands und erweckten daher zu Hause keine Unpopularität wie etwa der Unternehmer, der durch den Schweiß der Arbeiter zu Geld kommt. Eine Oligarchie aus wohlhabenden Bürgern ist daher die natürlichste und solideste Form einer Regierung in der vornehmlich auf Handel beruhenden Gemeinschaft. Sie wird leicht zur Monarchie, wenn eine Familie viel reicher als die anderen ist.
Der Krieg wirkt durch eine andere und gewaltsamere Psychologie. Furcht veranlasst die Leute, sich einen Führer zu wünschen, und ein erfolgreicher Feldherr erregt leidenschaftliche Bewunderung, die die Kehrseite der Furcht ist. Da der Sieg momentan die einzige Sache von Bedeutung zu sein scheint, kann der erfolgreiche Feldherr sein Land leicht dazu überreden, ihm die oberste Gewalt anzuvertrauen.
Solange die Krise fortdauert, wird er für unentbehrlich gehalten, und wenn sie vorbei ist, kann es sehr schwierig geworden sein, ihn von seiner Stelle wegzubringen.
Obwohl die modernen Bewegungen gegen die Demokratie mit einer Kriegsmentalität in Verbindung stehen, kann man sie nicht völlig mit dem Fall Napoleon vergleichen. Grob gesagt, fielen die deutsche und die italienische Demokratie nicht, weil eine Mehrheit der Demokratie überdrüssig war, sondern weil das militärische Übergewicht nicht auf der Seite der numerischen Mehrheit lag. Es mag seltsam scheinen, dass die Regierung stärker sein kann als der Oberkommandierende, und doch ist dies überall der Fall, wo die Demokratie tief in den Gewohnheiten der Nation verwurzelt ist. Als Lincoln einen Oberkommandierenden ernannte, schrieb er: »Man sagt mir, dass Sie Diktator werden wollen. Der Weg dazu führt über den Sieg. Lassen Sie sich den Sieg angelegen sein, und ich will die Gefahr der Diktatur auf mich nehmen.« Er konnte ruhig so handeln, weil keine amerikanische Armee einem General beim Angriff auf die Regierung gefolgt wäre. Im siebzehnten Jahrhundert waren Cromwells Soldaten durchaus willens, ihm bei der Auflösung des »langen« Parlaments zu helfen; im neunzehnten Jahrhundert hätte der Herzog von Wellington, wenn er je einen solchen Plan erwogen haben würde, nicht einen Mann hinter sich gehabt.
Wenn die Demokratie neu ist, erwächst sie aus dem Widerstand gegen die früheren Machthaber; aber solange sie neu ist, ist sie nicht fest. Männern, die sich als Feinde der alten Monarchen und Oligarchen präsentieren, kann es gelingen, ein monarchisches oder oligarchisches System wieder aufzurichten: Napoleon und Hitler konnten sich breite Unterstützung sichern, als die Bourbonen und Hohenzollern es nicht vermochten. Nur dort, wo die Demokratie lang genug gewährt hat, um traditionell zu werden, ist sie stabil. Cromwell, Napoleon und Hitler traten in der Frühzeit der Demokratie in ihrem jeweiligen Lande auf, und im Hinblick auf die beiden ersteren sollte der dritte in keiner Weise überraschend wirken.
Es gibt jedoch einige ernste Gründe für den Zweifel, ob es in naher Zukunft der Demokratie gelingen kann, das Prestige wiederzufinden, das sie in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts besaß. Wir haben gesagt, dass die Demokratie traditionell werden muss, um beständig zu werden. Welche Möglichkeit hat sie in Osteuropa und Asien, sich einzurichten als Voraussetzung für den Prozess traditioneller Entwicklung?
Die Regierung ist zu allen Zeiten in großem Umfang von der Militärtechnik betroffen worden. Als Rom der Demokratie zuneigte, bestanden die römischen Heere aus römischen Bürgern; ihre Ersetzung durch Berufsarmeen ermöglichte die Errichtung des Reichs. Die Stärke der Feudalaristokratie beruhte auf der Uneinnehmbarkeit der Burgen, die mit der Erfindung der Artillerie ein Ende fand. Die großen, fast ungeschulten Heere der französischen Revolution schlugen die ihnen gegenübergestellten kleinen Berufsarmeen, erwiesen die Bedeutung der Massenbegeisterung für die eigene Sache und legten damit die militärischen Vorteile der Demokratie dar. Wir scheinen nun durch das Flugzeug wieder Streitkräfte zu brauchen, die aus verhältnismäßig wenigen, hochtrainierten Männern bestehen. Es ist daher zu erwarten, dass die Regierungsform in jedem Land, das ernsthaftem Krieg ausgesetzt ist, dem entsprechen wird, was die Flieger haben möchten, und das wird kaum Demokratie sein.
Man kann dem allerdings einige Überlegungen entgegenstellen. Es kann angenommen werden, dass die Vereinigten Staaten, ob sie nun kriegführende Macht sein werden oder nicht, der einzige Sieger im nächsten Weltkrieg sein werden, und es ist unwahrscheinlich, dass die Vereinigten Staaten aufhören werden, eine Demokratie zu sein. Viel von der Stärke des Faschismus verdankte er der ihm zugeschriebenen militärischen Schlagkraft, und wenn diese sich als nichtbestehend erweisen sollte, könnte die Demokratie sich einmal wieder nach Osten ausdehnen. Auf die Dauer gibt nichts einer Nation solche Stärke im Krieg wie eine weite Verbreitung von Bildung und Patriotismus; und obwohl der Patriotismus im Moment durch die Wiederbelebungsversuche des Faschismus stimuliert werden kann, führen derartige Methoden, wie lange Erfahrung auf religiösem Gebiet gezeigt hat, schließlich unvermeidlich zu Ermüdung und Rückfall. Im ganzen gesehen deuten daher die militärischen Argumente auf das Weiterleben der Demokratie, wo sie noch besteht, und auf ihre Wiederkehr in Länder, in denen sie augenblicklich ausgeschaltet ist. Man muss allerdings zugeben, dass die entgegengesetzte Alternative durchaus nicht unmöglich ist.