9. KAPITEL

Sheridans Krankenhausnachthemd klebte an ihr, aber das machte ihr nichts aus. Sie brauchte den Tapetenwechsel und war froh, einmal aus dem Bett rauszukommen.

Cain stützte sie an den Knien und Schultern, und sie lehnte den Kopf zurück, damit der Fluss ihr Haar durchkämmen, den Schmutz herausspülen und ihre erhitzte Kopfhaut kühlen konnte. Unter ihr war nichts als Wasser, über ihr der endlose schwarze Himmel, an dem die Sterne glitzerten wie zersplitterte Diamanten. Cain war das einzig Stabile in ihrer Welt. Ohne ihn würde sie untergehen oder davontreiben.

„Danke“, sagte sie, als er sie auf einen Felsvorsprung setzte und ihr das Haar wusch.

Er antwortete nicht, aber als er fertig war, half er ihr, die Zähne zu putzen.

Die Tatsache, dass es Cain war, der ihr in der schlimmsten Zeit ihres Lebens beistand, ließ die Gefühle, die sie ihm gegenüber empfand, noch verwirrender und komplizierter werden. Schließlich siegte ihr Gewissen über den Drang, so zu tun, als hätte sie ihre gemeinsame Zeit im Wohnmobil nie erwähnt.

„Cain?“

Er blickte zu ihr herab, sein Gesichtsausdruck blieb im Schatten verborgen.

„Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich … ich habe es nicht so gemeint, was ich heute Abend zu dir gesagt habe.“ Weiter konnte sie nicht gehen. Sie konnte nicht zugeben, wie viel jene Nacht ihr bedeutete. Wenn er wüsste, dass sie sich noch mit dreiundzwanzig nach ihm gesehnt hatte …

„Vergiss es.“ Seine Worte klangen gleichgültig. Nicht widerwillig, aber irgendetwas hatte sich verändert. Er war förmlich, höflich und vor allem gründlich, aber die Freundschaft, die sich in jener Nacht im Krankenhauszimmer angebahnt hatte, als er bei ihr geblieben war, schien zerstört. Er war in Verteidigungsstellung gegangen. Erwirkte … argwöhnisch.

„Ich habe mich wegen Owen aufgeregt“, versuchte sie zu erklären.

„Ich weiß. Es ist egal. Es ist zwölf Jahre her.“

Aber es war nicht egal. Und es kam ihr vor, als sei es erst

gestern gewesen. Werde wieder gesund! Das ist alles, um das

du dich jetzt kümmern musst. Werde gesund, damit du den

Mann findest, der dich verletzt hat, und ihn einsperren kannst.

Als Cain Sheridan mit ins Wasser genommen hatte, hatte er nicht darüber nachgedacht, wie er sie wieder trocken bekommen sollte. An ein Handtuch hatte er nicht gedacht. Zudem begann das Beruhigungsmittel zu wirken, bevor er sie ins Haus zurückbringen konnte. Schlaff und tropfnass lag sie in seinen Armen, und ihr langes Haar hing im Wasser.

„Sheridan?“ Ihr Kopf rollte auf seinem Arm herum, als er versuchte, sie dazu zu bringen, ihn anzusehen. „Kannst du mich hören?“

Keine Reaktion.

Sobald er die hintere Veranda erreicht hatte und tropfend dastand, sah er ein, dass er keine andere Wahl hatte, als sie umzuziehen. Er konnte sie schlecht im nassen Nachthemd ins Bett stecken. Und er konnte sie auch nicht auf dem Boden des Badezimmers liegen lassen, bis sie wieder aufwachte.

Er trug sie hinein und legte sie auf seine Ledercouch. Dann zog er selbst trockene Sachen an, durchstöberte seine Schubladen nach einer frischen Boxershorts und einem T-Shirt, die er ihr anziehen konnte, und kehrte zu ihr zurück, um sie endlich von dem Krankenhaushemd zu befreien.

Er nahm sich vor, die Sache so schnell und sachlich hinter sich zu bringen wie ein Arzt oder ein Krankenpfleger. Sie anzuziehen war schließlich eine rein praktische Aufgabe, solange er sie dabei nicht lüstern anstarrte. Doch als sie schließlich nackt vor ihm lag, traf ihn ihr Anblick wie ein Blitzschlag. Er hielt das T-Shirt bereits in der Hand, aber er zögerte eine Sekunde und ließ den Blick über ihren Körper wandern.

Genau in diesem Moment klingelte das Telefon, rüttelte ihn auf und belebte seine Skrupel neu. Er holte tief Luft, zog ihr T-Shirt und Boxershorts an und achtete sorgsam darauf, sie nirgendwo zu berühren, wo es nicht absolut nötig war.

Als sie endlich angezogen war, hatte der Anrufer längst aufgelegt, trotzdem war Cain für die Unterbrechung dankbar. Er benutzte Sex schon lange nicht mehr als Waffe gegen sich und andere, aber drei Jahre Abstinenz waren auch nicht spurlos an ihm vorübergegangen.

Seufzend stand er auf und erwiderte den Anruf, den er gerade verpasst hatte. Beth Slater bat ihn, sich am nächsten Morgen ihren Hund einmal anzusehen.

Doch die Ablenkung hielt nicht lange vor. Noch lange Zeit nachdem er wieder aufgelegt hatte, sah er Sheridans nackten Körper vor sich. Sie war zum Greifen nah gewesen.

Als Sheridan aufwachte, war es Morgen. Aber welcher Tag? Sie versuchte nachzurechnen. Waren seit dem Überfall zehn Tage vergangen? Aber sie hatte zu lange geschlafen, um zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen.

Auf dem Hof konnte sie Cain hören. Sie schnappte die Worte „bakterielle Infektion“ auf sowie die Anweisung, welche Medikamente ein Hund bekommen sollte.

Dann fiel ihr wieder ein, was am Tag zuvor geschehen war, und Sheridan stöhnte auf. Sie hatte erfahren, dass Owen im Wohnmobil gewesen war. Ihr war schlecht geworden, und sie hatte sich in Cains Beisein übergeben. Sie war beim Teich gewesen und hatte sich ganz schwerelos gefühlt. Nur seine Hände hatten sie gehalten.

Sie versuchte sich daran zu erinnern, was nach ihrem Bad geschehen war, aber es gelang ihr nicht. Allerdings trug sie nicht länger das Krankenhausnachthemd.

„Fühlst du dich besser?“

Cain kam in dem Moment herein, als sie die Decke zur Seite stieß, um zu sehen, was sie anhatte. Vor dem Haus fuhr ein Auto davon.

„Das ist deine Unterwäsche“, sagte sie und sprach das Offensichtliche aus.

Er schien ihr nur widerwillig in die Augen blicken zu wollen, und eine Ahnung beschlich sie. „Ich wollte dein Gepäck nicht durchwühlen, also habe ich dir etwas von mir angezogen“, erklärte er, während er auf einen Stuhl kletterte, um den Deckenventilator einzustellen.

„Du fandest es zu aufdringlich, in meinem Koffer nachzuschauen, aber damit, mich auszuziehen, hattest du kein Problem?“

„Du warst bewusstlos. Was hätte ich sonst tun sollen?“

Darauf wusste Sheridan keine Antwort. Aber sie musste sich vergewissern, dass er die Gelegenheit nicht ausgenutzt hatte. „Könntest du meinem Gedächtnis ein bisschen auf die Sprünge helfen?“

Er stieg vom Stuhl und öffnete die Jalousien. „Wir könnten es auch einfach vergessen.“

„Ich kann es nicht vergessen. Ich möchte genau wissen, wie ich in diese Sachen hier gekommen bin.“

„Ich habe dir etwas Trockenes angezogen. Das ist alles.“ Er setzte sich auf den Stuhl neben dem Nachttisch und verschränkte die Arme hinterm Kopf. „Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich dich mit nassen Klamotten ins Bett gelegt hätte?“

„Nein. Ich … es fühlt sich nur so merkwürdig an, dass ich mich nicht daran erinnern kann.“

„Du hast nichts verpasst.“

„Außer diesen einen Teil.“

„Welchen Teil?“

„Den Teil, als du mich ausgezogen hast.“

„Du machst eine Mücke aus einem Elefanten.“

„Sag mir nur eines.“ Sie wartete darauf, dass er ihr in die Augen schaute. „Hast du mich angefasst?“ Sie machte eine Pause. „Du weißt, was ich meine.“

Er runzelte die Stirn, als hätte sie ihn beleidigt. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass das ein Verbrechen wäre.“

„Du hast mich also nicht angerührt.“

Er stieß einen tiefen Seufzer aus, streckte die Beine aus und schlug sie an den Knöcheln übereinander. „Natürlich nicht!“

„Aber du hast mich nackt gesehen.“

Er ignorierte die Bemerkung, stand auf und zog das Bettlaken gerade. „Möchtest du etwas essen?“

„Ich bin halb verhungert, aber zuerst will ich deine Antwort hören.“

Er stemmte die Hände auf die Hüften und sah ihr direkt in die Augen. „Also gut. Ja, ich habe dich nackt gesehen. Das ließ sich ja wohl schlecht vermeiden.“

Sie wünschte, sie könnte seine Miene besser deuten. „Aber … du hast mich nicht angestarrt.“

„Das habe ich nicht“, sagte er. Aber einen Moment später rieb er sich übers Kinn und korrigierte spürbar missmutig seine Antwort. „Na ja, eigentlich doch. Aber nur für eine Sekunde.“

Dass er das so ehrlich zugab, überraschte Sheridan. Und jetzt, wo sie es wusste, war sie sich nicht sicher, wie sie es finden sollte. Er tat so viel, um ihr zu helfen. War es wirklich so schlimm, wenn er sie da eine Sekunde länger als nötig anstarrte?

Sie hatten es hier mit so feinen Unterschieden zu tun -hatte er sie nur gesehen oder angesehen? Aber er hatte recht: Sie hätte sich schlecht selbst anziehen können. „Warum?“, fragte sie.

„Warum was?“

„Warum hast du mich angestarrt?“

„Machst du Witze?“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Weil ich unterhalb der Gürtellinie noch nicht völlig vertrocknet bin. Darum!“

„Okay.“ Sie war bereit, das Thema fallen zu lassen. Sie hatte gefragt, und er hatte geantwortet. Damit war die Sache erledigt.

Doch dann stellte sie fest, dass er sie nachdenklich musterte. „Warum fragst du mich nicht das, was du wirklich wissen willst?“

Die Art, wie seine Stimme tiefer und rauer geworden war, versetzte Sheridan in Alarmbereitschaft, heftiger, als sie es seit dem Überfall je gewesen war. „Was will ich denn wirklich wissen?

Ein Mundwinkel verzog sich zu einem schiefen Grinsen. „Ob mir das, was ich gesehen habe, gefallen hat?“

„Du irrst dich. Das will ich gar nicht wissen“, gab sie zurück. „Ich gebe mich nicht der Illusion hin, ich könnte gut aussehen. Ich bestehe praktisch nur aus Schorf und blauen Flecken. Das ist ein Grund, warum mir die Vorstellung nicht behagt, dass du mich nackt gesehen hast. Ich fühle mich so … verletzlich.“

Er hob die Augenbrauen. „Es waren nicht die Wunden und Prellungen, die meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.“

Verdammt, er spielte schon wieder mit ihr! Sie empfand dasselbe schwindelerregende Bauchkribbeln, das sie schon mit sechzehn verspürt hatte, wenn sie in den flachen Teil des Freibads ins Wasser gegangen war und er sie vom Aufsichtsturm aus von Kopf bis Fuß gemustert hatte.

„Du meinst also, es hat dir gefallen, was du gesehen hast?“

In seinen Augen blitzte genügend raubtierhaftes Interesse auf, um ihre Haut kribbeln zu lassen. „Jeder einzelne Zentimeter.“

„Das hat nichts zu bedeuten“, erwiderte sie lachend. „Dir würde auch ein Walross gefallen, wenn du glaubst, du könntest es glücklich machen.“ Die Anziehungskraft zwischen ihnen als nichts Persönliches hinzustellen war eine reine Abwehrmaßnahme. Und es funktionierte sogar besser, als sie gehofft hatte. Die sexuelle Spannung im Raum verpuffte so rasch, wie sie gekommen war.

„Ich bringe dir dein Frühstück“, schmunzelte er.

Cain wollte Sheridans Prellungen mit einer Kamillensalbe behandeln, aber nach ihrer Unterhaltung heute Morgen zog er es vor, damit zu warten, bis sie wieder wach war. Er war nicht besonders stolz darauf, sie angestarrt zu haben, als sie gestern Nacht unbekleidet vor ihm gelegen hatte. Es war klüger, kein weiteres Risiko einzugehen und sich nicht erneut der Versuchung auszusetzen.

Das Problem war, dass sie den ganzen Nachmittag schlief. Nachdem er die Berichte fertiggestellt hatte, die er an die Umweltbehörde schicken musste, und sich im Fernsehen ein Baseballspiel angeschaut hatte, wurde er unruhig. Normalerweise verbrachte er nicht so viel Zeit in geschlossenen Räumen. Wenn er nicht draußen in der Klinik oder irgendwo anders auf seinem Grundstück war, war er im Wald, um die Campingplätze zu kontrollieren, die Gebühren zu kassieren oder mit Impfstoffen präparierte Köder auszulegen, um der Tollwut vorzubeugen, die besonders Füchse und Waschbären bedrohte. Außerdem verfolgte er die Spuren verschiedener Tiere, die durch ihre ungewöhnliche Aggressivität aufgefallen waren, und sorgte dafür, dass nirgendwo Picknickreste herumlagen, durch die Bären angelockt werden konnten. Doch wer auch immer Sheridan angegriffen hatte, war immer noch irgendwo dort draußen, und deshalb wagte Cain nicht, sie allein zu lassen. Er konnte auch schlecht Owen bitten, herzukommen und auf sie aufzupassen. Nach dem, was Owen ihr letztes Mal erzählt hatte, wollte sie ihn garantiert nicht noch einmal sehen.

Zum Teufel, nachdem er das erfahren hatte, wollte er Owen genauso wenig sehen! Er versuchte gerade zu entscheiden, ob Koda und Maximilian als Schutz für Sheridan ausreichten, damit er eine Weile in die Klinik gehen konnte, als er draußen einen Wagen hörte. Erleichtert über die Pause, die die Eintönigkeit unterbrach, ging er zum Fenster, doch als er Amy sah, musste er zugeben, dass die Eintönigkeit ihm lieber war.

Als ihm die Kondome in seinem Truck einfielen, zog er eine Grimasse und beobachtete, wie sie aus ihrem Streifenwagen stieg. Sie sah sehr offiziell aus, als sie sich seinem Haus näherte, die Daumen hinter den Gürtel gehakt, aber Cain war ziemlich beunruhigt, dass Whiterock ihr eine Waffe anvertraut hatte. Er wusste nie, welche Amy er vor sich hatte, wenn sie hier aufkreuzte – die Frau, die ihn zurückhaben wollte, oder diejenige, die ihn umbringen wollte, weil sie ihn nicht zurückhaben konnte.

Er stieß die Tür auf, bevor sie klopfen konnte. „Irgendwelche Neuigkeiten?“

„Ein paar.“ Sie schürzte die Lippen, als sie ihn musterte, das zerzauste Haar, den Pullover der Tennessee Titans, die abgetragenen Jeans und das unrasierte Kinn. „Hast du ein Nickerchen gemacht?“

„Ich habe zu Hause gearbeitet.“

„Wie geht’s Sheridan? Erinnert sie sich an irgendetwas?“

Sie erinnert sich an das Wohnmobil. „Nein. Aber es geht ihr besser. Was hast du herausgefunden?“

„Ich würde es gerne euch beiden sagen. Kann ich sie sehen?“ Sie schenkte ihm ein zynisches Lächeln. „Oder hast du sie ans Bett gefesselt?“

Cain senkte die Stimme, für den Fall, dass Sheridan mitbekommen hatte, dass Besuch gekommen war, und langsam aufwachte. „Ich finde das nicht lustig, was du mir in den Truck gelegt hast“, sagte er. Unter anderen Umständen hätte er es gar nicht erwähnt. Es war einfacher, Amy zu ignorieren, anstatt sich auf ihre bescheuerten Psychospielchen einzulassen. Aber er langweilte sich und war einem Streit nicht abgeneigt.

Ihre Augen, wie üblich unter einer dicken Schicht aus Lidschatten und Mascara verborgen, wurden ein klein wenig schmaler. „Was habe ich dir denn in den Truck gelegt?“

„Beim Haus von Sheridans Onkel? Als ich ein paar Sachen für sie geholt habe?“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Als du da warst, war ich die ganze Zeit mit meinem Bruder zusammen.“

Cain runzelte die Stirn. „Ich weiß, dass du es warst. Es lag ja sogar eine Nachricht dabei.“

„Habe ich die Nachricht unterschrieben?“

„Das war nicht nötig. Ich kenne niemanden sonst, der mir sechsunddreißig Kondome schenken würde.“

Sie lachte, als sei das Spiel aus. „Ich schätze, dann sollte meine nächste Frage lauten, ob du noch welche übrig hast.“

„Verschon mich damit! Es ist drei Jahre her, seit ich mit einer Frau zusammen war.“

Sie zögerte, aber bevor sie antworten konnte, rief Sheridan im Gästezimmer nach ihm.

„Cain?“

„Sie ist wach. Lass hören, was du herausgefunden hast“, sagte er zu Amy und führte sie ins Haus.

Sheridan war mehr als nur ein bisschen überrascht, als Amy Smith – Amy Granger, korrigierte sie sich – mit einem selbstzufriedenen Lächeln ins Zimmer marschierte. Im Krankenhaus hatte sie den Eindruck gehabt, Amy sei entsetzt darüber, dass Sheridan Zeit mit Cain verbringen könnte.

Irgendetwas hatte sich verändert. Sheridan hoffte, dass Amy irgendwelche Hinweise darauf hatte, wer sie angegriffen hatte, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass es das war, was sie hergeführt hatte.

„Amy.“

Amy nickte. „Sheridan. Wie fühlst du dich?“

„Besser.“

„Was ist mit deinen Erinnerungen an den Überfall? Ist dir schon irgendetwas dazu eingefallen?“

„Nichts, das irgendwie weiterhelfen würde. Aber ich hoffe, du hast gute Nachrichten.“

„Kommt drauf an, wie du es betrachtest.“

„Cain sagte, ihr hättet im Haus keine Fingerabdrücke gefunden.“

„Das stimmt.“

Sheridan zog ihr Kissen höher, sodass sie sich aufrecht hinsetzen konnte. „Gibt es irgendwelche anderen Spuren?“

„Nein, auch nicht. Aber wir haben einen Zeugen.“

„Wofür?“, fragte Cain.

Amy blickte ihn demonstrativ an. „Jemand behauptet, du hättest dich am Abend seines Todes mit Jason gestritten, kurz bevor er losgefahren ist, um Sheridan abzuholen.“

Cains Gesicht unter der gebräunten Haut wurde noch dunkler. „Wer sagt das?“

Ihre Stimme klang triumphierend. „Robert.“

„Mein Stiefbruder war damals dreizehn Jahre alt.“

„Alt genug, um zu wissen, was ein Streit ist.“

Cain machte einen Schritt nach vorn. „Er war an dem Abend nicht einmal zu Hause. Er war mit meinem Stiefvater unterwegs.“

Amy schnipste einen Fussel von ihrer Uniform. „Du meinst also, dein Stiefvater würde deine Aussage bestätigen?“

Die Sekunde des Zögerns verriet Cains mangelndes Vertrauen, dass sein Stiefvater ihn unterstützen würde. „Andernfalls müsste er lügen.“

„Komisch, dass das ausgerechnet von dir kommt.“

„Was soll daran komisch sein?“

„Du hast mir gesagt, du hättest in der Highschool nicht mit Sheridan geschlafen. Du sagtest, ihr hättet keinen Sex miteinander gehabt.“

Cain verzog den Mund zu einer harten Linie, und Sheridans Herz begann zu rasen. Sie wollte nicht, dass ihr intimes Zusammensein ans Licht gezerrt wurde.

„Behauptest du das immer noch?“, fragte Amy herausfordernd.

Es gelang ihm, starrköpfig zu nicken.

„Und was sagst du dann dazu?“ Sie zog ein Blatt Papier aus der Tasche und strich es auf der Kommode glatt, ehe sie es Cain reichte. Er las laut vor.

„Ein paar Wochen vor Jasons Tod lag ich in unserem Etagenbett. Owen lag im Bett über mir, und wir haben uns über Mädchen unterhalten. Er sagte, er wüsste alles über Sex, aber ich glaubte ihm nicht. Er hatte noch nie eine Freundin, und er war erst vierzehn. Also sagte ich ihm, er sollte nicht so einen Schwachsinn verbreiten. Da erzählte er mir, dass er zugesehen hat, wie Cain…“

Cain hörte auf, aber Amy machte an seiner statt weiter, als wüsste sie jedes Wort auswendig. „… auf einer Party mit einem Mädchen geschlafen habe. Dieses Mädchen war Sheridan Kohl.“ Sie lächelte vergnügt. „Robert hat das unterschrieben. Es ist eine rechtmäßige Aussage.“

Sheridan wurde so heiß, dass sie meinte, jeden Moment spontan in Flammen aufzugehen. Owen hatte jemandem davon erzählt. Und jetzt erzählte Robert es allen anderen.

„Amy, was soll das?“ Cain sprach mit leiser Stimme, seine Worte waren eher eine Warnung als eine Frage.

Vor Eifersucht und Hass wurden ihre Augen schmal. „Warum hast du gelogen?“

„Weil ich sie nicht verletzen wollte. Verstehst du das nicht?“

„Dir ist es doch egal, ob du irgendjemanden verletzt.“

„Es war eine einmalige Sache. Es hatte nichts mit Jasons Tod zu tun.“

„Mach dir doch nichts vor! Es gib dir das beste Motiv, das wir bisher haben.“

Sie streckte die Hand nach dem Blatt Papier aus, aber Cain hielt es außerhalb ihrer Reichweite.

Ihr Lachen klang spröde. „Auch gut. Behalt es ruhig. Ich brauche es nicht. Ich kann Robert jederzeit noch einmal fragen.“ Sie wandte sich an Sheridan, den Mund spöttisch verzogen. „Du streitest es doch nicht ab, oder?“

Sheridan wollte es, aber es war sinnlos. Sie war sicher, dass ihr Gesicht sie bereits verraten hatte. „Nein.“

Watch Me - Blutige Spur
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