5. Hilfe, ich hab nichts zum Anziehen

Der Kampf ums neue Kleid

Wer kennt sie nicht, die Verzweiflung beim dringend gebotenen Kauf eines neuen Kleides. Da hat sich in den letzten Jahren ein bisschen Fett angehäuft. Vor allem an den falschen Stellen. Du stehst unglücklich vor einem viel zu großen Spiegel in einer viel zu kleinen und viel zu heißen Umkleidekabine und möchtest am liebsten heulen. Egal, welchen Fummel du anprobierst, er steht dir einfach nicht. Egal, was die Schnepfe sagt, die vorgibt, dich zu beraten.

Das ist der Augenblick, in dem man dann üblicherweise a) einen Schweißausbruch (nur partiell hormonell bedingt) und b) einen Wutanfall bekommt. Du hast zwei Möglichkeiten zu reagieren. Entweder du reißt dir den Fummel vom Leib, drückst ihn der Schnepfe wortlos in die Hand und stürmst empört Richtung Ausgang. Oder du holst tief Luft und scheuchst die Schnepfe durch den Laden, bis die einen Schweißausbruch und einen Wutanfall bekommt. Die zweite Version ist der ersten entschieden vorzuziehen, da sie den Vorteil hat, dass du ab und zu doch noch mal zu einem neuen Kleid kommst und außerdem deine Wut abreagierst.

Also, wir haben festgestellt, es wird im Laufe der Jahre entschieden schwieriger, etwas Vernünftiges zum Anziehen zu finden. Das liegt weniger an dir und deinen Pölsterchen (nimm sie bitte einfach hin, dein Stoffwechsel hat sich verlangsamt), sondern vor allem an dem, was man uns als Mode verkaufen will. Du bist jetzt in einem Alter, für das es drei Möglichkeiten gibt: Entweder du gehst in eine Boutique, dort findest du Klamotten, die für Zwanzigjährige gemacht sind. Oder du gehst in ein Kaufhaus in die Abteilung für die reifere Dame und dort findest du Klamotten, die selbst deiner Mutter nicht stehen. Oder du gehst zu den großen Couturiers wie Yves Saint Laurent, Laura Biagiotti, Jil Sander, wo du ein durchschnittliches Monatsgehalt brauchst, um einen Fummel zu erstehen, der an Kleidergröße 34 vielleicht noch gut aussieht.

In der Boutique findest du alle Farben, die dir garantiert nicht mehr stehen. Ein freundliches Grau, ein aufmunterndes Schwarz, ein schlammiges Braun und vielleicht noch dieses frisch machende Aubergine. Ach, halt, ich vergaß, das sind ja deine Farben. Hand auf’s Herz: Wie viele schwarze, taupefarbene (wobei ich bis heute nicht genau weiß, was taupe eigentlich ist) oder graue Klamotten hängen in deinem Schrank? Schön unauffällig, nicht wahr? Die du immer dann anziehst, wenn du einen Tag hast, auf den du so überhaupt keine Lust hast. Also ziemlich oft in letzter Zeit, stimmt’s?

Alternativ findest du in Boutiquen noch maigrüne String-T-Shirts im Angebot, lilafarbene Superminis oder orangefarbene Bodies. Wenn die Mode gerade auf weit eingestellt ist, siehst du in den Dingern aus wie in einem Kartoffelsack. Wenn die fashionable Welt gerade beschlossen hat, einen auf 70er Look zu machen, dann legen sich diese Fummel wie Wurstdärme um deinen Rettungsring. Also empfehle deine Lieblings-Boutique deiner Tochter oder einer jungen Kollegin und mache dich auf die Suche nach was Neuem.

In der Abteilung für die reifere Dame findest du alles, was du nie tragen wolltest und deshalb auch nicht solltest. Großgeblümte, weite Kleider, plissierte, weit schwingende Röcke, Blazer mit Rabatten von Goldknöpfen und eingenähtem Taschentuch sowie diese unsäglichen Sets mit Rock, Strickjacke (auch mit Goldknöpfen) und Schleifenbluse. Natürlich passen dir die Dinger und du kannst das auch tragen, allerdings nur unter der Bedingung, dass du zwanzig Jahre älter aussehen willst.

Die Coutureshops kann ich dir aber leider auch nicht empfehlen. Der abschätzende Blick, der dich am Eingang trifft, macht dich so sauer, dass du, wenn du das Material dabei hättest, gleich zur Bombenattentäterin werden könntest. Oder du darfst so lange mit einem lächerlichen Fähnchen für schlappe zweitausend Euro hinter einer zwanzigjährigen Russin warten, die gerade das Schwarzgeld ihres Lovers unter die Leute bringt, dass nicht nur deine Fußsohlen brennen, sondern auch dein Geduldsfaden reißt.

Brauchst du alles nicht. Du besitzt vier Jeans und dazu passende T-Shirts und Pullover. Reicht. Toller Look, so hast du dich schon gekleidet, als du noch in die Schule gegangen bist. Nur: Du gehst nicht mehr zur Schule.

Was tun? Der einzige Rat, den ich geben kann, ist suchen, suchen, suchen. Und wenn Heerscharen von Verkäuferinnen Schweiß- und Wutausbrüche bekommen, du hast es verdient, gut angezogen zu sein. Und zwar mit verdammt viel Arbeit hart verdient.

Und so macht man das zeitökonomisch: Geschäfte mit vielen Goldknöpfen im Schaufenster kannst du gleich weiträumig umkurven. Mein Vater sagte immer angesichts des jährlichen Weihnachtsbaums: „Wo keine Zweige sind, da muss Lametta hin.“ Bitte tu dir das nicht an, Lametta macht uralt.

Geschäfte, die beim ersten Blick nur Leinen in Aschetönen anbieten, kannst du sofort wieder verlassen. Wenn du deine Asche dort lässt, siehst du aus, als ob du in den dazugehörigen Eimer gehörst. Es sei denn, du bist Sammlerin von dekorativen Tüchern, die so bunt die Halsfalten kaschieren. Mit denen kannst du auch die deprimierendsten Grautöne noch halbwegs gesichtsfreundlich gestalten. Oder du kaufst dir bunte Stoffreste und nähst dir draus einen dekorativen Schal.

Am leichtesten wird man in kleineren Geschäften fündig, in denen die Verkäuferinnen bereits die magische Schwelle der 35 überschritten haben. Die drehen dir nicht diese schicken, ärmellosen Kleider mit tiefem Ausschnitt an, da sie wissen, dass dich die Anprobe eines solchen Kleides für Tage in ein Tal der Depressionen stürzen kann. Wenn du ein Geschäft gefunden hast, in dem dir mal was steht, dann solltest du es regelmäßig aufsuchen. Die Verkäuferin wird dich mit strahlendem Gesicht willkommen heißen und sie wird dir wahrscheinlich die neu eingetroffenen Sachen aus dem Lager holen, weil sie bald weiß, was dir gefällt.

Mein letzter Tampon
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