Jake Wilder: Traumtyp und ... Schulball-Date?
Nachdem ich einen Teil von Raynes verrücktem »Jungs-zum-Anbeißen«-Blog gelesen und einige Links im Vampirwebring aufgerufen habe (ja, es gibt wirklich einen Vampirwebring), kriege ich von dem grellen Bildschirm Kopfschmerzen. Also sage ich meiner Schwester Gute Nacht und ziehe mich in die dunkle Sicherheit meines Zimmers zurück, wo ich mich unter der Decke zusammenrolle und einzuschlafen versuche.
Aber ich kann nicht. Ich bin zu aufgedreht von Angst und Verwirrung und Gott weiß was noch. Außerdem juckt die Stelle, an der Magnus mich gebissen hat, wie verrückt. Also wälze ich mich hin und her und frage mich, was ich tun soll.
Was ist, wenn die Transformation nicht rückgängig gemacht werden kann? Was, wenn in sieben Tagen ich, Sunshine
McDonald, für alle Zeit ein Vampir werde? Das bedeutet, keine Abschlussprüfungen. Kein Schulball. Keinen sonnigen Trip auf die Bahamas mit meinen Freunden in diesem Sommer.
Kein College. Ich werde mich in der Abendschule einschreiben müssen oder so was. Vielleicht haben die Vampire ja ihre eigene Universität; es scheint tatsächlich, als wären sie ziemlich organisiert.Welche Anforderungen man in deren Zulassungstest wohl erfüllen müssen?
Das nervt. Ich habe das ganze Leben noch vor mir und jetzt werde ich es vielleicht gar nicht leben können, bloß wegen dieser Verwechslung. Zum Teufel mit Rayne und ihrem blöden Blog und ihrer blöden Idee, dass sie auf diese Weise das blöde Geheimnis zum ewigen Leben finden kann. Was hat sie sich bloß dabei gedacht? Und warum musste sie mich da mit reinziehen?
Gerade als die Sonne über den Horizont lugt, gelingt es mir endlich einzuschlafen. Ungefähr fünf Minuten später, so kommt es mir vor, geht mein Wecker los und plärrt Songs aus den Achtzigern. Der DJ von heute Morgen weckt mich mit Michael Jacksons »Thriller«.
Wie passend.
Ich taumele groggy aus dem Bett und in die Dusche. Es ist eiskalt im Haus und das heiße Wasser fühlt sich gut an auf meinem Körper. Ich versuche herauszufinden, ob ich mich irgendwie anders fühle. Ob ich den Drang verspüre, irgendjemandes Blut auszusaugen. Aber nein, noch nicht, Gott sei Dank. Willige Spender hin oder her, diesen Teil des Ganzen würde ich gern so lange wie möglich hinauszögern, vielen Dank. Vielleicht könnte ich ja ein magersüchtiger Vampir werden? Ich frage mich, ob mir diese Geschichte als kleine Entschädigung helfen wird, ein paar Kilo abzunehmen?
Ich steige aus der Dusche und öffne das Medizinschränkchen. Eine schwindelerregende Ansammlung von Sonnenschutzcremes starrt mir entgegen.
So was Blödes, ich habe ganz vergessen, Magnus nach dem richtigen Lichtschutzfaktor für die Schule zu fragen.
Am Ende entscheide ich mich für den goldenen Mittelweg, Faktor fünfzehn, wer weiß, vielleicht fällt bei der Sache wenigstens ein brauner Teint für mich ab. He. Dann wäre ich der erste Vampir, der aussieht, als hätte er eine Kreuzfahrt durch die Karibik hinter sich.
Nachdem ich mich mit der Creme eingerieben habe, fällt mir ein, dass ich mich auch um die purpur angelaufene Bisswunde an meinem Hals kümmern sollte. Wenn jemand die sieht, wird er sie für einen Knutschfleck halten und ich habe so was von keine Lust, mich obendrein noch mit einem heimlichen Lover mit einer Schwäche für meinen Hals aufziehen lassen. Allerdings könnte ich natürlich erzählen, ich hätte mir den Hals mit dem Lockenstab verbrannt, wie Mary Markson es tut, wenn Nick an ihr rumgemacht hat, aber ihr glaubt auch niemand.
Ich stöbere in meinem Kleiderschrank und muss feststellen, dass ich herzlich wenig Klamotten habe, die dazu geeignet wären, meinen Hals zu verdecken. Was höchstwahrscheinlich daran liegt, dass ich vor diesem Morgen nie einen Grund hatte, ihn zu verstecken.
Schließlich finde ich ganz hinten im Schrank einen alten schwarzen Rollkragenpulli. Ich glaube, der gehört
eigentlich Rayne, aber er wird seinen Zweck erfüllen.
Natürlich werden mich die anderen für einen ziemlichen Freak halten, dass ich im Mai mit einem Rollkragenpulli rumlaufe. Aber was soll ich machen? Ich bin ein Teenie-Vampir-Fashion-Victim.
Solange mich bloß niemand für einen Gothic hält...
Die Schule ist okay, obwohl ich so beschissen müde bin, dass es mir schwerfällt aufzupassen. Und wie es aussieht, ziehe ich die Fragen der Lehrer plötzllich magnetisch an.
Ich ruhe gerade mal eine winzige Sekunde lang meine Augen aus und im nächsten Moment piesackt man mich damit, dass ich Pi ausrechnen soll oder so was. (Was ich nicht mal in gut ausgeschlafenem Zustand schaffe und wenn ich mich gerade nicht in einen Vampir verwandle.)
Ich esse mit einigen Mädchen aus der Feldhockeymannschaft zu Mittag und stochere lustlos in meinem Salat, während ich halbherzig zuhöre, wie sie vom Spiel der letzten Wochen reden. Meine Mannschaftskameraden sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie mich kaum wahrnehmen. Was mir nur recht sein kann. Das Letzte, was ich in meinem gegenwärtigen Zustand will, ist Aufmerksamkeit.
Glücklicherweise ist meine beste Freundin Audrey diese Woche mit ihren Eltern in Disneyworld. Das Mädchen ist so beängstigend scharfsinnig, sie würde sofort merken, dass etwas nicht stimmt. Gleichzeitig würde sie mir diese ganze Vampirgeschichte nicht abkaufen und denken, ich hätte jetzt wirklich den Verstand verloren. Also, obwohl ich schrecklich gern etwas moralische Unterstützung gehabt hätte (Rayne zählt in dieser Hinsicht so was von gar nicht!), ist es wahrscheinlich besser, wenn ich meine Freunde nicht zu Tode erschrecke.
Ich erwäge kurz, den Schauspielunterricht nach der Schule zu schwänzen, aber Magnus hat mir erklärt, dass er am Abend bis fast acht Uhr schlafen würde, daher kann ich genauso gut die Zeit totschlagen, bevor ich mich auf den Weg zu meinen großen Treffen mit dem Obervampir mache. Außerdem kann ich bei der Gelegenheit auch wunderbar Jake Wilder nachspionieren. Das wird mich garantiert aufmuntern.
Ah, Jake Wilder. Wie soll ich die Größe, die Jake Wilder ist, auch nur ansatzweise erklären? Irgendwie passt er gar nicht in eine normale, alltägliche Highschool. Er hatte vor etlichen Jahrhunderten geboren werden sollen, in Zeiten der Römer oder so - als Fahrer eines flammenden Triumpbwagens mit sechs weißen Pferden, denen der Schaum vorm Maul steht. Mit seinen stolzen eins fünfundachtzig, seinem schlanken, aber muskulösen Körper und den hohen Wangenknochen sieht er aus wie ein griechischer Gott. Hm, wie ein griechischer Gott oder wie Chad Murray, du kannst es dir aussuchen. Er hat kurzes blondes Haar und die seelenvollsten dunkelsten braunen Augen, die man sich vorstellen kann. Mit dem echten Schlafzimmerblick.
Ich würde diesen Schlafzimmerblick nur allzu gern in einem Schlafzimmer sehen. Vorzugsweise in meinem Schlafzimmer. Tatsächlich würde ich für diese Möglichkeit meinen Status als Sunny das Unschuldslamm schneller aufgeben, als du »pup« sagen kannst.
Das Problem ist, er hat keine Ahnung, dass ich überhaupt existiere. Nicht die blasseste.
Ich gebe Heather Miller die Schuld daran.
Es ist nämlich so, Jake Wilder spielt in diesem Jahr in unserer Klassenaufführung Bye Bye Birdie die Hauptrolle, den sexy Conrad Birdie. Und Heather spielt natürlich Kim.
Was keine Überraschung ist. Ganz gleich, welche Aufführung wir machen, Heather reißt sich die Hauptrolle unter den Nagel. Little Shop of Horrors? Sie ist die Audrey. Oklahoma? Sie ist die Laurie. In der zweiten Klasse haben wir Der Igel und der Hase aufgeführt und Jake hat den Igel gekriegt und sie war der Hase. Sie ist die unbestrittene Bühnenkönigin. Schön.
Blond. Vollbusig. Sogar intelligent, wenn du das fassen kannst. Man sollte doch wenigstens hoffen, dass sie nur Stroh im Kopf hätte, aber nein. Nein, sie ist außerdem die Vorsitzende der Ehrengesellschaft, was uns übrigen Sterblichen gegenüber einfach nicht fair ist.
In diesem Jahr habe ich nicht mal eine kleine Rolle in dem Stück ergattert. Nicht mal einen Einzeiler. Nada.
Stattdessen bin ich Heather Millers zweite Besetzung.
Was bedeutet, dass ich die ganze Arbeit machen und den ganzen Text auswendig lernen muss, und nur wenn Miss Perfect krank ist, darf ich überhaupt einen Fuß auf die Bühne setzen.
Was nicht so schrecklich ist, wie es klingt, da ich unter chronischem Lampenfieber leide, und wenn ich plötzlich in die Hauptrolle katapultiert würde, bin ich mir nicht sicher, ob ich damit fertig werden würde.
Für mich ist der Schauspielunterricht schlicht die Erlaubnis Jake Wilder stundenlang pausenlos anzustarren, ohne dass jemand mich für einen Stalker hält.
Mit diesem Gedanken schlüpfe ich in die vorletzte Reihe der Schulaula und nehme meinen Skizzenblock heraus. So weit hinten kann niemand sehen, was ich zeichne. Ich kriege so viele blöde Bemerkungen für meine Malerei, du würdest es nicht glauben. Die Leute haben einfach keinen Respekt.
»Sunshine McDonald? Bist du das?«
Ich blicke von meiner Zeichnung auf, einer ziemlich brillanten Skizze von Jake Wilder, auch wenn ich das selber sage. Der Schauspiellehrer, Mr Teifert, steht unten vor der Bühne und winkt mich zu sich.
O-kay. Das ist komisch. Ich war davon überzeugt, dass er nicht mal meinen Namen kennt, geschweige denn jemals die Notwendigkeit sehen würde, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich stecke meinen Skizzenblock wieder in meine Büchertasche und trotte ein wenig argwöhnisch zur Bühne hinüber.
»Sunshine. Gott sei Dank, dass du hier bist«, sagt Mr Teifert und fährt sich mit der Hand durch sein wildes schwarzes Lockenhaar. Er ist klein und untersetzt und sieht aus wie dieser Typ aus Animal House. »Heather ist krank. Du musst sie heute bei der Probe vertreten.«
Ich starre ihn an, weil ich zuerst nicht ganz verstehe. Die Königin hat ihren Thron im Stich gelassen? Und ich muss sie vertreten? Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das geschehen würde. Erst recht nicht heute, wo ich so viele andere Dinge im Kopf habe.
»O-kay«, sage ich und schlucke das Lampenfieber herunter, das sich sofort wie eine Blase in meinem Magen bildet und meine Speiseröhre hinaufkriecht. »An welcher Szene arbeiten wir denn?«
»An der, in der Birdie Kim küsst«, erklingt eine tiefe, sinnliche Männerstimme hinter mir.
Ich wirbele herum und werde fast ohnmächtig, als mir klar wird, dass dort, gerade mal einen halben Meter von mir entfernt, der himmlische Jake Wilder steht und tatsächlich mit mir spricht. Und in einem Satz das Wort küssen benutzt.
Einem Satz, der an mich gerichtet ist.
»Küsst Kim?«, gelingt es mir, mit meiner Minni-Maus-Stimme vorzubringen. Toll, Sunny. So ungemein attraktiv und reizvoll. »Mach nicht so ein entsetztes Gesicht«, sagt Mr Teifert mit einem Lachen.
Ich mache ein entsetztes Gesicht, weil ich mich soeben wie ein Volltrottel angehört habe, nicht wegen des Vorschlags, Jake Wilder zu küssen. Das ist kein Entsetzen. Das ist Romantik. Ein fantastischer Traum, der wahr wird. Aber das kann ich Mr Teifert kaum erklären, oder?
»Mit mir ist alles in Ordnung. Tun wir's«, antworte ich und zwinge meine Stimme, wieder normal zu werden. Ich hüpfe auf die Bühne, wobei meine Beine buchstäblich zittern und ich nur hoffen kann, dass man es nicht sieht. Jake taucht einen Moment später auf und steht mir jetzt gegenüber.
»Okay, die Szene ist die: Conrad und Kim sind bei der Probe für die Ed Sullivan Show. Sunny, du rezitierst deine Conrad-Birdie-Fanclub-Ansprache und dann kommst du, Jake. Du langweilst dich und willst lieber einen draufmachen, deshalb unterbrichst du sie und, tadadada, dann küsst du sie. Ronald«, Mr Teifert blickt zu dem großen, mageren Jungen hinüber, der Kims Freund Hugo spielt. »Du stehst auf dem Balkon und funkelst Birdie an, so richtig eifersüchtig. Sunny, nach dem Kuss wirst du ohnmächtig.«
Eine Ohnmacht nach Jake Wilders Kuss? Sollte nicht allzu schwierig werden, das realistisch darzustellen!
Mr Teifert klatscht in die Hände. »Alles klar? Dann alle auf eure Plätze.«
Und los geht's. Ich erkläre Conrad Birdie, auch bekannt als Jake Wilder, meine Liebe. Und er unterbricht mich, dann reißt er mich an sich und küsst mich fest auf den Mund.
Die Zeit scheint stehen zu bleiben.
Als er seine Lippen auf meine drückt, gebe ich einen widerstrebenden Seufzer von mir. Nie, nie hätte ich gedacht, dass ich jemals eine Chance bekommen würde herauszufinden, wie es ist, von Jake Wilder geküsst zu werden. Und es fühlt sich besser an, als ich es mir in meinen wildesten Träumen hätte ausmalen können.
Er stutzt einen Moment lang, als überrasche ihn irgendetwas, dann macht er sich meinen leicht geöffneten Mund zunutze und dringt mit seiner Zunge ein. Arghh! Was für ein unglaubliches Gefühl. Ich glaube, ich werde gleich explodieren, es fühlt sich so gut an. Jake Wilder küsst mich.
Mit einem Zungenkuss. Ist es überhaupt vorgesehen, dass er mir für die Aufführung einen Zungenkuss gibt? Ich dachte ... oh, wen schert es, was vorgesehen ist und was nicht. Er tut es, das ist alles, was zählt.
»He, Leute, okay, das reicht. Du sollst an dieser Stelle ohnmächtig werden, Sunny.« Mr Teiferts Stimme klingt
Millionen Meilen entfernt.
Jake löst sich von mir, widerstrebend, wie es scheint.
Unsere Gesichter sind noch immer nur wenige Zentimeter voneinander entfernt - ich kann seinen warmen, nach Pfefferminz riechendem Atem auf meinem Gesicht spüren.
Dann grinst er schwach und flüstert: »Ich glaube, wir brauchen mehr Übung«, und das so leise, dass nur ich es hören kann. »Findest du nicht auch?«
Dann werde ich ohnmächtig. Oder zumindest tue ich so, obwohl ich tatsächlich das Gefühl habe, dass ich nach dem, was soeben geschehen ist, beinahe wirklich das Bewusstsein verlieren könnte. Jake Wilder. Küsst mich.
Klar, es war nur für die Aufführung, aber irgendwie fühlte es sich nach mehr an. Es fühlte sich so an, als hätte er es genossen.
Ich weiß, dass ich es getan habe.
Danke, Heather, dass du heute fehlst. Danke, danke, danke.
Dafür hat sich jede langweilige Probe, jede vergeudete Stunde für das Lernen der Rolle gelohnt.
Und das Beste ist, wir müssen es noch einmal machen.
Mehrmals. Übung macht den Meister, du weißt schon.
Als die Probe vorbei ist, klettere ich von der Bühne und gehe zurück nach hinten, wo ich meine Büchertasche gelassen habe. Meine Beine fühlen sich an wie Wackelpudding.
»He, Sunny!«
Die Tasche in der Hand, drehe ich mich um. Ich zwinge mich, den Mund nicht vor Schreck aufzureißen, als mir klar wird, wer da hinter mir aufgetaucht ist.
»Hey, Jake«, sage ich schüchtern und senke den Blick.
Boah, er ist so süß. Ich kann es kaum ertragen. Wie kann bloß ein einzelner Typ in puncto Aussehen so viel mitbekommen haben? Ich meine, nicht mal Brad Pitt kann Jake Wilder das Wasser reichen.
Jake fährt sich mit der Hand durchs Haar und aus irgendeinem Grund wirkt er ein wenig nervös. Sehr merkwürdig, ich sollte hier diejenige sein, die zittert wie Espenlaub, nicht er.
»Du warst, ähm, große Klasse da oben«, sagt er und tritt von einem Fuß auf den anderen.
Das Kompliment entlockt mir ein Strahlen. Ich weiß, es ist uncool, deswegen so aus dem Häuschen zu geraten, aber ich kann nicht dagegen an. Jake Wilder hat gerade gesagt, ich sei große Klasse. Ich, Sunshine McDonald, war in den Augen von Jake Wilder große Klasse.
»Danke«, antworte ich gekonnt beiläufig. »Du warst auch große Klasse. Ich verstehe, warum du immer die Hauptrolle kriegst.«
Er zuckt die Achseln. »Ja, wahrscheinlich«, sagt er und räuspert sich. Ich sehe ihn neugierig an. Er ist total anders als sonst, überhaupt nicht selbstbewusst. Was ist los mit ihm? »Aber du, du warst göttlich.«
Göttlich? Was soll das nun wieder heißen? Ich weiß, ich habe die Tanzszene gut hinbekommen, aber ich fand nicht, dass mein Auftritt besonders göttlich war. Ich kneife die Augen zusammen, nicht ganz sicher, ob er sich über mich lustig macht. Vielleicht ist dies einer der grausamen Witze, wie sich die beliebten Kids in den Filmen immer machen.
Nun, ich werd da so was von nicht drauf reinfallen.
»A-ha. Göttlich. Klar.« Ich schnaube. »Ja, jetzt, wo du es erwähnst, ich habe mich immer als eine Art Teenager-Artemis betrachtet.« Ich schnappe mir meinen Mantel.
Nach allem, was während der letzten vierundzwanzig Stunden passiert ist, bin ich absolut nicht in Stimmung, mich von dem Typen aufziehen zu lassen, auf den ich scharf bin. »Tatsächlich muss ich jetzt dringend ein paar göttliche Pflichten erledigen. Also, ähm, man sieht sich.« Ich mache einen Schritt an ihm vorbei.
Er tritt mir in den Weg. »Warte«, sagt er.
Ich warte. Mir schlägt jetzt das Herz bis zum Hals. Das ist einfach zu komisch.
»Ähm, ich wollte dich fragen, ähm, ob du ...« Er räuspert sich abermals. Ist er vielleicht erkältet? »Ob du einen Partner für den Ball hast und ob du nicht mit mir hingehen willst?«, platzt er mit einem einzigen atemlosen Satz heraus.
Ich starre ihn an und tue mein Äußerstes, ihn nicht mit offenem Mund anzugaffen. Hat er gerade das gesagt,
wovon ich glaube, dass er es gesagt hat? Hat er gerade . . . nein, ich muss mich verhört haben.
»W-was?«, frage ich und da ist sie wieder, die quiekige Minni-Maus-Stimme.
Er läuft dunkelrot an. Jake Wilder. Errötend. Sind wir plötzlich in einem Paralleluniversum? Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass das Ganze ein grausamer Streich sein könnte wie in dem Film Carrie. Dass ich auf dem Ball auftauche und die tonangebende Clique mich mit Schweineblut übergießt, wenn ich zur Ballkönigin gewählt werde. Und ich hätte nicht einmal die telekinetischen Kräfte, die Schule bis auf die Grundmauern niederzubrennen.
Aber das ist idiotisch. Ich mag nicht die erste Cheerleaderin sein, aber ich bin gewiss auch nicht der Loser vom Dienst.
Ich habe tonnenweise Freunde und spiele in der Hockeymannschaft der Schule. Also bezweifele ich stark, dass ich ganz oben auf der Abschussliste der tonangebenden Clique rangiere.
Außerdem scheint es Jake todernst zu sein.
»Ich dachte nur, wenn du mit niemandem hingehst, dann hättest du vielleicht, ähm, Lust, mit mir, ähm, hinzugehen«, stottert er weiter. »Ich meine, nur wenn du willst. Ich würde es verstehen, wenn du nicht wolltest. Außerdem haben dich wahrscheinlich schon drei Millionen andere gefragt.«
Jetzt kippe ich wirklich fast hintenüber und diesmal wäre die Ohnmacht echt. Wie die Dinge liegen, bin ich mir nicht ganz sicher, ob mein Herz noch schlägt.
Jake Wilder hat mich gerade zum Schulball eingeladen.
Jake Wilder!
»Ähm, ja. Klar. Cool«, sage ich achselzuckend und schreibe mir eine ganze Masse Brownie-Punkte zu, weil ich nicht vor lauter Begeisterung Purzelbäume durch die Aula schlage. »Warum nicht?«
Auf seinem Gesicht malt sich sein verblüffendes Lächeln ab, und er wirkt ungemein erleichtert. »Klasse«, sagt er.
»Echt klasse. Danke. Also, ähm, man sieht sich.«
»Ähm, klar. Okay«, sage ich in Ermangelung eines intellektuelleren Kommentars. Echt souverän, Sunny.
Er lächelt mich abermals an, dann dreht er sich um und stürmt aus der Aula. Ich starre ihm maßlos verwirrt nach.
Jake Wilder hat mich gerade zum Schulball eingeladen.
Und ich habe Ja gesagt. Vor dem heutigen Tag hätte ich nicht mal darauf gewettet, dass er auch nur meinen Namen kennt. Jetzt bin ich plötzlich sein Schulball-Date?
»He, Sunny, wie fühlst du dich?«
Ich drehe mich um. Rayne ist gerade hereingekommen.
»Rayne!«, rufe ich. »Du wirst es nie erraten! Jake Wilder hat mich zum Schulball eingeladen. Ist das nicht umwerfend? Jake Wilder, verstehst du? Kannst du das fassen? Ich flippe total aus!«
Rayne antwortet mit ihrem schönsten herablassenden Lächeln. »Ah, der Vampirduft schlägt also schon durch, wie?« Ich verziehe das Gesicht. »Vampirduft?« Wovon zum Teufel redet sie da? Und was hat das damit zu tun, dass Jake mich zum Schulball eingeladen hat?
»Ach, du weißt schon. Eine Art Pheromon. Vampire verströmen einen Duft, der schnöde Sterbliche verrückt vor Verlangen macht. Sie können nicht dagegen an. Es ist übrigens ausgesprochen nützlich, wenn man sich bei einem Verkehrspolizisten, der einem gerade einen Strafzettel verpassen will, rausreden muss. Oder wenn man sich in einem Flugzeug einen Sitz am Gang erschnorren will.
Obwohl die alte Dame, die auf der anderen Seite des Gangs sitzt und dich während des ganzen Fluges mit Geschichten über ihre Enkelkinder volllabert, durchaus ein Nachteil sein kann.«
Mein Herz rutscht mir bis in die Zehen.
Also hat sich Jake Wilder nicht schon seit Jahren nach mir verzehrt und gerade erst den Mut aufgebracht, mich anzusprechen.
»Verdammt.« Ich trete frustriert gegen die Sitzreihe. »Und ich dachte schon, er wäre heimlich in mich verschossen.«
Ich seufze. Ich weiß, es war einfach zu schön, um wahr zu sein.
»Himmel, Sunny, tu nicht so enttäuscht. Ich meine, hast du denn gestern Abend nicht in meinem Blog davon gelesen?«
Ähm - oh.
»Ich, ähm, bin nicht ganz durchgekommen. Ich meine, der Blog war ziemlich lang.«
Rayne starrt mich an. »Diese Pheromon-Geschichte müsste so ungefähr der dritte Eintrag sein.«
»Ja, aber . . .« Ich spüre, wie mein Gesicht langsam heiß wird.
»Da waren diese Links und . ..«
»Links?«
»Ja, zu den richtig guten Storys über Spike und Angel...«
»Also, damit ich das nicht falsch verstehe«, sagt Rayne, verkreuzt die Arme über der Brust und macht ein ausgesprochen unglückliches Gesicht. »Statt dir einen
Überblick über die wichtigsten Dinge zu verschaffen, die du über deine bevorstehende Transformation zum Vampir wissen musst, hast du dir lieber Fanfiction über Buffy reingezogen?«
Okay, wenn sie es so ausdrückt, sieht es tatsächlich nach einer schlechten Entscheidung meinerseits aus. Aber einige dieser Geschichten waren einfach so faszinierend und ... »Weißt du, du hättest keine Links auf deine Website setzen sollen, wenn du nicht willst, dass die Leute sie anklicken«, verteidige ich mich.
Rayne seufzt. Tief. »Weißt du, ich hoffe wirklich, dass Lucifent eine Möglichkeit kennt, dich wieder in einen Menschen zu verwandeln. Denn als Vampir wirst du eine echte Lachnummer sein.«
»Wer ist ein Vampir?«
Wir wirbeln beide herum und da steht Mr Teifert, der Schauspiellehrer, und schaut uns durch seine schwarz umrandete Brille neugierig an. Wir waren wahrscheinlich so in unser Gespräch vertieft, dass wir ihn gar nicht haben näher kommen gehört.
Rayne lächelt boshaft. »Sunny ist ein Vampir«, sagt sie.
»Nun ja, sie steht kurz davor, einer zu werden.« Dann fängt sie an zu lachen. Ich trete ihr vors Schienbein, damit sie den Mund hält. Obwohl ich mir zu etwa einhundert Prozent sicher bin, dass Mr Teifert ihre Behauptung mit einem gewissen theatralischen Vorbehalt betrachten wird, muss ich mit dem Knaben doch bei der Schulaufführung zusammenarbeiten. Ich möchte nicht, dass er mich für einen Schussel hält. Dann wird er mir wahrscheinlich nie wieder eine gute Rolle geben und ich werde bis in alle Ewigkeit in der Welt der Zweitbesetzungen verharren.
Mr Teifert zieht eine seiner buschigen Augenbrauen hoch.
»Ist das wahr, Sunny?«, fragt er mit einer Stimme, die dem Gesprächsgegenstand unangemessen ernst klingt. Worauf
will er hinaus? »Bist du ein Vampir?«
Gott sei Dank trage ich einen Rollkragenpullover, sodass er die blau angelaufene, knutschfleckähnliche Bisswunde an meinem Hals nicht sehen kann. Dann würde er mit
Sicherheit die Schulpsychologin anrufen, aber pronto.
»Nein, Mr Teifert«, sage ich und zwinge mich zu einer ausdruckslosen Miene. »Ich bin kein Vampir. Wir haben bloß rumgeblödelt.«
Seine ernste Miene entspannt sich und er lächelt. »Gut zu wissen. Vor allem da wir dich für diese Aufführung brauchen. Ich habe soeben erfahren, dass Heather an Mononukleose erkrankt ist und für eine ganze Weile ausfällt. Also wirst du von jetzt an die Rolle der Kim spielen.«
Ich kann mich mit Mühe zurückhalten, laut Hurra zu schreien, und versuche, so auszusehen, als würde ich mir um die arme kleine Heather Miller Sorgen machen. Aber zur Hölle mit ihr! Ich bin jetzt der Star der Schulaufführung. Wenn das nicht cool ist!
Abgesehen davon, dass diese ganze Vampirgeschichte ziemlich ätzend ist, scheint der Rest meines Lebens eindeutig eine Wendung zum Besseren zu nehmen.
»Danke, Mr Teifert. Ich werde Sie nicht enttäuschen«, erkläre ich begeistert.
»Das weiß ich«, antwortet er mit einem Augenzwinkern.
»Versprich mir nur, dass du mir nicht zum Vampir wirst.
Wir haben eine Menge Proben vor uns und die meisten finden tagsüber statt.«
»Das, ähm, geht klar«, sage ich und lache mein nervöses Eselswiehern. Als sei seine Bemerkung das Blödsinnigste im ganzen Universum.
Er nickt und lächelt uns zu, dann verlässt er die Aula.
Rayne und ich tauschen einen Blick, greifen uns unsere Büchertaschen und wuseln nach draußen.
»Das war irgendwie unheimlich«, sage ich, als wir über den Parkplatz zu unserem Wagen gehen.
»Das war mehr als unheimlich«, stimmt Rayne mir zu. Sie stöbert in ihrer Handtasche nach den Autoschlüsseln. »Du solltest vorsichtig sein, wenn er in der Nähe ist.«
»Oh, er hat uns bestimmt nur belauscht und gedacht, es wäre witzig, auf den Scherz einzusteigen.«
Rayne zieht die Schlüssel an ihrer Spinnenschlüsselkette heraus. »Ich weiß nicht, Sunny. Ich habe eine merkwürdige Aura bei ihm bemerkt.« Sie schließt die Tür auf und springt in den Wagen.
Ich nehme auf dem Beifahrersitz Platz. »Bist du jetzt auch noch Aurendeuterin?«, frage ich skeptisch. »Er ist Lehrer.
Er dachte, er wäre witzig. Du bist paranoid.«
Rayne zuckt die Achseln und steckt den Schlüssel in die Zündung. »Okay, Sun, meinetwegen. Ich versuche nur, auf dich aufzupassen. Es gibt nämlich eine Menge Vorurteile gegen Vampire da draußen, wie du weißt.« Sie hält inne.
»Genau genommen weißt du es nicht«, fügt sie hinzu, »da du es ja vorgezogen hast, dich über die sexuellen Großtaten von Spike und Buffy zu informieren, statt das Thema zu recherchieren.«
»Um ehrlich zu sein, mir waren die Geschichten über Angel lieber.« Ich kichere.
Rayne schüttelt den Kopf. »Siehst du, was ich meine?«,
sagt sie und klingt dabei eindeutig frustriert. »Du weigerst dich, die ganze Angelegenheit ernst zu nehmen. Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe mache, dir zu helfen. Ich sollte dich einfach machen lassen und abwarten, bis du das alles selbst spitzgekriegt hast.«
Sie wirkt ernsthaft sauer, daher beschließe ich, ihr einen Knochen hinzuwerfen. Schließlich brauche ich jemanden, der mich zu dem Treffen mit Magnus zum Friedhof fährt.
»Tut mir leid, Rayne. Ich weiß, dass du versuchst, mir zu helfen«, sage ich in dem aufrichtigsten Tonfall, den ich zuwege bringen kann. »Aber manchmal flüchte ich mich in Humor, um eine angespannte, stressige Situation zu entschärfen.« Wow, ich höre mich an wie der Psychologe vom Dienst. »Aber ich bin dir dankbar für deine Hilfe.
Mehr, als du weißt.«
»Hm, du bist meine kleine Schwester«, meint Rayne.
»Ja, ich bin um ganze sieben Minuten jünger als du. Was bedeutet, dass du viel älter, weiser und weltgewandter bist, als ich es je zu sein hoffen darf.«
Rayne wirft mir einen Blick zu.
Ich lache. »Tut mir leid.«
»Okay, fahren wir zum Friedhof«, antwortet sie. »Lass uns herausfinden, ob wir diese Vampirgeschichte rückgängig machen können.«
»Klingt nach einem guten Plan.«
Rayne fährt vom Parkplatz und biegt nach links ab. Wir schweigen einen Moment lang. Dann . ..
»Meinst du, dass Jake seine Einladung zum Ball rückgängig machen wird, wenn ich mich wieder in einen Menschen verwandele?«
»Arghh!«
»'tschuldigung.« Ich verschränke die Hände auf dem Schoß und mime die brave, schweigende, ernsthafte zukünftige Vampirbraut.
Aber die Frage beschäftigt mich trotzdem.