Lucifent - König der Vampire und ein niedlicher Bengel
Ich folge Magnus durch die leere Halle und frage mich, wo sich die anderen Vampire verstecken. Oder wo sie essen.
Schluck. Bei dem Gedanken beschleunige ich meine Schritte, um mit seinem Tempo mithalten zu können.
Wir gehen einen langen, von gedämpften Lampen gesäumten Flur hinunter. Nichts in dieser Gruft ist besonders hell, wie mir auffällt. Wahrscheinlich bekommt zu viel Licht den Vampiraugen nicht.
Am Ende des Flurs kommen wir in eine Wandelhalle, wo an einem Schreibtisch eine dünne blonde Frau sitzt, die sich mit gelangweilter Miene die Nägel feilt. Sie sieht aus wie jemand, den ich kenne, aber irgendwie kann ich sie nicht unterbringen.
»Hey, Marcia«, spricht Magnus sie höflich an.
Das ist es! Sie sieht aus wie Marcia Brady aus Drei Mädchen und drei Jungen. He.
Marcia blickt auf und ihre Augen weiten sich vor Freude, als sie Magnus entdeckt. »Oh, Magnus!«, ruft sie und ihre Stimme ist hoch und kokett und amerikanisch. »Ich freue mich ja sooo, dich zu sehen! Es ist viel zu lange her, mein Liebling.«
Hmm. Ich schätze, dieser Typ turnt nicht nur uns Sterbliche an. Er hat auch Groupies unter den Vampiren. Na, so was.
Ich unterdrücke ein kurzes Aufflammen von Eifersucht.
Was lächerlich ist. Schließlich, Blutsgefährte hin oder her, ich will auf keinen Fall mehr etwas mit Magnus zu tun haben, sobald diese Vampirgeschichte geregelt ist. Wenn Marcia ihn also will, dann kann sie ihn, was mich betrifft, gern haben.
Ich klinke mich wieder in das Gespräch ein.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Marcia, Liebling«, sagt Magnus mit seiner tiefen Baritonstimme. »Wie ist es dir so ergangen?«
Die Vampirsekretärin läuft dunkelrot an. Mann, die hat's aber erwischt! Marcia, Marcia, Marcia! »Sehr gut, danke«, antwortet sie und kichert dann.
Ich könnte kotzen, wenn ich das sehe.
»Ähm, hallo?«, werfe ich ein, um das Gefühl der Übelkeit abzuwehren. »Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit.«
Marcia wirft mir einen bösen Blick zu. »Wer ist das?«, fragt sie hochmütig. »Noch ein Anfänger? Wir sind heutzutage wirklich tief gesunken, wie?«
»Bitte?«, sage ich und ziehe eine Augenbraue hoch.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, das zu wiederholen?«
Vampir hin oder her, so was lasse ich mir nicht gefallen.
»Meine Damen, bitte«, sagt Magnus mit gequälter Miene.
»Marcia, wir sind hier, um mit Lucifent zu sprechen. Ist er bereit, uns zu empfangen?«
Marcia wirft mir ein letztes zorniges Funkeln zu, dann drückt sie schmollend auf die Gegensprechtaste ihres Telefons. »Ihr Acht-Uhr-Termin ist hier«, murmelt sie.
»Schick sie herein.«
Sie deutet mit dem Kopf auf die kunstvolle Mahagonitür hinter ihr. »Er ist ganz für euch da.«
Ich folge Magnus in das hintere Büro und bleibe nur einen Moment lang stehen, um Marcia die Zunge rauszustrecken.
Kindisch, ich weiß, aber sooo befriedigend.
Lucifents Büro erweist sich als ebenso exquisit wie der Rest des unterirdischen Zirkels. Das Einzige, was fehlt, sind Fenster. Diese Geschichte, dass man keine Fenster haben darf, wäre grässlich für mich, wenn ich auf Dauer ein Vampir bleiben müsste. Obwohl die Picassos an der Wand vielleicht eine gewisse Entschädigung dafür wären. Die Böden sind aus poliertem Holz, in der Mitte des Raums prangt ein riesiger Mahagonischreibtisch.
Hinter dem Schreibtisch sitzt Haley Joel Osmond, der kleine Junge aus diesem unheimlichen Film Sixth Sense.
Okay, es ist vielleicht nicht Haley Joel persönlich. Aber dieser Junge sieht ihm ausgesprochen ähnlich - er ist genauso blond und großäugig. Definitiv ein niedlicher Bengel. Er muss wohl Lucifents Sohn sein oder so etwas.
Ich meine, wer weiß, vielleicht ist heute Familientag in der Vampir AG.
»He, du«, sage ich und beuge mich vor, um ihn anzulächeln. Ich liebe Kinder. So süß und unschuldig und voller Leben, bevor die Jahre sie zu mürrischen, sarkastischen Bälgern formen, die ihre eigenen Mütter für einen Joint verkaufen würden. »Du bist so niedlich. Ich wette, dein Daddy ist sehr stolz auf dich.
Wie alt bist du jetzt?«
»Oh, ungefähr dreitausend Jahre, plus/minus hundert«, faucht der Junge und sein glückliches Babygesicht nimmt einen ausgesprochen angekotzten Ausdruck an. »Magnus«, wütet er. »Was hat das zu bedeuten?«
Ich blicke zu Magnus hinüber, der gleichzeitig wütend, verängstigt und nervös wirkt.
»Es tut mir leid, Mylord«, sagt er und verbeugt sich vor dem Kind. »Sie weiß es nicht.«
O-kay, schön. Ich schnall es nicht. Ich hätte wirklich diesen blöden Blog lesen sollen.
Magnus erhebt sich aus seiner unterwürfigen Verbeugung und dreht sich zu mir um. »Sunny«, zischt er mit gepresster Stimme. »Das ist Lord Lucifent, Anführer des Blutzirkels.
Hoher Priester der östlichen Vampirunion der Vereinigten Staaten von Amerika.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und schaue zu dem Kind hinüber, das hinter dem riesigen Schreibtisch sitzt. »Haley Joel Osmond ist euer furchtloser Anführer?« Ich fange an zu lachen. Ich kann einfach nicht dagegen an. Es ist so komisch, sich diesen kleinen Dennis allein zu Haus als Anführer der Vampire vorzustellen. Schon bald lache ich so heftig, dass mir die Tränen über die Wangen rinnen. Dieser Junge ist es, vor dem alle Angst haben? Der allmächtige Lucifent? Ich kann nur mit Mühe dem Drang widerstehen, dem kleinen Schurken in die Wangen zu kneifen.
»Könntest du sie bitte zum Schweigen bringen?«, verlangt Lucifent mit einer entzückenden, quiekigen Kleinjungenstimme. He. Er wirkt fuchsteufelswild. Genau wie Magnus übrigens.
»Sunny, hör mir zu«, faucht Magnus mich an. Seine Stimme klingt erheblich einschüchternder als die von Klein Lucifent. »Wenn du dich nicht mit dem Gedanken anfreunden willst, für den Rest deines Lebens ein Vampir zu bleiben, möchte ich dir vorschlagen, auf der Stelle aufzuhören zu lachen.«
Oh. Okay, wenn man es so ausdrückt. . . Ich ringe mein Kichern nieder und setze eine ernstere Miene auf. »Tut mir leid«, murmele ich.
»Jetzt verbeug dich vor Lucifent«, zischt Magnus mir aus dem Mundwinkel zu. »Und bezeuge unserem Lord deinen Respekt.«
Oh, heiliger Bimbam! Aber meinetwegen, alles, was notwendig ist, klar? Ich mache einen kleinen Knicks und komme mir dabei ein bisschen lächerlich vor.
»Wer ist diese ignorante Frau, Magnus, und warum hast du sie zu mir gebracht?«, fragt Lucifent scharf. »Ich bin entsetzt über so viel Respektlosigkeit.«
Magnus tritt von einem Fuß auf den anderen. »Also, Sir, die Sache ist die, es hat eine... ähm...«
»Es hat eine Verwechslung gegeben«, erkläre ich, weil ich finde, dass er ein wenig Schützenhilfe braucht.
Magnus wirft mir einen gequälten Blick zu und wirkt überhaupt nicht dankbar für meine Hilfe. Wow, er scheint wirklich nervös zu sein. Und normalerweise ist er so selbstbewusst. Sogar arrogant. Dieser Lucifent-Bursche, süßes Kind hin oder her, muss in Vampirkreisen ausgesprochen mächtig sein. Wie ein Mafiapate oder so was.
»Was soll das heißen, eine Verwechslung?«, fragt Lucifent mit gepresster Stimme.
»Nun, d-das ist Sunshine McDonald«, antwortet Magnus und deutet auf mich. »Sie hat eine, ähm, eineiige Zwillingsschwester namens Rayne.«
»Und warum soll mich ihr Familienstammbaum interessieren?«
Magnus schluckt hörbar. »Ihre Zwillingsschwester hat die gesamte Ausbildung durchlaufen. Sie ist mir als meine Blutsgefährtin zugewiesen worden.«
Lucifents Gesicht ist ziemlich rosa angelaufen. Ich glaube, er versteht endlich, worauf Magnus hinauswill. Für den Konig der Vampire hat er eine etwas lange Leitung, wenn du mich fragst.
»Und ich habe die falsche Schwester gebissen«, gesteht Magnus und senkt den Blick auf den Boden, das Gesicht flammend rot vor Verlegenheit.
»Du hast was?«, ruft Lucifent, jetzt noch wütender als zuvor über mein Gelächter. Magnus zuckt zusammen, als sei er geschlagen worden. »Du hast die falsche Person gebissen? Jemanden, der keine Verzichtserklärung unterschrieben hat? Den wir nicht zuerst getestet haben?
Der die Ausbildung nicht durchlaufen hat?« Er lässt eine winzige Faust auf den Schreibtisch krachen und ich unterdrücke ein neuerliches Kichern. Ich kann nicht dagegen an, er ist einfach so verdammt süß. »Wie konntest du, Magnus? Du wertloser Schleimbeutel! Du bist absolut nutzlos. Wahrhaftig, ich hätte dich in diesem maurischen Gefängnis verrotten lassen sollen. Ich habe dir ewiges Leben gegeben. Maßlose Reichtümer. Macht, die die Vorstellungskraft eines Sterblichen übersteigt. Und so vergiltst du mir meine Güte?«
Magnus sieht so aus, als wäre er am liebsten unter den Schreibtisch gekrochen, um zu sterben. Er tut mir fast leid.
Ich meine, he, mir gefällt es genauso wenig wie jedem anderen hier, dass er diese Sache vermasselt hat, wahrscheinlich gefällt es mir noch weniger als den anderen, da dies direkte Konsequenzen für mich und mein Leben hat. Aber trotzdem, wir machen alle Fehler. Diese verbale Tracht Prügel ist nicht nötig. Ich frage mich, ob Vampire Gewerkschaften haben. Magnus könnte diesem Burschen so was von Ärger machen.
»Hör mal, Kumpel, es ist wirklich nicht Magnus' Schuld«, mische ich mich ein und versuche, Lucifents Zorn ein wenig zu entschärfen. »Ich meine, Rayne und ich sehen genau gleich aus. Nicht mal unsere Mom kann uns auseinanderhalten.«
»Halt den Mund, Sterbliche«, faucht Lucifent. Offenkundig ist er nicht für seinen Charme allein zum König der Vampire aufgestiegen.
»Es tut mir leid, Mylord«, sagt Magnus und verbeugt sich tief.
»Ich weiß, ich habe einen schrecklichen Fehler begangen.
Und ich bin bereit, den Preis dafür zu zahlen.«
»Das ist sehr nett von dir. Denn du wirst zahlen, so viel steht fest« pflichtet Lucifent ihm mit einem selbstzufriedenen Grinsen bei. Als genösse er Magnus' Qualen. Loser. »Du wirst gut bezahlen.«
»Also, Schuldzuweisungen sind ja schön und gut«, unterbreche ich ihn. »Aber wir sollten einen Zacken zulegen und mehr lösungsorientiert arbeiten. In sechs Tagen, so hat man mir gesagt, werde ich mich in einen Vampir verwandeln, es sei denn, die ganze Geschichte ließe sich rückgängig machen. Also bin ich hier, um herauszufinden, wie das funktionieren soll. Sagen Sie es mir und Sie sind mich los.«
»Dafür würde ich alles tun«, murmelt Lucifent. »Also schön. Ich werde dir sagen, was du tun musst.«