27. Kapitel
Ich bin verlobt«, wiederholte Angelica und schloss die Augen. Alexander sagte noch immer nichts, schaute sie nur an, als suchte er nach … etwas.
»Alexander?«
Sie ertrug sein Schweigen nicht länger. Aber was hatte sie erwartet? Dass er von ihr verlangte, die Verlobung zu lösen und stattdessen ihn zu heiraten?
Würde sie ihn heiraten, wenn er sie fragte? War das überhaupt möglich? Offenbar schon, denn Margaret hatte ihr von einigen ihrer früheren Ehemänner erzählt. Es war also möglich. Und Alexander gehörte zu den Ältesten, er war über fünfhundert Jahre alt - sie könnten also zusammen alt werden. Ein Vampir wurde ja nicht älter als sechshundert, oder?
Ein nervöses Lachen stieg in ihrer Kehle auf. Ihre Gedanken rasten. Sie brauchte sich nichts vorzumachen: Wenn er sie fragte, würde sie ja sagen. Ohne zu überlegen. Aber es sah nicht so aus, als wollte er fragen. Weder das, noch etwas anderes.
Alexander erhob sich langsam und wandte sich von ihr ab. Angelica wollte etwas sagen, ihm alles erklären. Dass sie Nicholas nicht heiratete, weil sie ihn liebte, sondern weil sie musste. Sie liebte nur einen … aber ihr Stolz ließ nicht zu, dass sie ihm dies alles verriet.
Beide schwiegen, er mit dem Rücken zu ihr. Kurz darauf hörten sie eine Kutsche vorfahren, und das riss beide aus ihrer Lähmung.
Alexander ging ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer.
Aber Angelica hatte keine Angst. Sie wusste, dass Alexander sie nie allein gelassen hätte, wenn er eine Gefahr befürchten würde. Nein, Angst hatte sie nicht, aber sie war müde. Schrecklich müde.
Als sie gerade wieder aufs Sofa zurücksinken wollte, tauchte Kiril im Türrahmen auf.
»Prinzessin? Tut mir leid Sie zu stören, aber wir müssen gehen.«
»Gehen? Aber wieso? Was ist los?«
»Das darf ich leider nicht sagen«, meinte Kiril mit aufrichtigem Bedauern und hielt ihr die Tür auf. »Bitte, kommen Sie jetzt.«
Angelica merkte, wie sie wütend wurde. Und sie merkte auch, dass es besser war, wütend als traurig zu sein.
»Ach, Angelica, du tust mir ja so leid! Es muss schrecklich gewesen sein; du musst solche Angst gehabt haben.« Joanna kam mit ausgebreiteten Armen auf Angelica zu, und diese erhob sich vom Sofa und ließ sich von ihrer Freundin umarmen.
»Ach, die Angst war weniger schlimm als diese ewige Warterei hier. Joanna, kann mir denn keiner sagen, was hier los ist? Was soll ich hier?« Angelica wies mit einer ausholenden Armbewegung auf das herzogliche Gästezimmer, in das man sie sofort nach ihrer Ankunft verfrachtet hatte.
»Hat dir denn noch keiner was gesagt?«, fragte Joanna überrascht und folgte Angelica zum Sofa, wo sie sich setzten.
»Nein, keiner. Kannst du mir nicht sagen, was los ist?« Angelica war schrecklich frustriert. Sie hatte weder den Herzog noch die Herzogin noch Alexander gesehen, seit sie hier angekommen war. Selbst Kiril hatte sich bequemerweise verkrümelt.
»Nun, das ist ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt«, erklärte Joanna. »Das ist es wohl, worum es bei dem Treffen der Ältesten unten geht.«
Angelica wartete. Ihre Nervosität wuchs. Was konnte schlimmer sein als die Tatsache, dass ein geistesgestörter Vampirjäger frei herumlief?
»Gestern Nachmittag ist eine Vampirin gestorben«, erklärte Joanna.
»Ach, das tut mir leid, Joanna. Hast du sie gut gekannt?« Angelica ergriff mitfühlend Joannas Hand.
»Ach nein, kaum, Angelica. Sie war hundert Jahre älter als ich und hat meist auf dem Kontinent gelebt. Ich kannte sie kaum.«
»Worum geht’s dann?«
»Nun ja, diese Vampirin gehörte zum Nordclan. Sie hielt sich in Kent auf, als sie starb. Ihre Leiche ist auf dem Weg hierher, und die Beerdigung findet heute Nacht statt. Sie wird bis in die frühen Morgenstunden dauern. Laut Gesetz müssen alle Vampire, die zum Clan gehören oder sich derzeit im Clangebiet zu Besuch aufhalten, an der Zeremonie teilnehmen.«
Joanna schaute Angelica an, als wäre die Sache damit klar. Als diese sie jedoch weiterhin ratlos anschaute, versuchte sie es erneut.
»Wir müssen alle zur Beerdigung, Angelica. Und wenn der Vampirjäger heute Nacht käme, um sich an dir zu rächen, weil du sein Vorhaben vereitelt hast, dann wäre niemand da, um dich zu beschützen.«
Angelica blinzelte. Das musste sie erst mal verdauen. Sie würde vollkommen schutzlos sein?
»Na, dann muss ich eben irgendwo hin, wo er mich nicht findet«, sagte sie langsam.
»Ich fürchte, das kommt auch nicht in Frage, Angelica. Der Prinz konnte dich nur deshalb vor unseren Gesetzen schützen, weil er die Verantwortung für dich übernahm: will heißen, dich ständig überwacht.«
»Aber er bewacht mich doch gar nicht ständig!«
»Das stimmt, aber wenn er es nicht selbst kann, dann bittet er uns, es für ihn zu tun. Er vertraut dich uns an. Und wenn du versuchen würdest zu fliehen oder sonst wie Schwierigkeiten machst, müsste Alexander dafür geradestehen.«
Angelica konnte nicht fassen, dass sie das erst jetzt erfuhr. Alexander hätte es also büßen müssen, wenn sie zu fliehen versucht hätte? Wieso hatte er sich überhaupt auf so etwas eingelassen?
»Dann kann ich also nicht weg?«
»Nur in Begleitung des Prinzen, und der …«
»Muss zur Beerdigung«, beendete Angelica hölzern den Satz.
Joanna stand auf und begann nervös auf und ab zu gehen. »Ach, es ist einfach Pech. Aber das wird schon, keine Sorge, Angelica.«
Angelica schaute Joanna mit einem trockenen Lächeln an.
»Machst du deshalb einen Trampelpfad in den Teppich? Weil ich mir keine Sorgen zu machen brauche?«
Joanna blieb sofort stehen. »Nein, nein, das mache ich bloß, weil ich doof bin. Nein, ehrlich, Angelica, das wird schon. Der Prinz würde nie zulassen, dass dir etwas zustößt. Keiner von uns würde das zulassen.«
Angelica fragte sich, was Joanna wohl machen würde, wenn die Ältesten beschlössen, sie in ein Zimmer zu sperren und dort sich selbst zu überlassen.
»Angelica?«
Die Herzogin kam lächelnd herein, was Angelica gleich ein bisschen aufmunterte. »Ah, Joanna, du bist auch da, wunderbar.«
Angelica, die beschlossen hatte, vorerst keine Fragen mehr zu stellen, weil sie sie ohnehin bloß noch mehr verwirrt hätten, schwieg und überließ Joanna das Reden.
»Was habt ihr beschlossen?«, fragte Joanna eifrig.
Anstatt zu antworten, drückte Margaret Angelica den schwarzen Kapuzenumhang in die Hand, den sie mitgebracht hatte.
»So, meine Liebe. Du musst jetzt ganz ruhig bleiben und darfst keine Angst haben. Dir wird nichts geschehen. Niemandem wird etwas geschehen.«
»Sie wird teilnehmen?«, rief Joanna ungläubig.
Angelica starrte mit großen Augen auf den Mantel. Sie sollte an einer Vampirzeremonie teilnehmen! Und nach dem, was sie von der letzten mitbekommen hatte, war sie eigentlich nicht sonderlich scharf darauf …
»Aber nur Vampire dürfen teilnehmen … das ist doch verboten!«, stammelte Joanna verwirrt. »Wie wollt ihr das den anderen erklären?«
Margaret bedeutete Joanna, leiser zu sein, und machte die Tür fest zu.
»Es ist nicht direkt verboten. Alexander und James haben eine ganze Stunde lang über unserem Gesetzbuch gebrütet. Es steht nichts darin, dass kein Mensch an der Zeremonie teilnehmen darf. Das versteht sich eigentlich von selbst, da ja bisher kein Mensch etwas von uns wissen durfte.«
Jetzt verstand Joanna: »Aber weil Angelica einen Führer hat und über uns Bescheid weiß, darf sie teilnehmen.«
»Genau. Trotzdem sollten die anderen nicht erfahren, dass sie kein Vampir ist. James fürchtet, dass das zu Komplikationen führen könnte, und wir haben nicht genug Zeit, um alles genau zu erklären.«
Angelica, die bisher stumm zugehört hatte, konnte nun nicht länger an sich halten. »Soll das heißen, ich muss tun, als wäre ich ein … einer von euch?«
Die Herzogin schenkte ihr einen mitfühlenden Blick. »Du hast nichts zu befürchten, Angelica. Ich werde dir alles genau erklären. Die meiste Zeit musst du ohnehin bloß zuhören.«
Angelicas Blick wechselte von Margarets lächelndem Gesicht zu Joannas besorgter Miene. Jetzt hätte sie eine ganze Menge dafür gegeben, ihre Gedanken lesen zu können.
Ein kräftiger Windstoß fuhr in Angelicas Kapuzenumhang und drohte mehr von ihr preiszugeben, als ihr lieb sein konnte. Panisch hielt sie den schwarzen Stoff zusammen.
Als Margaret von ihr verlangt hatte, sie solle sich ausziehen und nur diesen Umhang umlegen, hatte sie sich zunächst strikt geweigert. Schließlich hatte sie sich noch nie nackt gezeigt, weder Menschen noch Vampiren.
Ich bin nicht nackt!, versuchte sie sich einzureden, die Finger in den schwarzen Stoff verkrallt.
Die anderen etwa hundert Vampire - ebenfalls in schwarze Umhänge gehüllt, unter denen sie nichts anhatten - standen scheinbar ungerührt im dunklen Wald und machten sich nichts aus dem Wind, der die Schöße ihrer Umhänge aufblies, oder aus dem kalten Erdboden unter ihren nackten Füßen. Aller Augen waren auf die Leiche gerichtet, die sie, auf Wunsch ihres Clanführers, in einem weiten Halbkreis umstanden.
»Tritt vor, Leser, und berichte uns von ihrem Leben«, befahl der Herzog mit weit hallender Stimme.
Nun trat ein kleiner Mann mit schulterlangen blonden Haaren und Hakennase vor die Anwesenden. Angelica machte einen kleinen Schritt, um besser sehen zu können, bereute es aber sofort. Sie biss sich auf die Unterlippe und warf einen nervösen Blick in die Runde, doch glücklicherweise schien niemandem etwas aufgefallen zu sein.
Die spitzen Tannennadeln machten den Vampiren natürlich nichts aus, aber ihre weichen Fußsohlen waren schon ganz zerkratzt und zerstochen.
Angelica richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den kleinen Mann, der nun ein schwarzes Büchlein hochhielt. Die Zuschauer schienen bei dessen Anblick geradezu den Atem anzuhalten.
Was mochte nur darin stehen, das die Anwesenden so in ihren Bann schlug?, fragte sich Angelica.
Aber sie musste nicht lange auf die Lösung des Rätsels warten, denn nun begann der Mann zu lesen.
»Ich wurde 1384 in Polen geboren und auf den Namen Jadwiga getauft, den Namen der Königin. 1422 nahm ich den Namen Eleanor Cobham an und wurde zunächst die Mätresse, später dann die zweite Frau des Herzogs von Gloucester, Ratsregent und Onkel von Heinrich VI.«
Angelica brauchte einen Moment, um sich darüber klar zu werden, dass sie hier die Lebensgeschichte der Verstorbenen hörte. 1384! Das lag so weit zurück, dass es ihr geradezu märchenhaft vorkam. Wie hatte diese Frau so lange leben können und als wer?
»1441 bezichtigte man mich der Hexerei und warf mich in den Kerker, woraufhin ich nach Frankreich ging und den Namen Isabelle Periene annahm. Ich heiratete einen Bauern namens Jean Lordeaux und lebte dreiunddreißig Jahre lang glücklich mit ihm.«
Alexander war über fünfhundert Jahre alt, überlegte Angelica. Was er wohl alles gemacht hatte? Wo war er geboren worden, und wie lautete sein richtiger Name? Hatte er den Namen Alexander erst kürzlich angenommen?
Die Fragen jagten einander, und Angelica wurde ganz schwindlig. Sie presste die Finger an ihre Schläfen, um ihre Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. Immerhin war dies der leichte Teil der Veranstaltung. Hier musste sie nichts weiter tun, als still zu sein und zuzuhören.
»1735 ging ich wieder nach Frankreich und nahm den Namen Jeanne-Antoinette Poisson an. 1741 heiratete ich Charles-Guilaume Le Normant d’Ètiolles, und vier Jahre später wurde ich die Mätresse von König Louis XV. von Frankreich. Ich blieb bis 1764 an seiner Seite, dann siedelte ich nach Deutschland über.«
Angelicas Augen wurden groß: Sie wusste, wer Jeanne-Antoinette Poisson gewesen war - besser bekannt unter dem Namen »Madame Pompadour«. Man behauptete, sie hätte den Siebenjährigen Krieg angezettelt!
Angelica zählte langsam bis zehn, um ihren rasenden Puls zu beruhigen, bevor jemand Verdacht schöpfen konnte. Ob man ihr ihren inneren Aufruhr ansah? Ob er die Farbe ihrer Aura veränderte, wie manche östlichen Mediziner behaupteten?
Ihre Augen suchten nach Alexander und fanden ihn im Zentrum des Halbkreises. Er lauschte mit unbewegter Miene dem Bericht von Jadwigas Leben. Ob er wohl an ihrer Aura sehen konnte, wie es um sie stand?
Nein, das wollte sie gar nicht wissen. Selbst wenn er es konnte, sie wollte es nicht wissen.
Ihre Aufmerksamkeit wurde durch eine Bewegung wieder auf Jadwigas Leiche gelenkt. Der kleine Mann, der aus dem schwarzen Büchlein vorgelesen hatte, war wieder in den Halbkreis zurückgetreten. Nun traten zwei männliche Vampire vor, jeder mit einer Schüssel in der Hand, die eine Flüssigkeit enthielten.
Diese gossen sie in einem feinen Rinnsal über die Leiche, der eine am Kopf beginnend, der andere bei den Füßen.
Danach traten die Männer auf den Kopf der Leiche zu, und Angelica hielt unwillkürlich den Atem an. Sie wusste, was jetzt kommen würde, und musste all ihre Kraft aufbieten, um nicht die Flucht zu ergreifen.
Die beiden Vampire zückten glänzende Dolche. Sie beugten sich über Jadwigas Kopf.
Nicht die Augen zumachen, nicht die Augen zumachen, schärfte sich Angelica verzweifelt ein. Sie konzentrierte sich auf das Gesicht des einen. Er sah aus wie Anfang dreißig, konnte aber ebenso gut zweihundert Jahre alt sein. Zweihundert Jahre. Was würde sie mit so viel Zeit anfangen?
Als sich der Mann wieder aufrichtete, huschten Angelicas Augen ganz unfreiwillig zu seinen Händen. Er hielt den nun blutbefleckten Dolch in der Linken. In der Rechten war Jadwigas Gebiss.
Angelica wurde übel. Angeekelt verfolgte sie, wie der Mann zur Seite trat und die Zähne in einem Samtbeutel verschwinden ließ.
Warum machten sie so etwas? Sie wünschte, sie wüsste es. Vor der Zeremonie war nicht genug Zeit zum Fragen gewesen. Aber vielleicht wäre ihr nicht so schlecht, wenn sie nur den Grund für diese barbarische Gepflogenheit wüsste.
Abermals suchten ihre Augen unwillkürlich nach Alexander. Er schaute sie direkt an, und sie musste an sich halten, um nicht zu ihm zu rennen, sich in seine Arme zu stürzen. Alles, was sie wollte, war in seinen Armen zu sein, beschützt zu sein, vor Sergej, vor allen anderen Vampiren, die ihr Übel wollten, vor den Menschen … vor der Welt. Wieso war sie auf einmal so von ihm abhängig? Wieso brauchte sie ihn so sehr? Aber es ließ sich nicht bestreiten, nur bei ihm fühlte sie sich sicher und geborgen.
Nun trat eine dunkelhaarige Frau in den offenen Raum vor der Leiche. Zwei andere folgten mit brennenden Fackeln. Die Frau begann, mit überirdisch schöner Stimme zu singen, und Angelica bekam eine Gänsehaut. Es war ein Lied ohne Worte, ein Lied, das von Leid und Sehnsucht und Ewigkeit kündete.
Langsam, einer nach dem anderen, wandten sich die Vampire ab und verschwanden im Wald. Angelica tat es ihnen gleich, doch bevor sie sich abwandte, sah sie, wie die beiden Vampire Jadwigas Leiche mit den Fackeln in Brand setzten.
Langsam, mit den Gedanken noch ganz bei der brennenden Leiche, schritt Angelica durch den dunklen Wald. Der Mond war soeben aufgegangen: Rund und blutrot stand er am Horizont und tauchte alles in einen scharlachroten Schimmer.
Kurz darauf tauchten Joanna und Margaret an ihrer Seite auf.
»Wie geht es deinen Füßen?«, erkundigte sich Margaret mit leiser, besorgter Stimme, den Blick auf die Vampire gerichtet, die sich in alle Richtungen zerstreuten und auf den Heimweg machten.
Ihre Füße? Ach, die hatte sie angesichts des durchdringenden Gestanks nach verbranntem Fleisch ganz vergessen.
»Daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht«, antwortete sie flüsternd. Die Vampirinnen lächelten.
»Das hast du wirklich gut gemacht, Angelica. Ich bin stolz auf dich!«, sagte Joanna eine Viertelstunde später. Sie waren in einen Pfad eingebogen, der zu ihrer Droschke führte; bald wären sie wieder zurück in der herzoglichen Residenz.
»Ja, wir sind stolz auf dich«, stimmte auch Margaret zu. »Vergiss nicht: Die Hälfte hast du bereits hinter dir.«
Angelica nickte, und die drei stiegen stumm in die Droschke.
Margaret verständigte sich durch einen Blick mit Joanna und brach dann das angespannte Schweigen.
»Da ist noch etwas, Angelica. Wir haben es bisher noch nicht erwähnt, weil wir dich nicht zu sehr beunruhigen wollten.« Sie rutschte unbehaglich hin und her, legte ihre Hand auf ihren schwangeren Leib und fuhr dann fort: »Die Feier des Todes ist für uns immer auch eine Feier des Lebens, der Leidenschaft. Wir wollen nicht vergessen, was das Leben lebenswert macht.«
Indem sie einer Toten die Zähne herausschnitten und sie wie eine Heidin verbrannten? Das verstand Angelica nicht, aber sie sagte nichts.
Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, meinte Margaret lächelnd: »Die Zähne wurden ihr entfernt, weil wir sie zusammen mit dem kleinen schwarzen Buch in unserer Archivkammer aufbewahren. Auf diese Weise wird sie nie vergessen werden. Ihr Körper dagegen muss verbrannt und der Mutter Erde zurückgegeben werden, damit die Menschen keine Spur von uns finden.«
Joanna bedeutete Margaret mit einem panischen Blick, dass die Zeit knapp wurde, was Angelica nicht gerade als ein gutes Zeichen auffasste. Was immer sie ihr bis jetzt verschwiegen hatten, es konnte nichts Gutes sein. Sie war versucht, einen raschen Blick in ihre Gedanken zu werfen, sah aber davon ab. Ein solches Eindringen wäre unverzeihlich gewesen.
»Die meisten Clanmitglieder treffen sich in ihren verschiedenen Häusern, aber wir, eine auserwählte Gruppe, werden nun den zweiten Teil der Zeremonie im Haus des Clanführers feiern. Geleitet wird diese Feier von den beiden engsten Verwandten von Jadwiga; wir feiern das Leben und seine Freuden: Musik, Tanz, Kunst und …«
In diesem Moment wurde der Kutschenschlag geöffnet, und ein Vampir, den Angelica noch nie gesehen hatte, half ihnen aus der Droschke. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie angekommen waren. Angelica wollte Margaret fragen, was sie gemeint hatte, aber dafür war es nun offensichtlich zu spät. Die drei betraten, gedrängt von dem unbekannten Vampir, die herzogliche Residenz.
»Joanna?«, zischte Angelica, während sie einer Gruppe von Vampiren folgten, die sie ebenfalls noch nie gesehen hatte. Sie betraten den großen Empfangssaal. Sogleich blickte sie sich nach James, Kiril und Alexander um, die sicher auch da sein mussten.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Joanna leise.
Angelica hätte darauf die eine oder andere sarkastische Antwort parat gehabt, vergaß sie jedoch, als sie sah, wie man den Raum hergerichtet hatte.
Zehn Stühle standen in einem weiten Kreis in der Mitte. Hinter jedem Stuhl brannte eine große Kerze. Abgesehen davon war der Saal vollkommen leer: Bilder und Wandbehänge waren abgenommen, sämtliche Möbel entfernt worden. Nur die dicken Samtvorhänge hatte man an den hohen Fenstern gelassen; diese waren nun zugezogen, sodass der Raum außerhalb des Lichtkreises vollkommen im Dunkeln lag.
Der gleiche Vampir, der aus dem schwarzen Büchlein vorgelesen hatte, wies ihr nun einen Stuhl zwischen zwei Vampiren an, die sie nicht kannte. Nervös nahm Angelica Platz.
Alexander saß ihr gegenüber, flankiert von Joanna, Kiril, James und Margaret.
Als alle zehn Plätze besetzt waren, betraten vier weitere Vampire den Raum, und die Tür wurde mit einem unheilvollen Donnern geschlossen, das in Angelicas Ohren wie eine Totenglocke klang.
Angelica.
Das war Alexanders Stimme! Sie musste wohl einen Moment nicht aufgepasst und ihre Blockade vernachlässigt haben - wie immer, wenn sie extrem nervös wurde. Aber anstatt wütend zu werden, war sie nur dankbar. Warum war sie nicht schon früher darauf gekommen? Alexanders Stimme hatte ihr so gefehlt.
Ja?, antwortete sie daher rasch.
Egal was geschieht, du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt. Vertraust du mir?
Alexanders gedankliche Stimme klang drängend, als ob ihnen nicht mehr viel Zeit bliebe. Was immer ›es‹ war, würde jeden Moment beginnen.
Ich vertraue dir.
Sie wusste, dass Alexander seine Blockade nun wieder errichtet hatte, und tat es ihm gleich. Schon begannen zwei Vampirinnen mit melodischen Stimmen zu singen. Auch dies war ein Lied ohne Worte, dafür aber umso ausdrucksvoller.
Der kleine Mann, der aus dem schwarzen Büchlein vorgelesen hatte, trat in die Mitte des Kreises, in der Hand einen reich verzierten Kelch. Damit trat er zunächst auf James zu und bot ihm das Gefäß zum Trinken. James nahm einen Schluck. Dann ging der Vampir zwei Stühle weiter nach links und hielt dem dort sitzenden Vampir ebenfalls den Kelch an die Lippen.
Angelica brauchte einen Moment, bis ihr klar wurde, was da getrunken wurde. Nein, nein! Sie konnte kein Blut trinken, auf gar keinen Fall! Sie würde alles wieder ausspucken, und dann wäre ihre Tarnung aufgeflogen. Man würde sie umbringen, und nicht einmal Alexander könnte etwas dagegen tun.
Den Tränen nahe verfolgte sie, wie der kleine Mann nacheinander von einem zum anderen ging. Als der Vampir zu ihrer Linken trank, hielt Angelica den Atem an. Gleich würde sie drankommen. Was sollte sie tun, wenn man ihr den Kelch an die Lippen hielt? Würde der Geruch schon ausreichen, dass sie sich übergeben musste?
Sie machte den Mund auf, um zu protestieren, als der kleine Mann auch schon an ihr vorbei war und den Kelch an die Lippen des Mannes zu ihrer Rechten hielt. Erst jetzt wurde Angelica klar, dass er die ganze Zeit immer einen Platz übersprungen hatte: Er hatte den Kelch nur den Männern angeboten.
Wie sexistisch dieses Ritual auch immer sein mochte, Angelica war zutiefst dankbar, ja, sie war so dankbar wie noch nie in ihrem Leben … abgesehen von dem Moment, als Alexander ihr das schönste Geschenk ihres Lebens gemacht hatte.
Sie warf einen Blick zu ihm. Wie konnte sie ihn, selbst jetzt, in diesem Moment, nur so begehren? Der Vampir mit dem Kelch verstellte ihr kurz die Sicht, dann sah sie, wie Alexander trank. Er schloss kurz die Augen und schlug sie dann wieder auf.
Angelica biss sich erschreckt in die Lippe: Seine sonst grauen Augen leuchteten scharlachrot.
Wahrscheinlich sahen auch die anderen männlichen Vampire so aus, aber Angelica verzichtete darauf, einen Blick in die Runde zu werfen. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren, und der Anblick von einem halben Dutzend rotäugiger Vampire wäre dabei vermutlich nicht gerade förderlich.
Als auch der letzte männliche Vampir aus dem Kelch getrunken hatte, veränderte sich der Gesang, wurde langsamer, träger, weniger traurig, dafür aber sinnlicher. Angelica fragte sich, was jetzt wohl kam. Sie hoffte inständig, dass dies das Ende der Zeremonie war, denn sehr viel mehr konnten ihre angegriffenen Nerven nicht mehr ertragen.
In diesem Moment fiel Angelica auf, dass Joanna sie durchdringend anschaute, als wollte sie ihr etwas mitteilen. Angelica hob unmerklich die Brauen, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie nicht wusste, was sie von ihr wollte. Die Augen starr auf Angelica gerichtet, hob Joanna die Hände an den Hals und begann, an der Schnalle ihres Umhangs zu nesteln.
Wie in Zeitlupe verfolgte Angelica, wie ihre Freundin die goldene Schnalle öffnete und ihren Umhang zu Boden gleiten ließ.
Angelica schaute sich mit weit aufgerissenen Augen um: Margaret tat dasselbe! Angelica hatte gerade noch Zeit, ein kleines Mal oberhalb ihres Nabels zu bemerken, als ihr jäh klar wurde, dass man auch von ihr erwartete, sich zu entblößen.
O Gott, o Gott, o Gott!
Hilfesuchend huschte ihr Blick zu Alexander. Dessen Augen hatten wieder ihre normale Farbe angenommen, doch mied er geflissentlich ihren Blick.
Sie durfte sich jetzt nicht zieren, oder es würde alles auffliegen!
Nicht denken, jetzt bloß nicht denken, befahl sie sich. Tapfer hob sie die Hände und öffnete die Schnalle ihres Mantels.
Immer noch besser, als Blut zu trinken, versuchte sie sich zu trösten, während der Umhang raschelnd hinter ihr über die Stuhllehne fiel, immer noch besser, als Blut zu trinken.
Angelica bekam prompt eine Gänsehaut. Kein Mann hatte sie je nackt gesehen, und nun ruhten gleich fünf Augenpaare auf ihr.
Scham drohte sie zu überwältigen, doch sie drängte das Gefühl resolut zurück. Die anderen Frauen schienen nichts dabei zu finden, und wahrscheinlich war es ganz normal für Vampire - die immerhin wer weiß wie alt waren! -, sich voreinander auszuziehen.
Den Blick starr auf eine Stelle etwas oberhalb von Alexanders Schulter gerichtet, saß Angelica kerzengerade da. Sie zwang sich, an nichts zu denken, nichts zu hören außer den verführerischen Gesang.
Abermals trat der Vampir, der mit dem Kelch die Runde gemacht hatte, in den Kreis, diesmal jedoch mit einer Schale und einem dicken Pinsel. Er ging zuerst zu Margaret, tauchte den Pinsel in die Schale und malte einen dicken Strich auf ihre Stirn.
Als sie selbst an der Reihe war, versuchte Angelica an nichts zu denken, nichts zu fühlen außer dem warmen Blut, das man ihr auf die Stirn strich.
Kurz darauf waren alle Frauen mit dem Zeichen versehen. Abermals veränderte sich der Gesang, wurde noch sinnlicher, noch schwüler. Der Mann verließ den Kreis.
Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille.
Dann erhob sich Margaret, wunderschön mit ihrem prallen schwangeren Leib und den schweren Brüsten. Stolz durchquerte sie den Kreis und blieb vor dem Herzog stehen. Dann kniete sie vor ihm nieder und wartete. Dieser beugte sich vor und drückte seine Stirn an die ihre. Da das Blut noch nicht getrocknet war, sah Angelica auf seiner Stirn, als er sich nun wieder aufrichtete, einen identischen rotbraunen Strich. James erhob sich und half seiner Frau auf die Füße. Dann legte er den Arm um sie und führte sie aus dem Saal.
Nun erhob sich die Frau, die links von Margaret saß, eine Blondine mit schulterlangem gelbem Haar und einer makellosen Figur, die aussah wie eine goldene Göttin. Unschlüssig verharrend, näherte sie sich schließlich Alexander.
Nein, dachte Angelica panisch, sie durfte nicht Alexander wählen. Wenn er mit dieser Frau ging, wäre sie ganz allein. Das durfte nicht sein... Alexander durfte sie nicht verlassen!
Erst als die Frau an Alexander vorbeiging und vor dem Vampir niederkniete, der zwei Stühle weiter saß, konnte Angelica wieder atmen.
Als Nächstes war Joanna an der Reihe. Unbekümmert erhob sie sich und schritt mit wallender roter Mähne auf Kiril zu, kniete vor ihm nieder. Die Freundin nickte ihr auf dem Weg nach draußen zu, und da wusste Angelica, dass sie nun an der Reihe war.
Zitternd erhob sie sich. Sie musste sich zwingen, ihre Beine in Bewegung zu setzen. Aller Augen ruhten auf ihr, männliche und weibliche, nur Alexander hatte den Blick abgewandt und saß starr auf seinem Stuhl.
Sie zwang sich, langsam zu atmen, und machte die ersten Schritte. Sie hätte zu gerne gewusst, was in ihm vorging. Ob sie ihm gefiel? Sie hätte am liebsten ihre langen schwarzen Haare nach vorn fallen lassen, um ihre Brüste zu verstecken, wagte es aber nicht. Sie wäre jetzt zu gern mit ihm allein gewesen!
Angelica wusste nicht wie, aber sie erreichte ihn schließlich ohne Zwischenfälle. Als er sich vorbeugte und ihr Gesicht in beide Hände nahm, um seine Stirn an die ihre zu drücken, schloss sie die Augen.
Ohne es verhindern zu können, musste sie an rotglänzende Augen und scharfe Zähne denken. Bleib ruhig!, befahl sie sich. Alexander hat dir das Leben gerettet, und wahrscheinlich rettet er dich gerade erneut.
Er zog sie hoch und hielt sie bei der Hand. Den Blick auf ihr Gesicht gerichtet, vermied er es, ihren nackten Körper anzuschauen. Angelica hörte, wie sich eine weitere Frau erhob. Sie hatte es geschafft! Jetzt war sie so gut wie sicher.
Erleichtert ließ sie sich von Alexander aus dem Saal führen. Beide schwiegen, bis sie das Gästezimmer erreicht hatten, das man ihr zuvor zugewiesen hatte.
Trotz der Dunkelheit stürzte Angelica sofort zum Schrank, riss ihr Nachthemd heraus und zog es hektisch an. Alexander trat derweil ans Fenster und blickte hinaus.
Nun wurde ihr die ganze Aufregung zu viel: der Vampirjäger, diese roten Augen, das Blut … aufschluchzend sank sie mit dem Rücken an der Wand herab und umschlang ihre Beine.
Dicke Tränen kullerten lautlos unter ihren geschlossenen Lidern hervor.
Alexander kam sogleich zu ihr und hob sie hoch. Sie schlang die Arme um seinen Hals und ließ sich von ihm zum Bett tragen, wo er sich hinsetzte und sie zärtlich auf seinen Schoß nahm.
»Es ist vorbei«, flüsterte er und streichelte ihren Rücken, ihr Haar, ihre Arme. Sie klammerte sich noch fester an ihn. Sie brauchte seine Wärme, seinen Trost, sie brauchte ihn.
Nachdem sie ein paar Mal tief Luft geholt hatte, wurde sie ein wenig ruhiger. Jetzt war alles gut. Alexander war bei ihr, sie war in Sicherheit.
Mit tränennassem Gesicht blickte Angelica zu ihm auf.
»Ich …« Abermals versagte ihr die Stimme, und die Gefühle drohten sie zu überwältigen. Sie wusste nicht, wie anfangen, was zuerst sagen.
Alexander streichelte ihr übers Haar.
»Du bist müde, du solltest jetzt schlafen.«
Aber Angelica wusste, dass es nicht Schlaf war, was sie brauchte. Mehr als alles andere brauchte sie ihn, jetzt, in diesem Moment, in dieser Nacht.
»Es ist vielleicht dumm, aber ich fürchte mich nicht mehr«, gestand sie leise.
»Du brauchst dich auch nicht zu fürchten, wenn ich bei dir bin, Angelica, das habe ich dir doch schon gesagt.«
Nachdenklich zupfte sie an seinem Umhang.
»Und wenn dich nun eine andere vor mir genommen hätte?«
Ein schrecklicher Gedanke. Dann hätte sie zu einem fremden Vampir gehen und vor diesem niederknien müssen. Sie hätte mit einem Fremden weggehen und, ja, was tun müssen?
Als Alexander nichts sagte, fragte sie: »Was machen die alle, nachdem sie den Raum verlassen haben?«
Alexanders Augen bohrten sich einen Moment lang in die ihren, dann schaute er wieder aus dem Fenster. »Sie feiern das Leben.«
Angelica wusste, was er damit meinte, hatte es auch geahnt, sich aber bis jetzt nicht eingestehen wollen. »Und du hättest mich ganz allein gelassen, wenn dich eine andere Frau ausgewählt hätte?«
Er schaute sie nicht an, aber sie spürte, wie er sich versteifte.
»Das wäre nicht passiert.«
»Und wieso nicht? Ich glaube, diese Blondine wollte zu dir.« Angelica war so erschöpft, dass sie noch nicht einmal Eifersucht verspürte.
»Niemand hätte es gewagt, dich anzufassen. Sie wussten, dass du mir gehörst.«
Ihm gehörte. Er hatte gelogen, damit man sie in Ruhe ließ. Aber dass dies im Grunde gar keine Lüge war, wusste er natürlich nicht.
»Deine Verlobung wird selbstverständlich gelöst.«
Sie schaute jäh zu ihm auf, aber er hielt den Blick immer noch abgewandt. Das war das erste Mal, dass er ihre Verlobung erwähnte. Aber was meinte er damit? Es war keine Frage … es konnte keine Frage sein. Genau das hatte sie sich doch gewünscht, oder? Vielleicht hatte er doch nicht gelogen, als er behauptete, dass sie ihm gehörte.
»Dann glauben die anderen also, dass wir ›das Leben feiern‹?«
Alexander nickte.
»Gehört das zur Zeremonie?«
Er nickte abermals, diesmal jedoch zögerlicher.
Angelica biss sich auf die Lippe und überlegte sich ihre nächsten Worte sorgfältig. Sie wollte ihn, daran gab es keinen Zweifel. Sie wollte in seinen Armen sein, wollte, dass er sie küsste, bis sie an nichts mehr denken musste, weder an den Jäger noch an die Zeremonie, an nichts außer an ihn und was er sie fühlen machte. Ja, sie wünschte sich, ihm zu gehören.
Kein Zurück mehr.
»Dann missachtest du gerade eure Gesetze.«
Alexander schaute sie an, und im Mondschein, der zum Fenster hereinfiel, konnte sie deutlich das Erstaunen auf seinen Zügen ausmachen.
»Was willst du damit sagen?«
Sie wusste nicht, was über sie gekommen war. Vielleicht war es eine Nachwirkung der Ängste, die sie im Wald und später bei der Zeremonie unten ausgestanden hatte, aber auf einmal war sie von einem ganz neuen Mut erfüllt.
»Laut Gesetz musst du die Zeremonie zu Ende führen, aber das hast du noch nicht.«
Alexander schaute sie unverwandt an.
»Ich werde nicht aufhören.«
Ein köstlicher Schauder überrieselte sie bei diesen barsch hervorgestoßenen Worten. Sie wollte auch gar nicht, dass er aufhörte. Er sollte nie wieder aufhören.
Sie beugte sich ein wenig zurück und schaute ihm tief in die Augen.
Ich will dich.
Langsam, einen nach dem anderen, öffnete sie die Knöpfe ihres Nachthemds, während sie ihm ihre Gedanken schickte. Zentimeter für Zentimeter teilte sich der Stoff und enthüllte ihre zarte, weiße Haut.
Küss mich.
Ihre Hand strich ihren Körper hinab, zog den Stoff noch weiter auseinander und gestattete ihm einen verführerischen Blick auf den schwellenden Ansatz ihrer Brüste.
Streichle mich.
Mit beiden Händen schob sie ihr Nachthemd von den Schultern, das ihr in weichen Falten in den Schoß fiel.
Stumm hing Alexanders Blick an ihrem wohlgeformten Oberkörper.
Leg dich hin.
Sie gehorchte widerstandslos, rutschte von seinem Schoß und streckte sich auf dem Bett aus. Die Seidenlaken fühlten sich kühl unter ihrem erhitzten Körper an. Sie schloss die Augen, wartete darauf, was er als Nächstes tun würde.
Du bist so wunderschön.
Seine Gedanken waren laut und klar. Sie zitterte, als er nun ihre Beine auseinanderschob und sich dazwischenkniete. Seine langen, schlanken Finger strichen ihre Schenkel hinauf, umklammerten ihre schmale Taille und zogen sie mit einem Ruck an sich.
Sein Kuss war lang und hart und raubte ihr den Atem.
»Alexander«, keuchte sie, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen, drückte sie zurück und drehte sie auf den Bauch.
Angelica wartete zitternd ab.
Seine Hände strichen über ihren Rücken, strichen ihre lange Mähne beiseite, und seine Lippen drückten sich zärtlich auf ihren Nacken. Sie erschauderte.
Alexander, bitte!
Er strich mit den Fingerspitzen an ihrer Wirbelsäule entlang nach unten, über ihren runden Po, streifte ihr Nachthemd ab. Dann drehte er sie wieder zu sich herum.
Auch er war nackt, wie sie jetzt sah. Sein Brustkorb senkte sich auf ihre empfindsamen Brüste. Er war so stark, so muskulös und so hart. Aber bevor sie ihn richtig bewundern konnte, begann er sie erneut zu küssen.
Sie hörte auf zu denken.
Ich kann nicht länger warten, drang es wie von fern in ihre wattigen Gedanken, öffne deine Schenkel, lass mich ein.
Sie gehorchte blindlings, aber als sie spürte, wie sich sein Gewicht auf ihr Becken senkte, zog sich ihr Magen nervös zusammen: Die Angst war wieder da.
»Schau mich an.«
Sie brauchte einen Moment, ehe sie merkte, dass er laut gesprochen hatte, doch dann schaute sie ihn an. Unmöglich zu sagen, was er dachte, und diese Ungewissheit machte sie noch nervöser.
»Öffne deine Gedanken, Angelica.«
»Was?«, fragte sie verwirrt.
»Komm in meine Gedanken, komm zu mir.« Als er sah, wie sie begriff, nahm seine Miene einen zärtlichen Ausdruck an.
Angelica trat hinter ihrer Mauer hervor, verließ ihren Ort der Ruhe, ließ sich treiben. Sie betrat Alexanders Gedanken im selben Moment wie er die ihren.
Nun, wo sie seine Lust spürte, verschwand ihre Nervosität, und sie strich mit ihren Händen über seinen Rücken. Es war, als würde sie ihrer beider Gefühle fühlen, total verwirrend, aber einfach unwiderstehlich.
Lass los.
Hab keine Angst.
Siehst du nicht, dass du dich nicht fürchten musst?
Ich will dich.
Komm.
Langsam drang er in sie ein. Angelica rang nach Luft und biss sich auf die Lippe. Er dehnte sie, und es tat weh, aber das Gefühl, ihn in sich zu spüren, seine Wärme in der ihren, war einfach wunderbar.
Alexander!
Alexander konnte nicht anders, er drang weiter vor, durchstieß ihre Barriere. Er fühlte zwar ihren Schmerz, wusste jedoch gleichzeitig, dass er schon beinahe wieder vorbei war.
Ihre Hände glitten tiefer, umklammerten seine Hüften, zogen ihn fester an sich.
Nun konnte er nicht länger an sich halten und begann sich rhythmisch in ihr zu bewegen. Angelicas Lust brandete auf, sie wollte schreien, immer höher, immer höher, sie konnte nichts dagegen tun.
Und dann explodierte sie. Alexander stieß ein tiefes Knurren aus, als er es spürte, und auch bei ihm brach nun der Damm. Als Angelica von seiner Lust überschwemmt wurde, schrie sie noch einmal auf.
Als sich ihrer beider Herzschlag ein wenig beruhigt hatte, rollte sich Alexander auf den Rücken, und er zog sie fest an seine Seite.
»Alexander?«, sagte sie benommen - sie war auf einmal schrecklich müde.
»Hmm?«
»Danke.«
Er zog sie noch fester an sich.
»Angelica?«
»Hmm?«
»Komm mit mir nach Moskau.«
»Da brauche ich aber einen wärmeren Mantel.«
Das Letzte, was sie hörte, war sein leises Lachen.