26. KAPITEL

Renees Muskeln fühlten sich an wie ein Haufen nasser Lumpen. Ihre Zunge lag dick und schwer in ihrem Mund, ihre Kehle war wie zugeschnürt. In ihren Ohren klingelte es so laut, dass sie dachte, sie habe sich vielleicht verhört.

Mattie war von Joshua?

Der Horizont verschwamm vor ihren Augen, der Himmel schwebte wie ein perverser Ozean über ihr, erstickend und schwer. Das Blut hämmerte in ihren Schläfen, ihre Augäpfel schmerzten, sie biss die Zähne fest zusammen. Ihre Eingeweide fühlten sich an, als wären sie aus ihrem Bauch herausgerissen und um ihren Kehlkopf geschnürt worden. Doch unter all diesem üblen Druck auf ihrem Brustkorb glühte ein winziges, elendes Fünkchen der Freude – sie trug also keine Schuld an Matties Tod!

Es war alles Jacobs Schuld.

Doch was sagte Joshua da über Christine?

Sie konnte es nicht verstehen, und sie wollte es auch gar nicht hören. Das Klopfen an der Schuppentür klang wie der hölzerne Rhythmus eines gebrochenen Herzens. Dazwischen tönten Carlitas spanische Flüche und Schreie in gedämpfter Disharmonie. Die Sonne tauchte das Land in flüssige Lavatöne wie am Tag des Jüngsten Gerichts. Renee schloss die Augen und legte die Hände auf die Ohren, doch es war zu spät. Das Wissen war in sie eingedrungen und würde nie wieder aus ihr weichen.

Jacob hatte ihre Kinder getötet.

»Steh auf«, herrschte Joshua sie mit seiner rauchigen Stimme an. Sie öffnete die Augen und blickte auf seine zerschrammten Stiefelspitzen. Sie hob den Kopf, auch wenn die Schwerkraft ein unnachgiebiger Feind zu sein schien.

»Hast du gehört, was er gerade gesagt hat?«, fragte Joshua.

Sie war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Die Worte lagen wie Schotter in ihrer Lunge.

»Er hat unser Kind verbrannt«, sagte Joshua. »Ein echter Wells, was?«

Sie schüttelte den Kopf, und auf ihre Lippen schlich sich ein unglaubliches Lächeln. Die Sonne schien warm auf ihr Gesicht, die Luft duftete nach Kiefernharz, unten gluckste der kühle Fluss. Das hier war das andere Ende der Welt, einer Welt, die die Wells-Zwillinge hervorgebracht hatte. Sicher war auch das Tor zur Hölle nicht weit von hier und wartete darauf, sie alle willkommen zu heißen.

»Unser Kind«, schnaubte Joshua verächtlich. »Meine Saat ist aufgegangen, wo er nichts zustande gebracht hat.«

Sie versuchte, seinen Worten einen Sinn abzuringen. Die Sprache war wie eine schlüpfrige Schlange, die in ihrem feuchten Uferloch verschwand. Sie hörte nur die immerwährende Melodie des Flusses, das säuselnde Rauschen. Das Wasser plätscherte gegen die Steine und floss immer weiter, an einen weit entfernten Ort.

Jene Augustnacht, als Jacob sie gewaltsam genommen hatte und voller Leidenschaft wieder und wieder in sie eingedrungen war, als sie sich ihm voll und ganz geöffnet und ihm ihr Intimstes offenbart hatte. Es war gar nicht Jacob gewesen, sondern Joshua.

Doch sie hätte es wissen müssen, selbst im Taumel der Dunkelheit. Vielleicht hatte sie es ja instinktiv gespürt, aber es sich nicht eingestehen wollen. Vielleicht hatte sie sich ja so inständig danach gesehnt, jene Seite von Jacob kennenzulernen, die er immer voll unter Kontrolle behielt. Und diese Sehnsucht, dieser unbändige Wunsch, hatte Joshua zu ihr getrieben.

Wünsch mir, säuselte die verrückte Stimme in ihrem Kopf. Wünsch mir, dass zwei Wells besser sind als einer.

»Komm«, sagte Joshua und fasste sie an der Schulter. Er zog Renee hoch und legte einen Arm um sie. Sein Schweißgeruch übertönte den feuchten Duft des Flusses. Sie lehnte sich an ihn. Sie fühlte sich wie eine Stoffpuppe mit einem Rückgrat aus rot glühendem Draht.

»Los, Jake, wir müssen sie endlich loswerden«, sagte Joshua. »Klingt, als ob Carlita langsam die Nerven verliert.«

»Sekunde noch«, sagte Jacob. »Hast du’s nicht begriffen? Ich hab dein Kind umgebracht!«

»Ach du heiliger Bimbam …«

«Ich hab gewonnen, verstehst du? Ich hab dich mehr aufs Kreuz gelegt, als du mich jemals gelinkt hast! Ich bin mehr Wells als du!«

»Ah, jetzt verstehe ich. Wieder diese Schuldfrage. Es ist alles nur meine Schuld, dass du Mami umgebracht hast, stimmt’s?«

Joshua steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an. Der Rauch, den er ausstieß, schien Renee fast zu erwürgen. »Du hast überhaupt nichts gewonnen«, sagte er zu Jacob.

»Doch. Carlita«, war Jacobs Antwort.

»Die hättest du für ein paar Tausender kriegen können, du Blödmann. Mein erstes Mal hat mich gerade mal ‘nen Zwanni gekostet. Aber vier Millionen … nicht schlecht!«

Jacob schaute zu Renee. »Und voll bezahlt, Brüderchen.«

Renees Beine zitterten. Die wilden Wolken über ihr drückten auf ihre Gedanken, der Nebel war wie der Atem Gottes, die aufziehende Dämmerung verdüsterte den Horizont. Joshua führte sie zum Chevy.

Zwei Millionen.

So viel war sie in Jacobs M&W Versicherung wert.

Jacob wollte sie also auch loswerden. Er würde sich ihr Leben auszahlen lassen, so wie er es mit ihren Kindern getan hatte.

Sie waren alle nur Mittel zum Zweck.

Und Jacobs Endziel war es, Joshua zu sein.

»Ich würde die Brücke nehmen«, sagte Joshua.

»Gute Idee«, sagte Jacob. »Sie verlor im Dunkeln den Halt, stürzte in den Fluss und schlug sich an den Steinen den Schädel auf. Wurde bewusstlos und ertrank. Noch eine schlimme Tragödie.«

»Die Wells haben aber auch wirklich ein Pech!«

»Der trauernde Ehemann und Vater. Niemand wird es mir übelnehmen, wenn ich schon kurz nach diesem schweren Verlust wieder heirate. Und zwar Carlita.«

»Und ich kann das Geld gut gebrauchen. Mädchen wie Carlita gibt es wie Sand am Meer. Keine Ahnung, was du an ihr gefressen hast.«

»Weil sie dir gehörte.«

Joshua öffnete die Tür hinter dem Fahrersitz. Renee wollte sich losreißen, aber er drückte sie einfach auf den stinkenden Rücksitz zwischen all den vergammelten Fastfoodverpackungen und leeren Bierdosen. Jacob stieg neben ihr ein und knallte die Tür zu. Joshua setzte sich ans Lenkrad. Renee wollte sich aufrichten, doch Jacob drückte mit seinem ganzen Gewicht auf sie.

Er sprach mit seinem Mund ganz dicht an ihrem Ohr. »Tut mir leid wegen den Kindern. Aber es gibt keinen anderen Ausweg.«

»Du bist wahnsinnig«, brachte sie hervor.

»Nein. Joshua ist der Wahnsinnige. Denn all diese Dinge kann ich nur tun, wenn ich er bin.«

Joshua ließ den Motor an, es knallte und knatterte. Musik dröhnte aus den Lautsprechern, Johnny Cash sang davon, wie schön grün das Gras in der Heimat ist. Sie kroch über die Rückbank und versuchte die Tür zu erreichen, aber es war kein Griff dran. Sie wollte über den Sitz klettern, doch Jacob packte sie an den Haaren. Der Motor heulte auf, der Wagen machte einen Satz nach vorn und holperte dann mit seinen kaputten Stoßdämpfern über den schmalen Feldweg.

Renee ließ sich in den Sitz fallen und schaute durch die dunkle Scheibe. Sie sah nichts als die Umrisse der Bäume. Die Berge standen wie schwarze Buckel vor violettem Himmel. Johnny Cash stimmte die letzte Strophe seiner Ballade an. Er erwachte aus einem bösen Traum und merkte, dass er im Gefängnis saß und auf sein Todesurteil wartete.

»Warum nur, Jake?«, sagte sie zu dem Fenster. Im fahlen Schimmer der Armaturenbeleuchtung spiegelte sich sein Bild in der Scheibe. Mit seinem verzerrten Gesicht, den schmalen Augen und der blassen, vernarbten Haut sah er aus wie der Teufel persönlich.

»Weil du es so von mir verlangt hast«, antwortete er.

Joshua griff unter den Sitz und zog eine Bierdose hervor. Während er sie aufmachte, lenkte er mit dem Ellbogen weiter. Schaum spritzte an die Windschutzscheibe und seifte die beiden Trollköpfe ein, die am Spiegel baumelten. »Nein, sie hat es von mir verlangt«, warf Joshua ein. »Oder, Liebling?«

»Halt den Mund«, fauchte sie. »Du hast Jake dazu gebracht.«

»Es war alles seine Idee. Ich hab ihm nur den nötigen Schubs gegeben. Ich wollte immer nur das Beste für ihn. Nicht so wie du.«

»Ich habe ihm alles gegeben.« Sie wandte sich an Jacob. »Ich habe dir alles gegeben.«

Dann begannen die Tränen zu fließen, und ihr war, als schaute sie durch schmutziges Glas. Jacob sah sie verächtlich an und höhnte: »Joshua hast du alles gegeben. Du hast ihm Mattie geschenkt.«

Ihre Stimme brach, ebenso wie ihre Gedanken. »Ich hab’s doch nicht gewusst!«

»Ich hatte gedacht, Christine könnte alles wieder rausreißen. Doch sie war nicht so perfekt wie Mattie. Sie war kein richtiger Wells.«

»Wie konntest du das nur tun?«

»Bei Christine war es ganz leicht. Sie winselte nicht mal. Nur eine Plastiktüte, kein Blut, keine Fragen.«

Renee sagte kein Wort. Sie war kurz davor zu sterben, aber selbst das war ihr jetzt egal. Vielleicht würde sie im Himmel ihren Kindern wieder begegnen. Dann könnte sie die ganze Ewigkeit damit verbringen, sie um Vergebung zu bitten. Und vielleicht würden sie ja eines Tages, weit jenseits der Ewigkeit, wieder in der Lage sein, sie zu lieben.

Johnny Cash säuselte jetzt was von einem Highwayman, der starb und immer wiederkam. Er sang im Duett mit Willie Nelson, und dann kam jemand, dessen Stimme sie nicht erkannte. Sie ließ sich treiben vom rauchigen Klang der Gitarren, es war wie ein Wünsch-mir-Spiel voller Verzweiflung.

Joshua hatte sein Bier ausgetrunken und schleuderte die Dose hinter sich. Das Auto schlingerte durch eine Furche, Joshua hüpfte auf seinem Sitz so hoch, dass er mit dem Kopf gegen das Dach stieß. Er fluchte und fuhr etwas langsamer. Die Nacht war flüssige Dunkelheit, und der Chevy schwamm darin wie ein gründelnder Fisch.

»Du bist zwar ganz hübsch und nett und so«, sagte Joshua zu ihr, »aber eben leider nicht so hübsch und nett wie Kohle.«

»Weißt du, was echt lustig ist?«, wandte sich Jacob an seinen Bruder.

»Was?«

»Du wirst reicher sein als unser Alter.«

»Scheiße, Mann. Echt cool. Vielleicht buddel ich den Alten noch mal aus und setz sein Skelett mit an den Esstisch. Und dann piss ich in seine Kaffeetasse!«

»Er hat dich immer am meisten geliebt.«

»Nee. Das war Mutter.«

»Wenn ich dir nicht zuvorgekommen wäre, hättest du sie umgebracht.«

»Nun, dann hast du mich wenigstens in einer Sache geschlagen!«

Der Johnny-Cash-Song klang mit einem immer wiederkehrenden Gitarrenriff aus. Joshua hielt an und schaltete den Motor aus. »Wir sind da.«

Er öffnete seine Tür, das Innenraumlicht blinkte. Renee hörte, wie der Fluss unter ihr rauschte. Sie erinnerte sich, wie sie über die Brücke gefahren war und stellte sich vor, wie das Wasser zehn Meter unter ihnen dahinfloss. Ein zehn Meter tiefer Fall reichte nicht aus, um sie zu töten, außer wenn sie mit dem Kopf auf einen Stein knallte. Aber die Wells waren in letzter Zeit ja vom Unglück verfolgt.

Und manchmal musste man sich sein Unglück eben ein bisschen zurechtbiegen.

Joshua stieg aus und ließ die Tür offen stehen. Die Innenraumbeleuchtung tauchte alles in ein schmutziggelbes Licht. Jacob packte Renee am Handgelenk, sein Gesicht spiegelte eine niederträchtige Freude. Sie wehrte sich nicht. Die beiden Männer hatten sie bereits in Stücke gerissen. Es war nichts mehr da, wofür es sich zu kämpfen lohnte.

Joshua öffnete die Hintertür. »Bring sie her.«

Jacob sprach auf einmal wieder mit Südstaatenakzent, er klang wie eine bizarre Kopie seines Bruders. »Ich denk mal, wir sollten ihr erst den Schädel einschlagen, oder wollen wir sie einfach nur in den Fluss werfen?«

»Ich würde auf Nummer Sicher gehen. Sowas überlässt man nicht dem Zufall. Was ist, wenn sie sechs Meilen flussabwärts auf einmal lebend wieder auftaucht?«

»Das wäre wirklich Mist.«

«Los, mach du es. Du hast mehr Freude dran als ich.«

»Danke, Josh. Das Angebot nehm ich gerne an.«

»Ich bin Jacob, schon vergessen? Hau das mal nicht durcheinander mit uns, sonst kriegen wir die Geschichte nie ordentlich auf die Reihe.«

»OK, Jake. Du bist jetzt der Wells. Ich bin nur das arme Schwein, das sich mit ‘ner mexikanischen Schlampe in einem Wohnmobilpark in Tennessee herumwälzt.«

»Und du wirst jede Sekunde davon genießen. Also mir hat’s auf jeden Fall Spaß gemacht. Aber jetzt ist es Zeit für den großen Tausch-Rausch!«

Jacob packte Renee noch härter am Handgelenk und sandte Funken des Schmerzes durch ihren Arm. Joshua gab seinem Bruder etwas in die Hand, und im schummrigen Licht erkannte Renee das rostige Teil.

Es war eine Rohrzange.

Sie sah den Polizeibericht schon vor sich: Schlagwunde am Kopf, verursacht durch einen stumpfen Gegenstand, gefolgt vom Tod durch Ertrinken.

Jacobs jüngstes Unfallopfer.

Wer würde als nächstes dran sein? Joshua? Carlita? Oder würde er noch mehr Kinder in die Welt setzen, jedes mit einer Million Dollar versichert?

»Halt sie mal kurz.« Joshua lehnte sich zu ihr herein. Sein Atem stank nach Bier, Zigaretten und Salsa. »Komm her, Süße.«

Renee wich zurück und trat ihn, bis sie am anderen Ende der Rückbank hockte. Joshua kletterte zu ihr herein. Jetzt erinnerte sie sich wieder an dieses perverse Grinsen. Das hatte sie schon einmal gesehen, im fahlen Licht jener Nacht vor zehn Jahren. Die Nacht, in der Mattie entstanden war.

Sie wollte ihm ihren Fuß ins Gesicht drücken. Doch er hielt ihn fest. Seine Augen funkelten im schummrigen Licht der Innenraumbeleuchtung. Aus der Schnittwunde über seinen Brauen tropfte wieder Blut. »Hmm. Sie ist noch ein bisschen kampfeslustig. Da hab ich doch glatt Lust, noch eine Runde zu spielen. Was sagst du, Bruder, willst du zugucken, so wie in alten Zeiten?«

Jacob zerrte an ihrem Handgelenk. »Darüber kann ich mir später Gedanken machen. Jetzt sollten wir besser zusehen, sie endlich in den Fluss zu befördern.«

Joshuas Gesicht fiel zusammen, die Falten seiner Raucherhaut wurden tiefer. »Hast wohl Recht. So hat der Fluss mehr Zeit, die Beweise wegzuspülen.«

»Außerdem haben wir ja noch Carlita.«

Ob sie dieses perverse Spiel wohl für den Rest ihres Lebens spielen wollten, dachte Renee. Partner tauschen, mit Geld und dem Leben Anderer spielen, morden und sich gegenseitig austricksen. Das war ihre Zukunft. Eine Zukunft, die sie nicht hatte.

Joshua packte sie am Knöchel. Sie versuchte eine Armlehne zu packen, doch sie rutschte ihr aus der Hand. Ihre Fingernägel brachen ab, als sie sich in die Nylonsitze krallte. Hier fand sie keinen Halt.

Jacob ließ sie los und stieg aus. Er ging zu seinem Bruder. Renee wusste, dass dies ihre letzte Chance war. Die Beifahrertür stand offen, auch wenn sie meilenweit entfernt schien.

Sie wand sich hoch und versuchte, den Vordersitz zu erreichen. Da packte jedoch Jacob schon ihr anderes Bein, so dass sie zwischen den beiden Brüdern hin-und hergezerrt wurde wie ein riesiger Knochen in den Fängen zweier hungriger Hunde.

»Du kannst dir was wünschen, Bruder«, sagte Jacob.

»Ich wünsch mir zwei Millionen gottverdammte Dollar. Bei drei. Eins, …«

Sie wand sich wie eine Schlange. Nichts passierte.

»Zwei, …«

»Jacob«, rief sie. »Schatz?«

Doch das war eine Lüge. Selbst sein Name war eine Lüge. Er war immer Joshua gewesen.

»Drei.«

Sie flog hinaus in die feuchte Nacht.

»Na los, töte sie«, sagte Joshua.

Er drückte Renee ans Brückengeländer, ihre Schultern zeigten auf den Fluss, sie sah das flüsternde, schäumende Wasser unter sich. Jacob probierte, ob der Griff der Rohrzange auch hielt. Wie würde sie wohl unten aufkommen?

Mach dir einen Plan, Jakie, so wie immer. Mutters Stock … ein Unfall. Hätte jedem passieren können. Na ja, jedem, der einen Mörder zum Sohn hat.

Christine. Das war der traurigste Fall gewesen. Doch sie war ja gerade erst ins Leben getreten, konnte noch nicht mal sprechen. Ich hab sie nur davor bewahrt, ein Wells zu werden. Das war also vielmehr ein Gnadenstoß.

Mattie. Um sie war’s wirklich schade. Doch hier war es immer nur Joshuas Schuld gewesen, von der Zeugung bis zum Feuertod.

Der Mond schien. Die Wolken waren violette Schafe, die den Countdown für den Schlaf der Ewigkeit vollführten. Es durfte kein Blut aufs Brückengeländer spritzen. Er musste sie schräg treffen, damit es weit wegspritzte, ins Wasser.

»Nun schlag endlich zu«, drängelte Joshua. »So wie du es bei den Hühnern gemacht hast.«

Die Zange lag schwer in Jacobs Hand. »Ich hab die Hühner nicht getötet.«

Joshua hielt Renees Arme hinter ihrem Rücken fest und presste seine Lenden gegen ihren Hintern. Er wackelte mit den Hüften, so dass das Holzgeländer unter dem Gewicht der beiden ächzte. »Aber na klar doch, zum Teufel noch mal! Du bist völlig durchgedreht. Hast ihnen die Köpfe abgehackt und das Blut von der Axt geleckt …«

»Hör auf!«

Rot. Das Violett der Nacht hatte sich zu Rot gewandelt.

»Du bist ein einziger Irrtum der Natur, nichts weiter.«

»Sei still. Ich war es nicht. Ich bin es nie gewesen.«

»Versuch’s dem Richter zu erklären. Ich hab ein Date mit zwei Millionen Dollar.«

»Ich hab nur getan, was du getan hättest, wenn du schlau genug gewesen wärst.« Jacob umfasste den Griff der Zange so fest, dass seine Handfläche schmerzte. Seine Hand schwitzte. Er dachte an die Fingerabdrücke, die er hinterlassen würde. Und die DNA-Spuren. Dieselben wie Joshua. Die DNA, die einer von ihnen an Mattie weitervererbt hatte.

Und vielleicht auch an Christine. Er wusste ja nicht, wie oft sich Joshua im Laufe der Jahre heimlich in sein Bett geschlichen hatte.

Das Blut im Chevy war von Joshua. Das würden die Bullen auf jeden Fall herausfinden. Selbst wenn in Jacobs Adern dasselbe Blut floss.

»Nun mach schon, Jakie«, presste Renee hervor. »So wie wir es abgesprochen haben.«

Joshua drehte sich zu ihm um, sein Gesicht verzerrt wie die Gummitrollköpfe an seinem Rückspiegel. Verwirrung. Der dumme Hund war zu spät aus dem Mutterleib gekrochen, und er war sein ganzes Leben lang immer zu spät gekommen.

Jacob schwang die Zange.