Kapitel XIII

Österreich, Wien

Gregor Dubois hob die Lider, die sich nur zäh öffnen ließen, als würden sie von unsichtbaren Fäden festgehalten.

Er blickte an die gewölbte Steindecke seines Laboratoriums, zur Neonleuchte, die milchig und kalt wie ein in die Länge gezogener Mond auf ihn herabstrahlte.

In seinem Kopf wirbelten die Gedanken, tanzten eigene Erinnerungen mit denen von Anastasia und Unbekannten einen unglaublich schnellen Walzer. Er befand sich in einem hochgradig verwirrenden Zustand, da sich die fremden Eindrücke kaum voneinander separieren ließen. Verbacken, verschmolzen, nutzlos.

Er richtete den Oberkörper auf und fühlte ein Kribbeln im gesamten Körper, verbunden mit einem Taubheitsgefühl. Ihm war übel, richtig übel, und er schien alle Kraft verloren zu haben, wie nach einer schweren Grippe.

Das war weder Anastasia noch Bechstein. Behutsam stand er auf, rang den Schwindel nieder. Ich muss herausfinden, wer sie ist. Wer weiß, was sie alles aus meinen Erinnerungen in Erfahrung brachte.

Ging ihr Besuch auf die Drei zurück? Das war die wahrscheinlichste Lösung. Dubois sah sich nach Haider um, die mit geöffneten Augen einige Meter von ihm entfernt lag.

»Necessaria!« Er schwankte zu ihr.

Die Medizinerin regte sich nicht.

Als er ihre Vitalwerte prüfte, fand er weder Herzschlag noch Atmung. Sie war tot, und ihre Augen hatten sich komplett weiß gefärbt, als seien Iris und Pupillen verschwunden.

Am rechten Unterkiefer sah er Abdrücke, die von einem harten Treffer stammten, die Haut hingegen wirkte, als habe sich gleichzeitig eine Entladung ereignet. Doch der Nacken seiner Vertrauten war intakt, es gab keine Anzeichen auf eine Hirnblutung oder eine tödliche Verletzung.

Sein eigener Zustand und die Veränderung der Augen seiner necessaria machten Dubois misstrauisch. So fühlten sich keine Nachwirkungen eines elektrischen Schlags an.

Er brauchte unbedingt etwas Zuckerhaltiges, um seinen Kreislauf anzukurbeln. Dubois schleppte sich aus dem Gewölbe in das erste Zimmer des angrenzenden Ruhebereichs, wo er sich ein Glas Cola eingoss und austrank. Wohin wird …

Das Festnetztelefon auf dem Schreibtisch leuchtete auf. Das Display zeigte die automatische Rufumleitung von seiner Handynummer an, weil es unter der Erde keinen Empfang gab.

Dubois sah auf die bekannte Ziffernfolge und nahm das Gespräch an. Er lebt? Oder eine neuerliche Falle? »Ja?«, meldete er sich misstrauisch.

»Hier ist Artjom«, hörte er eine kratzige Stimme.

Dubois wollte keinerlei Informationen preisgeben, solange er nicht wusste, dass es sich um den echten necessarius seiner einstigen Geliebten handelte. »Ist das so?«

»Ja. Ihr wisst es sicherlich: Der Tausch ist schiefgelaufen.«

Dubois verzog den Mund. Die Information erreichte ihn Stunden zu spät. »Wie?«

»Wir hatten alles so gemacht, wie es besprochen worden war, aber anstelle der hera fuhr eine andere Seele ein«, erstattete Artjom stockend Bericht. Er schien verletzt zu sein oder unter starken Schmerzmitteln zu stehen. Sein Atmen ähnelte dem eines Asthmakranken, er pfiff und röchelte wie ein kaputter Teekessel. »Bevor wir etwas unternehmen konnten, um sie zu suchen, gerieten wir in den Hinterhalt.«

»Du überlebtest, weil?« Dubois blieb reserviert. In ihm ging zu viel verquer.

»Ich entkam angeschossen in die Kanalisation und lag dort mehrere Tage bewusstlos, bis mich Kanalarbeiter fanden und mitnahmen. Alle anderen aus dem Team sind tot.« Er hustete nass und schwer. »Ist die hera aufgetaucht?«

Dubois starrte ins Nirgendwo. Welch ein Grauen: Anastasias Seele schwebte entweder umher oder war in einen anderen Körper eingezogen, irgendwo auf der Welt. Dafür hatte sich eine Unbekannte nahezu alles von seinem Wissen mit einem Judaskuss angeeignet und … Nein.

»Warte!«, sprach er hastig in den Hörer, legte ihn auf den Tisch und hetzte in die Bibliothek.

Es bedurfte nur eines Blickes in den Raum und auf das offenstehende Fach, und er wusste, dass die Fremde seine Aufzeichnungen zur Formel mitgenommen hatte.

Damit konnte sie das Serum herstellen.

Ausschließlich sie – denn ihm fehlte ihre Hälfte.

Er kehrte zum Telefon zurück. »Artjom?«

»Ja?«

»Was war mit deiner hera für ein Scheitern des Übergangs ausgemacht?«

»Das Übliche. Dass ihre Seele in der Nähe wartet.« Er hustete unterdrückt. Das war das eherne Gesetz, damit eine freie Seele überhaupt gefunden werden konnte: Misslang der Wechsel, niemals von der Stelle bewegen, um den necessarii zu ermöglichen, einen adäquaten Ersatzleib heranzuschaffen und das Vergehen zu verhindern.

Und weil sie es hasst, in unpassende Körper einzuziehen. Weibliche Eitelkeit. »Du triffst sämtliche Vorbereitungen, um herauszufinden, wer wirklich in die Bechstein eingefahren ist«, befahl Dubois eiskalt. »Ich komme morgen nach Leipzig, um nach Anastasia zu suchen.«

»Wie soll ich das alleine …«

»Das ist mir egal!«, schrie er und verlor seine mühsam aufrechterhaltene Beherrschung. Kopfweh peinigte ihn, die Schläfen klopften und brannten, als flösse heiße Säure hindurch. Er presste eine Hand gegen die rechte Schädelseite, aber es half nichts. »Du hast die Bechstein ein Jahr lang observiert. Lass dir was einfallen.«

Sein Blick fiel auf den Spiegel neben dem Kleiderhaken: Auf seinem Gesicht zeichneten sich die Knöchel ab, wo er den Treffer erhalten hatte.

Das erklärte, warum er sich schlecht und schwach fühlte. Sie musste eine besondere Art des Fausthiebs als Seelengabe erhalten haben, zusätzlich zu ihrer Fertigkeit, Informationen von ihm zu stehlen. Seine Augen hingegen wirkten wie immer.

»Wenn die Drei sie schickten, wird sie schon längst bei ihnen sein«, warf Artjom ein.

Dubois sah auf den Kalender. »Ich mache mich auf die Suche nach der Seele deiner hera.« Er sah auf den Kalender. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, bevor sie sich auflöst. Sie wird bis zur letzten Sekunde warten. Er hoffte, dass sie dazu in der Lage war, sich notfalls einen Übergangskörper zu suchen. Womöglich könnte das bereits geschehen sein, und Anastasia befand sich am anderen Ende der Welt und war verwirrt oder abgeschnitten von der Zivilisation, weil sie sich nicht meldete.

»Sollte dir ein anderer necessarii über den Weg laufen, frage ihn, wohin die Bechstein mit meinem Eigentum ging«, fügte er hinzu. »Sie stahl mir etwas, was mir wichtig ist.«

»Wie Ihr wünscht. Mir wird etwas einfallen.« Artjom legte auf.

Dubois kochte innerlich und kehrte ins Laboratorium zurück.

Seine Blicke schweiften über die menschlichen Versuchskaninchen, an denen Haider das Serum testete. So lange hatte Anastasia an ihrem Übergang gearbeitet, sich Bechstein für ihre Unternehmung ausgesucht, und dann kamen die Machenschaften der Drei dazwischen.

Wie konnten sie Wind davon bekommen? Sein Blick richtete sich auf die tote Ärztin. Keiner seiner necessarii arbeitete für die Gegenseite. Das hätten sie niemals gewagt.

Ich will meine Formel. Dubois ging langsam durch das Gewölbe, schritt an den Isolationskammern vorbei und vergeudete keine Blicke an die Männer und Frauen darin. Er würde zunächst nach Leipzig fliegen, gut ausgestattet und in Begleitung seiner Spezialisten, um Anastasias Seele ein Übergangszuhause zu bieten, falls sie sich noch dort befand. Das hatte Vorrang.

Er gelangte in das Pavillonzelt, in dem Haider ihr Labor errichtet hatte. Dazu gehörte auch der mannsgroße und einen Meter tiefe Stahltresor, zu dem nur er und sie die Kombination kannten.

Als Dubois das Rädchen hin und her drehte, um die Ziffern einzustellen, fürchtete er sekundenlang, die Fremde könnte auch hier zugeschlagen haben wie bei seiner Formelaufzeichnung.

Aber als er die massive Tür aufzog, blickte er auf zehn Ampullen des Serums.

Dubois steckte sie in die Jackentasche.

Das Mittel benötigte zwar noch lange, bis es die gewünschte Wirkung entfaltete, aber es war besser als eine monatelange Zermürbung des Opfers, bevor es sich in den Selbstmord stürzte. Eine Injektion, einige Stunden Geduld, und Anastasias Seele bekäme eine vorübergehende Heimat.

Wie lange haben wir daran geforscht. Und was kann noch alles daraus werden. Doch dafür brauchte Dubois den zweiten Teil der Formel, entweder von Anastasia oder der Fremden.

Er betrachtete die verwaisten Gerätschaften, die durch Haiders Können erst wertvoll geworden waren und nun einsam und verloren in dem großen Zelt standen. Es würde schwierig werden, adäquaten Ersatz aufzutreiben. Unter seinen necessarii fand sich aus dem Stand niemand, der das Können der Hämatologin und Chirurgin aufwog.

Also brauche ich die Versuchstiere nicht mehr. Er öffnete einen der Laptops, schaltete ihn ein und rief nach dem Hochfahren die WLAN-Verbindung auf.

Mit der schnellen Eingabe des Passworts gelangte Dubois in die Zentralverwaltung der Vitalwertüberwachung und gab den Code ein, der die tödliche Dosis eines Schmerzmittels in die Infusionen absonderte. Damit würden die Männer und Frauen in den Isolationskammern in weniger als einer Minute tot sein. Seine weniger wertvollen necessarii würden die Leichen entsorgen.

Er schritt durch das Gewölbe, langsam und gemächlich, während das Sterben um ihn herum hörbar begann.

Die Probanden ächzten und stöhnten unter der Wirkung des Mittels, die Atmung wurde gelähmt, unterdrücktes Würgen erklang.

Dubois passierte den Gang und schien mit jedem Meter, den er ging, den Tod zu den Menschen zu bringen.

Als er am anderen Ende angelangt war, herrschte im Gewölbelaboratorium vollkommene Stille; die Monitore zeigten Nulllinien, Kontrolllampen blinkten hektisch.

An der Schleusentür wandte er sich noch einmal um und ließ den Blick schweifen, wie ein altertümlicher Feldherr es wohl nach einer Schlacht getan hätte. Diese Truppen hatten ihren Zweck erfüllt und waren für ihn ins Jenseits gegangen. Eingefahren in die große Seelenmasse.

Dubois’ Hand streckte sich nach dem Hauptschalter für das Gewölbe, und mit einer einzigen Bewegung schaltete er den Strom aus.

Schwärze senkte sich auf das Laboratorium.

Er trat in den kleinen Raum, zischend schloss sich das Schott hinter ihm. Sein Weg würde ihn nach einigen Anrufen direkt nach Leipzig und zu Anastasia führen.

Danach würden sie dem Körper von Lene Bechstein das Serum verpassen, um die Hülle für seine einstige Geliebte freizuräumen. Die Kontakte der Bechsteins und deren Produkte waren der Garant für den Erfolg des Plans, den sie seit mehr als zweihundert Jahren verfolgten.

Die Seele der Unbekannten könnte seinetwegen zur Hölle fahren – aber die gab es ebenso wenig wie den Himmel.

Die Hölle für ihn wäre ein Leben ohne Anastasia.

Dubois legte den linken Zeigefinger an seine Lippen, wo ihn der Mund der Fremden berührt hatte. Aber wieso spürte ich Anastasia vorhin?

 

* * *

 

Deutschland, Berlin

Claire verließ den Ankunftsbereich des Flughafens Berlin-Tegel und sah Fabian bereits an der Absperrung stehen. Die neuen Schuhe an ihren Füßen drückten ein wenig, aber sie leisteten beste Dienste. In der Rechten hielt sie eine Tüte mit kleinen Einkäufen, Mitbringsel für Pauline und Charlene.

Erleichtert ging sie auf ihn zu und konnte nicht anders, als ihn in die Arme zu schließen. Sie freute sich so sehr, ein halbwegs vertrautes Gesicht vor sich zu haben, dessen Anblick sie nicht in vollkommenes Gefühlschaos stürzte.

Fabian drückte sie. »Tapfer«, sagte er nur und ließ sie behutsam los, strich ihr dabei über den Rücken. »Kommen Sie.«

Er geleitete sie durch die Menschenmenge ins Freie zu einem aufgemotzten weißen Mini Cooper S Countryman, den er auf dem Behindertenparkplatz abgestellt hatte.

Claire ließ sich die Tür öffnen und glitt auf den Beifahrersitz.

Fabian begab sich hinters Steuer und startete den Motor, fuhr los, ohne ein Wort zu sagen. Er spürte wohl, dass sie sich erst sammeln musste.

In der Tat wusste sie auch Stunden nach dem fatalen Kuss nicht, wo ihr der Kopf stand.

Sie hatte unglaublich viele Bilder von Dubois abgezapft, die sich zwischen die eigenen Erinnerungen und denen von Anastasia zwängten. Ich dachte, er sieht nur mein Leben und nicht ich seines?

Claires Schädel war schon lange viel zu klein für die ganzen Eindrücke. Sie bildete sich ein, den Knochen knacken zu hören, der sich unter der Masse der Informationen dehnte und aufblähte. Doch ein Blick in den Spiegel bewies, dass sie normal, allenfalls übermüdet aussah. Das Dösen im Flugzeug hatte kaum Erholung gebracht.

Fabian lenkte den Countryman in Richtung Autobahn, um sie nach Leipzig zu bringen. Das Radio war eingeschaltet, es lief langsame Swing-Musik, die eine beruhigende Wirkung entfaltete.

Irgendwann überwand sich Claire, das erste Wort über die Lippen zu bringen – und dann sprudelte es aus ihr heraus: die Fahrt ins Laboratorium, das Gewölbe, die Probanden, was das Serum vermochte, ihre Flucht und sogar dass sie das fehlende Formelstück sowie den USB-Stick besaß. Er hatte ihr volles Vertrauen.

»Zeigen Sie es mir«, bat Fabian und drückte den Zigarettenanzünder.

»Seit wann rauchen Sie?« Sie nahm den Zettel, den sie aus Dubois’ Bibliothek gestohlen hatte.

»Sobald ich nervös werde«, erwiderte er.

Claire suchte das zusammengefaltete Papier heraus sowie den Stick und reichte ihm beides. »Nun verraten Sie mir, wie Sie entkommen sind!«

»Aus dem A6?«

»Natürlich aus dem A6! Ich habe gesehen, wie der Wagen explodierte«, sprach sie haspelnd.

»Ich wusste, wie Dubois reagieren würde, sobald er mich sieht. Und es war mir wichtig, dass er mich sieht.«

»Um ihn glauben zu machen, ich werde beschattet«, vermutete sie.

»Richtig. Das machte Ihr Auftauchen glaubwürdiger, wie ich fand. Und er schluckte Ihre Story.«

Bis zu dem Kuss, dachte Claire und erinnerte sich genau an Dubois’ Umarmung. »Wieso konnte er meine Gedanken nicht lesen?«

»Ich nehme an, es war die Überraschung. Hoffen wir, dass er sich nicht nachträglich besinnt.« Fabian setzte den Mini auf die Autobahn und beschleunigte den SUV auf mehr als 180 Stundenkilometer. Der Allradantrieb brachte die Kraft spielend auf den Asphalt. »Das war tapfer, was Sie heute leisteten. Und es ist unglaublich, was Sie herausfanden.« Er wackelte mit dem Zettel. »Wir haben die Formel damit komplett.«

Klackend sprang der Knopf des Zigarettenanzünders heraus.

Fabian nahm das rotglühende Metall heraus, ließ den Zettel in den Aschenbecher fallen und hielt das heiße Ende dagegen.

Sofort ging das Papier in Flammen auf.

»Was tun Sie da?« Claire hatte geglaubt, er würde sich einen Scherz erlauben. Nun war es zu spät, den Brand zu löschen. Das dünne Blatt verging rauchend und mit hoher Lohe.

»Diese Hälfte vernichten«, antwortete er wahrheitsgemäß und wartete, bis das Blatt zu Asche verbrannt war. Dann warf er sie mitsamt dem Behältnis in voller Fahrt aus dem geöffneten Fenster. »Kein Seelenwanderer darf sie besitzen.« Er warf den USB-Stick in den Fußraum und trat mehrmals darauf, bis Plastik und Metall zerfielen. Diese Stücke flogen ebenfalls nacheinander ins Freie. »Und auch niemand sonst. Es ist zu gefährlich, zu übermächtig. Es muss andere Wege geben.«

Wen meint er mit niemand sonst? Claire staunte ihn an. »Aber … das Triumvirat hat uns doch den Auftrag gegeben …«

»Sie denken, Stahl und seine Freunde wären die Guten. Mir erging es früher ähnlich«, unterbrach er sie. »Ich war ein braver necessarius. Aber das ist vorbei. Die drei sind Seelenwanderer, und sie kennen nur ein Ziel: Macht.«

Claire sah nach vorne, in ihr arbeitete es. »War das der Grund, warum Sie ihnen nicht sagten, wer ich bin?«

»Ein Grund, ja. Ich wollte Ihre Familie vor  … dem Triumvirat, wie Sie sie nennen, schützen, um sie nicht zum Druckmittel zu machen, sobald Sie sich ihnen verweigern würden«, erklärte er. »Je weniger sie über Claire Riordan wissen, desto besser.«

So ganz verstand Claire seine Motivation nicht. Er verriet seinen Vorgesetzten – doch was plante er stattdessen? »Sie wollen mir sagen, dass die drei keine Sekunde zögern würden, diese Formel herzustellen, um sie selbst zu nutzen?« Sie vermochte es kaum zu glauben. »Diesen Eindruck hatte ich bei unserer Unterhaltung nicht.«

Fabian lachte kalt. »Was findet man in einem Hospiz?«

»Todkranke Menschen?« Dann fiel Claire ein, was seine Frage eigentlich bezweckte, und sie sackte leicht zusammen. »Natürlich! Sie warten dort auf Lebensmüde, um schnell von einem zum anderen zu wechseln.«

»Erfasst. Pro Wechsel eine Gabe mehr. Ihre Ausbeute ist recht gut.« Fabian warf ihr bei Tempo 200 einen raschen Blick zu. »Alle würden das Serum einsetzen, und die Begründungen wären fadenscheinig. Es gibt nichts Gutes im Schlechten, wie es so schön heißt.« Er zog an einer Reihe Militärlaster vorbei, die einen Konvoi bildeten und die rechte Straßenseite komplett besetzten. »Sie sind menschenverachtend. Darin gleichen sich sämtliche Seelenwanderer.«

Claire hörte ihm genau zu und erkannte den ablehnenden Unterton in seinen Worten. »Aber Sie gehören auch dazu.«

»Ich wurde zu einem von ihnen, ja. Aber ich wollte es nicht. Und will es auch nicht mehr.« Fabian rieb sich die aschebeschmutzten Finger an der Hose ab. »Was ich Ihnen erzähle, werten Sie als meinen größten Vertrauensbeweis.«

Claire nickte und war aufgeregt.

»Solange es Seelenwanderer gibt, und zwar solche wie Dubois oder Anastasia oder Stahl und Taronow, wird die Menschheit niemals frei sein«, eröffnete er ihr, ohne seinen Fahrstil zu ändern. »Das ist sie sehr, sehr lange schon nicht mehr.« Mit konstanten 200 Kilometern pro Stunde ging es über die Autobahn, der Konvoi flog an ihnen vorbei. »Ich fände es wesentlich gerechter, wenn die Menschheit selbst über sich bestimmt, anstatt Spielball der Seelenwanderer und deren Ambitionen zu sein.«

Claire erinnerte sich an seine ersten Ausführungen. »Staatsmänner, die in Wahrheit Seelenwanderer waren.«

»Genau. Und ihre alten Fehden weiterführten, von Körper zu Körper. Ganze Generationen wurden ausgelöscht, weil die Alten Seelen sich hassten und Krieg gegeneinander führten.« Fabian sah man die Abscheu an. »Sie könnten mir helfen, den Einfluss der Seelenwanderer zu reduzieren …«

»Indem wir ihre Zahl reduzieren«, vollendete sie.

»Wie gesagt: Je älter sie sind, desto zäher werden sie. Jede Exkarnation muss sorgfältig geplant werden, damit der Seelenwanderer nicht den Hauch einer Gelegenheit bekommt, sich zu halten.«

Claire kannte das Wort Inkarnation und nahm an, dass dies das Gegenteil davon war. Das ist wohl der Fachbegriff. Entfleischung, wenn man ihn eins zu eins übersetzt. »Dann existiert Anastasias Seele tatsächlich noch?«

»Davon gehe ich aus, auch wenn schon einige Tage vergingen und sie manche ihrer Gaben durch diese lange Zeit im Zwischenstadium einbüßte. Jetzt weiß es Dubois, und er wird alles versuchen, um sie zu finden.« Fabian überholte den letzten Lkw und reduzierte die Geschwindigkeit, bog auf die rechte Seite und fuhr nur noch 180 Stundenkilometer. »Ich wollte wissen, ob ich in Ihnen eine Verbündete habe.«

Claire fühlte sich unwohl und bedrängt. »Das muss ich mir überlegen.«

»Verstehe ich. Mein Schutz ist Ihnen sicher.«

»Sie haben bereits einen Plan?«

»Ich bin nicht alleine, sagen wir es so. Aber mehr Informationen bekommen Sie erst« – Fabian sah sie länger an, als es seinem Fahrstil angemessen war –, »wenn ich mir sicher sein kann, in Ihnen eine Mitstreiterin zu haben.«

Das meinte er mit niemand sonst. Claire nickte – und sehnte sich nach einem Gespräch mit ihrer Schwester. Noch ein Stein mehr, der auf ihr lastete. Wie lange sie dem Druck noch standhielt, wusste sie beim besten Willen nicht. Momentan rettete sie sich mit Verdrängen.

Der Countryman schoss durch die Nacht, und das Schweigen kehrte in den Wagen zurück.

Fabian war offenkundig ein Rebell, ein Widerstandskämpfer gegen sämtliche Seelenwanderer, um die Menschheit von deren Einfluss zu befreien. Das fand Claire mutig, beeindruckend – sofern es stimmte, was er behauptete.

Sie seufzte und blickte aus dem Fenster, wo die Lichter einer unbekannten Stadt als kleine blinkende Erdsterne leuchteten. Jeder erzählt mir eine andere Geschichte. »Würden Sie sich auch umbringen?«, fragte sie ihn leise.

Fabian lachte. »Jemand muss doch gegen die Seelenwanderer vorgehen. Normale Menschen könnten sehr rasch in Bedrängnis geraten, auch wenn meine Verbündeten gut aufgestellt sind.«

»Aber dann wären Sie einer der wenigen Seelenwanderer.« Claire musterte ihn von der Seite. »Wer würde Sie aufhalten, wenn Sie beschließen, Kanzler von Deutschland oder der nächste russische Präsident mit Allmachtsanspruch zu werden?«

»Niemand«, erwiderte er ehrlich wie stets. »Aus dem Grund tue ich es nicht.«

Und wenn du vor Macht durchdrehst? Claire legte die schmalen Hände in den Schoß, die ein wenig verloren darin aussahen. »Sie müssen mir noch sagen, wie Sie aus dem Audi entkamen.«

»Ah, die Seelengabe.« Fabian grinste lausbubenhaft. »Der Trick war: Ich saß nicht mehr drin.« Er nahm die Hände vom Steuer, schnallte sich ab und kletterte zwischen den Vordersitzen auf die Rückbank des Mini.

Der Wagen jagte unvermindert über die Autobahn, ohne auszubrechen oder sein Fahrverhalten zu ändern.

Claires Arme sanken zur Seite, sie krallte sich an das Leder, schluckte die Angst hinab. Er weiß, was er tut, sagte sie sich unentwegt.

Fabian blickte nach vorne und lächelte. »Ich bemerkte die Gabe erst nach Jahren. Durch einen Zufall. Ich kann ein Fahrzeug meiner Wahl steuern, wenn ich zuvor damit Kontakt hatte. Ich könnte auch aussteigen und es aus der Ferne lenken, ohne dass ich gegen Hindernisse fahre.« Er wandte den Kopf zu ihr. »Ich sehe sozusagen, was um den Wagen herum geschieht. Und Blitzer-Fotos ohne Fahrer, tja, gelten vor Gericht nicht.«

Claire zwang sich zu einem Lächeln und versuchte, sich zu entspannen, auch wenn er sich einen Spaß daraus machte und den Countryman beschleunigte. »Halten sich Seelengaben gelegentlich verborgen?«

»Manchmal ja. Nach einem Übergang gab es Fälle, wo Wanderer ein Jahr und mehr nach ihrer neuen Kraft fahndeten, ehe sie sich zeigte.« Fabian stieg auf den Fahrersitz zurück.

»Könnte es sein«, setzte sie behutsam zu einer entscheidenden Frage an, »dass ich über mehrere Gaben verfüge?«

»Wie kommen Sie darauf?« Zwar hatte er die Hände ums Lenkrad geschlossen, verriss es aber ganz leicht und musste gegensteuern, um nicht mit den Leitplanken auf der linken Seite zu kollidieren. »Aber natürlich! Sie haben Dubois’ Gedanken gelesen!«

»Ich« – Claire suchte nach den richtigen Worten – »kann noch mehr. Als ich mit ihm und der Ärztin kämpfte und sie schlug, löste sich ein Blitz, als wären meine Hände elektrisch geladen.«

»Das wären schon drei.«

»Ich sehe im Dunkeln. Ist das normal?«

»Vier.« Fabian sah man an, dass er nachdachte. »Schwierig«, befand er irgendwann. »Einer vom Triumvirat wüsste womöglich mehr, aber …«

»Nein!«, warf sie erschrocken ein. »Die sollen es nicht wissen.«

»Ganz genau. Ich versuche, im Verborgenen mehr herauszufinden.« Er zeigte auf ein vorbeihuschendes Hinweisschild. »Wir sind gleich in Leipzig. Willkommen zu Hause.«

Das ist nicht mein Zuhause. Claire bereitete sich auf das Zusammentreffen mit Eugen vor, der sicherlich noch nicht schlief.

Gemeinsam mit Fabian ging sie ihre Geschichte durch. Er verbesserte die Lügen durch kleine Anmerkungen, so dass ihre Ausrede, warum sie erst gegen drei Uhr morgens in die Bechsteinsche Villa von einem spontanen Meeting in Wien zurückkehrte, halbwegs passabel klang. Eugen würde seine Frau zu Recht für verrückt halten.

Sie erreichten das verschlafene, ruhige Lausen und näherten sich durch die Sträßchen dem herrschaftlichen Anwesen in der Nähe des Kulkwitzers Sees.

Fabian fuhr auf das angestrahlte Anwesen zu. Im Vorbeifahren sahen sie beide ein gelbes Plastikkärtchen kurz vor dem Alleebeginn aus dem aufgewühlten Schnee an der Straße ragen.

Der Mini blieb vorm Eingang stehen.

Fabian stieg aus und öffnete ihr die Wagentür. »Morgen um wie viel Uhr, Frau von Bechstein?«, fragte er galant und reserviert zugleich, wie es sich für einen Leibwächter gehörte.

»Nicht zu früh. Gegen neun Uhr wird ausreichen.« Claire nahm die Tüte und ging auf den Eingang zu. »Gute Nacht, Herr Vacinsky.« Sie suchte den Schlüssel heraus und sperrte auf, um das Haus zu betreten. Wayne Manor. Sie schauderte.

»Gute Nacht, Frau von Bechstein.« Er stieg ein, der Motor des kleinen SUV röhrte auf und entfernte sich.

Wieder hatte Claire das Gefühl, alleingelassen zu sein, auch wenn Eugen lächelnd durch die Halle auf sie zukam und die Arme zur Begrüßung ausbreitete.

 

 

Fabian ließ den kompakten Wagen von der Auffahrt rollen und bog auf die Straße ab, hielt allerdings nach wenigen Metern am Fahrbahnrand an. Eine Sache musste noch untersucht werden. Ohne Aufsehen und ohne Claire aufmerksam zu machen.

Er hatte die Formel vernichtet, weil er seinen Verbündeten von libra den Missbrauch ebenso zutraute wie den Drei. War die perfide Formel einmal in die Welt gesetzt und das Mittel erschaffen, würde der Einsatz dieses Stoffes kaum mehr zu kontrollieren sein. Unschuldige durften nicht zu Schaden kommen, und wie viel Rücksicht libra nahm, vermochte er nicht einzuschätzen.

Er stieg aus und ging auf das Anwesen der Bechsteins zu.

Mit einem Griff zog er aus dem Schneehaufen das gelbe Kärtchen, wie sie die Polizei benutzte, um Beweise zu markieren. Auf dem Bürgersteig erkannte er breite Reifenabdrücke und eine Schleuderspur.

Fabian sah zum Anwesen. Das Heck eines Transporters schien durch das Manöver herumgeschwenkt zu sein, eine eventuelle Ladeklappe zielte dadurch genau auf den Eingang. Freies Schussfeld.

Fabian war beim Aussteigen ein Loch in der Mauer neben dem Eingang aufgefallen, dem er zunächst keine Bedeutung zugemessen hatte. Alte Häuser trugen Narben. Jetzt allerdings wollte er sichergehen, nichts verpasst zu haben.

Er erklomm den Zaun, um den Kameras zu entgehen, und pirschte durch den Park.

Als er sich hinter eine Tanne kniete, um nicht vom Haus aus gesehen zu werden, kniff er den Mund zusammen: Der Schnee war extrem aufgewühlt. Es musste in der Abwesenheit von ihm und Claire zu einem Vorfall vor der Villa gekommen sein, aber außer dem Loch in der Wand schienen die Hinweise von Eugen beseitigt worden zu sein.

Wegen der Kinder oder wegen seiner scheinbar labilen Frau?

Zunächst zückte Fabian das Smartphone, um Claire eine SMS zu schreiben, doch dann sah er davon ab. Es grenzte an ein Wunder, dass die Frau nicht schon lange zusammengebrochen war.

Wahrlich, keine alte, aber eine sehr starke Seele. Fabian erhob sich und änderte den Plan. Morgen war Zeit genug, sich das Loch anzuschauen und sie nach den Geschehnissen um die Villa zu befragen.

Er wandte sich um – und stand vor einem Mann, den man für einen Geist halten konnte.

Der Unbekannte trug einen komplett geschlossenen, weißgrauen Schneetarnanzug, Reste des Weiß rieselten von der kälteisolierten Kleidung. Er musste irgendwo im Garten verborgen auf der Lauer gelegen haben. Seine rechte Faust mit dem Schlagstock zuckte von schräg oben heran.

Fabian sprang zurück und stieß an den Baumstamm. Er duckte sich unter der Attacke weg, der eine Welle aus Hitze vorauseilte.

Die Metallwaffe glühte auf, fraß sich durch die Tanne und hinterließ einen tiefen Schnitt im Holz, der an den Rändern verbrannt roch; das Aroma von frischem Harz verbreitete sich in der kalten Luft.

Ein necessarius! Fabian bekam einen Fegetritt gegen die Beine und landete im Schnee. Das anschwellende Zischen verhieß die kommende Attacke des heißen Eisens, und er zog den Kopf ein. Einer von Dubois?

Fauchend berührte der Stab den Schnee, Wasserdampf schoss sofort in die Höhe und hüllte die zwei Männer ein.

Fabian rollte sich nach rechts und kam dabei auf die Füße, warf sich mit einem gewaltigen Sprung gegen den anderen, um ihm einen Tritt ins maskierte Gesicht zu verpassen.

Doch der Gegner fischte ihn mit einer kreisenden Armbewegung aus der Luft, erneut krachte Fabian auf den Boden.

Dann spürte er einen Fuß auf seiner Brust und sah das glühende Metall vor sich schweben. Die abstrahlende Hitze schien sein Gesicht zu verbrennen, er musste die Lider schließen, damit seine Augäpfel weder garten noch schmolzen.

»Was habt ihr mit der Bechstein vor?«, hörte er die kratzige Stimme eines alten Bekannten, den er tot gewähnt hatte.

Artjom! Fabian konnte seinen Schrecken nicht verbergen. Ich hatte ihn erschossen.

Ein gehässiges Lachen erklang. »Manchmal braucht die Seele keinen neuen Körper, um zurückzukehren«, sprach er zufrieden. »Da tut es auch der alte, wenn er sich regeneriert.«

»Das nächste Mal bin ich gründlicher«, presste Fabian hervor.

Artjom drückte das heiße Eisen gegen Fabians Hals, der daraufhin einen lauten Schrei ausstieß. Ein Fausthieb des Gegners brachte ihn in weniger als einer Sekunde zum Verstummen. »Wo ist das, was Bechstein in Wien gestohlen hat?«

»Seit wann gehorchst du Dubois?«

Das glühende Metall traf ihn erneut.

»Die Formel ist vernichtet«, rief Fabian keuchend. »Stick und Papier sind verloren.« Auf herkömmlichem Weg würde er dem Vertrauten von Anastasia nicht entkommen. Er hatte unterschätzt, wie stark Artjom seit seiner letzten Wanderung geworden war. Der Russe konnte jegliches Metall in seinen Händen erhitzen, ohne Schaden zu nehmen, wuchtete eine Tonne Gewicht ohne Anstrengung und schien mit einer übermenschlichen Konstitution gesegnet zu sein. Er erinnerte sich, dass Artjom bereits früher Anastasias Zerstörer genannt wurde.

»Vernichtet?« Artjom riss ihn in die Höhe, die blauen Augen starrten über das vor Hitze leuchtende Eisen hinweg und ergründeten den Gegner. »Das glaube ich dir nicht.«

Röhrend schoss der Mini Countryman plötzlich durch den Garten heran, blendete in der letzten Sekunde auf und räumte den Russen von den Beinen.

Artjom ließ Fabian los und krachte rücklings auf die Motorhaube, auf der er eine tiefe Delle hinterließ. Dann fiel er auf der anderen Seite zwischen Dornenbüsche, der glühende Schlagstock flog davon.

Fabian landete stöhnend auf dem Boden und ließ den Wagen nach zwei Metern anhalten.

Leicht ruckelnd kam der SUV vor einer Hecke zum Stehen. Der Motor erstarb, und die Scheinwerfer erloschen, um im Park unsichtbar zu werden.

Na also. Fabian packte den orientierungslosen Artjom mit der Linken, zerrte ihn aus den Hecken und schlug ihm mehrmals die Faust ins Gesicht. Blut spritzte aus der gesprungenen Lippe und besprenkelte den weißen Tarnanzug.

»Dieses Mal wird deine Seele vergehen«, versprach er seinem Gegner und langte unter sein Sakko, wo er einen langen Dolch verborgen trug.

Fabian riss die Waffe hervor, blickte nochmals zum Anwesen, um sich zu vergewissern, dass niemand bemerkte, was vor sich ging – und erhielt einen Schlag von solcher Wucht gegen den Hals, dass er seinen Kehlkopf knirschen hörte: Artjom hatte sich in letzter Sekunde mit einem Kopfstoß zur Wehr gesetzt.

Hustend sackte Fabian neben ihn, stach mit der Klinge dennoch nach dem Gegner. Dumpf schabend drang die Spitze in den Körper des Feindes ein, und der necessarius stöhnte.

»Verrecke«, krächzte Fabian und führte die Klinge erneut gegen ihn. Er hoffte, dass seine eigene Verletzung nicht zu gravierend war, Sprechen und Atmen gelang ihm nur unter größten Mühen.

Artjom versuchte, ihn von sich abzuschütteln, doch nach dem dritten Stich, der seitlich durch die Rippen ging, lag der muskulöse Mann abrupt still.

Fabian sog die Luft ein, was ein unheimliches Geräusch fabrizierte, und erhob sich schwerfällig. Sein Hals fühlte sich strohhalmschmal an.

Klickend öffnete er die Verriegelung des SUV-Kofferraums, der Deckel schwang auf.

Darin würde der Russe die letzte Fahrt unternehmen, bevor Fabian seine Leiche in einem See versenkte oder am besten noch in dieser Nacht verbrannte.

Ich werde die Rückbank umklappen müssen. Er hustete und hielt sich den Hals, räusperte sich und schmeckte das eigene Blut. Auf dem Tarnanzug seines Gegners zeichneten sich an drei Stellen rote Rinnsale ab.

Einer weniger von den Bastarden. Fabian bückte sich und packte Artjoms rechten Fußknöchel, dessen Bein noch im Nachhall des Todeskampfs zuckte. Die Nerven gaben letzte Impulse an die Muskeln weiter.

Seine Finger schlossen sich um das geweißte Stiefelleder.

Da erhielt er einen elektrischen Schlag, der durch seine Kuppen den Arm hinauf bis in seinen Kopf schoss.

Unfähig, sich zu bewegen, hielt er den Kontakt zu Artjom, biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien, und warf sich endlich mit aller Macht rückwärts, um sich vom Gegner zu lösen. Ratschend riss sein Fleisch ab, das mit den glühend heißen Ösen des Stiefels innerhalb von Sekunden verbacken war.

Entsetzt starrte Fabian auf den vermeintlichen Leichnam: Artjom erholte sich bereits von den drei tödlichen Stichen. Sein kräftiger Oberkörper schnellte in die Höhe wie der eines erwachten Vampirs, sein rechter Arm zuckte viel zu schnell nach vorne, um ihm entgehen zu können. »Habe ich dir von meiner neusten Seelengabe erzählt?«, rief Artjom und griff mit der bloßen Hand mitten in Fabians Gesicht.

Du wirst dennoch sterben! Fabian riss den Dolch erneut aus der Halterung; gleichzeitig durchströmten ihn unsägliche Schmerzen.

Der Mann im Tarnanzug stockte, dann lösten sich die Fingerkuppen widerstrebend von Fabians Zügen. »Was …«, stotterte er und starrte auf seine Hand. »Wie hast du …?«

Fabian verpasste ihm einen Tritt, der ihn zurückschleuderte. »Jetzt wirst du dahin zurückkehren, woher du genommen wurdest«, grollte er. Mit aller Kraft vollführte er eine Wurfbewegung. »Vergehe, Seele!«

Der Dolch flog und jagte in Artjoms linke Augenhöhle. Die unterarmlange Klinge trat hinten aus dem Schädel wieder aus und spannte die weiße Sturmhaube groteskerweise wie ein Zelt am Hinterkopf auf. Der Unterkiefer des Getroffenen klappte herab, doch der necessarius stieß keinen Schrei mehr aus.

Stumm sank er nach hinten und lag still. Nicht mal mehr das Bein zuckte.

Fabian lächelte grausam.

 

* * *

Exkarnation - Krieg der Alten Seelen: Thriller
titlepage.xhtml
part0001.html
part0002.html
part0003.html
part0004_split_000.html
part0004_split_001.html
part0005_split_000.html
part0005_split_001.html
part0006_split_000.html
part0006_split_001.html
part0007_split_000.html
part0007_split_001.html
part0008_split_000.html
part0008_split_001.html
part0009_split_000.html
part0009_split_001.html
part0010_split_000.html
part0010_split_001.html
part0011_split_000.html
part0011_split_001.html
part0012_split_000.html
part0012_split_001.html
part0013_split_000.html
part0013_split_001.html
part0014_split_000.html
part0014_split_001.html
part0015_split_000.html
part0015_split_001.html
part0016_split_000.html
part0016_split_001.html
part0017_split_000.html
part0017_split_001.html
part0018_split_000.html
part0018_split_001.html
part0019_split_000.html
part0019_split_001.html
part0020_split_000.html
part0020_split_001.html
part0021_split_000.html
part0021_split_001.html
part0022_split_000.html
part0022_split_001.html
part0023_split_000.html
part0023_split_001.html
part0024_split_000.html
part0024_split_001.html
part0025_split_000.html
part0025_split_001.html
part0026_split_000.html
part0026_split_001.html
part0027_split_000.html
part0027_split_001.html
part0028_split_000.html
part0028_split_001.html
part0029_split_000.html
part0029_split_001.html
part0030_split_000.html
part0030_split_001.html
part0031_split_000.html
part0031_split_001.html
part0032_split_000.html
part0032_split_001.html
part0033_split_000.html
part0033_split_001.html
part0034_split_000.html
part0034_split_001.html
part0035_split_000.html
part0035_split_001.html
part0036_split_000.html
part0036_split_001.html
part0037_split_000.html
part0037_split_001.html
part0038_split_000.html
part0038_split_001.html
part0039_split_000.html
part0039_split_001.html
part0040_split_000.html
part0040_split_001.html
part0041_split_000.html
part0041_split_001.html
part0042_split_000.html
part0042_split_001.html
part0043_split_000.html
part0043_split_001.html
part0044_split_000.html
part0044_split_001.html
part0045_split_000.html
part0045_split_001.html
part0046_split_000.html
part0046_split_001.html
part0047_split_000.html
part0047_split_001.html
part0048_split_000.html
part0048_split_001.html
part0049_split_000.html
part0049_split_001.html
part0050_split_000.html
part0050_split_001.html
part0051_split_000.html
part0051_split_001.html
part0052_split_000.html
part0052_split_001.html
part0053.html
part0054.html