25 Die Pflichtverteidigerin

Bienzobas war ausgesprochen redegewandt, während seine Mimik von der Anstrengung geprägt war, bloß nicht das Heft aus den Augen zu verlieren. Er konnte es nicht leiden, wenn man ihm riet, eine Brille zu tragen, erst recht seit ihm bei einem Streit eine Brille, die er in einem Müllcontainer am Paseo de Gracia gefunden und die ihm hervorragend gestanden hatte, zu Bruch gegangen war. Brillen verderben nur die Augen, pflegte er zu sagen, und noch schlimmer seien solche mit der richtigen Stärke, die bekämen einem absichtlich nicht, damit man sein ganzes Erspartes beim Augenarzt und Optiker lässt. Deshalb hielt er sich das Papier so dicht wie möglich vor die Augen und gab eine improvisierte Zusammenfassung seiner Notizen.

»Am produktivsten war die Sache mit dem Müll. Wir haben so viel wie möglich durchsucht, im Umkreis, den du uns gezeigt hast, Cayetano. Der Müll in der Vía Layetana beweist, dass diese Leute einfach nicht dazulernen. Wir haben Notizen des Chefs gefunden, in denen er sich über die Beziehungen zu einem gewissen Aquiles und die Gefahren einer Wiederherstellung der argentinischspanischen Geheimoperationen auslässt. Es ist der Entwurf einer Nachricht an den Beauftragten der spanischen Regierung. Caretos Tochter, die im Hotel Juan Carlos die Scheiße der Reichen wegmacht, hat die Schnipsel gefunden, die der sogenannte Aquiles dort entsorgt hatte. Wir haben auch eine Liste mit Aquiles’ Anrufen, die er vom Hotel aus nach Argentinien geführt hat. Wir haben seine Verbindungen zu diesen Skinhead-Mackern mit dem Motorrad verfolgt. Das mit dem Privatdetektiv war ganz schön heftig. Sie haben sein Büro kurz und klein geschlagen, und drei unserer Kumpels haben ihre Zeit damit verbracht, eine Inventur der Späne zu machen. Wir wissen alles über diesen Zeitgenossen, ebenso über seine Küchenhilfe und eine gewisse Charo, die mal Callgirl war und jetzt dank eines hohen Funktionärs der katalanischen Regierung als Empfangsdame in Andorra arbeitet. Olavarría und Osorio watscheln hinter dem Dicken her wie Donald Ducks Neffen hinter ihrem Onkel. Was Dorotea Samuelson betrifft, die ist mit diesem Schauspieler aus der Villa Olímpica verduftet, die beiden haben sich in einem Haus in Vallvidrera versteckt, das nur Zettel mit lateinischen Botschaften, Einkommenssteuererklärungen und nach marinierter Schweinelende duftende Töpfe verlassen. Bref, wie es auf Französisch heißt, Cayetano, du verfügst über ein richtig nettes Beweisdreieck: der Argentinier Aquiles, eine Führungsspitze aus Politikern und Polizisten und die rechtsradikalen, muskelbepackten Glatzköpfe. An ihren Abfällen sollt ihr sie erkennen.«

»Ausgezeichnet, so wie immer.« Reme hatte das Wort ergriffen. »Und was nun? Sind diese Abfälle vielleicht Beweismaterial? Welcher Richter erkennt schon Müll als Beweismittel an?«

»Die machen doch den ganzen Tag nichts anderes«, entgegnete Bienzobas.

»Einmal angenommen, Cayetano nimmt die Morde auf sich. Wie verbreiten wir die Nachricht?«

Cayetano räusperte sich, zog ein gefaltetes Blatt Büttenpapier aus der Tasche, faltete es auseinander und verkündete mit zahnlosem Mund:

»Hier steht es schwarz auf weiß, auf Büttenpapier und mit einer Stempelmarke zu drei Peseten.«

»Warum drei?«

»Weil ich einen Satz verblichener, schlecht klebender Stempelmarken zu drei Peseten aus einem Müllcontainer auf der Rambla Cataluña gefischt habe, dem vor dem Haus des Notars.«

»Was der nicht alles hat.«

Reme und Cayetano gingen gemeinsam bis zum Parkplatz auf der Plaza Garduña. Dort betrat Reme die Boquería, um die Sardinenreste abzuholen, die ihr eine Fischhändlerin für ihre Katzen aufhob. Das Wichtigste sei Organisation, beharrte Reme, Organisation und noch mal Organisation, immer vorausgesetzt, die Organisation entspreche einem Programm, Programm, Programm, denn früher oder später müssten die Obdachlosen eine verfassungsgebende Phase durchlaufen.

»Wegen jedem Popel wird heute eine NGO gegründet. Warum machen wir das nicht?«

Reme hatte einer Partei angehört, die kommunistischer als die Kommunisten war, und das merkte man ihr an, dachte Cayetano, während er sich dem Ort der Verhaftung näherte, wo er den Wagen mit seinen Habseligkeiten abgestellt hatte, ein Ort, den auch Lifante kannte. Dort warteten sie auf ihn wie Geier, die der Gestank von Aas herbeigelockt hatte. Sie sagten den gleichen Mist zu ihm wie immer, mit demselben Spott wie immer, und waren überrascht, als Cayetano mit ernster Stimme erklärte:

»Weil das hier eine Festnahme ist, obendrein eine wiederholte, verlange ich die Anwesenheit meines Pflichtverteidigers.«

»Wenn es ein Pflichtverteidiger ist, heißt das, dass du keinen Anwalt hast, deshalb ist es nicht korrekt, mein Pflichtverteidiger zu sagen.«

Sie waren bereits auf der Polizeiwache, als Lifante ihn in die sprachliche Genauigkeit einführte, und Cifuentes mal trällerte, mal schrie:

»Auf geht’s, ein Pflichtverteidiger!«

Der Anwalt, der eine Anwältin war, betrat das Zimmer. Blond, so jung, dass sie mit dem Personalausweis im Mund herumlief, so schüchtern, dass sie ihre Tasche aus Angst, die Polizisten könnten sie ihr stehlen, mit beiden Händen an sich presste, so weiß, dass sie wie ein Opfer des übelsten Sonnenscheins der übelsten Viertel der Stadt wirkte, und mit einer Stimme wie ein Glasglöckchen, kurz und gut, echt spitze, echt spitze, dachte Cayetano, als er die schmerzlindernde Wirkung sah, die die junge Frau auf die Polizisten hatte. Er bat um Erlaubnis, sich mit seiner Pflichtverteidigerin besprechen zu dürfen. Lifante gestattete es ihm.

»Nur zu. Das Ganze ist sowieso klar wie Kloßbrühe.«

Die junge Frau hatte Respekt und Angst zugleich vor dieser schmutzigen anthropomorphen Lumpengestalt, ohne Zähne und mit Augen, die vor Verschlagenheit und Müdigkeit gerötet waren.

»Señorita, die wollen mir was in die Schuhe schieben, ich soll irgendeine Scheiße schlucken.«

»Hier gibt es weder Schläge noch Scheiße«, erwiderte die Blondine entschlossen, rutschte aber auf dem zweiten Sch aus, als wäre sie es nicht gewohnt, ein solches Wort zu benutzen.

»Wie heißen Sie?«

»Cayetano Álvarez del Pas y Ruiz Urdiales. Und Sie, Señorita, Euer Gnaden?«

»Margarita González.«

»Ich glaube, ich hab Sie schon mal in Nou Barris gesehen.«

»Ich wohne dort mit meinen Eltern.«

Cayetano fasste sich an die Ellenbogen und zwinkerte ihr zu.

»Ich kenne halb Barcelona, weil ich Leute wie Sie sehe, Sie mich aber nicht sehen oder mich nicht sehen wollen, verstehen Sie, Señorita? Eine Zeitlang hab ich einen auf Sterbenden gemacht, mit einem Hündchen und einem Pappschild, auf dem stand: ›Ich habe Hunger!‹ Hunde erregen Mitleid, mehr als wir. Ein lieber, herzerweichender Hund, einer von denen mit großen, traurigen Augen, ist eine wahre Goldmine. Aber was ich Ihnen eigentlich sagen wollte, Señorita, während man sich taub stellt, kann man gut die Reaktionen der Leute beobachten, sie kennenlernen und eine ganze Menge Gesichter abspeichern. Nou Barris also, was? Ein Mädchen vom Dorf, das sich mit den Ellbogen nach oben gekämpft hat. Das gefällt mir. Ganz mein Spiel, Señorita. Von Dorfjunge zu Dorfmädchen: Erschrecken Sie nicht, haben Sie keine Angst, vor nichts, Cayetano hat viele Nächte im Freien auf dem Buckel, und im Freien lernt man den Sinn des Lebens kennen, Señorita. Sie haben doch bestimmt Freunde bei der Presse. Junge Journalisten in Ihrem Alter, die noch Moral haben. Können Sie die mobilisieren? Wir Penner haben keine Presse.«

Lifante verlor allmählich die Geduld, sein Sekretär saß bereits vor der Maschine und wartete auf das Geständnis.

»Du wirst kooperieren, Cayetano, wir haben viel Zeit, und die Sache ist eindeutig. Du und Palita, ihr wart ein, sagen wir, Geschäfts- und Liebesbündnis, als plötzlich dieser Argentinier auftaucht und euch entzweit, du nimmst es hin, bis du irgendwann die Geduld verlierst, dir brennen die Sicherungen durch, du weißt nicht mehr, was du tust.«

»Temporärer Wahnsinn«, schaltete sich Celso Cifuentes ein.

»Denen fällt schon noch was Spektakuläreres ein, Cayetano. Du vegetierst doch eh den ganzen Tag auf der Straße vor dich hin. Die stecken dich höchstens ein paar Jährchen hinter Gitter. Drei? Mehr bestimmt nicht. Du wirst dort wie ein Fürst leben.«

Cayetano schüttelte den Kopf und präsentierte der Anwältin sein schönstes zahnloses Lächeln. Plötzlich fing er an zu lachen. Dann zu weinen.

»Ich werde verfolgt, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht verhaftet und nackt ausgezogen werde.«

»Nackt? Bist du jetzt etwa nackt? Spielst du dich so auf, weil deine Anwältin im Raum ist?«

»Die ziehen mich jedes Mal aus, Señorita, jeder weiß, dass du im Gefängnis deinen Arsch und auf der Polizeiwache deine Eier schützen musst.«

Lifante machte der Anwältin ein Zeichen, ihm in eine Ecke des Zimmers zu folgen, wo er wohlwollend auf sie einredete.

»Die Sache ist völlig klar, Señorita. Er hat nicht alles gestanden, weil Sie hier sind. Das Vernünftigste wird sein, wenn Sie ihm raten, mit uns zu kooperieren. Unter uns, das ist ein ziemlich unwichtiger Fall, eine Angelegenheit zwischen Leuten vom Rand der Gesellschaft. Welches Interesse sollten wir haben, diesen armen Kerl in Ketten zu legen? Und der Richter? Der wird ihm keine zehn Minuten widmen.«

Plötzlich macht Lifante ein besorgtes Gesicht. Über die Schulter der Blondine hinweg sieht er Carvalho durch den Flur laufen. Der Detektiv scheint jemanden zu suchen.

»Entschuldigung.«

Lifante geht auf ihn zu, bleibt dann aber stehen und lenkt die Aufmerksamkeit des Detektivs mit einem lauten st! auf sich, das die gesamte Einheit alarmiert. Carvalho nähert sich dem seltsamen, aus dem Semiologen und der blassen jungen Frau bestehenden Paar.

»Tourismus?«

»Leichen. Die von Pepita de Calahorra schreit zum Himmel. Der Fall wird allmählich zu kompliziert für Sie, Lifante.«