59
Am nächsten Abend ging ich mit Daniel aus – ich verstand selbst nicht, was mir geschah. Ich wußte, daß ich ihn nicht sehen durfte, und ich hatte entsetzliche Angst vor Karen.
Doch als er anrief und mich fragte, ob wir nach Feierabend in ein Restaurant zum Essen gehen könnten, beschloß ich aus irgendeinem Grund zuzusagen. Wahrscheinlich tat ich es einfach deshalb, weil mich schon ewig lange niemand zum Abendessen in ein Restaurant eingeladen hatte.
Möglicherweise war es aber auch ein verstohlenes Aufbegehren gewesen. Vielleicht wollte ich Karen damit den Stinkefinger zeigen, auch wenn ich, bildlich gesprochen, Topfhandschuhe trug.
Kurz bevor Daniel mich abholen kam, beschloß ich mein Make-up zu erneuern – auch wenn es nur Daniel war: ein Ausgeh-Abend war ein Ausgeh-Abend, und man weiß ja nie, wen man trifft. Doch während ich mit zittriger Hand meinen Lidstrich nachzog, merkte ich beunruhigt, daß ich ziemlich aufgeregt war. Entsetzt ging es mir durch den Kopf, ich bin doch gar nicht scharf auf Daniel. Dann wurde mir klar, daß es schlicht und einfach die gute alte Angst war: Angst vor Karen und dem, was sie mir antun würde, wenn sie es je erführe. Welche Erleichterung! Ich fühlte mich gleich viel besser, als mir aufging, daß ich krank vor Angst und nicht etwa krank vor Erwartung war.
Als Daniel um fünf in mein Büro kam (den Besucherausweis in der Hand, denn er würde sich nie so aufführen wie Gus seinerzeit), freute ich mich trotz seines Anzugs so sehr, ihn zu sehen, daß selbstgerechter Zorn auf Karen in mir aufstieg. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, mich ihr zu stellen. Allerdings war es mir damit nicht ernst.
»Bevor wir essen, genehmigen wir uns einen Drink«, sagte ich zu Meredia, Megan und Jed. »Ihr könnt gern mitkommen.«
Aber sie wollten nicht. Meredia und Jed schmollten erkennbar, weil er nicht Gus war und sahen mißbilligend zu, wie ich mir den Mantel anzog. Mama hatte einen neuen Freund, sie aber wollten, daß Mama wieder mit Papa zusammen war. Blödes Volk.
Auch Mama wäre gern wieder mit Papa zusammen gewesen – aber was konnte sie tun? Würde Gus etwa zurückgeeilt kommen, wenn ich Daniels Einladung zum Essen ausschlug?
Megan faßte ihre Absage in die an Daniel gerichteten Worte: »Vielen Dank, und ich hoffe, meine Ablehnung kränkt dich nicht. Ich habe keine Lust, mit ’nem Lackaffen wie dir wegzugehen; ich bin mit ’nem richtigen Mann verabredet.«
Wie auch ich empfand sie das Bedürfnis, Daniel dafür zu bestrafen, daß er so gut aussah und ansonsten intelligente Frauen Wachs in seinen Händen wurden. Trotzdem war das ein bißchen hart. Außerdem – wer war dieser richtige Mann, mit dem sie da angab? Wahrscheinlich einer von den bulligen Schafscherern, der sich seit Tagen weder rasiert noch die Unterhose gewechselt hatte.
Also gingen Daniel und ich allein in die Kneipe.
»Karen hat mich angerufen«, sagte er, als wir uns setzten.
»Was wollte sie?« Ich spürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Ob die beiden wieder miteinander gehen wollten?
»Ich soll mich von dir fernhalten«, sagte er.
»So eine Unverschämtheit«, brach es erleichtert aus mir heraus. »Und was hast du gesagt?«
»Daß du und ich erwachsene Menschen sind und tun und lassen können, was wir für richtig halten.«
»Warum mußtest du ihr das sagen?« klagte ich.
»Warum nicht?«
»Für dich ist es in Ordnung, erwachsen zu sein und zu tun und zu lassen, was du für richtig hältst – du brauchst nicht mit ihr zu leben. Wenn ich versuche, erwachsen zu sein und zu tun und zu lassen, was ich für richtig halte, bringt sie mich um.«
»Aber...«
»Und was hat sie darauf gesagt?« wollte ich wissen.
»Es kam mir so vor, als wäre sie wütend auf mich.«
»Wie meinst du das?« Mein Herz rutschte mir in die Kniekehlen.
»Sie hat gesagt – mal sehen, ob ich es noch genau zusammenkrieg, – daß ich im Bett nichts getaugt hätte. Außerdem hat sie natürlich gesagt, daß sie noch nie so ’nen kleinen Pimmel gesehen hätte wie meinen.«
»Klar«, stimmte ich zu.
»Nur bei ihrem zwei Monate alten Neffen wäre er noch kleiner gewesen. Man brauchte sich nicht zu wundern, daß ich so viele Freundinnen hätte, denn ich müßte mir unbedingt beweisen, daß ich ein Mann bin.«
All diese Anwürfe, gängige Münze aus dem Mund einer verschmähten Frau, eigneten sich durchaus dazu, Daniel aufzuregen, doch seinem Grinsen nach zu urteilen schienen sie ihr Ziel verfehlt zu haben.
»Was war das noch, was sie geschrien hat?« Er sah nachdenklich vor sich hin. »Schade, daß ich es vergessen hab, es war nämlich wirklich gut. Aber ich kann meine Kollegen im Büro fragen, die haben es auch gehört.«
»Ich dachte, sie hätte dich angerufen?« sagte ich verwirrt.
»Ja – trotzdem hat es jeder im Büro gehört. Ach ja, ich weiß wieder. Sie hat geschworen, sie hätte bei mir zwei graue Schamhaare gesehen, und sie wäre nur mit mir gegangen, weil ich sie meistens morgens zur Arbeit gefahren hab, so daß sie sich die Fahrkarte für die U-Bahn sparen konnte. Außerdem hat sie noch gesagt, daß mir am Hinterkopf allmählich die Haare ausgehen und ich mit fünfunddreißig ’ne Glatze haben würde und dann keine Frau mehr mit mir was zu tun haben wollte.«
»Das Miststück!« sagte ich. Der Spruch mit der Glatze war schon ziemlich gemein, das mußte der Neid ihr lassen.
»Und was für Unverschämtheiten hat sie über mich gesagt?« Ich machte mich auf das Schlimmste gefaßt.
»Nichts.«
»Ehrlich nicht?«
»Ehrlich nicht.« Bestimmt log er. Wenn Karen rot sah, schlug sie wild um sich.
»Ich glaub dir kein Wort. Was hat sie gesagt?«
»Nichts, Lucy.«
»Ich weiß, daß du lügst. Bestimmt hat sie gesagt, daß ich meinen BH manchmal mit Watte ausstopfe.«
»Stimmt. Aber das wußte ich sowieso schon.«
»Wieso? Sag es nicht. Ich will es nicht wissen. Außerdem hat sie dir bestimmt gesagt, daß ich ihrer Ansicht nach im Bett das Letzte bin, weil ich zu gehemmt bin. Sie weiß, daß mich das ärgert.« Daniel sah betreten drein.
»Stimmt’s?« fragte ich.
»So was in der Art«, murmelte er.
»Was hat sie genau gesagt?«
»Daß wir gut zueinander passen, weil wir wahrscheinlich gleich schlecht im Bett sind«, gab er zu.
»So eine verdammte Pottsau«, sagte ich voll Bewunderung. »Sie weiß genau, womit sie jemand treffen kann.«
»Aber was sie über dich gesagt hat, meint sie nicht ernst«, fuhr ich fort, darauf bedacht, ihn zu beschwichtigen. »Mir hat sie immer gesagt, daß du im Bett toll wärst und dein Pimmel prachtvoll und schön groß ist.«
Die beiden Bauarbeiter am Nachbartisch sahen mit unverhohlenem Interesse zu uns herüber.
»Danke, Lucy«, sagte Daniel mit Wärme in der Stimme. »Und ich weiß aus sicherer Quelle, daß du im Bett auch gut bist.«
»Von Gerry Baker?« fragte ich. Er war ein Arbeitskollege Daniels, mit dem ich kurze Zeit zu tun gehabt hatte.
»Von Gerry Baker«, bestätigte er. Das war dumm von ihm.
»Ich hatte dir doch gesagt, du sollst nicht mit ihm darüber reden«, knurrte ich wütend.
»Hab ich auch nicht«, verteidigte sich Daniel nervös. »Er hat nur gesagt, daß du gut im Bett wärst, und...«
Einer der Bauarbeiter zwinkerte mir zu und sagte: »Glaub ich sofort, Puppe.«
Dem anderen war das offensichtlich peinlich und er sagte rasch zu Daniel: »Tut mir leid, Kumpel. Er hat ’n bißchen was getrunken. Er meint es nicht so.«
»Schon in Ordnung«, sagte ich hastig, bevor sich Daniel gezwungen sah, meine Ehre zu verteidigen. »Ich bin nicht seine Freundin.« Was gleichbedeutend war mit der Erlaubnis, mich zu beleidigen.
Erleichtert lächelten die beiden Männer, doch es dauerte eine Weile, bis ich Daniel überzeugt hatte, daß ich mich von ihnen nicht beleidigt fühlte.
»Über dich hab ich mich geärgert«, erklärte ich.
»Ich hab Gerry aber nicht danach gefragt«, murrte er. Er machte ein beschämtes Gesicht, wie sich das gehörte. »Es ist nur zufällig rausgekommen, und er hat es gesagt, ohne auch nur im geringsten...«
»Halt die Klappe«, sagte ich. »Du hast Glück, daß ich viel zu wütend über das bin, was Karen gesagt hat. Es ist mir piepegal, was Gerry oder dir zu meiner Unterwäsche eingefallen ist.«
»Darüber hat er kein Wort gesagt«, versicherte mir Daniel.
»Gut.«
»Soweit ich gehört habe, hattest du sie gar nicht lange genug an, als daß er sie überhaupt sehen konnte.« Als ich ihm mein zornrotes Gesicht zuwandte, fügte er eilig hinzu. »War nur ein Witz.«
Zurück zu Karen. »Sie glaubt nicht wirklich, daß zwischen uns was ist«, sagte ich. »Sie weiß, daß wir nur gute Freunde sind.«
»Genau«, bekräftigte Daniel. »Das hab ich ihr auch gesagt, daß du und ich einfach gute Freunde sind.« Dann brachen wir beide in erleichtertes Lachen aus.