Interview mit dem Autor:

1. Ihre Jesus-Biografie soll keine theologische Abhandlung über Jesus sein, sondern ihn erzählend vor allem von seiner menschlichen Seite her beleuchten. Dafür müssen wir uns auch Jesus Lebensumstände genauer ansehen. Wie haben Sie sich dem „historischen“ Jesus genähert?

Ich habe eine Zeitreise gemacht in jene Welt vor zweitausend Jahren, in der Jesus gelebt hat. Sehr hilfreich waren dabei die Erkenntnisse von archäologischen Ausgrabungen. Sie zeigen, wie Menschen damals gelebt, gearbeitet und gewohnt haben. Nimmt man noch die Beschreibungen antiker Autoren dazu, dann kann man sich ein gutes Bild davon machen, in welcher Umgebung Jesus aufgewachsen ist, was ihn beeinflusst hat, welche politischen Ereignisse auf sein Leben eingewirkt haben und welchen Erwartungen er ausgesetzt war. Das ist sozusagen die äußere Seite von Jesus. Um seine Botschaft zu verstehen, muss sich jeder von ihm ansprechen lassen – über zweitausend Jahre hinweg.

2. Wie umfassend gestaltete sich die Arbeit an „Jesus von Nazaret“? Was waren die ersten Schritte?

Als erstes habe ich das Neue Testament und große Teile des Alten Testamentes nochmals genau gelesen. Und zwar für mich, möglichst ohne an irgendwelche Kommentare oder Auslegungen zu denken. Dann habe ich mich mit der theologischen Literatur zu Jesus befasst, was keine Kleinigkeit ist, da wahrscheinlich über keine Person der Weltgeschichte mehr geschrieben wurde als über Jesus von Nazaret. Aber Jesus ist nicht nur ein Fall für die Theologen. Auch die Literatur, die bildenden Künste, Filme und sogar Comics haben sich mit dem Mann aus Nazaret auf ihre Weise auseinandergesetzt. Die Schwierigkeit war, sich von dieser Flut an Bildern und Meinungen nicht erdrücken zu lassen, sondern einen eigenen Zugang zu finden – und vor allem, die historischen Fakten zusammenzubringen mit den Geschichten, Legenden und Gleichnissen über Jesus.

3. Ist es schwerer, sich in eine Person hineinzudenken, die vor zwei Jahrtausenden gelebt hat, als in eine Person des 18. oder 20. Jahrhunderts?

Natürlich ist einem ein Mensch, der vor hundert oder zweihundert Jahren gelebt hat, irgendwie näher. Sich in die Lebenswelt von Jesus hineinzuversetzen, ist für einen modernen Menschen nahezu unmöglich. Wie unvorstellbar einfach war das Leben der Leute in dem kleinen Nest Nazaret! Wie schwer ist es zu begreifen, welche Bedeutung die Religion für einen damaligen Juden hatte! Andererseits ging es Jesus um die Grundprobleme des menschlichen Lebens – um seelische und körperliche Krankheit, um Macht, Anerkennung, Friede und Gewalt. Das sind existentielle Themen, die zu allen Zeiten aktuell sind. Mir kam es darauf an, Jesus in seiner Zeit zu sehen und ihn in unsere Zeit zu übersetzen. Das ist ein wirklich schwieriger Spagat!

4. Warum muss man das Leben des Jesus von Nazaret kennen, um seine Lehre zu verstehen?

Was wir über Jesus wissen, stammt hauptsächlich aus den Evangelien. Und dort wird er geschildert als jemand, der nicht nur eine Lehre verbreitet hat, sondern seine Worte immer auch mit Taten beglaubigt hat. Seine Lehre ist nicht von seinem Wirken zu trennen. Insofern ist es wichtig zu sehen, wie Jesus gehandelt und wie er sich verhalten hat. Sein Leben ist gewissermaßen seine Lehre und somit auch Vorbild für uns.

5. Was fasziniert Sie an der Person Jesus, was ist für Sie der Kernpunkt seiner Lehre?

Mich fasziniert an Jesus seine innere Freiheit, seine ernste Unbekümmertheit. Auch sein Mut, sich eigenen Zweifeln zu stellen und sich über althergebrachte Verhaltensmuster hinwegzusetzen, ohne fanatisch oder verbittert zu werden. Der Kernpunkt seiner Lehre ist sein absolutes Gottvertrauen, das es ihm ermöglicht hat, sich ganz auf unsere Welt einzulassen und doch von ihr unabhängig zu sein. Dass er von einem Gott sprach, der den Menschen gerade in ihrer Not und Schwäche am nächsten ist, finde ich absolut großartig.

6. Was unterscheidet Ihre Jesus-Biografie von anderen?

Es gibt viele gute Bücher über Jesus. Ich denke, meines zeichnet sich dadurch aus, dass es zwar auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Jesus basiert, aber die Geschichte dieses Menschen auf eine leicht fassliche Weise erzählt, sodass deutlich wird, dass alles, was Jesus gesagt und getan hat, jeder verstehen kann und zu allen Zeiten alle Menschen betrifft – bis heute.

7. Inwieweit kann Jesus für heutige Jugendliche ein Vorbild sein?

Wir leben in einer Mediengesellschaft. Jugendliche sind heute vielleicht mehr als je zuvor von Werbung, Meinungsmachern und Trendsettern umgeben. Hinzu kommt, dass wir auch in einer Leistungsgesellschaft leben, die immer mehr schon von kleinsten Kindern verlangt. Da ist die Gefahr groß, dass gerade junge Menschen dauernd irgendwelchen Moden nachlaufen oder von den Forderungen der Eltern, der Schule oder der Gesellschaft schier erdrückt werden. Jesus hat sich von den Autoritäten seiner Zeit nicht vereinnahmen lassen – weder von seiner Familie noch von den religiösen Führern noch von den politischen Machthabern. Mit seinen Worten und Taten wollte er zeigen, dass jeder Mensch eine unantastbare Würde hat und aus einem Vertrauen leben darf, das ihm kein anderer Mensch geben kann. Erst in und aus diesem Vertrauen kann ein Jugendlicher seine Anlagen entfalten, und erst im Schutzraum dieses Vertrauens kann er lernen, was gut und schlecht ist, und wie man seinem Mitmenschen als seinem „Nächsten“ begegnet.

8. In Ihrem Buch „Mehr als du denkst“ porträtieren Sie Personen aus unterschiedlichen Epochen, die Jesus „erkannt“ haben. Was ist das Verbindende? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Mensch eine innere Wandlung erfahren kann?

Allen diesen Personen ist gemeinsam, dass sie Suchende waren. Sie wurden umgetrieben von einem „Hunger“, der sie nicht zur Ruhe kommen ließ und der sie immer weiter hat fragen lassen nach dem Sinn des Lebens und nach ihrem Platz in der Welt. Mit einfachen Antworten gaben sie sich nicht zufrieden, auch nicht mit den Rezepten anderer, die ihnen die Lösungen all ihrer Probleme versprachen. Ihre Hartnäckigkeit führte sie schließlich in eine Krise, in der sie einsehen mussten, dass sie aus eigener Kraft ihren „Hunger“ nicht stillen konnten. Erst als sie sozusagen kapitulierten, wurden sie reif für eine Veränderung. Was sie dann erlebten, war mehr ein Geschenk oder, um es mit einem alten Begriff zu sagen, Gnade. Und es fehlten ihnen die Worte, um zu beschreiben, was es heißt, Jesus als einem lebendigen Gott zu begegnen.