ACHTES
KAPITEL
WIRTSCHAFTLICHE
MACHT
Wirtschaftliche Macht ist ungleich militärischer Macht nicht primärer, sondern abgeleiteter Art. Sie hängt im Rahmen eines Staates vom Gesetz ab; im internationalen Maßstab hängt sie nur in kleineren Fragen vom Gesetz ab, wenn größere Fragen zur Debatte stehen, aber von Krieg und Kriegsdrohung. Man hat sich daran gewöhnt, wirtschaftliche Macht ohne Analyse anzuerkennen. Das hat in neuerer Zeit zu einer unangebrachten Betonung des Ökonomischen im Gegensatz zu Krieg und Propaganda in der kausalen Geschichtsauslegung geführt.
Von der wirtschaftlichen Macht der Arbeiterbewegung abgesehen, besteht letzthin jede andere wirtschaftliche Macht in der Fähigkeit, wenn notwendig durch den Einsatz der Waffen, zu entscheiden, wer auf einem gegebenen Stück Land bleiben, Dinge hineintun und Dinge herausnehmen darf. In manchen Fällen ist cl2s klar. Das südpersische Petroleum gehört der Anglo-Persien Oil Company, weil die britische Regierung angeordnet hat, dass niemand sonst Zutritt zu ihm haben darf, und bisher stark genug gewesen ist, ihren Willen durchzusetzen. Wenn aber Großbritannien in einem ernsthaften Kriege geschlagen worden wäre, würde der Inhaber wahrscheinlich wechseln. Die rhodesischen Goldfelder gehören gewissen reichen Leuten, weil die britische Demokratie es für wert erachtete, diese Männer zu bereichern, indem sie mit Lobengula Krieg führte. Das Petroleum der Vereinigten Staaten gehört gewissen Kompanien, weil sie ein legales Recht daran haben, und die Streitkräfte der Vereinigten Staaten stehen bereit, dem Gesetz Achtung zu verschaffen; die Indianer, denen ursprünglich die Petroleumgebiete gehörten, haben keinen gesetzlichen Anspruch auf sie, weil sie im Krieg eine Niederlage erlitten. Das Eisenerz von Lothringen gehört französischen oder deutschen Bürgern, je nachdem, wer im letzten Krieg zwischen beiden Ländern Sieger geblieben ist. Und so weiter.
Aber die gleiche Untersuchung kann auf weniger offensichtliche Fälle angewendet werden. Warum muss ein Pächter für seinen Hof Pacht zahlen, und warum darf er seine Ernte verkaufen? Er muss Pacht zahlen, weil das Land dem Grundbesitzer »gehört«. Der Eigentümer besitzt das Land, weil er es durch Kauf oder Erbschaft von einem anderen erworben hat. Wenn man die Geschichte seines Anrechts nach rückwärts verfolgt, kommt man schließlich auf einen Mann, der das Land sich gewaltsam aneignete – sei es die Willkür eines Königs, ausgeübt zugunsten eines Höflings, sei es Eroberung großen Stils, wie die der Sachsen und Normannen. Zwischen derartigen Gewaltakten wird die Macht des Staates dazu gebraucht, das Eigentum dem Gesetz entsprechend zu garantieren. Und Eigentum an Boden bedeutet Macht zu entscheiden, wem der Zutritt zum Boden gestattet werden soll. Für diese Erlaubnis zahlt der Pächter seine Pacht, und um ihrer willen kann er seine Ernte verkaufen.
Die Macht der Industriellen ist von derselben Art. Sie beruht letzten Endes auf der Aussperrung, das heißt auf der Tatsache, dass der Eigentümer einer Fabrik die Staatsgewalt auffordern kann, nichtautorisierten Personen den Eintritt in die Fabrik zu verwehren. In einer bestimmten Verfassung der öffentlichen Meinung kann der Staat zögern, die Bitte des Eigentümers zu erfüllen; als Folge werden Sitzstreiks möglich. Sobald sie vom Staat geduldet werden, ist das Eigentum nicht mehr völlig dem Unternehmer überlassen und wird in gewissem Grade von den Angestellten geteilt.
Der Kredit ist abstrakter als andere Arten wirtschaftlicher Macht, aber er ist nicht wesentlich verschieden von ihnen; er hängt von dem gesetzlichen Recht ab, einen Überschuss an Verbrauchsgütern von den Produzenten auf andere, die nicht mit unmittelbar produktiver Arbeit beschäftigt sind, zu übertragen. Im Falle einer Privatperson oder eines Verbandes, die Geld borgen, können Obligationen durch das Gesetz erzwungen werden, im Falle einer Regierung aber bleibt die äußerste Sanktion die militärische Macht anderer Regierungen. Diese Sanktion kann fehlschlagen wie in Russland nach der Revolution; wenn sie fehlschlägt, erwirbt der Schuldner einfach das Eigentum des Gläubigers. Es ist zum Beispiel die Sowjetregierung, nicht aber die Aktienbesitzer der Vorkriegszeit, die entscheiden kann, wer zu den Lena-Goldfeldern Zutritt haben soll.
So hängt die wirtschaftliche Macht von Privatpersonen von der Entscheidung ihrer Regierung ab, ob sie ihre Streitkräfte einsetzen will, wenn nötig in Übereinstimmung mit einer Reihe von Regelungen, die den Zutritt zum Land betreffen. Dagegen ist die wirtschaftliche Macht von. Regierungen teilweise von ihren Streitkräften, teilweise von der Achtung anderer Regierungen vor Verträgen und internationalem Recht abhängig.
Die Verbindung von wirtschaftlicher Macht und Regierung ist in gewissem Ausmaß reziprok, das heißt, eine Gruppe von Menschen kann durch Zusammenschluss militärische Macht erwerben und dadurch wirtschaftliche Macht besitzen. Die schließliche Erwerbung wirtschaftlicher Macht kann tatsächlich das ursprüngliche Motiv ihrer Verbindung sein. Betrachten wir zum Beispiel die halbanarchischen Bedingungen, die in einem Goldrush vorherrschen, wie im Jahre 1849 in Kalifornien oder einige Jahre später in Victoria. Ein Mann, der Gold besaß, das er auf gesetzliche Weise auf seinem Grund erworben hatte, konnte nicht als wirtschaftlich mächtig gelten, bis er sein Gold auf einer Bank untergebracht hatte.
Bis dahin konnte er leicht beraubt und ermordet werden. In einem Zustand völliger Anarchie, der einen Krieg aller gegen alle bedeutet, würde Gold nur einem Mann von Nutzen sein, der sich so schnell und sicher seines Revolvers bedienen kann, dass er imstande wäre, sich gegen jeden Angreifer zu verteidigen; und selbst für ihn wäre das Gold nur ein Gegenstand vergnüglicher Betrachtung, denn er könnte ja seine Wünsche durch Morddrohungen erfüllen, ohne dass er irgend etwas zu bezahlen brauchte. Ein solcher Zustand wäre notwendigerweise unsicher, mit möglicher Ausnahme eines Landes, in dem eine spärliche, nahrungsammelnde Bevölkerung lebt. Landwirtschaft ist unmöglich, wenn es nicht Mittel gibt, Felddiebstähle zu verhindern. Es ist klar, dass eine anarchische Gemeinschaft, die sich aus mehr oder weniger zivilisierten Individuen zusammensetzt wie die Männer in einem Goldrush, bald eine Art Regierung entwickeln wird, wie etwa ein Vigilantenausschuss. Energische Männer werden sich zusammentun, um andere daran zu hindern, sie auszuplündern; wenn es keine äußere Behörde gibt, die einschreiten kann, können sie auch andere plündern, aber sie werden es mit Maß tun, um nicht das Huhn zu töten, das die goldenen Eier legt. Sie können zum Beispiel einem Mann Schutz gewähren, wenn er ihnen einen Teil seiner Einkünfte abgibt. Das nennt man Einkommensteuer. Sobald es Gesetze gibt, die die Gewährung von Schutz festlegen, wird die Herrschaft militärischer Macht als Herrschaft des Gesetzes maskiert, und die Anarchie hat aufgehört zu bestehen. Aber die eigentliche Grundlage für Gesetz und wirtschaftliche Beziehungen ist doch die militärische Macht der Vigilanten.
Die historische Entwicklung ist natürlich hiervon verschieden gewesen, weil sie stufenweise vor sich ging und in der Regel nicht von Menschen abhing, die an zivilisiertere Einrichtungen gewöhnt waren als jene, in denen sie gerade lebten. Und doch geht es etwa so vor sich, wenn es zur Eroberung kommt, besonders dann, wenn die Eroberer eine kleine Minderheit sind; und Grundbesitz kann gewöhnlich bis zu einer derartigen Eroberung zurückverfolgt werden. In internationalen wirtschaftlichen Beziehungen haben wir noch nicht das Stadium erreicht, das die erste Formierung des Vigilantenausschusses darstellt: Die stärkeren Nationen erpressen einzeln von den schwächeren immer noch Geld durch Androhung des Todes. Das zeigt sich bei den kürzlichen britischen Verhandlungen mit Mexiko in Ölangelegenheiten oder hätte sich vielmehr gezeigt, wenn es nicht die Monroedoktrin gäbe. Ein eindrucksvollerer Beleg waren die Reparationsklauseln des Versailler Vertrags. Aber in den inneren wirtschaftlichen Systemen zivilisierter Länder sind die gesetzlichen Grundlagen verwickelt. Der Reichtum der Kirche beruht auf Tradition; Lohnempfänger haben bis zu einem gewissen Grade von Gewerkschaften und politischen Aktionen profitiert; Frauen und Kinder haben Rechte, die sich auf das moralische Empfinden der Gemeinschaft stützen. Wie immer aber auch die vom Staat geschaffenen wirtschaftlichen Regeln sein mögen – militärische Macht ist im Hintergrund der Szene zu ihrer Verwirklichung notwendig.
Im Falle von Privatpersonen stellen die vom Staat etablierten Regeln den anwendbaren Teil des Gesetzes dar. Dieser wie jeder andere Teil des Gesetzes ist nur wirksam, wenn er von der öffentlichen Meinung getragen ist. Die öffentliche Meinung verurteilt in Übereinstimmung mit dem achten Gebot den Diebstahl und erklärt als Diebstahl das Wegnehmen von Eigentum auf eine vom Gesetz untersagte Weise. So beruht die wirtschaftliche Macht von Privatpersonen letzten Endes auf der öffentlichen Meinung, nämlich auf der moralischen Verurteilung des Diebstahls, die mit einem Gefühl zusammengeht, das den Diebstahl vom Gesetz definieren lässt. Wo dieses Gefühl schwach ist oder nicht existiert, ist das Eigentum in Gefahr. Wir haben gesehen, wie die Macht des Papstes, Leute von der moralischen Verpflichtung des achten Gebotes loszusprechen, ihm ermöglichte, die italienischen Bankiers im dreizehnten Jahrhundert zu kontrollieren.
Wirtschaftliche Macht nimmt innerhalb eines Staates, auch wenn sie sich letztlich von Gesetz und öffentlicher Meinung ableitet, leicht eine gewisse Unabhängigkeit an. Sie kann das Gesetz durch Korruption und die öffentliche Meinung durch Propaganda beeinflussen. Sie kann Politiker unter einen Druck stellen, der ihre Freiheit einschränkt. Sie kann eine Finanzkrise zu verursachen drohen. Aber ihren Möglichkeiten sind sehr deutliche Grenzen gesetzt. Cäsar wurde von seinen Gläubigern zur Macht verholfen, die weiter keinen Weg sahen, ihr Geld wiederzubekommen; als er sich aber durchgesetzt hatte, besaß er Macht genug, um ihrer zu spotten. Karl V. borgte von den Fuggern das Geld, das er brauchte, um sich die Stellung eines Kaisers erkaufen zu können; als er aber Kaiser geworden war, lachte er sie aus, und sie verloren, was sie ihm geliehen hatten.(15) In unseren Tagen machte die Londoner City, die Deutschland bei seinem Wiederaufstieg half, ähnliche Erfahrungen, und ebenso Thyssen, als er Hitler zur Macht verhalf.
Wir wollen für einen Augenblick die Macht. der Plutokratie in einem demokratischen Land betrachten. Sie ist nicht imstande gewesen, asiatische Arbeitskräfte nach Kalifornien oder Australien einzuführen, außer in geringer Anzahl in früherer Zeit. Sie ist nicht imstande gewesen, die Gewerkschaften zu zerstören. Sie ist, besonders in Großbritannien, unfähig gewesen, eine scharfe Besteuerung der Reichen zu vermeiden. Und sie war nicht imstande, sozialistische Propaganda zu verhüten. Dagegen kann sie aus Sozialisten gebildete Regierungen daran hindern, den Sozialismus einzuführen, und wenn diese sich darauf versteifen, kann sie sie durch Herbeiführung einer Krisis und durch Propaganda zum Sturz bringen. Wenn diese Mittel fehlschlagen würden, könnte sie einen Bürgerkrieg entfesseln, um die Errichtung des Sozialismus zu verhindern. Das will besagen, dass da, wo das Problem einfach und die öffentliche Meinung klar bestimmt ist, die Plutokratie machtlos ist. Wo aber die öffentliche Meinung unentschlossen oder durch die Schwierigkeit der Fragestellung unsicher gemacht ist, kann die Plutokratie das erwünschte politische Ergebnis herbeiführen.
Die Macht der Gewerkschaften ist das Gegenstück zur Macht der Reichen. Gewerkschaften können farbige Arbeitskräfte fernhalten, ihre eigene Vernichtung verhindern, beträchtliche Sterbegelder und Einkommensteuern gewährleisten und Freiheit für ihre Propaganda wahren. Aber sie haben bisher nicht vermocht, den Sozialismus herbeizuführen oder Regierungen an der Macht zu halten, die ihnen gefielen, denen aber die Mehrheit des Volkes misstraute.
So ist die Macht wirtschaftlicher Organisationen zur Beeinflussung politischer Entscheidungen in einer Demokratie durch die öffentliche Meinung eingeschränkt, die in vielen wichtigen Fragen nicht einmal von einer sehr intensiven Propaganda umgestoßen werden kann. Wo die Demokratie existiert, besitzt sie mehr Realität, als viele Gegner des Kapitalismus zuzugeben gewillt sind.
Obwohl die wirtschaftliche Macht, insofern sie durch das Gesetz geregelt ist, letzten Endes auf dem Grundbesitz beruht, haben die nominellen Grundeigentümer in einem modernen Gemeinwesen nicht den größten Anteil an ihr. In feudalen Zeiten hatten die Menschen, die Land besaßen, die Macht. Sie konnten den Löhnen mit Maßnahmen, wie etwa das Statut der Arbeiter, und der entstehenden Macht des Kredites mit Pogromen entgegentreten. Wo aber die Industrialisierung fortgeschritten war, war der Kredit stärker als der nominelle Grundbesitz geworden. Landeigentümer leihen sich auf kluge oder unkluge Weise Geld und geraten so in Abhängigkeit von den Banken. Das ist ein Gemeinplatz und wird gewöhnlich völlig als Folge von Veränderungen in der Produktionstechnik angesehen. Tatsächlich aber ist es, wie man in Indien sehen kann, wo die Agrartechnik keineswegs modern ist, die Folge der Macht und der Entschlossenheit des Staates, dem Gesetz Achtung zu verschaffen. Wo das Gesetz nicht allmächtig ist, werden Geldverleiher zuweilen von ihren Schuldnern ermordet – diese verbrennen gleichzeitig alle Dokumente, die ihre Schuld beweisen. Jeder, der mit dem Boden verbunden ist, vom Fürsten bis zum Bauern, hat sich ans Borgen gewöhnt, seit sich nur willige Geldverleiher zeigten. Aber nur dort, wo das Recht geachtet und erzwungen wird, hat der Schuldner Zinsen zu zahlen, bis er ruiniert ist. Wo das geschieht, geht die vom Grundbesitz stammende Macht vom Leihenden allmählich auf den Verleiher über. Und in einem modernen Gemeinwesen ist der Verleihende in der Regel eine Bank.
In einem modernen großen Verband sind Besitz und Macht keineswegs notwendigerweise miteinander verknüpft. Dieser Umstand, Soweit er die Vereinigten Staaten betrifft, wird in umfassender Form in einem sehr wichtigen Buch – »The Modern Corporation and Private Property« (1932) von Berle und Means – behandelt. Sie behaupten, dass wirtschaftliche Macht zentripetal ist, obwohl Eigentümerschaft zentrifugal ist; im Laufe einer sehr sorgfältigen und erschöpfenden Untersuchung kommen sie zu dem Schluss, dass zweitausend Personen die halbe Industrie der Vereinigten Staaten kontrollieren (S. 33). Sie betrachten den modernen Vorsitzenden als analog zu den Königen und Päpsten früherer Zeiten; ihrer Meinung nach kann man über seinen Ursprung mehr lernen, wenn man Männer wie Alexander den Großen studiert, als wenn man ihn als den Nachfolger der Handelsleute betrachtet, die einem bei Adam Smith begegnen. Die Machtkonzentration in diesen riesigen wirtschaftlichen Organisationen entspricht – so führen sie aus – der in der mittelalterlichen Kirche oder im Nationalstaat und ist so geartet, dass er Verbände befähigt, Staaten gleichwertig gegenüberzutreten.
Es ist leicht zu sehen, wie diese Konzentration zustande gekommen ist. Der gewöhnliche Aktienbesitzer in einer Eisenbahngesellschaft hat zum Beispiel keine Stimme in der Verwaltung der Eisenbahn. Er kann theoretisch soviel zu sagen haben wie der durchschnittliche Stimmberechtigte hei einer Parlamentswahl in der Verwaltung des Landes, in Wirklichkeit aber steht er noch hinter jenem zurück. Die wirtschaftliche Macht der Eisenbahn ist in den Händen ganz weniger Männer. In Amerika verfügt über sie in der Regel nur ein einziger Mann. In jedem entwickelten Land gehört die wirtschaftliche Macht in ihrer Masse einer kleinen Gruppe von Personen. Manchmal sind diese Menschen Privatpersonen, wie in Amerika, Frankreich und Großbritannien, manchmal sind sie Politiker, wie in Deutschland, Italien und Russland. Das letztere System entsteht, wenn wirtschaftliche und politische Macht miteinander verschmolzen sind. Die Tendenz der wirtschaftlichen Macht, sich in wenigen Händen zu konzentrieren, ist zum Gemeinplatz geworden, aber diese Tendenz eignet der Macht im Allgemeinen und nicht allein der wirtschaftlichen Macht. Ein System, in dem wirtschaftliche und politische Macht miteinander verschmolzen sind, stellt eine Weiterentwicklung des Systems dar, in dem beide Mächte getrennt sind, genau wie ein Stahltrust einem späteren Stadium angehört als eine Anzahl miteinander konkurrierender kleiner Stahlfabrikanten. Aber ich möchte jetzt noch nicht über den totalitären Staat sprechen.
Der Besitz wirtschaftlicher Macht kann zum Besitz von militärischer oder propagandistischer Macht führen, aber genauso gut kann sich der gegenteilige Prozess vollziehen. Unter primitiven Bedingungen ist militärische Macht gewöhnlich die Ausgangsform der übrigen Arten von Macht, soweit die Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern betroffen sind. Alexander war nicht so reich wie die Perser, und die Römer waren nicht so reich wie die Karthager. Aber durch den Sieg im Kriege machten sich in beiden Fällen die Eroberer reicher als ihre Feinde. Die Mohammedaner waren zu Beginn ihrer Erobererlaufbahn viel ärmer als die Byzantiner, und die teutonischen Eindringlinge waren ärmer als das Westreich. In allen diesen Fällen wurde militärische Macht die Wurzel wirtschaftlicher Macht. Aber innerhalb der arabischen Nation leitete sich die militärische und wirtschaftliche Macht des Propheten und seiner Familie von Propaganda ab; das gleiche traf auf die Macht und den Reichtum der Kirche des Westens zu.
Es gibt eine Anzahl Beispiele für Staaten, die ihrer wirtschaftlichen Stärke wegen zu militärischer Macht gekommen sind. Im Altertum ragen hier die griechischen Seestädte und Karthago hervor, im Mittelalter die italienischen Republiken und in der Neuzeit zunächst Holland, später England. Bei all diesen Beispielen, mit der Ausnahme Englands nach der industriellen Revolution, beruhte die wirtschaftliche Macht auf dem Handel, nicht aber auf dem Besitz von Rohstoffen. Manche Städte oder Staaten errangen im Handel eine teilweise Monopolstellung durch eine Verbindung von Geschicklichkeit mit Vorzügen geographischer Natur. (Die letzteren reichten allein nicht aus, wie man aus dem Niedergang Spaniens im siebzehnten Jahrhundert ersehen kann.) Der durch Handel erworbene Reichtum wurde teilweise zum Anwerben von Söldnern gebraucht und wurde so zu einem Mittel zur Erlangung von militärischer Macht. Diese Methode hatte jedoch den Nachteil, dass sie eine ständige Gefahr von Meuterei oder Verrat mit sich brachte; aus diesem Grund lehnt Machiavelli sie ab und empfiehlt Armeen, die aus Mitbürgern gebildet sind. Dieser Rat wäre im Falle eines großen, durch Handel reich gewordenen Landes angebracht, im Falle eines griechischen Stadtstaates oder einer kleinen griechischen Republik war er wertlos. Auf Handel beruhende wirtschaftliche Macht kann nur dann fest sein, wenn sie zu einem großen Gemeinwesen gehört oder zu einem solchen, das eine höhere Zivilisation besitzt als seine Nachbarn.
Immerhin hat der Handel an Bedeutung verloren. Durch die Verbesserung der Verbindungsmittel ist die geographische Lage weniger
wichtig als früher; und infolge des Imperialismus haben die wichtigen Staaten den auswärtigen Handel weniger nötig. Eine hervorstechende Form wirtschaftlicher Macht in internationalen Beziehungen ist heute der Besitz von Rohstoffen und Nahrungsmitteln; und die wichtigsten Rohstoffe sind jene, die im Kriege benötigt werden. So sind militärische und wirtschaftliche Macht kaum noch voneinander zu unterscheiden. Nehmen wir zum Beispiel Petroleum. Ein Land kann nicht ohne Petroleum kämpfen und kann keine Ölfelder besitzen, wenn es nicht kämpfen kann. Die beiden Bedingungen gehören zusammen: Das persische Petroleum war für die Perser nutzlos, weil sie keine entsprechenden Streitkräfte hatten, und die deutschen Armeen werden den Deutschen nichts nützen, wenn sie sich nicht in den Besitz von Petroleum werden setzen können. Eine ähnliche Lage besteht in Bezug auf Nahrungsmittel: Eine machtvolle Kriegsmaschine erfordert einen ungeheuren Abzug nationaler Energien von der Nahrungsmittelproduktion und ist daher von der militärischen Kontrolle weiter fruchtbarer Gebiete abhängig.
Wirtschaftliche und militärische Macht sind in der Vergangenheit niemals so eng miteinander verbunden gewesen wie heutzutage. Keine Nation kann ohne entwickelte Industrialisierung und Zutritt zu Rohstoffen und Lebensmitteln mächtig sein. Dagegen erkämpfen sich Nationen durch den Einsatz militärischer Macht den Zutritt zu solchen Rohstoffen, die auf ihrem eigenen Gebiet nicht zu erhalten sind. Die Deutschen nahmen sich im Kriege auf dem Wege der Eroberung das Petroleum Rumäniens und das Getreide der Ukraine; und Staaten, die Rohstoffe aus tropischen Gegenden abziehen, halten ihre Kolonien durch eigene militärische Stärke oder durch die ihrer Verbündeten.
Die Rolle der Propaganda in der nationalen Macht hat sich mit der Verbreitung der Erziehung verstärkt. Eine Nation kann im neuzeitlichen Krieg keinen Erfolg haben, wenn nicht die meisten Leute willens sind, zu leiden, und viele Leute willens sind, zu sterben. Um diese Bereitschaft hervorzubringen, müssen die Herrscher ihre Untertanen davon überzeugen, dass der Krieg um einer wesentlichen Sache willen geführt wird – um einer Sache willen, für die das Martyrium sich lohnt. Propaganda war zum großen Teil die Ursache des alliierten Sieges im Kriege und beinahe die alleinige Ursache des sowjetischen Sieges in den Jahren 1918 bis 1920. Es ist klar, dass die gleichen Gründe, die zur Verschmelzung von militärischer und wirtschaftlicher Macht führen, auch einer Vereinigung beider mit der Macht der Propaganda zuneigen. Tatsächlich besteht eine allgemeine Tendenz zur Kombinierung aller Machtformen in einer einzigen Organisation, die notwendigerweise der Staat sein muss. Wenn keine Gegenkräfte auf die Szene treten, wird die Unterscheidung von verschiedenen Formen der Macht bald nur noch von historischem Interesse sein.
Hier müssen wir uns mit einer Ansicht auseinandersetzen, die der Marxismus bekannt gemacht hat, dass nämlich der Kapitalismus dazu neigt, einen Klassenkrieg hervorzubringen, der schließlich über alle anderen Konflikte dominieren würde. Es ist keineswegs leicht, Marx zu interpretieren, aber er scheint gedacht zu haben, dass alle wirtschaftliche Macht in Friedenszeiten den Grundeigentümern und Kapitalisten gehört, die ihre Machtstellung bis zum Äußersten ausnützen und damit das Proletariat zur Revolte bringen werden. Da das Proletariat die gewaltige Mehrheit darstellt, wird es im Krieg den Sieg davontragen, sobald es geeinigt ist, und ein System einführen, das die aus Boden und Kapital stammende wirtschaftliche Macht der Allgemeinheit überträgt. Ob diese Theorie genau diejenige von Marx ist oder nicht – sie ist in Kürze die der heutigen Kommunisten und verdient daher untersucht zu werden.
Die Ansicht, derzufolge alle wirtschaftliche Macht den Grundbesitzern und Kapitalisten gehört, ist zwar im großen und ganzen
richtig und auch von mir vertreten worden, unterliegt aber wichtigen Einschränkungen. Grundbesitzer und Kapitalisten sind ohne Arbeiter hilflos, und Streiks, wenn sie nur von genügender Entschlossenheit und Breite sind, können der Arbeiterschaft einen Anteil an der wirtschaftlichen Macht sichern. Aber die Möglichkeiten des Streiks sind ein allen so vertrautes Thema, dass ich nichts weiter darüber sagen will.
Die zweite Frage, die sich erhebt, lautet: Werden die Kapitalisten in der Tat ihre Machtstellung bis zum Äußersten ausnützen? Wo sie klug sind, handeln sie gerade aus Furcht vor den von Marx vorausgesehenen Folgen nicht so. Wenn sie die Arbeiter am Gewinn teilhaben lassen, können sie sie davor bewahren, revolutionär zu werden; das beste Beispiel hierfür haben wir in den Vereinigten Staaten, wo die qualifizierten Arbeiter im Großen und Ganzen konservativ gesinnt sind.
Die Behauptung, dass das Proletariat die Mehrheit darstellt, kann durchaus bestritten werden. Sie ist bestimmt unzutreffend in Agrarländern, wo der Bauernbesitz vorherrscht. Und in Ländern mit festem Wohlstand sind viele Leute vom wirtschaftlichen Standpunkt aus Proletarier, die politisch auf der Seite der Reichen stehen, weil ihre Arbeit von der Nachfrage nach Luxusartikeln abhängt. Wenn ein Klassenkrieg ausbrechen sollte, ist es daher keineswegs sicher, dass das Proletariat ihn gewinnen würde.
Schließlich empfinden die meisten Leute in einer Krise loyaler gegenüber ihrer Nation als gegenüber ihrer Klasse. Das mag nicht immer der Fall sein, aber wir haben bisher kein Anzeichen für eine Veränderung seit 1914, als fast alle nominellen Internationalisten zu Patrioten und Kriegsschürern wurden. Obwohl der Klassenkrieg für die ferne Zukunft eine Möglichkeit bleibt, ist er dennoch kaum zu erwarten, während die Gefahr nationalistischer Kriege so groß bleibt, wie sie gegenwärtig ist.
Man kann sagen, dass seinerzeit der Bürgerkrieg in Spanien und der Widerhall, den er in anderen Ländern fand, beweisen, wie der Klassenkrieg gegenwärtig nationalistische Erwägungen dominieren kann. Ich glaube allerdings nicht, dass der Lauf der Ereignisse diesen Standpunkt bestätigen wird. Deutschland und Italien hatten nationalistische Gründe, um Franco zu helfen; England und Frankreich hatten nationalistische Gründe, um ihm entgegenzutreten. Es stimmt, dass die britische Opposition gegen Franco im Ganzen viel geringer gewesen ist, als sie gewesen sein würde, wenn allein britische Interessen die Aktion unserer Regierung bestimmt hätten, weil die Konservativen natürlicherweise mit ihm sympathisieren. Nichtsdestoweniger fegen britische Interessen politische Sympathien beiseite, sobald solche Dinge wie marokkanisches Erz oder Kontrolle des Mittelmeers im Spiele sind. Die Gruppierung der Großmächte war wieder wie vor dem Jahre 1914, trotz der russischen Revolution. Den Liberalen missfiel der Zar, und den Konservativen missfällt Stalin; aber weder Sir E. Grey noch die konservative Regierung konnten sich durch solche Geschmacksfragen bei der Verfolgung britischer Interessen stören lassen.
Fassen wir zusammen, was wir in diesem Kapitel gesagt haben: Die wirtschaftliche Macht einer militärischen Einheit (die aus verschiedenen unabhängigen Staaten zusammengesetzt sein kann) ist von folgenden Umständen abhängig: 1. von ihrer Fähigkeit, das eigene Territorium zu verteidigen, 2. von ihrer Fähigkeit, das Gebiet der anderen zu bedrohen, 3. von ihrem Besitz an Rohstoffen, Nahrungsmitteln und industrieller Qualifikation, 4. von ihrer Kapazität, Waren und Hilfsmittel zu liefern, die andere militärische Einheiten brauchen. Bei alledem sind militärische und wirtschaftliche Faktoren unentwirrbar ineinander gemengt; zum Beispiel hat Japan auf rein militärischem Wege in China Rohstoffe an sich gebracht, die wesentlich für die Errichtung einer großen Militärmacht sind, und auf die gleiche Weise haben England und Frankreich im Nahen Osten Öl erworben. Beides aber wäre unmöglich gewesen ohne einen beträchtlichen Grad an vorhergegangener industrieller Entwicklung. Die Bedeutung des wirtschaftlichen Faktors im Kriege vergrößert sich, je mechanisierter und wissenschaftlicher der Krieg wird, aber man kann nicht mit Sicherheit annehmen, dass die Gruppe, die über überlegene wirtschaftliche Hilfsquellen verfügt, notwendigerweise den Sieg davontragen wird. Die Bedeutung der Propaganda zur Erweckung des Nationalgefühls hat sich in gleichem Maße erhöht wie die der wirtschaftlichen Faktoren.
In den internen wirtschaftlichen Beziehungen eines einzelnen Staates begrenzt das Gesetz die Möglichkeiten für das Herausholen von Reichtum aus anderen. Ein Individuum oder eine Gruppe müssen ein völliges oder teilweises Monopol an etwas besitzen, das von anderen erstrebt wird. Monopole können durch das Gesetz geschaffen werden, zum Beispiel Patente, Nachdruckrechte und Grundbesitz. Sie können auch durch Verbindung geschaffen werden, wie im Fall der Trusts und der Gewerkschaften. Abgesehen von dem, was Individuen oder Gruppen durch Verhandlung erzielen können, behält sich der Staat das Recht vor, mit Gewalt zu nehmen, was er für notwendig hält. Und Einflussreiche private Gruppen können den Staat dazu bringen, von diesem Recht wie auch von der Macht der Kriegführung in einer Weise Gebrauch zu machen, die für sie selbst, wenn auch nicht notwendigerweise für die ganze Nation, von Vorteil ist. Sie können auch das Gesetz so handhaben, wie es ihnen passt, zum Beispiel indem sie Vereinigungen von Unternehmern, aber nicht von Lohnempfängern zulassen. So hängt der wirkliche Grad wirtschaftlicher Macht, die ein Individuum oder eine Gruppe besitzt, ebenso von militärischer Stärke und propagandistischem Einfluss wie von jenen Faktoren ab, die man gewöhnlich in der Volkswirtschaftslehre antrifft. Wirtschaftslehre als getrennte Wissenschaft ist unrealistisch und führt, wenn sie in der Praxis als Anleitung genommen wird, in die Irre. Sie bildet ein Element – allerdings ein sehr bedeutendes Element – eines umfassenderen Komplexes, der Wissenschaft von der Macht.