VIERZEHNTES
KAPITEL
WETTBEWERB
Das neunzehnte Jahrhundert, das sich der Gefahren willkürlicher Macht voll bewusst war, hatte ein Lieblingsmittel, um sie zu vermeiden, nämlich den Wettbewerb. Die Nachteile des Monopols waren einem noch von der Vergangenheit her vertraut. Die Stuarts und selbst Elisabeth gewährten Höflingen gewinnbringende Monopolstellungen – der Widerstand dagegen war eine der Ursachen des Bürgerkriegs. In feudalen Zeiten war es bei den Landherren üblich, darauf zu bestehen, dass das Korn in ihren Mühlen gemahlen werde. Die kontinentalen Monarchien waren vor 1848 überreich an halbfeudalen Beschränkungen der freien Konkurrenz. Solche Beschränkungen wurden nicht um der Produzenten oder um der Konsumenten willen eingeführt, sondern im Interesse der Monarchen und Landeigentümer. Im England des achtzehnten Jahrhunderts dagegen bestanden noch viele Beschränkungen, die sowohl den Grundbesitzern wie den Kapitalisten unbequem waren – die Gesetze über Mindestlöhne zum Beispiel und das Verbot der Einschließung von Gemeindeland. In England waren daher, bis sich die Frage des Korngesetzes erhob, Grundbesitzer und Kapitalisten im Allgemeinen einer Meinung und befürworteten das Laisser-faire.
Was in Europa am lebenskräftigsten war, begünstigte auch die freie Konkurrenz in Meinungssachen. Von 1815 bis 1848 waren auf dem ganzen Kontinent Kirche und Staat vereinigt im Kampf gegen die Ideen der französischen Revolution. Die Zensur war in ganz Deutschland und Österreich zugleich scharf und lächerlich. Heine machte sich über sie in einem Kapitel lustig, das aus den folgenden Worten bestand: »Die deutschen Zensoren ....................................... Idioten...«
In Frankreich und Italien waren die napoleonische Legende wie auch die Bewunderung für die Revolution staatlicher Verfolgung ausgesetzt. In Spanien und im Kirchenstaat war alles liberale Denken, selbst im geringsten Maße, verboten; die Regierung des Papstes glaubte noch offiziell an Zauberei. Das nationale Prinzip durfte in Italien, Deutschland oder Österreich-Ungarn nicht befürwortet werden. Und überall war die Reaktion mit dem Widerstand gegen die Handelsinteressen verbunden, mit der Aufrechterhaltung feudaler Rechte, wie etwa gegenüber der Landbevölkerung, und mit der Unterstützung von närrischen Königen und einer faulen Aristokratie. Unter diesen Umständen war das Laisser-faire ein natürlicher Ausdruck für Energien, die in ihren legitimen Entfaltungsmöglichkeiten behindert waren.
Die von den Liberalen ersehnten Freiheiten wurden in Amerika im Augenblick der Gewinnung der Unabhängigkeit hergestellt; in England zwischen 1824 und 1846; in Frankreich im Jahre 1871; in Deutschland schrittweise von 1848 bis 1918; in Italien zur Zeit des Risorgimento und selbst in Russland für einen Moment während der Februarrevolution. Aber das Ergebnis war nicht ganz, wie es von den Liberalen beabsichtigt gewesen war; in der Industrie ähnelte es mehr den feindlichen Prophezeiungen von Marx. Amerika, das die längste liberale Tradition hatte, trat zuerst ins Zeitalter der Trusts ein, das heißt von Monopolen, die nicht wie in früheren Zeiten vom Staat gewährt wurden, sondern aus den natürlichen Vorgängen des Wettbewerbs hervorwuchsen. Der amerikanische Liberalismus war empört, aber machtlos, und die industrielle Entwicklung in anderen Ländern folgte allmählich der von Rockefeller eingeschlagenen Bahn. Man entdeckte, dass die Konkurrenz, sofern sie nicht auf künstlichem Wege aufrechterhalten wird, sich selbst vernichtet, indem sie zum völligen Siege eines Konkurrenten führt.
Das trifft allerdings nicht auf alle Formen des Wettbewerbs zu. Es stimmt, mit wenigen Worten gesagt, dann, wenn der Größenzuwachs einer Organisation einen Zuwachs an Wirkung bedeutet. Es bleiben daher zwei Fragen, zunächst: In welchen Fällen ist Konkurrenz technisch verderblich, zweitens: In welchen Fällen ist sie aus nichttechnischen Gründen wünschenswert?
Technische Erwägungen haben, kurz gesagt, zu einem Anwachsen der einer Behandlung gegebener Sachen zuträglichen Optimalgröße von Organisationen geführt. Im siebzehnten Jahrhundert wurden Straßen von Kirchspielen in Ordnung gehalten; heutzutage werden sie von den Landräten kontrolliert, die zum großen Teil vom Staat finanziert und überwacht werden. Elektrizität kann am besten von einer Behörde ausgenützt werden, die ein beträchtliches Gebiet beherrscht, besonders wenn es eine wichtige Kraftquelle gibt, wie etwa den Niagara. Bewässerung kann ein Werk wie den Assuandamm erfordern, dessen Kosten untragbar sind, sofern das betreffende Gebiet nicht sehr umfangreich ist. Großproduktion hängt von der Kontrolle über einen Markt ab, der groß genug ist, um eine enorme Menge aufzunehmen. Und so weiter.
In anderen Richtungen sind die Vorteile großer Gebiete noch nicht voll ausgenützt worden. Elementarunterricht kann belebt und verbessert werden durch erzieherische Filme der Regierung und durch den Schulfunk der BBC. Noch besser wäre es, wenn solche Filme und Schulstunden von einer internationalen Behörde vorbereitet werden könnten, obwohl das zur Zeit ein utopischer Traum ist. Das Zivilflugwesen erleidet Einbußen, weil es nicht international ist. Es ist klar, dass für die meisten Aufgaben große Staaten geeigneter sind als kleine und dass kein Staat wirklich die Hauptaufgabe – nämlich den Schutz des Lebens seiner Bürger – erfüllen kann, wenn er nicht weltumspannend ist.
Allerdings besitzen kleine Gebiete auch bestimmte Vorteile. Es gibt weniger Bürokratie, schnellere Entscheidungen und mehr Möglichkeiten, sich örtlichen Notwendigkeiten und Bräuchen anzupassen. Die richtige Lösung ist eine lokale Regierung, die nicht souverän ist, aber über gewisse festgelegte Machtmittel verfügt und in entscheidenden Fragen einer Zentralbehörde untersteht, die auch finanzielle Unterstützung erteilen sollte, wenn dafür genügend Grund vorhanden ist. Dieses Thema aber würde uns zu einzelnen Fragen bringen, die ich nicht behandeln möchte.
Die Frage der Konkurrenz ist komplizierter. Sie ist auf wirtschaftlichem Gebiet sehr umstritten worden, aber ihre Bedeutung in Bezug auf Heer und Propaganda ist mindestens ebenso groß. Während der liberale Standpunkt so aussah, dass es im Geschäftsleben und in der Propaganda, aber nicht im Hinblick auf die bewaffneten Streitkräfte freie Konkurrenz geben solle, haben die italienischen Faschisten und die deutschen Nazis die diametral entgegengesetzte Meinung verkündet, dass nämlich Wettbewerb immer schlecht sei, ausgenommen in der Form des nationalen Krieges, in welchem Falle er die edelste aller menschlichen Handlungen sei. Die Marxisten verurteilen die Konkurrenz außer in der Form des Kampfes um die Macht zwischen antagonistischen Klassen. Soweit ich mich erinnere, bewundert Plato nur eine Art des Wettbewerbs, nämlich den Wettstreit um Ehre unter Waffenkameraden, der, wie er sagt, von der Männerliebe gefördert wird.
Auf dem Gebiet der Produktion hat die Konkurrenz zwischen einer Vielzahl von kleinen Firmen, die die frühe Phase der Industrialisierung kennzeichnete, in den wichtigsten Zweigen der Erzeugung dem Kampf zwischen Trusts Platz gemacht, von denen jeder mindestens einem Staat in der Ausdehnung entspricht. Es gibt nur einen bedeutenden internationalen Trust, nämlich die Rüstungsindustrie, die dadurch aus der Reihe fällt, dass Bestellungen bei einer Firma Bestellungen bei einer anderen verursachen: Wenn ein Land rüstet, rüsten andere, und daher bestehen hier nicht die üblichen Ursachen für die Konkurrenz. Von diesem Sonderfall abgesehen, besteht die geschäftliche Konkurrenz immer noch, verliert sich aber im Wettbewerb zwischen den Nationen, in dem der Krieg die oberste Entscheidung über den Erfolg fällt. Das Gute und Böse moderner Geschäftskonkurrenz ist daher gleichbedeutend mit dem der Rivalität zwischen Staaten.
Es gibt aber eine andere Form wirtschaftlichen Wettbewerbs, die so scharf ist, wie sie immer war, ich meine den Wettkampf um den Arbeitsplatz. Das beginnt mit den Prüfungen an der Schule und dauert während des ganzen Arbeitslebens der meisten Menschen an. Diese Form des Wettkampfs kann gemildert, aber nicht völlig beseitigt werden. Selbst wenn alle Schauspieler das gleiche Gehalt empfangen würden, würde ein Mann lieber die Rolle des Hamlet als die des ersten Matrosen spielen. Zwei Bedingungen sollten eingehalten werden: Erstens, dass der Erfolglose nicht leiden sollte, wo es zu vermeiden ist; zweitens, dass Erfolg so weit wie möglich die Belohnung für ein wirkliches Verdienst sein sollte und nicht für Schmeichelei oder Geschicklichkeit Der zweiten Bedingung ist von Seiten der Sozialisten viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt worden, als sie es verdient. Ich werde aber hier abbrechen, denn wir würden zu weit vom Thema abkommen.
Die wichtigste Form des Wettbewerbs ist heutzutage der zwischen Staaten, besonders solchen, die man Großmächte nennt. Er ist zu einem totalen Wettkampf um Macht, Reichtum, Kontrolle über die Ansichten des Menschen, vor allem aber um das Leben selbst geworden, da die Verhängung der Todesstrafe das wichtigste Mittel zur Erreichung des Sieges ist. Offenbar führt der einzige Weg zur Beendigung dieses Kampfes über die Abschaffung der nationalen Souveränität und der nationalen Streitkräfte und die Einsetzung einer einzigen internationalen Regierung, die das Monopol über die bewaffnete Macht hat. Dieser Maßnahme steht die andere Möglichkeit gegenüber der Tod eines großen Prozentsatzes der Bevölkerung zivilisierter Länder und die Reduzierung der übrigen auf einen Zustand der Verarmung und Halbbarbarei. Heutzutage zieht eine gewaltige Mehrheit diese Alternative vor.
Wettbewerb in der Propaganda, dem die Liberalen theoretisch freie Bahn geben möchten, hat sich mit dem Wettkampf zwischen bewaffneten Staaten verbunden. Wenn man Faschismus predigt, ist die bedeutendste Wirkung die Stärkung Deutschlands und Italiens; wenn man Kommunismus predigt, wird man ihn zwar wahrscheinlich nicht herbeiführen, aber vielleicht Russland helfen, den nächsten Krieg zu gewinnen; wenn man die Bedeutung der Demokratie betont, wird man finden, dass man die Politik eines Militärbündnisses mit Frankreich zur Verteidigung der Tschechoslowakei unterstützt. Dass Russland, Italien und Deutschland der Reihe nach das Prinzip der Propagandafreiheit aufgegeben haben, überrascht nicht, denn die vorhergegangene Annahme dieses Prinzips befähigte die gegenwärtigen Regierungen dieser Länder, ihre Vorgänger niederzuwerfen, und seine Aufrechterhaltung hätte es ihnen völlig unmöglich gemacht, ihre eigene Politik durchzuführen. Die heutige Welt ist so verschieden von der des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, dass die liberalen Argumente zugunsten der freien Konkurrenz in der Propaganda, soweit sie noch Wert haben, sorgfältig neu formuliert werden müssten. Ich glaube, dass sie noch ein großes Maß an Gültigkeit besitzen, aber Beschränkungen unterworfen sind, die zu erkennen bedeutungsvoll ist.
Die Lehre der Liberalen, wie sie zum Beispiel John Stuart Mill in seinem Buch »Über die Freiheit« niederlegte, war viel weniger extrem, als man oft annimmt. Die Menschen sollten frei sein, insofern ihre Handlungen nicht anderen schadeten, andere aber, wenn sie betroffen waren, hätten durch den Staat in ihrer Freiheit eingeschränkt sein können. Ein Mann hätte, sagen wir, durchaus davon überzeugt sein können, dass die Königin Viktoria ermordet werden müsse, Mill aber hätte ihm keine Freiheit gewährt, seine Meinung zu verbreiten. Es handelt sich hier um einen extremen Fall, aber in der Tat wird jede Meinung, die wert ist, vertreten oder bekämpft zu werden, irgend jemanden feindlich betreffen. Das Recht auf freie Rede ist unwirksam, wenn es nicht das Recht einschließt, Dinge zu sagen, die unerfreuliche Folgen für gewisse Personen oder Klassen haben können. Wenn es daher eine wirkliche Freiheit für Propaganda geben soll, braucht sie zu ihrer Rechtfertigung ein stärkeres Prinzip als das Mills.
Wir können diese Frage vom Standpunkt der Regierung aus betrachten oder von dem des Durchschnittsbürgers oder von dem des glühenden Erneuerers oder von dem des Philosophen. Beginnen wir mit dem Gesichtspunkt der Regierung.
Regierungen werden, wie wir bereits bemerkt haben, von zwei Gefahren bedroht: Revolution und Niederlage im Kriege. (In einem parlamentarischen Land muss die offizielle Opposition als Teil der Regierung angesehen werden.) Diese Gefahren erwecken den Selbsterhaltungstrieb, und man kann erwarten, dass eine Regierung alles tun wird, um sie zu vermeiden. Von diesem Standpunkt aus gesehen, lautet die Frage: Wieviel Propagandafreiheit wird den höchsten Grad an Stabilität erzeugen, und zwar sowohl gegenüber inneren wie äußeren Gefahren. Die Antwort hängt natürlich vom Wesen der Regierung und den Zeitumständen ab. Wenn die Regierung neu und revolutionär ist und die Bevölkerung gute Gründe zur Unzufriedenheit hat, wird Freiheit beinahe sicher eine weitere Revolution mit sich bringen. Solche Umstände bestanden in Frankreich im Jahre 1793, in Russland im Jahre 1918 und in Deutschland im Jahre 1933, und entsprechend wurde an allen drei Fällen die Propagandafreiheit von der Regierung zerstört. Wenn aber die Regierung traditionell und die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung nicht zu verzweifelt ist, wirkt Freiheit als Sicherheitsventil und neigt dazu, die Unzufriedenheit zu verringern. Obwohl die britische Regierung viel getan hat, um die kommunistische Propaganda zu hemmen, ist dies nicht der Grund für das Versagen der Kommunisten in Großbritannien, und es wäre, selbst vom Standpunkt der Regierung aus, klug gewesen, ihrer Propaganda völlige Freiheit zu geben.
Ich glaube nicht, dass eine Regierung jemals eine Propaganda zulassen sollte, die, sagen wir, auf die Ermordung einer bestimmten Person hinausgeht. Denn in diesem Fall könnte die empfohlene Handlung wirklich geschehen, selbst wenn nur sehr wenige von der Propaganda beeinflusst werden würden. Es ist die Pflicht des Staates, das Leben seiner Bürger zu schützen, sofern sie nicht auf gesetzlichem Wege der Todesstrafe verfallen sind, und wenn es eine Agitation zugunsten der Ermordung eines Menschen gibt, kann es sehr schwer werden, ihn zu schützen. Die Weimarer Republik war in dieser Hinsicht zu lasch. Ich glaube jedoch nicht, dass eine stabile Regierung eine Agitation verbieten sollte, die die gesetzliche Todesstrafe für eine bestimmte Klasse verlangt, denn eine derartige Agitation bildete für die Legalität keine Gefahr.
Es kann, selbst vom Regierungsstandpunkt aus, keinen wirklichen Grund dafür geben, Ansichten zu hindern, die den Bestand des Staates nicht in Gefahr bringen. Wenn ein Mensch glaubt, dass die Erde flach ist oder der Sabbat am Samstag gefeiert werden solle, soll er die Freiheit haben, nach seinem Vermögen die Leute zu seiner Ansicht zu bekehren. Der Staat sollte sich nicht als Hüter der Wahrheit in Wissenschaft, Metaphysik oder Moral betrachten. Er hat so zu fast allen Zeiten gehandelt und handelt heute so in Deutschland,
Italien und Russland. Aber das ist ein Eingeständnis der Schwäche, von der stabile Staaten frei sein sollten.
Wir kommen nun zum Durchschnittsbürger und finden, dass er sehr wenig Interesse an Propagandafreiheit hat, Umstände ausgenommen, in der diese Freiheit den Regierungen am gefährlichsten erscheint, nämlich dann, wenn sie den Bestand der Regierungen bedroht. Die Regierung kann sich der Religion oder der Nationalität nach von ihren Untertanen unterscheiden; sie kann den König gegen die Aristokratie, den Adel gegen die Bourgeoisie oder die Bourgeoisie gegen die Armen vertreten; sie kann den Anschein haben, zu wenig patriotisch zu sein, wie Karl II. oder die deutschen Regierungen nach dem Kriege. In solchen Situationen kann der Durchschnittsbürger an einer Agitation gegen die Regierung Interesse bekommen, und er wird das Prinzip der Redefreiheit anrufen, wenn seine Führer ins Gefängnis geworfen werden. Aber das sind vorrevolutionäre Situationen, und wenn man sagt, dass, wo sie bestehen, die Regierungen gegnerische Propaganda dulden sollten, so heißt das in Wahrheit, dass sie zurücktreten sollten. Das ist selbst von ihrem Standpunkt aus richtig, denn wenn sie zurücktreten, verlieren sie nur ihre Macht, während sie, falls sie weiterbestehen, möglicherweise das Leben verlieren. Aber nur wenige Regierungen sind so klug, das einzusehen. Noch ist es immer richtig, wenn ein starkes Land ein schwaches unterdrückt.
Es ist das unglückseligste Land,
Das jemals man gesehn
Denn sie hängen Männer und Frauen dort,
Wenn sie etwas tragen in Grün.
England konnte diese
Politik gegenüber Irland acht Jahrhunderte
hindurch fortsetzen und verlor schließlich
nur ein wenig Geld und ziemlich viel Prestige. Acht Jahrhunderte
lang hatte die britische Politik Erfolg, denn die Grundbesitzer
waren reich, wahrend die Bauern verhungerten.
In den Fällen, in welchen Propagandafreiheit den Durchschnittsbürger interessiert, bedeutet sie entweder gewaltsame Revolution oder die Anerkennung weitergehender Freiheit, nämlich der Freiheit, die Regierung zu wählen. Sie ist mit Demokratie und dem Recht unzufriedener Gemeinschaften auf Autonomie verbunden; mit einem Wort, mit dem Recht, auf friedlichem Wege das zu erreichen, was sonst auf revolutionärem Wege erreicht werden würde. Das ist ein wichtiges Recht, und seine Anerkennung ist um des Weltfriedens willen durchaus notwendig; aber es geht weit über das Recht auf freie Propaganda hinaus.
Es bleibt der Standpunkt des glühenden Erneuerers. Wir können als Typen den Christen vor Konstantin, den Protestanten zur Zeit Luthers und den Kommunisten der Gegenwart nehmen. Solche Menschen haben selten an die freie Rede geglaubt. Sie sind bereit gewesen, Märtyrer zu werden, aber ebenso bereit, andere zu Märtyrern zu machen. Die Geschichte beweist, dass in der Vergangenheit entschlossene Männer den Regierungen zum Trotz frei sprechen konnten. Neuzeitliche Regierungen sind allerdings wirkungsvoller und werden es vielleicht fertig bringen, eine durchgreifende Erneuerung überhaupt unmöglich zu machen. Auf der anderen Seite kann Krieg Revolution und sogar Anarchie fördern und vielleicht zu einem ganz neuen Anfang führen. Aus diesem Grunde sehen manche Kommunisten dem nächsten Kriege mit Hoffnung entgegen.
Der glühende Erneuerer ist in der Regel ein Anhänger des tausendjährigen Reichs: Er glaubt, dass das tausendjährige Reich beginnen wird, wenn alle Menschen seinen Glauben annehmen. Obwohl er in der Gegenwart Revolutionär ist, ist er in der Zukunft Konservativer: Ein vollkommener Staat muss erreicht und dann unverändert erhalten werden. Da er diesen Standpunkt vertritt, schreckt er natürlich vor keiner Gewaltsamkeit zurück, wenn er den vollkommenen Staat zu erreichen oder seinen Sturz zu verhindern sucht: In der Opposition ist er ein Terrorist, in der Regierung ein Verfolger. Sein Glaube an die Gewalt weckt natürlich denselben Glauben in seinen Gegnern: Wenn sie an der Macht sind, werden sie ihn verfolgen, und wenn sie in der Opposition sind, werden sie seine Ermordung planen. Sein tausendjähriges Reich ist daher keineswegs für jedermann angenehm; es wird Spitzel geben, Verhaftungen auf behördliche Anordnung und Konzentrationslager. Aber wie Tertullian sieht er darin nichts Schlimmes.
Es gibt allerdings Anhänger des tausendjährigen Reichs von sanfterer Art. Es gibt solche, die glauben, dass das Beste in einem Menschen von innen kommen muss und nicht von irgendeiner äußeren Autorität erzwungen werden kann; dieser Standpunkt wird zum Beispiel von den Quäkern vertreten. Es gibt andere, die glauben, dass äußere Einflüsse bedeutsam und wohltätig sein können, wenn sie die Form der Mildtätigkeit und weiser Überredung, aber nicht die Form von Gefängnis oder Hinrichtung annehmen. Solche Leute können an Propagandafreiheit glauben, obwohl sie glühende Erneuerer sind.
Es gibt eine andere Art des Erneuerers, die erst besteht, seitdem die Evolution modern wurde; für sie kann Sorel in seiner syndikalistischen Zeit als typisch angesehen werden. Solche Leute glauben, dass das menschliche Leben ein ständiger Fortschritt sein sollte, nicht einem beschreibbaren Ziel entgegen, nicht in einem Sinn, der vor vollbrachtem Fortschritt genau festgelegt werden kann, sondern derart, dass jeder getane Schritt sich nachträglich als Fortschritt erweist. Es ist besser zu sehen als nicht zu sehen und zu sprechen als ohne Sprache zu sein; als aber alle Tiere noch blind waren, war es ihnen nicht möglich, die Erwerbung des Sehvermögens als nächsten Schritt nach vorn vorzuschlagen. Nichtsdestoweniger beweist die Tatsache, dass es sich um einen folgenden Schritt handelt, retrospektiv, dass ein statischer Konservativismus ein Fehler gewesen wäre. Daher sollen – so argumentiert man – alle Erfindungen ermutigt werden, denn eine von ihnen, wenn man auch nicht weiß welche, wird den Geist der Entwicklung in sich tragen.
Zweifellos ist ein Element Wahrheit in dieser Ansicht enthalten, aber es entartet leicht in einen flachen Fortschrittsmystizismus, und infolge seiner Unbestimmtheit kann man es nicht zur Grundlage einer praktischen Politik machen. Die geschichtlich bedeutenden Erneuerer haben geglaubt, das himmlische Königreich im Sturm nehmen zu können; oft haben sie ihr Königreich errichtet, es stellte sich aber heraus, dass es nicht das himmlische Königreich war.
Ich komme nun zum Standpunkt des Philosophen im Hinblick auf die Propagandafreiheit. Gibbon sagt, indem er den toleranten Geist des Altertums beschreibt: »Die verschiedenen Arten der Verehrung, die in der römischen Welt vorherrschten, wurden vom Volke für gleichermaßen wahr angesehen, von den Philosophen für gleichermaßen falsch und vom Magistraten für gleichermaßen nützlich.« Der Philosoph, den ich im Sinne habe, wird nicht so weit gehen, zu behaupten, dass alle bestehenden Ansichten gleichermaßen falsch sind, aber er wird nicht zulassen, dass irgendeine frei von Irrtümern wäre oder dass, wenn es eine solche doch geben sollte, sie mit den Fähigkeiten des menschlichen Verstandes als solche zu erkennen wäre. Für den unphilosophischen Propagandisten gibt es die eigene Propaganda, die der Wahrheit entspricht, und die gegnerische Propaganda, die falsch ist. Wenn er daran glaubt, dass man beide zulassen sollte, so nur darum, weil er fürchtet, dass man die seine verbieten könnte. Für den philosophischen Beobachter ist die Sache nicht so einfach.
Was kann für den Philosophen der Nutzen der Propaganda sein? Er kann nicht wie der Propagandist sagen: »Es gibt Nadelfabriken, um Nadeln herzustellen, und Meinungsfabriken, um Meinungen zu machen. Wenn die hergestellten Meinungen einander so gleich sind wie zwei Nadeln, was soll das, vorausgesetzt, es sind gute Meinungen? Und wenn sich die Massenproduktion, die das Monopol ermöglicht, billiger stellt als die einander Konkurrenz machende kleine Produktion, gibt es im einen wie im anderen Fall den gleichen Grund für das Monopol. Nein, mehr sogar: Eine konkurrierende Meinungsfabrik stellt in der Regel, ungleich einer konkurrierenden Nadelfabrik, keine anderen Meinungen her, die vielleicht ebenso gut sind: Sie macht Meinungen, die den Meinungen meiner Fabrik schaden sollen, und vermehrt daher gewaltig (das Maß an Arbeit, das erforderlich ist, um die Leute mit meinem Produkt zu versorgen. Konkurrenzformen sollten daher verboten werden.« Diesen Standpunkt kann, wie gesagt, der Philosoph nicht akzeptieren. Er muss behaupten, dass jeder nützliche Zweck, dem die Propaganda dient, keine beinahe mit Sicherheit als falsch zu bezeichnende Meinung sein darf, an die man als Dogma glaubt, sondern dass er richtiges Urteil, gesunden Zweifel und die Gewalt einander gegenüberstehender Überlegungen fördern muss; und einem solchen Zweck kann die Propaganda nur dienen, wenn es propagandistische Konkurrenz gibt. Er wird das Publikum mit einem Richter vergleichen, der beide Seiten hört, und wird sagen, dass ein Propagandamonopol so unsinnig ist, als ob in einem Gerichtssaal nur der Ankläger oder nur der Verteidiger angehört würde. Weit davon entfernt, für eine Uniformität der Propaganda einzutreten, wird er so weit wie möglich befürworten, dass jeder alle Aspekte einer Frage betrachten solle. Statt die Existenz verschiedener Zeitungen zu empfehlen, von denen jede die Interessen einer Partei vertritt und den Dogmatismus ihrer Leser fördert, wird er für eine einzige Zeitung sein, in der alle Parteien vertreten sind.
Freiheit der Diskussion, deren intellektuelle Vorteile auf der Hand liegen, bedeutet nicht notwendigerweise miteinander kämpfende Organisationen. Die BBC macht das Streitgespräch möglich. Rivalisierende wissenschaftliche Theorien können innerhalb der Royal Society vertreten werden. Gelehrte Körperschaften betreiben im allgemeinen keine korporative Propaganda, sondern geben ihren Mitgliedern Gelegenheit, ihre verschiedenen Theorien zu verteidigen. Eine derartige Diskussion innerhalb einer einzelnen Organisation setzt eine fundamentale Übereinstimmung voraus; kein Ägyptologe würde seine Zuflucht zum Militär nehmen, um einen anderen Ägyptologen zu vernichten, dessen Theorien ihm missfallen. Wenn eine Gemeinschaft sich grundsätzlich über ihre Regierungsform einig ist, ist eine freie Diskussion möglich, wo aber eine solche Übereinstimmung nicht besteht, wird Propaganda als Vorspiel zum Machteinsatz empfunden, und die Starken werden natürlicherweise nach einem Propagandamonopol streben. Propagandafreiheit ist möglich, wenn die Differenzen nicht derart sind, dass sie eine friedliche Zusammenarbeit unter einer Regierung unmöglich machen. Protestanten und Katholiken konnten politisch im sechzehnten Jahrhundert nicht zusammenarbeiten, aber im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert konnten sie es; von da an wurde religiöse Duldung möglich. Ein stabiles Regierungsgerüst ist für die intellektuelle Freiheit erforderlich; unglücklicherweise kann es aber auch die wichtigste Triebkraft der Tyrannei sein. Die Lösung dieser Schwierigkeit hängt in großem Maße von der Regierungsform ab.