Statt dessen erwies sich Michael Ramsden als reuiger Sünder und legte schon in den ersten beiden Stunden nach seiner Festnahme ein umfassendes Geständnis ab. Seine Aussagen genügten, um beide des Mordes zu überführen. Ramsden schien geradezu einem unwiderstehlichen Verlangen zu folgen, als er sein Gewissen erleichterte, was Banks zunächst verwunderte, ihm aber allmählich auch deutlich machte, wie entsetzlich der Druck gewesen sein mußte, unter dem dieser Mann gestanden hatte, welche Selbstbeherrschung er hatte aufbringen müssen, um die letzten Wochen zu überstehen.
Was Penny betraf, so gab sie zu Protokoll, in den vergangenen Tagen intensiv nachgedacht zu haben. Steadmans Tod, Banks' Fragen und Sallys Verschwinden hatten bewirkt, daß sie sich immer eingehender mit ihrer Vergangenheit befaßt hatte, mit den lange verschütteten, verdrängten Erinnerungen an einen zehn Jahre zurückliegenden Sommer.
Zuerst war ihr nichts Besonderes aufgefallen, alles schien tatsächlich rein und unschuldsvoll gewesen zu sein, insofern hatte sie nicht gelogen. Dann aber, als sie sich mehr und mehr in ihre Erinnerungen vertiefte, waren ihr scheinbar belanglose Details bewußt geworden, die im Licht der jetzigen Ereignisse eine neue Bedeutung bekommen hatten. Diese Blicke zwischen Emma Steadman und Ramsden beispielsweise - hatte sie das wirklich gesehen, oder existierten sie nur in ihrer Phantasie, hatte sie vielleicht gänzlich den Blick verloren für ein angemessenes Verhältnis zur Wirklichkeit? Ramsdens Anträge an sie, sein ständiges Drängen, und dann sein plötzliches Desinteresse - hatte sie sich das nur eingebildet, oder war es tatsächlich so gewesen? Und wenn ja - gab es vielleicht eine harmlose, einfache Erklärung? Alle diese Dinge hatten ihre Zweifel geweckt und sie neugierig gemacht.
Nach der Auseinandersetzung mit Barker war ihr dann endlich bewußt geworden, daß die Zweifel nicht von allein wieder verschwinden würden, daß sie handeln mußte, um das Gift des Vergangenen auszutreiben und den Weg in eine Zukunft zu öffnen. Also war sie zu Ramsden gefahren und hatte versucht, sich Klarheit zu verschaffen.
Ja, natürlich hatte sie gewußt, was Sally Lumb zugestoßen war, daß man ihren Tod mit dem Mord an Steadman in Verbindung brachte, trotzdem war ihr nie der Gedanke gekommen, sie könne sich bei Michael Ramsden in Gefahr begeben. Immerhin kannten sie sich doch in- und auswendig, von Kindesbeinen an.
Ramsden war deutlich nervös gewesen und hatte ihre Fragen nur ausweichend beantwortet, aber sie hatte nicht lockergelassen. Man hatte Tee getrunken und Biskuits gegessen, und Ramsden hatte ihr unentwegt einreden wollen, daß sie sich irrte mit ihren Vermutungen, und mit einemmal hatte sie bemerkt, daß sie seine Umrisse nicht mehr klar erkennen konnte. Der ganze Raum hatte plötzlich zu schwanken begonnen, war immer dunkler geworden, und sie hatte das Gefühl gehabt, ihn durch das falsche Ende eines Teleskops zu sehen. Und dann war sie eingeschlafen und erst in Barkers Armen wieder wach geworden, als alles vorbei war.
Banks versicherte ihr, daß Ramsden beteuert hatte, zu keinem Augenblick daran gedacht zu haben, Penny etwas anzutun. Zugegeben, er hatte sie betäubt - mit etwas Nembutal, das man ihm verordnet hatte er war auch zur Telefonzelle gefahren, um Emma herbeizurufen, aber nur, weil er völlig verstört gewesen war und nicht mehr ein noch aus gewußt hatte. Und als Emma dann darauf bestand, Penny zu töten, weil sie zuviel wußte, hatte er versucht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Emma hatte ihn als Schwächling beschimpft und erklärt, daß sie dann eben selbst das Nötige tun müsse, da er offenbar nicht Manns genug sei, eine solche Kleinigkeit wie einen netten, sauberen Unfall zu inszenieren. Ramsden hatte ihr widersprochen und sie von ihrem Plan abhalten wollen, und mitten in dieser Auseinandersetzung seien plötzlich Banks und Barker erschienen.
Penny hörte sich den Bericht von Ramsdens Aussage an - unterdessen war es ein Uhr früh, und man saß, wohlversorgt mit einer Kanne frischen Kaffees, in Banks verräuchertem Büro - und meinte schließlich: «Sehen Sie, ich hab's doch gewußt. Er hätte mir nie etwas angetan.»
Banks schüttelte den Kopf. «O doch», betonte er nachdrücklich, «das hätte er. Er hat alles getan, was Emma von ihm verlangte.»
Es dauerte noch einige Tage, bis alle losen Enden zu einem logischen Ganzen verknüpft waren. Hatchley protokollierte die Aussagen, schrieb die Berichte, schimpfte über Richmond, der in Surrey «auf der faulen Haut» lag, und Gristhorpe überprüfte noch einmal sämtliche Details. Emma Steadman blieb weiterhin stumm und machte sich nicht einmal die Mühe, Ramsdens Anschuldigungen zu bestreiten. Sie hatte alles riskiert und alles verloren und schien nun, da alles vorbei war, weder für Gegendarstellungen noch für Anflüge von Reue auch nur den geringsten Anlaß zu sehen.
Gegen Ende der Woche fuhren Banks und Sandra nach Helmthorpe zu einem Liederabend, den Penny zu Ehren von Sally Lumb veranstaltete. Es war ein milder Abend, und da das Konzert früh zu Ende war, setzten sie sich noch für eine Weile mit Penny und Barker in den Biergarten des Dog and Gun. Im Hintergrund sah man die dunkler werdenden Schatten der Berge und die schroffe Wand des Crow Star, die im schwindenden Licht sanft herüberschimmerte, als habe der Himmel einen silbernen Vorhang fallen lassen.
Banks war nicht besonders wohl, als ihn die anderen bestürmten, endlich die Hintergründe des Falles zu enthüllen. Er gefiel sich nicht in dieser Rolle, gab aber schließlich dem allgemeinen Drängen nach, in dem Gefühl, zumindest Penny und Barker noch eine Erklärung zu schulden. Auch bei Sandra hatte er einiges wiedergutzumachen; seit den Verhaftungen war er kaum zu Hause gewesen, und sie hatte ihm immerhin den entscheidenden Hinweis gegeben, um das Rätsel zu entwirren.
«Wann hat eigentlich alles angefangen?» fragte Sandra.
«Vor etwa zehn Jahren », antwortete Banks. «Penny hier war damals erst sechzehn, Michael Ramsden achtzehn, Steadman etwa Anfang Dreißig und seine Frau gerade achtundzwanzig. Harold Steadman stand am Anfang einer vielversprechenden Karriere als Universitätsprofessor, war zwar noch nicht besonders wohlhabend, aber doch recht gut situiert und hatte beste Aussichten auf ein sehr bedeutendes Erbe. Emma muß das alles zu Anfang noch sehr angenehm und aufregend gefunden haben, hat sich aber, wie es scheint, sehr bald gelangweilt und sich mehr und mehr aus den akademischen Kreisen zurückgezogen, wie das offenbar viele Professorenfrauen tun.
Als ich mich mit Talbot und Darnley unterhielt - Steadmans Kollegen von der Universität Leeds -, meinte der eine, Emma sei früher <ein hübsches junges Ding> gewesen, aber dann ziemlich bald einfach in der Versenkung verschwunden. Ich vermute, daß die gute Emma sich wohl wenigstens vorgestellt hatte, in den Ferien ein bißchen vor die Tür zu kommen und weite Reisen zu machen. Aber nein - Steadman hatte Helmthorpe entdeckt, oder vielmehr Gratly, was offenbar alle seine Anforderungen an einen gelungenen Urlaub abdeckte, und damit fing es an. Emma sah, wie ihr Leben öde und ereignislos dahinging, und sie fühlte sich zu jung, um alle Träume zu begraben.
Es muß ein besonders schöner Sommer gewesen sein, etwa so wie in diesem Jahr», stellte Banks fest und schaute in die Runde zu den übrigen Gästen, deren Jacken und Pullover sämtlich ungenutzt über den Stuhllehnen hingen. «Wie oft hat man das schon im guten alten England?» meinte er und nahm einen Schluck von seinem kühlen Lager. «Vor allem hier in Yorkshire... Wie auch immer, Penny und Michael waren damals der Stolz des ganzen Dorfes, zwei intelligente, begabte junge Menschen, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten. Michael ein etwas linkischer, ernsthafter und romantischer junger Mann, der möglicherweise glaubte, Penny an einen älteren, erfahreneren Mann zu verlieren, sich statt dessen mit Keats, Shelley und sonstiger geistigen Kost tröstete und seine vornehme Melancholie pflegte, während Penny nichts weiter tat, als Steadmans Gesellschaft zu genießen. Sie hatten viel gemeinsam, ohne besondere amouröse Neigungen füreinander zu entwickeln, und wenn sie doch vorhanden gewesen sein sollten, wurden sie jedenfalls erfolgreich unterdrückt.» Er warf Penny einen raschen Seitenblick zu, aber sie schaute nur angelegentlich in ihr Glas.
«Nun denn», fuhr Banks nach einem tiefen Atemzug fort, «eines sonnigen Tages ist Penny also mit Steadman unterwegs zu irgendwelchen römischen Ausgrabungen in Fortford oder so, während Michael schmachtend im Garten liegt und, sagen wir, die <Ode an die Nachtigall liest. Seine Eltern sind zu Einkäufen nach Leeds und York gefahren und werden nicht vor dem Abendessen zurück sein. Emma bläst derweil irgendwo im Schatten Trübsal, langweilt sich sterblich und fühlt sich vernachlässigt. Alles reine Erfindung, übrigens, weil mir Ramsden schließlich nicht alles minutiös erzählt hat, aber so oder ähnlich könnte es sich abgespielt haben. Kurzum, es kommt dazu, daß Emma den Knaben verführt, was schließlich nicht so schrecklich schwer gewesen sein dürfte, wenn man Michaels Alter bedenkt und sein heftiges Verlangen nach Sex. Die klassische Schuljungenphantasie von der erfahrenen, reiferen Frau wird Wirklichkeit, und für Emma ist er wahrscheinlich so etwas wie eine jüngere, vitalere Ausgabe ihres Ehemanns. Jemand, der ihr vielleicht sogar Gedichte geschrieben hat, mit Sicherheit aber unbeholfen und schüchtern war und ihr die ersten sexuellen Erfahrungen verdankte.
Während die meisten anderen in Emma nur eine vorzeitig verblühte, verheiratete Frau sahen, gab ihr Michael das Gefühl, begehrenswert zu sein, und sie begriff, daß es eher von Vorteil war, wenn man sie für reizlos hielt. Auf diese Weise kam niemand auf die Idee, ihr eine außereheliche Affäre zuzutrauen.»
Banks hielt einen Augenblick inne, um einen Schluck Bier zu trinken, und stellte erfreut fest, daß die anderen gebannt zuhörten. «Das Verhältnis überdauerte die Jahre», fuhr er fort. «Es gab Brüche und zeitweilige Trennungen, wie fast überall, aber wie Ramsden berichtete, trafen sie sich auch häufig während seiner Zeit in London, wenn Emma ihre Einkaufstrips unternahm oder angeblich ihre Verwandten in Norwich besuchte. Was ihren Mann betrifft, so war er vollauf mit seinen Ruinen beschäftigt und wird sich kaum um ihre Ausflüge gekümmert haben.
Mit der Zeit gewann Emma immer mehr Macht über Michael. Sie war die erste Frau in seinem Leben, und sie nutzte diesen natürlichen Vorteil. Alles, was er auf dem Sektor Liebe wußte, hatte er von ihr gelernt. Er war unverändert schüchtern und fand es nach wie vor schwierig, mit Frauen seines Alters umzugehen. Aber warum sollte er sich Sorgen machen? Emma war da und gab ihm alles, was er brauchte, bei weitem mehr sogar, als die unerfahrenen jungen Dinger aus seiner Umgebung es je gekonnt hätten. Als Gegenleistung gab er ihr das Gefühl, jung zu sein, begehrenswert und mächtig. Ich denke, es war eine Art Zwangsbeziehung, bei der beide sich gegenseitig abhängig gemacht haben.
Mit den Jahren entwickelte Emma zwei ganz verschiedene Persönlichkeiten - womit ich nicht sagen will, daß es zu einer echten Spaltung im klinischen Sinne kam, nein, sie ist geistig völlig normal, was sie getan hat, war gewollt und klar kalkuliert -, aber sie hatte zwei Gesichter: eins für die normale Umwelt und ein anderes für Ramsden. Wenn man es recht bedenkt, war es im Grunde nicht besonders schwer, ihr Erscheinungsbild zu ändern. Es brauchte nur ihm zu gefallen, und das war kein Kunststück, da er ohnehin vollständig unter ihrem Einfluß stand. Sich bei ihren Besuchen in London zu verwandeln, war selbstverständlich gar kein Problem, aber selbst später, als sie in Gratly wohnte und er nach York gezogen war, genügte eine kleine Korrektur im Wagen, auf dem Weg zu ihm. Ein bißchen Makeup, eine andere Frisur und gegebenenfalls ein kleiner Kleiderwechsel in seiner Wohnung. Nach Harolds Tod war es übrigens noch leichter geworden. Ihre Nachbarin hat mir erzählt, daß die Garage direkt von der Küche aus zu erreichen ist, und der Weg über die Moore zu Ramsdens Haus ist kaum befahren, so daß sie nicht befürchten mußte, gesehen zu werden. Aber es war nicht nur eine Frage des Aussehens, ihr ganzes Verhalten, ihre Ausstrahlung war verändert. Bei Ramsden spürte sie ihre sexuelle Kraft, ein Gefühl, das sie aus ihrem restlichen Leben mehr oder weniger ausgeklammert hatte.
Die Zeit verging, und in ihrem häuslichen Leben änderte sich nichts, wie sie es befürchtet hatte. Steadman vergrub sich immer mehr in die Arbeit, und sie selbst fand sich, abgesehen von ihren Kontakten zu Ramsden, zunehmend isoliert. Warum sie trotzdem bei ihrem Mann geblieben ist? Darüber kann man nur Vermutungen anstellen, aber ich könnte mir zwei recht gute Gründe denken - zum einen die Sicherheit und zum anderen die Aussicht auf die große Erbschaft, auf die Möglichkeit, daß sich alles noch zum Bessern wenden konnte, wenn sie reich waren. Aber was passiert? Das große Geld ist endlich da - und alles bleibt beim alten, nein, es wird sogar noch schlimmer. Und in diesem Punkt tut sie mir sogar leid, bis zu einem gewissen Grad, diese Emma Steadman. Sie hat Träume, sie wünscht sich große Reisen, Abwechslung, Luxus, ein geselliges Leben, statt dessen begnügt sich ihr Mann damit, das Haus der Ramsdens zu kaufen, sie in eine noch langweiligere, isoliertere Gegend zu verbannen und das Geld in seine historischen Forschungen zu stecken. Ein Mann mit Berufung eben, und ich kann verstehen, was sie zu ihrer Tat getrieben hat, auch wenn ich sie nicht billige. Steadman hat sich wahrlich nicht besonders empfindsam gezeigt für ihre Bedürfnisse - weder in emotionaler noch in materieller Hinsicht. Er war selbstsüchtig und knauserig. Man muß sich das mal vorstellen, da sitzen die beiden in Gratly, sind reich wie Krösus, und ihm fällt nichts Besseres ein, als sich in diesem schmuddeligen Bridge rumzutreiben und sein Geld in die Arbeit zu stopfen. Sicher hätte Emma Steadman lieber im Country Club gesessen, statt dessen war sie nicht viel mehr als eine Gefangene im eigenen Haus, und der einzige Mensch, zu dem ihr Mann wirklich enge Beziehungen unterhielt, war Penny, damals wie heute.»
«Das stimmt nicht ganz», wandte Penny ein. «Auch zu Michael. Er hatte ihn wirklich gern.»
«O ja», stimmte Banks zu, «weil er ihn für seine Arbeit brauchte, viel mehr war wohl nicht dahinter. Ich denke, sie waren eher Kollegen, meinetwegen auch Partner, aber keine echten Freunde. Sie sollten nicht vergessen, daß Michael ihn schließlich getötet hat.»
«Weil sie ihn dazu gebracht hat.»
«Schon, aber er hat es wirklich getan.»
Ein Kellner kam heraus, und sie bestellten eine neue Runde.
«Erzählen Sie weiter», drängte Penny, als die Getränke auf dem Tisch standen.
«Michael Ramsden ist ein ehrgeiziger, aber auch ein willensschwacher Mensch, der noch dazu schlecht mit Leuten umgehen kann. Er teilte Steadmans Interessen schon, aber nicht seine Besessenheit - übrigens ein Wort, über das sich einer von Steadmans ehemaligen Kollegen mächtig aufgeregt hat, das aber durchaus zutrifft, wie ich finde. Hinzu kommt, daß Ramsden eifersüchtig war auf Harold Steadmann - diesmal nicht Ihretwegen Penny, auch wenn das früher einmal der Fall gewesen sein mag - nein, es war eher ein Konkurrenzneid, wie man ihn oft empfindet gegenüber Menschen, die man anfangs zu Idolen, Beispielen oder was auch immer erhebt und die man schließlich nur noch hassen kann. Und Michael haßte ihn, er haßte es, die zweite Geige zu spielen - den Herausgeber oder Assistenten -, niemals selbst der Kreative sein, die Hauptperson, obwohl er doch selbst kreativ war und an einem Roman schrieb. Ich nehme an, Emma hat sich Michaels wachsende Ressentiments gegen seinen Mentor zunutze gemacht, hat die unangenehmen Eigenschaften ihres Mannes kräftig herausgestrichen, wenn sie mit Ramsden zusammen war, hat ihm Steadmans Niedertracht vor Augen geführt, sein rücksichtsloses Desinteresse an jedem, der seine eigenen Neigungen nicht teilte. Das wird auf fruchtbaren Boden gefallen sein, zumal es ihn, wie ich vermute, im tiefsten Innern immer noch erbost hat, wie mühelos Penny mit Harold umgehen konnte, wie innig ihrer beider Verhältnis war. Jedenfalls muß diese Animosität mit den Jahren immer größer geworden sein, verstärkt durch das sexuelle Verlangen nach Emma, bis sich dann endlich die einmalige Chance bot, reich zu werden und mit einem Schlag alles zu bekommen.
Es gibt keinen Zweifel, daß ihn Emma Steadman manipuliert und mißbraucht hat, aber das enthebt ihn keineswegs der Verantwortung. Sie hat ihn ganz langsam an den Gedanken herangeführt, hat ihm geholfen, seinen anfänglichen Widerstand und seine Angst vor einem Mord zu überwinden - durch ein geschicktes Spiel mit seiner ohnehin vorhandenen Abneigung gegen ihren Mann und durch Sex. Mit einem Hin und Her aus Verweigerung und Befriedigung, stärkerer Verweigerung und noch größerer Erfüllung. So jedenfalls hat er es beschrieben, und er ist kein Dummkopf; er wußte, was geschah, und er hat es nicht nur geschehen lassen, sondern mitgemacht, denn sie haben Harold Steadman gemeinsam getötet.
Da Emma ihren Mann beerben und damit natürlich die Hauptverdächtige sein würde, brauchte sie ein wasserdichtes Alibi, was sie sich ja auch verschafft hat. Ramsden wiederum schien weder ein Motiv noch die Gelegenheit zur Tat gehabt zu haben, solange die Verbindung mit Emma nicht ins Visier kam, insofern machte es gar nichts aus, wenn ich ihn befragte und immer wieder bohrte. Aber ich hatte ohnehin noch eine Reihe anderer Möglichkeiten zu überprüfen.»
Barker und Penny bedachten seine Bemerkung mit einem vorwurfsvollen Blick.
«Ja», bekannte Banks, «ich rede von Ihnen beiden. Und von Hakkett, der eine Zeitlang in Betracht kam. Kurzfristig auch Barnes und sogar der Major und Robert Kirk. Und Sie können mir glauben, daß ich mir ungeheure Vorwürfe mache, weil erst Sally Lumb sterben mußte, bevor ich die richtige Lösung fand. Aber es war nahezu unmöglich, den ganzen Klatsch und Tratsch von der Wahrheit zu trennen oder die vergangenen Geschichten von der Gegenwart.»
«Und warum mußte Sally sterben?» fragte Barker. «Sie war doch wohl keine Bedrohung, oder? Was kann die Kleine schon gewußt haben?»
«Sally war reifer, als sie aussah, in mancher Beziehung», meinte Banks. «Sie hat einfach einen Fehler gemacht und die Dinge falsch interpretiert. Aber dazu komme ich noch. An diesem Samstag, als Steadman getötet wurde, fuhr Ramsden nach Gratly und stellte seinen Wagen in der Nähe von Steadmans Haus in einem dieser verfallenen Schuppen ab, direkt an der Nebenstraße, die Emma immer benutzte, wenn sie ihn in York besuchte. Man darf nicht vergessen, daß er schließlich in Gratly aufgewachsen war und damit jeden Winkel und jedes Schlupfloch kannte.»
«Und wie kam er zurück nach York?» fragte Penny. «Zu Fuß ist das wohl kaum möglich, und der einzige Bus fährt schon frühmorgens.»
«Kein Problem», erklärte Banks. «Den Bus hätte er ohnehin nicht benutzt, man hätte ihn schließlich erkennen können. Nein, Emma Steadman hat ihn gefahren. Ihn einfach zu einer vereinbarten Zeit an der Strecke aufgelesen - mit Sicherheit an einer einigermaßen abgelegenen Stelle, um nicht entdeckt zu werden -, ihn an der Ecke zu seiner Straße wieder abgesetzt und dann in die Innenstadt, um irgendwelche Einkäufe zu machen. Wir haben das inzwischen überprüft, und die Nachbarin erinnert sich, daß ihr Emma den gewünschten Stoff besorgt hat. Bei alledem war nichts Ungewöhnliches, da Emma häufig am Nachmittag nach York fuhr und sich die Zeit in den Geschäften vertrieb, man mußte nur darauf achten, nicht zusammen gesehen zu werden. Und selbst wenn das passiert wäre, hätte man Ramsden aus der Entfernung und durch die Wagenfenster vermutlich für Steadman gehalten und sich nicht weiter den Kopf zerbrochen.»
«Was war dann am Abend?» fragte Penny. «Nachdem Harry den Auftritt hatte mit meinem Vater.»
«Ja, das ist noch so eine Sache, die ich rückblickend eigentlich hätte wissen müssen», antwortete Banks. «Es gab im Grunde nur einen Ort, an dem sich Steadman von diesem leidigen Zwischenfall erholen konnte, und zwar genau dort, wo er ohnehin ursprünglich hinwollte - bei Ramsden. Vergessen wir nicht, seine Arbeit ging ihm über alles, und die einzige Person, bei der er sich Emotionen und Übergriffe auf seine kostbare Zeit gestattete, waren Sie, Penny. Also tat er exakt das, was er ohnehin beabsichtigt hatte - er fuhr nach York, und Ramsden brachte ihn um.
Alles war sorgfältig geplant, vielleicht sogar vorher geprobt worden. Ramsden war dabei, das Wohnzimmer zu streichen, und hatte den Boden mit Plastikfolie bedeckt. Er nahm einen Hammer und erschlug Steadman, als dieser ihm den Rücken zuwendete, wickelte den Toten in die Folie, verstaute das Bündel im Kofferraum von Steadmans Wagen und fuhr zum Crow Star, um es dort zu vergraben. Die Folie, die ihn hätte verraten können, nahm er wieder mit und verscharrte sie an einer anderen Stelle, die er uns inzwischen beschrieben hat und wo wir fündig geworden sind.»
Penny schlug die Hände vors Gesicht, und Barker legte tröstend den Arm um ihre Schultern.
«Tut mir leid, Penny», entschuldigte sich Banks, «ich weiß, das klingt ziemlich brutal, aber das war es ja auch.»
Penny nickte, nahm einen Schluck aus ihrem Glas und zündete sich eine Zigarette an. «Es ist nicht Ihre Schuld, das weiß ich doch», meinte sie. «Tut mir leid, daß ich einfach losgeheult habe, aber es war ein ziemlicher Schock. Erzählen Sie doch bitte weiter.»
«Inzwischen war es weit nach Mitternacht, und das ganze Dorf schlief, so daß Ramsden Steadmans Wagen unbeobachtet auf den Parkplatz stellen konnte, um dann querfeldein über den Friedhof und den Bach hinauf nach Gratly zu marschieren und mit seinem eigenen Wagen zurück nach York zu fahren. Das einzige Risiko dabei war, daß man ihn möglicherweise unterwegs anhielt, was aber auf der Strecke, die er nahm, einigermaßen unwahrscheinlich war. Der ganze Plan war, wie gesagt, sorgfältig angelegt, um jeden Verdacht von ihm selbst und von Emma, der Hauptnutznießerin dieses Verbrechens, fernzuhalten. Außerdem war es sehr hilfreich, daß Steadman einen beigefarbenen Sierra fuhr, der nicht gerade selten vorkommt. Gestern waren gleich drei von dieser Sorte auf dem Parkplatz versammelt, und im übrigen gibt es jede Menge anderer Wagentypen, die fast genauso aussehen, vor allem bei Dunkelheit - diese Allegros zum Beispiel. Die Risiken waren demnach eher gering, der zu erwartende Gewinn hingegen enorm, und insofern lohnte sich der Einsatz.»
«Und was ist mit Sally?» erkundigte sich Sandra. «Wie paßt sie in dieses schäbige Spiel?»
«Sally paßte den beiden ganz und gar nicht ins Konzept», erklärte Banks. «Sie gehörte eher zu den unbeteiligten Zuschauern, die ihrer Phantasie mehr Raum geben, als es gut ist für die Gesundheit. So wie unsere Penny hier.»
«Wir sind eben alle in Gottes Hand», murmelte Penny.
«Wie wahr», pflichtete Banks bei, «aber was immer Sie auch glauben mögen, Emma hätte Ramsden mit Sicherheit noch davon überzeugt, daß es unumgänglich war, Sie aus dem Weg zu schaffen. Möglicherweise hätte sie es selbst tun müssen, aber er hätte sie ganz gewiß nicht daran gehindert. Dazu war er bereits zu weit gegangen.»
«Sie haben gesagt, er war geradezu froh, als Sie auftauchten», erinnerte Penny.
«In gewisser Weise, ja. Weil es das Ende bedeutete - er war frei. Und wirklich erleichtert, wie ich glaube. Wie dem auch sei, seinen Aussagen zufolge muß ihn Sally zusammen mit Emma in Leeds gesehen haben. Selbstverständlich waren die beiden zu vorsichtig, sich in York oder Eastvale blicken zu lassen, aber Leeds erschien ihnen wohl sicher genug. Steadmans frühere Kollegen hätten Emma mit Sicherheit nicht mehr erkannt, außerdem war sie über die einschlägigen Treffs informiert und wußte, welche Lokale man zu meiden hatte. Sallys Freund hatte sich offenbar an dem bewußten Abend den Wagen eines Bekannten geliehen und war mit ihr nach Leeds gefahren, ins Whitelock's. Wie er mir erzählte, muß sie ihn plötzlich sehr energisch aus dem Pub bugsiert haben, weil sie jemanden gesehen hatte, der sie kannte. Allem Anschein nach war sie so damit beschäftigt, nicht von Ramsden entdeckt zu werden, daß sie gar nicht darauf geachtet hat, mit wem er dort war. Sie ging zwar gut und gern für achtzehn durch, wollte sich aber nicht als Minderjährige erwischen lassen, wenn sie mit Kevin durch die Pubs zog, was offenbar häufig der Fall war.
Wie es aussah, hatte sich Michael Ramsden also lediglich eine attraktive Freundin zugelegt, und es gab für niemanden einen Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, auch nicht für Sally, dessen bin ich sicher. Bis es dann zu diesem Mord kam und sie anfing, sich alle möglichen, scheinbar nebensächlichen Dinge ins Gedächtnis zurückzurufen. Immerhin war sie eine gute Beobachterin und hatte eine lebhafte Phantasie. Trotzdem konnte ich mir keinen Reim darauf machen, wie sie ins Bild paßte, bis mir endlich die Verbindung zwischen Emma und Ramsden klar wurde. Bei meiner ersten Begegnung mit Sally war mir aufgefallen, daß sie sich für ihre jungen Jahre ausgesprochen gekonnt schminkte und sich für Theater und Schauspielerei interessierte. Nun hatte sie Ramsden mit einer sehr attraktiven Frau gesehen, es zwar zunächst vergessen, sich dann aber im Zusammenhang mit der Steadman-Geschichte wieder erinnert - vielleicht sogar bei der Beerdigung, wo sie genügend Zeit hatte, jedes Gesicht, jedes Kleidungsstück zu studieren. Ich war auch dabei und erinnere mich noch, wie aufmerksam sie uns alle musterte, aber damals hab ich mir nichts dabei gedacht. Wie auch immer, jedenfalls muß sie zu der Überzeugung gekommen sein, daß es sich bei Ramsdens Begleitung um Emma gehandelt hatte, eine sorgfältig geschminkte und aufgemachte Emma selbstverständlich. So kam es, daß sie Emma anrief, um sie zu warnen - und das war ihr Fehler.
Offenbar hatte sie zu tief in Sturmhöhe geguckt, wie Emma später Ramsden erzählte, und sich vorgestellt, daß Ramsden den Mord an Harold Steadman verübt hatte, um Emma zu heiraten und sich das ganze Vermögen unter den Nagel zu reißen. Offenbar war sie aufgrund ihrer Lektüre fest davon überzeugt, daß Emma nach der Hochzeit ebenfalls getötet werden sollte, daß Ramsden den Niedergang seiner Familie nie verwunden hatte und Steadman aus tiefstem Herzen verabscheute, weil er sein Elternhaus gekauft und alles übernommen hatte. Also schlug sie Emma ein heimliches Treffen vor, um gemeinsam nach einem Weg zu suchen, der Emmas Probleme löste und gleichzeitig die Polizei dumm dastehen ließ. Mit dem Ergebnis, daß Emma - voller Entsetzen, überhaupt mit Ramsden in Verbindung gebracht zu werden - das Mädchen tötete.»
«Was? Emma hat Sally umgebracht?» fragte Penny verblüfft.
«Ja, Freitag nacht, oben an dem Übergang für Packpferde. Anschließend hat sie die Leiche an den Bach geschleppt - zu diesem Zeitpunkt war das Wasser noch nicht über die Ufer getreten - und unter den Steinen versteckt.»
«Aber warum, um alles in der Welt, hat sich Sally diese einsame Gegend ausgesucht?» fragte Barker. «Sie muß doch gewußt haben, daß das gefährlich werden kann.»
«Keineswegs, sie hat doch geglaubt, Emma warnen zu müssen, ihr sozusagen das Leben zu retten. Und selbst wenn sie möglicherweise Bedenken hatte, war sie offenbar nicht bereit, ihr Vorhaben aufzugeben. Fragen Sie Penny, sie hat sich im Grunde genauso verhalten und ist gar nicht auf die Idee gekommen, daß ihr Ramsden etwas antun könnte.»
«Das ist doch überhaupt nicht vergleichbar», protestierte Penny. «Ich kenne Michael schließlich schon ein halbes Leben und wußte genau, daß er mir nichts tun würde, selbst wenn meine Vermutungen richtig waren.»
«Wenn nicht er, dann eben ein anderer», erwiderte Banks. «Ich vermute, Sie hätten es nicht sehr trostreich gefunden, in bezug auf Michael recht zu haben und statt dessen von Emma abgemurkst zu werden. Für den Betroffenen spielt es doch wohl keine Rolle, wer es tut, oder?»
«Nein, nur für die Polizei, nehm ich an.»
«Sie irren sich», meinte Banks und beugte sich vor, um ihr in die Augen zu sehen. «Es spielt für jeden eine Rolle - das Opfer ausgenommen. Ein Mord läßt sich nicht rückgängig machen und bringt alles aus dem Gleichgewicht. Man kann einen Verstorbenen nicht ersetzen wie ein Stück Diebesgut, und der Tod läßt sich auch nicht heilen wie die physischen oder emotionalen Wunden, die bei Überfällen oder Vergewaltigungen entstehen. Der Tod ist unwiderruflich, er ist das Ende. Wie für Sally Lumb, die einen Fehler gemacht hat und dafür sterben mußte.»
«Sie hat das falsche Buch gelesen», meinte Barker, «und es obendrein falsch verstanden. Sie hätte sich besser mit Madame Bovary beschäftigt, um zu erfahren, daß auch Frauen auf die Idee kommen, ihre Ehemänner zu beseitigen.»
Banks hatte das Buch nicht gelesen, nahm sich aber vor, es schleunigst nachzuholen. Inzwischen war der Kellner wieder aufgetaucht, wurde aber nur von Barker und Penny bemüht.
Banks zündete sich eine neue Zigarette an und fuhr fort: «Ramsden bekam es nun wirklich mit der Angst zu tun, nachdem Emma so weit gegangen war, auch noch Sally zu töten. Doch das Leben ging weiter, ohne daß die göttlichen Blitze vom Himmel fuhren und ihn zerschmetterten. Bis Penny plötzlich auf den Plan kam - und der Rest ist bekannt.»
Penny schauderte und zog ihren Schal enger um die Schultern.
«Emma Steadman hatte weitaus mehr Kraft und Energie, als wir alle ahnten», stellte Banks fest. «Ihr Alibi war wasserdicht, folglich war es ausgeschlossen, daß sie die Tat verübt hatte. Es sei denn mit Hilfe eines bezahlten Killers - ein Gedanke, den wir zwar eine Zeitlang erwogen haben, aber letztlich für abwegig hielten. Sergeant Hatchley lag in diesem Punkt ganz richtig - Emma Steadman hätte nicht einmal gewußt, wie man den Kontakt zu solchen Leuten herstellt. Außerdem hätte es damit einen unerwünschten Mitwisser gegeben, jemanden, den man immer zu fürchten hatte. Ramsden hingegen war die ideale Lösung; er stand völlig unter Emmas Kontrolle und profitierte ebenfalls von Steadmans Tod. Sally konnte sich ausrechnen, daß Mrs. Steadman schwerlich imstande gewesen war, die Leiche bis zu Tavistocks Wiese zu schleppen - ein weiterer Grund übrigens, sie nicht fürchten zu müssen -, andererseits hatte sie natürlich keine Ahnung, daß Ramsden ein perfektes Alibi zu haben schien. Von mir wußte sie es jedenfalls nicht, und von einem anderen wird sie es wohl kaum erfahren haben.
Wenn ich mir so überlege, wie viele falsche Kombinationen es gegeben hat», meinte Banks mit einem Blick zu Penny. «Sie und Steadman zum Beispiel, Sie und Ramsden oder Sie und Barker hier. Eine Zeitlang habe ich sogar eine homosexuelle Verbindung zwischen Steadman und Ramsden in Betracht gezogen, aber auf Emma Steadman bin ich nicht gekommen. Ihr unscheinbares, geradezu freudloses Aussehen hat mir völlig den Blick verstellt - wie den meisten anderen übrigens auch -, und es kam mir einfach nicht in den Sinn, in ihr irgendwelche Kräfte oder Leidenschaften zu vermuten. Ich habe nicht einmal den Versuch gemacht, mir etwas Derartiges vorzustellen, dabei hatte ich die ganze Zeit diese höchst gefährliche Mischung von heißer Leidenschaft und kalter Berechnung vor Augen.»
«Und wie sind Sie schließlich auf sie gekommen?» erkundigte sich Barker. «Mir wäre das nie eingefallen, nicht in einer Million Jahren.»
«Das wird daran liegen, daß Sie Bücher schreiben, während ich richtig arbeite», witzelte Banks.
«Touche. Aber mal im Ernst - was war der Grund? Das würde mich wirklich interessieren.»
«Überlegen Sie mal - ist Ihnen nie irgendwas aufgefallen an Emma Steadman?»
Barker dachte einen Augenblick nach. «Nein. Nicht, daß ich wüßte», antwortete er. «Allerdings hab ich sie auch nicht sehr häufig gesehen. Und wenn, hab ich mich eigentlich immer ein bißchen unbehaglich gefühlt.»
«Warum?»
«Keine Ahnung. Es gibt einfach Frauen, bei denen so was passiert.»
«Davon haben Sie mir aber nichts erzählt, als ich Sie nach ihr gefragt habe.»
«Meine Güte, ich hab nie darüber nachgedacht, bis eben», meinte Barker. «Außerdem - was hätte es schon für einen Unterschied gemacht?»
«Keinen, vermutlich», räumte Banks ein. «Aber komischerweise ist es mir genauso gegangen, wenn ich ihr begegnet bin. Ich hatte sogar eine Art Klaustrophobie, ein mulmiges Gefühl im Bauch oder so was, und ich habe mich immer zur Ordnung gerufen, weil man solchen Gefühlen nicht nachgeben sollte.»
«Und was hat es bedeutet?» fragte Barker.
«Das ist mir erst im nachhinein klargeworden», erklärte Banks, «insofern hat die späte Erkenntnis nicht viel genützt. Ich vermute, daß ich im Unterbewußtsein auf ihre starke sexuelle Ausstrahlung reagiert habe, während mir zugleich ihre äußere Erscheinung zuwider war. Ich konnte nicht akzeptieren, mich zu ihr hingezogen zu fühlen, und habe deshalb mit Abwehr und Widerwillen reagiert. Es mag töricht klingen, aber ich habe mich eben einfach von der Fassade täuschen lassen, statt genauer hinzuschauen, und die Wahrheit ist mir erst sehr spät aufgegangen. Zum einen durch eine Bemerkung von Darnley, die er irgendwann bei meinem Besuch in Leeds hatte fallenlassen und die mir mit aller Gewalt nicht mehr einfallen wollte. Eine ganz beiläufige Feststellung, eine winzige Kleinigkeit, die man leicht überhört.»
«Und was war das?» wollte Penny wissen.
«Er meinte, Emma wäre damals <ein hübsches kleines Ding> gewesen, was für mich in dem Moment eine völlig belanglose Bemerkung war. Dann war Sally plötzlich verschwunden, und ich überlegte mir, daß es einen Zusammenhang geben mußte mit dieser Steadman-Geschichte, aber ich wußte nicht, welchen. Ich wußte von Sallys Neigungen zum Theater, zur Schauspielerei, aber das hatte wenig mit Michael Ramsden zu tun und konnte mich kaum auf die Idee bringen, daß er Steadman getötet hatte. Ich war ohnehin noch völlig darauf fixiert, die einmal eingeschlagenen Wege zu verfolgen, statt den richtigen zu gehen. Hinzu kam Emmas Alibi, das mich offenbar geblendet hatte.
Schließlich hat mir Sandra auf die Sprünge geholfen. Sie hatte Emma in der Praxis gesehen und bemerkt, daß sie sich phantastisch gehalten hatte und unter ihrer Hausfrauen-Maskerade eine sehr gutaussehende Frau war. Und mit einem Mal paßten alle Einzelteile zusammen : das hübsche junge Ding, Sallys Schminkkünste - die letzten Endes darauf hinausliefen, die äußere Erscheinung zu korrigieren - und Emma Steadman, die gewissermaßen eine Rohfassung von Schönheit darstellte und nach eigener Aussage früher selbst bei einer Theatergruppe gearbeitet hatte. Als ich darüber nachdachte, was mir die anderen von Emma erzählt hatten, fiel mir auf, daß niemand auf die Idee gekommen war, sie als attraktiv zu bezeichnen. Penny sowieso nicht - ich nehme an, Sie haben Emma, ähnlich wie deren Mann, nie so richtig wahrgenommen, nicht wahr? -, und was Jack betrifft, so hatte er sie damals noch gar nicht gekannt. Ramsden hingegen wohl, allerdings hatte er mit keinem Wort ihr Aussehen erwähnt, was mir schließlich zu denken gab und mich auf die Idee brachte, mir ihn und Emma allein zu zweit in diesem Haus vorzustellen, in diesem langen, heißen Sommer, und dann dieser plötzliche Rückzug von Penny... Es fiel mir nie besonders schwer, mir Ramsden als schüchternen, versponnenen Träumer vorzustellen, aber Emma in der Rolle der belle dame, der großen Verführerin - das brauchte seine Zeit. Meine Sicht von diesem Sommer, von der Vergangenheit war offenkundig falsch, ich hatte sie, wie alle andern auch, durch eine rosarote Brille gesehen und verklärt - was Teddy Hackett übrigens auch Steadman vorgeworfen haben muß. Die Wirklichkeit sah anders aus. Es war eine Zeit der Begierden, der Habsucht, der Enttäuschungen und des Ehebruchs - und keineswegs eine friedliche Idylle. Selbst Sally hat das völlig falsch gesehen.
Der Gedanke an Ramsden und Emma als Paar war mir bei all meinen Fragen, die ich rundum gestellt habe, nie in den Sinn gekommen, als er sich aber einmal festgesetzt hatte, war es nicht mehr besonders kompliziert, die gesammelten Informationen in einem neuen Licht zu sehen. Und nachdem ich diesen Punkt erreicht hatte, schien der Rest ziemlich klar auf der Hand zu liegen. Es konnten ohne weiteres zwei Personen gewesen sein, die den Mord an Steadman gemeinschaftlich verübt und sich solide Alibis verschafft hatten. Und Sally konnte eine Bedrohung dargestellt haben, weil sie Michael Ramsden mit Emma gesehen und die wundersame Verwandlung vom biederen Hausmütterchen in die betörende Sirene beobachtet hatte. Ich brauchte also nur noch loszugehen und ein bißchen kräftiger zu bohren, weil ich immerhin wußte, daß ich endlich auf der richtigen Spur war. Allerdings haben sich die Ereignisse dann doch etwas anders entwickelt.»
«Sie waren wohl auch ziemlich lange fixiert auf Ihre Vorstellungen von Harry und mir», stellte Penny fest.
«Das ist richtig», gab Banks zu, «wobei ich die mögliche Kombination zwischen Ramsden und Emma leider übersehen habe, was nicht hätte passieren dürfen, aber hinterher ist man immer klüger. Es war einfach so, daß mir immer irgend etwas fehlte, wenn ich über den bewußten Sommer nachdachte, deshalb bin ich davon ausgegangen, daß Sie mich belogen haben, daß Sie etwas zu verheimlichen hatten, was nicht der Fall war. Heute ist mir klar, daß es sich in Ihrer Vorstellung genauso abgespielt hat, wie Sie es erzählt haben. Zumindest fast so.»
«Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen», meinte Sandra mit einem Augenzwinkern zu Penny. «Schließlich bist du nur ein Mann.»
«Darauf sollten wir trinken», schlug Penny vor, erhob ihr Glas und rückte näher zu Barker.
Während Banks mit den anderen anstieß und sich dem anschließenden Geplauder überließ, dachte er mit schlechtem Gewissen und tiefem Bedauern an Sally Lumb, die scheinbar hinter die Fassade gesehen und sich doch nur einer neuen, trügerisch-romantischen Illusion hingegeben hatte.
Der letzte Widerschein der Sonne war verschwunden, und der Crow Star schimmerte wie ein blanker Knochen im fahlen Licht des aufgehenden Mondes.