Kapitel XII

Frankreich, Pays de la Loire, Département Loire – Atlantique,
Saint-Brevin-les-Pins

Der späte Nachmittagswind wehte mit solcher Wucht von See her, dass sich Eric in die strömende Luft lehnen konnte, ohne umzufallen. Einheimische würden dies nicht als Sturm bezeichnen, man kannte die Region noch aufbrausender. Die Bäume links des Weges neigten sich und trotzten dem Element.

Eric ging den schmalen Weg entlang des Küstenstreifens, während sich das Meer etliche Meter schräg unter ihm darin versuchte, die Strandbefestigungen zum Einsturz zu bringen. Woge um Woge rollte heran, brach und sandte Gischt in den Wind, der die salzigen Tropfen bis zu Eric wehte.

Er leckte sich über die Oberlippe, schmeckte das Meer und betrachtete das dunkle Wasser, das sich senkte und hob, schäumte und sich aufbäumte, um unablässig gegen die Erde aufzubegehren und sie davonzuschwemmen. Es würde auch heute wieder vergebens sein, wie an den unendlich vielen Tagen zuvor.

Auch der Atlantik ist lernresistent. Eric ging den Pfad weiter, der über die Dünen von Saint-Brevin führte.

Es war weniger das Bedürfnis nach einem Spaziergang, das ihn auf diese einsame Strecke führte, sondern die Jagd nach den Koordinaten, die er in dem Gehöft von libra gefunden hatte.

Die Verschlüsselungen der Dateien, die er in Oblast Wologda erbeutet hatte, konnte er auf die Schnelle nicht knacken, also hatte er die Rechner an einem sicheren Ort verborgen und alles an virtuell Versendbarem an seine Halbschwester geschickt. Sie würde ebenso versuchen, sich Zugang zu verschaffen.

Eric war über die mehr als drei Kilometer lange, bogenförmige Brücke gefahren, die sich über die Loire-Mündung spannte, vorbei an Raffinerie-Anlagen, Werften und schier endlosen Hafenkais mit Kränen, Containern und Schiffen verschiedenster Größen.

Er hatte irgendwo gelesen, dass Saint-Nazaire der größte französische Hafen am Atlantik sei. Beschauliche Familiensommerurlaube am Strand machte man lieber im benachbarten Badeort La Baule oder hier in Saint-Brevin-les-Pins.

Erst in diesem Ort wurde es dunkler und einsamer. Die Lichter der Stadt und die monströse Hafenanlage lagen in seinem Rücken, der Wind riss jeden Laut mit sich, den man von dort hätte hören können.

Die Natur an der Côte d’Armor war wild. Weiter im Norden in Richtung Guérande lagen Moore und Schilfmeere, Kanäle und Verdunstungsbecken für die natürliche Salzgewinnung.

Eric erinnerte sich, dass Sia diese Gegend erwähnt hatte, wusste jedoch nicht mehr, in welchem Zusammenhang. Sein Kopf war gefüllt mit anderen Dingen.

Mit Koordinaten zum Beispiel.

Laut den zu Rate gezogenen Karten befand sich an der angegebenen Stelle nichts, auch das Internet mit verschiedenen Ansichten der Gegend von oben half ihm nicht weiter. Es sah nach einem überwucherten Fleck an der Küste aus, abseits des Boulevard de l’Océan, umgeben von einem lichten Wäldchen oberhalb des Meeres.

Eric traf keine Touristen und keine Einheimischen auf seinem Marsch. Niemand wagte sich ohne guten Grund ins Wetter hinaus.

Manchmal krachte es, wenn ein großer Ast im Wald brach und zu Boden fiel. Der feine Sand wurde vom Strand angehoben, durch die Luft geschleudert und rieb über Erics Jacke, prickelte auf seinem Gesicht.

Es wurde rasch finster. Vom Meer jagten Regenwolken heran und legten sich vor den letzten Fetzen blauen Himmels.

Eric stieg eine Senke zwischen den Dünen hinab, folgte der mannshohen Vertiefung, wo er dem starken Wind für eine halbe Minute entkam.

Als der Pfad erneut aufwärts verlief, passierte er ein Schild, das unmissverständlich klarmachte, dass der kommende Abschnitt Privatbesitz sei.

Jetzt wird es interessant. Er musste die Lider wegen des Winds und des Sands zu schmalen Schlitzen verengen.

Dann sah er zwischen den Bäumen einen Scheinwerfer in ungefähr drei Metern Höhe ein diffuses moosgrünes Licht durch die Dunkelheit werfen. Im gedämpften Schein erkannte Eric betonierten, von Rissen durchzogenen Boden und graue Wände, die sich senkrecht erhoben, sowie einen Zaun mit einer Haube aus fiesem NATO-Draht, der drum herum verlief und den Wald zerteilte.

Eric erkannte, wieso es keine Hinweise auf den Satellitenbildern gab: Die Baumkronen bildeten einen perfekten Sichtschutz für das Gebäude.

Er ging vorsichtig näher, steckte die Hände in die Taschen. Einen Verdacht, was das ist, habe ich. Aber das wäre schlecht für mich.

Eric kam auf zwanzig Meter heran und sah eine Einfahrt, die mit einer dicken Kette gesichert war. Auf dem kleinen Platz dahinter stand ein klappriger, mit Einschusslöchern versehener Wagen eines unbekannten Fabrikats gleich einem vergessenen Exponat.

Der Scheinwerfer, der am Gebäude angebracht war, hing voller Moos und Flechten, die von den Bäumen stammten, weshalb sein trübes Licht wirkte, als fiele es durch eine Weinflasche.

Eric erspähte ein altes eckiges Bunkergebäude mit kuppelförmigem Dach, das einst zur Atlantikwall-Anlage der Nazis gehört hatte. Damit bestätigte sich sein Verdacht.

Das veränderte Licht gab dem Beton eine surreale Note, als würde er durch einen Beamer an diese Stelle projiziert; sogar die alte deutsche Aufschrift war noch zu erkennen, dafür fehlten jegliche Graffiti. Die Sprayer wagten sich anscheinend nicht durch den Zaun, der unter Spannung stand, wie ein weiteres Schild verkündete.

Eine verrostete Stahltür auf der Rückseite bildete den Zugang in das Bollwerk, an dem braunmetallische Verfärbungen sichtbar waren. Die beiden Schießscharten in Richtung Strand wirkten wie bösartige Augen, die alles und jeden beobachteten. Auch Eric.

Er nahm sein Smartphone heraus, rief die GPS-Funktion auf und hoffte, dass ihm ein Fehler unterlaufen war oder sich das Gerät geirrt hatte oder die Satelliten falsch standen.

Es piepste. Der Standort wurde abgeglichen, dann hatte er es vor sich: Genau das waren die Koordinaten, die er in der Zelle gefunden hatte.

Scheiße. Eric überschlug seine Optionen, denn es gab verschiedene Wege in eine solche Anlage.

Die Alliierten zum Beispiel hatten hübsche fette Bomben entwickelt, um die Betonwände zu durchdringen.

Er konnte auch nach Lüftungsschächten suchen, die es immer irgendwo gab. Oder er gab sich als Mitglied von libra aus und hoffte, dass ihm Einlass gewähre.

Eric tendierte nach stummem Betrachten des massiven Gebäudes zur Alliierten-Variante. Doch woher bekomme ich jetzt die guten Bomben? Vielleicht gab es ein Kriegsmuseum in der Nähe, wo er sich bedienen könnte. Eric grinste. Sie würden ganz schön staunen, wenn ich damit bei ihnen anklopfte.

Eine vierte Version gedieh in seiner Vorstellung.

Nach kurzem Nachdenken entschied er sich für sie, weil sie verrückt klang und doch die meisten Aussichten auf Erfolg beinhaltete. Aber nur, weil ich auf die Schnelle nicht an die besagten Bomben komme.

Eric nahm die Hände aus den Taschen und ging los, direkt auf das Tor im Zaun zu.

Die Schießscharten starrten auf ihn nieder.

Der Bunker erinnerte ihn mehr und mehr an den Kopf eines Riesen, den man zur Strafe an der Küste vergraben hatte, damit er das Land bewachte und Feinde abschreckte.

Vor dem Maschendrahttor blieb er stehen und lauschte auf den Strom.

Nichts. Anscheinend wollte man das Wagnis nicht eingehen, alle paar Tage gegrillte Jugendliche und Touristen und verirrte Tiere vom Zaun zu kratzen.

Ein kleines Schild wies nochmals darauf hin, dass es sich um Privatbesitz handele, und zwar der Stiftung Mise en Garde, auf Deutsch Mahnung. Eintritt bekam man nur auf telefonische Anfrage, eine Nummer war nicht angegeben.

Eric nahm erneut sein Smartphone, gab den Namen der Organisation ein und fand nach wenigen Klicks tatsächlich einen Eintrag. Sie hatte ihren Sitz in La Rochelle und kümmerte sich um den Erhalt der Bunker, um sie als Mahnmal für die Sünden der Vergangenheit zu bewahren, wie die wenigen Informationen auf der Website verrieten.

Ein rasches Querchecken spuckte zehn Standorte von Anlagen aus, welche der deutsche Ableger von Mise en Garde betreute, sowohl an der Nord- als auch an der Ostsee, auch einige Überbleibsel des Westwalls erschienen in einer anderen Liste.

Eric richtete den Blick auf das abweisend wirkende Bollwerk.

Sollte libra über Strohmänner hinter der Stiftung stecken, war das ein teuflisch cleverer Weg, sich buchstäblich bombensichere Verstecke zuzulegen. Sie agierten vor aller Augen und damit so unauffällig, wie es unauffälliger nicht ging. Jede Lastwagenladung, die dorthin verfrachtet wurde, konnte als Baumaterial zur Instandsetzung getarnt werden. Was sich wirklich in den Kisten oder Containern befand, blieb geheim.

Sie haben sicherlich überall Kreaturen verborgen, die bei einem Ausbruch sehr rasch in einer nahe gelegenen Stadt wären. Eric steckte das Smartphone ein und legte die Finger um die Kette, aktivierte seine dämonischen Kräfte und sprengte das Vorhängeschloss mit einem knappen Ruck. Selbstüberschätzende Idioten.

Dann öffnete er das quietschende Tor, betrat den betonierten Boden, der mit abgebrochenen Zweigen und Kiefernzapfen übersät war.

Die Schießschartenaugen schienen seine Schritte zu verfolgen.

Er ging davon aus, dass Kameras angebracht worden waren, vermutlich im Schutz der Öffnungen, aus denen vor etwa siebzig Jahren Maschinengewehrschützen und Kanoniere ihre Waffenmündungen auf den Strand gerichtet hatten.

Man wusste im Innern des Bunkers sicher schon, dass er gerade am zerlöcherten Wagen vorbei auf die Stahltür an der Rückseite zuging. Aber noch ignorierte man ihn.

Eric blieb zwei Schritte vor den Schießscharten stehen. »Ich möchte mich libra ergeben«, rief er laut in den Wind. »Ich war auf Ihrer Einrichtung bei Belosersk, als es zur Katastrophe kam. Leider gelang es mir nicht, Ihre Leute zu retten.« Er beobachtete, ob sich in den dunklen Öffnungen jemand zeigte. »Ihre Mitarbeiterin nannte mir diese Adresse, damit ich Kontakt aufnehmen kann.«

Der Wind heulte und säuselte, das Brechen der Brandung erklang und schwängerte die Luft unablässig mit mikroskopisch kleinen Salzpartikeln.

»Ich habe mit Ihrer Mitarbeiterin über die Theorie der Seelen gesprochen«, versuchte er es erneut. »Ich weiß, dass Sie nach mir suchen. Ich möchte kooperieren.«

Der Bunker blieb stumm und finster.

Eric verstand es als Aufforderung, libra den Beweis zu bringen, dass sie eine gewandelte Seele vor sich sahen. Ihr wollt die Show?

Er nahm die Hände aus den Taschen, spreizte die Arme seitlich ab und ließ gelbbläuliche Flammen fauchend aus seinen Kuppen entstehen.

Man schien noch nicht überzeugt zu sein.

Eric ließ die Lohen höher steigen. Mit beiden Händen gleichzeitig vollführte er eine abrupte Vorwärtsbewegung.

Blaues Dämonenfeuer schoss fauchend durch den Wind, ohne sich von den Böen beeindrucken zu lassen, und jagte genau zwischen den Schießscharten gegen den Beton, wo es in einer großen Flammenwolke verpuffte. Ein kleiner Brandfleck an der Wand bewies, dass es sich bei dem Feuer um mehr als eine Illusion handelte.

Mit einem Flackern erlosch die moosgrüne Lampe. Klackend schalteten sich Scheinwerfer in den Öffnungen ein, die zwei gleißend blendende Lichtlanzen gegen Eric schleuderten; das scharfe Klicken, gefolgt von einem Summen, ließ auf eine für ihn unsichtbare Waffe schließen, die gerade in den Scharten auf ihn gerichtet wurde.

Plötzlich trat ein junger Mann in die sich überschneidenden Lichtkegel und stellte sich vor Eric. Er trug einen schwarzen Anzug mit einem hellen Trenchcoat darüber. »Sie sind uns willkommen«, sagte er auf Englisch mit hartem Akzent und machte eine einladende Handbewegung. »Nach Ihnen. Alles Weitere besprechen wir im Innern.«

Eric umrundete ihn.

Leise mahlend drehte sich die Haube des Bunkers. Die Scheinwerferstrahlen folgten ihm und wurden zu den brennenden Blicken des eingegrabenen Riesen.

Eric trat durch das geöffnete Stahlschott und fand sich in einem druckkammerähnlichen Raum wieder, in den ihm sein Begleiter folgte und die Tür schloss. Über ein großes Rad, das er von Hand bediente, rastete ein Bolzensystem ein.

Mehr als diesen Eingang gab es nicht, weder existierten Luken noch weitere Ausgänge aus dem vier Kubikmeter großen Zimmer.

Um Eric herum waren graue Betonwände, in denen er die gleichen horizontal und vertikal umlaufenden Linien aus Bernstein entdeckte, die garantiert nicht von den Nazis eingesetzt worden waren. LED-Lämpchen am Boden schufen ein indirektes Licht, das vollkommen ausreichte, um etwas zu sehen.

Geduldig wartete Eric ab.

Der junge Mann richtete die dunkle Krawatte und machte einen Schritt vom Eingang weg. »Sie befinden sich in einem von unzähligen Atlantikwall-Bunkern, welche Hitler zum Schutz vor einer Invasion durch Alliierte errichten ließ«, referierte er. »Um Sie herum sind drei Meter Spezialbeton, der höchstens durch schwere Bomben gesprengt werden kann.«

»Ich bin mehr daran interessiert zu erfahren, was libra damit macht«, hakte Eric ein, als sein Gegenüber Luft schöpfte. »Die Menschheit hatte Glück, dass sich keine große Stadt in der Nähe des Gehöftes befand. Sonst wäre es nach dem Ausbruch Ihrer … Sammelobjekte zu einem Massaker gekommen, das man schwerlich vertuschen könnte.«

»Das mussten wir in der Vergangenheit schon einige Male, und es wurde immer geglaubt. Nicht jede von den Medien vermeldete Katastrophe ist ein Unfall oder ein Amoklauf«, erwiderte der junge Mann und deutete eine Verbeugung an. »Ich bin Tagasuki Minamoto, aber Sie können mich Goryō nennen.«

Eric sah an dem dunkelhaarigen Mann nicht den Hauch eines asiatischen Einschlags. »Und wir bleiben in diesem Vorraum?«

Minamoto lächelte schwach. »Wir reden erst noch ein wenig. Ich möchte den Gast kennenlernen, den ich in mein Haus bitte.«

»Ihr Haus?«

»Es ist bescheiden.« Er legte eine Hand gegen die Betonwand. »Aber meins.« Minamoto öffnete seinen Trenchcoat und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Sie glauben an die Seelengaben und alles, was damit zusammenhängt?«

»Es ist plausibel«, stimmte Eric zu. »Ich hatte auf dem Weg hierher Gelegenheit, weiter darauf herumzudenken, und mir wollte nichts einfallen, was dagegenspricht.« Er sah die Skepsis, die sich hinter dem unverbindlichen Lächeln verbarg. »Wieso hätte mir Ihre Mitarbeiterin sonst die Koordinaten dieses Bunkers gegeben?«

»Um Sie in eine Falle zu locken?« Minamoto grinste hintergründig.

»Auch wieder wahr.« Eric grinste zurück. »Aber der Köder wird immer gefressen.«

Die Männer standen sich in der absoluten Stille gegenüber, die in der Kammer herrschte. Man konnte vergessen, dass um sie herum ein Sturm tobte, dass das Meer sich gegen den Strand warf, dass Bäume wogten und Äste brachen. Es gab nur die Atemgeräusche und das leise Reiben der Kleidung, sobald sich einer von ihnen bewegte.

»Sie wissen, dass ich ein Jäger bin?«

»Es sprach sich herum. Ihr Einsatz in Monte Carlo ließ es vermuten.«

»Was halten Sie davon, wenn ich libra unterstütze, indem ich meine Jagd auf die Wandelwesen weiterführe und sie bei Ihnen abliefere, anstatt sie zu vernichten?« Eric improvisierte einmal mehr. Es ging darum, mehr über die Organisation zu erfahren, und das schaffte er am ehesten, wenn sie ihm freiwillig Einblicke gewährten.

»Dieses Vorgehen wäre ein Novum«, entgegnete Minamoto. »Und bei allem Respekt vor Ihren Seelengaben: Sie wären als … Mitarbeiter nicht geeignet.«

»Weil?«

»Sie unbeherrscht sind. Ihre Seele ist negativ geladen, sie ist impulsiv, will zerstören und vernichten und besiegen«, zählte Minamoto analysierend auf. »Sie bringen sämtliche Eigenschaften mit, um von Unwissenden als Dämon betrachtet zu werden. Sobald Sie unter Druck geraten, neigen Sie zur Gewalt.« Er ging so nahe an Eric heran, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. »Eine Annäherung unterhalb Ihrer Wohlfühlgrenze reicht schon aus.«

»Sie wollen also einen Beweis, dass ich mich beherrschen kann?« Eric bemerkte, wie recht Minamoto hatte. Am liebsten hätte er ihn niedergeschlagen.

»Mehr als einen. Denn einmal kann es Ihnen durch Zufall gelingen.« Er wich bis zur Tür zurück und drehte das Sicherungsrad, surrend setzte es sich in Bewegung und löste die Bolzen aus der Halterung. »Aber Sie sind gut und haben Erfahrung. Das macht Sie wertvoll.« Minamoto zog die Tür nach innen auf.

Laut erklang das Rauschen des Meeres, und der Wind drang in den kleinen Raum, als wollte er erkunden, was sich in den letzten Minuten darin abgespielt hatte.

Die Welt kehrte wieder mit ihren Tönen und Gerüchen zu Eric zurück, der sich gar nicht beherrschen musste, um seine Enttäuschung zu verbergen, einen Rausschmiss zu erleiden. Aber das wäre wohl zu einfach gewesen. »Sie wollen mich nicht mal in Ihre Sammlung aufnehmen?«

»Später vielleicht. Falls Sie sich doch als zu unbegabt erweisen.« Minamoto zeigte auf den Ausgang. »Gehen wir?«

Eric verstand, dass seine Prüfung begann, um bei libra aufgenommen zu werden. »Was tun wir?«

»Ich habe eine Liste dabei. Darauf stehen zehn Namen, zehn Orte. Diese Leute werden wir besuchen, und Sie zeigen mir, ob Sie es schaffen, diese Kreaturen zu überwältigen.« Der junge Mann deutete eine asiatisch anmutende Verbeugung an. »Sollten Sie einen Fehler begehen, bringe ich Sie eigenhändig in die Sammlung, wie Sie es nannten.«

Eric schritt an ihm vorbei ins Freie.

Dabei formte sich ein Plan: Sollte dieser Test zu lange dauern, würde er eine Bestie vernichten und sich von Minamoto ins Gruselkabinett bringen lassen, um dort aufzuräumen.

Seine Halbschwester könnte in der Zwischenzeit Dateien gehackt und Erkenntnisse erlangt haben. Sollte das geschehen, würde er seinen Testlauf bei libra sofort abbrechen.

Minamoto überholte ihn und ging durch das Tor. »Mein Wagen steht oben auf der Promenade. Wir holen Ihre Sachen und ziehen los.«

»Ich habe nur Handgepäck. Das Hotel ist gleich in der Nähe.« Eric wusste noch nicht genau, ob ihm gefiel, was nun folgen würde. Kreaturen, so hatte es sein Reiseleiter formuliert, und zwar mit voller Absicht. Demnach wartete anderes als die üblichen Wandelwesen auf ihn. Die Begriffe Phagoi und Spiritus gingen ihm durch den Kopf.

Eric hoffte, dass er den Mund nicht zu voll genommen hatte.

* * *

Österreich, Wien

Claire hörte den inneren Aufschrei ihres alten Ichs, aber gegen Anastasias Verlangen kam sie nicht an. Deren Empfinden war auch zu ihrem geworden.

Sie spürte Dubois’ Lippen auf ihren, das Kribbeln in ihrem Magen und den Wunsch, sofort Sex mit ihm zu haben. Ihre Arme lagen um seinen Nacken und hielten ihn fest.

Seine Finger packten ihre Hüfte und zogen sie an sich.

In der ansteigenden Lust, die sie deutlich in ihrem Schritt spürte, überfielen sie erneut fremde Gedanken. Aber es waren nicht Anastasias. Vielmehr tauchte ihr Verstand forschend in Dubois’ Kopf ein.

Durch seinen Körper verlief ein abwehrender Ruck, und er richtete sich auf, um seinen Mund von ihrem zu lösen.

Der verwirrte und zugleich hasserfüllte Blick, mit dem Dubois fassungslos auf sie starrte, ließ keinerlei Zweifel zu. Er wusste, dass er nicht seine Partnerin vor sich hatte, sondern eine Fremde, die ihn gefoppt, übertölpelt hatte, um an seine Geheimnisse zu gelangen.

Dubois stieß sie zurück.

Claire prallte gegen den Tisch und warf dabei zwei Klapprechner zu Boden. Dabei schossen Bilder in ihrem Kopf empor: Sie sah seinen Teil der Formel und den Ort, an dem er sie aufbewahrte.

»Wer bist du?«, zischte er sie an. »Was hast du mit Anastasia gemacht?«

Professorin Haider wollte die Computer gerade aufheben, hielt aber in der Bewegung inne. »Was? Sie ist nicht die echte?«

Claire geriet in Panik. Gegen Dubois, einen mehrfachen Seelenwanderer, hatte sie keine Chance. Sie konnte den Blick nicht von dem hassverzerrten Gesicht des Mannes wenden. »Ich … konnte nichts dafür«, stammelte sie und rang mit den Bildern, die aus seinen Erinnerungen stammten und sich ungewollt bei ihr eingenistet hatten. Es ging alles durcheinander. Der Blutdruck sackte ab, ihre Beine wurden weich.

Dubois’ Mund verzog sich, er machte einen Schritt auf sie zu und packte sie am Hals. »Sag mir, was du mit ihr gemacht hast!«, schrie er und schleuderte Claire quer durch das große Zelt.

Sie flog gefühlte hundert Meter weit, landete knapp neben dem Gestänge und rollte unter der Plane hindurch in den weitläufigen Gewölbekeller.

Raus! Weg von hier! Claire kämpfte sich auf die Beine und taumelte vorwärts, vorbei an den unheimlichen Isolationskammern aus durchsichtigem Kunststoff, auf den Ausgang zu.

»Was denkst du, wie weit ich dich kommen lasse?«, brüllte er ihr nach. »Gib mir Anastasia zurück!«

Eine unsichtbare Faust bekam Claires Beine zu fassen, ihr wurden ruckartig die Füße weggezogen.

Die Lampen an der Decke pendelten, Schatten und Licht schwenkten hin und her.

Ihr Sturz ließ sie gegen die Plane eines Isolationszeltes fallen. Das Material dehnte sich, ohne zu reißen, und bildete eine millimeterdünne Trennschicht zwischen ihr und dem Patienten in dem Bett unter ihr. Seine Vitalwerte wurden nicht mehr auf den Monitoren angezeigt, das Gesicht war weiß, die Augen wirkten gebrochen. Sie erkannte den Toten zu ihrem Entsetzen als Lenes vermissten Bruder, dessen Bild sie in der Villa gesehen hatte. Er endete als Versuchsobjekt für Dubois.

Sie keuchte vor Schreck auf, ging in die Knie und vor dem herannahenden Dubois in Deckung.

»Du wirst hier sterben!«, schrie er außer sich. »Aber vorher erzählst du mir alles! Ich will sie zurück!«

Er konnte meine Gedanken nicht lesen, verstand Claire und orientierte sich, um den Ausgang zu entdecken. Dann zog sie die Schuhe aus, um lautlos laufen zu können. War der Kontakt zu kurz gewesen?

Die Schleuse lag etwa vierzig Schritte schräg hinter ihr.

Wenn ich die Isolationskammern als Schutz nutze, könnte ich es schaffen. Geduckt huschte Claire los, ihr trainierter Körper war von Vorteil. Währenddessen nahm sie ein leises Rascheln und Klicken wahr.

Als sie um die Ecke eines Zeltes spähte, wartete eine Wand aus schwebenden Infusionsnadeln vor dem Schott auf sie. Die geschliffenen Hohlspitzen blitzten abwechselnd im Schein der schwankenden Lampen auf. Anscheinend legte Dubois keinen Wert mehr darauf, ihren Körper unversehrt für Anastasia in die Finger zu bekommen.

Ob ich sie mit einem Schrei zur Seite fegen kann? Bislang wusste sie, dass er gegen menschliches Gehör und gegen Glas half – aber Stahlspitzen?

Claire hörte leise Schritte in ihrer Nähe und wich ihnen aus, pirschte tief gebeugt zwischen den Kammern entlang.

»Erus! Hier!« Wie aus dem Nichts stand Haider vor ihr und schwang ein verrostetes Rohr gegen sie.

Claire reagierte, ohne dass sie nachdachte: Ein Arm zuckte in die Höhe und blockte den herabstoßenden Hieb, ihre andere Faust schoss mit unglaublich hoher Geschwindigkeit in die Magengrube, um in einer weiterführenden Bewegung von unten in den weichen Teil von Haiders Kinn zu knallen.

Der Kopf der Professorin schnellte zurück, die Brille flog in hohem Bogen davon.

Claire wusste nicht, woher ihre Kampfkenntnisse stammten, aber sie nutzte sie weiter. Bevor sich Haider von den zwei Attacken erholen konnte, machte sie einen Schritt auf sie zu und drosch mit beiden Händen gleichzeitig gegen die Ohren der Frau, setzte einen brachialen Kopfstoß genau auf die Nase, um einen hohen Kniestoß gegen den Körper folgen zu lassen. Das krachende Brechen der Nasenwurzel mischte sich mit Haiders Schrei und dem Knacken der berstenden Rippenbögen innerhalb weniger Sekunden.

Die necessaria taumelte rückwärts, hielt sich die Ohren und landete wie Claire zuvor in einer federnden Planenwand, die sie zurückwarf.

Erneut handelte Claire aus ihrem Instinkt heraus und versetzte ihr einen gnadenlosen hohen Rundkick gegen den rechten Unterkiefer.

Ein Geräusch erklang, das an einen donnerlosen Blitzeinschlag erinnerte. Ein Leuchten umgab die aus Nase und Ohren blutende Haider, die daraufhin zusammenbrach und zuckend auf dem Boden liegen blieb.

Claire hörte das Sirren hinter sich und ließ sich fallen.

Die Reihen aus Infusionsnadeln jagten über sie hinweg und bohrten sich in die Isolationskammerwand, etliche davon schossen durch die Plane in den Probanden. Die Folie färbte sich augenblicklich von innen mit roten Spritzern.

Gleich! Claire kroch voran, stolperte vorwärts und erreichte das Schott.

Da wurde sie im Nacken gepackt, der Druck der Finger war schmerzhaft. Ihre Wirbelsäule würde dem nicht standhalten.

Claire drehte sich über die linke Schulter um, gleichzeitig hob sie ruckartig den Ellbogen.

Das Gelenk streifte Dubois lediglich an der rechten Wange, weil er ihre Attacke erahnt und seinen Kopf rechtzeitig weggezogen hatte.

Wieder entlud sich Energie. Ein Leuchten legte sich um den Seelenwanderer, verblasste jedoch sofort, als wäre dem Blitz mitten im Einschlag die Kraft ausgegangen.

Es genügte. Dubois ließ Claires Nacken los und brach in die Knie. Seine Lider waren verzweifelt weit aufgerissen, er keuchte erstickend und stürzte langsam zur Seite. Seine Augen färbten sich für mehrere Sekunden weiß, der Brustkorb hob und senkte sich scheinbar nicht mehr.

Was … war ich das? Claire machte zwei Schritte weg von dem Gegner. Egal. Ich muss verschwinden und … Ihr fiel ein, dass sie das Versteck der Dubois’schen Formel gesehen hatte.

Ohne diese Zeichenkombination durfte sie nicht gehen, wenn sie die ganze Wahrheit über das Mittel herausfinden wollte.

Sie verließ das Gewölbe und folgte den Bildern, die sie aus Dubois’ Kopf gesogen hatte.

Seine Erinnerungen lotsten sie durch die Schleuse in den Gang und vor eine verborgene Tür mit Eingabefeld, die sie auf ihrem Weg vorhin übersehen haben musste. Der Code, den sie auf die Tasten tippte, kam ihr von selbst in den Sinn.

Vor ihr öffnete sich eine Dreizimmerwohnung, die sowohl von Haider als auch von Dubois zum Ausruhen und Verweilen genutzt worden war. Eine Wendeltreppe verband den Keller mit dem Erdgeschoss darüber.

Die gestohlenen Erinnerungen führten Claire nicht zum Schreibtisch, sondern zum Bücherregal: Im vierten Längsholm von rechts gab es ein geheimes Fach, worin sich ein USB-Stick und ein kleiner Notizzettel befanden.

Claire nahm beides heraus, steckte es ein und rannte aus den Räumen die Treppe hinauf in den Hinterhof.

Sie verzichtete auf den Geländewagen, den Dubois über das eingebaute GPS orten konnte, und kletterte barfuß über das Tor auf die düstere Straße.

Herrenlose Schatten umschwärmten und umtanzten sie, um sie ebenso zu begrüßen wie sie zu verraten.

Claire ging eilends weiter, um dem unheimlichen Viertel zu entkommen. Eiskalt breitete sich das Kopfsteinpflaster unter ihren Füßen aus, gelegentlich rutschte sie über die glatte Oberfläche.

Sie hastete über den schiefen Bürgersteig, rettete sich von Lichtinsel zu Lichtinsel der seltenen Straßenlampen und glaubte, das Räderklappern einer Droschke in ihrem Rücken zu vernehmen. Die Wahrnehmung, in diesem Teil Wiens aus der Zeit gefallen zu sein, hielt ungebrochen an; ihr Smartphone zeigte keinen Empfang an.

Claire hatte keine Ahnung, wohin sie lief. Irgendwann bemerkte sie, dass der Verkehr zunahm und die Stadt heller, freundlicher und hektischer wurde.

Vor ihr erschien eine gewaltige, angestrahlte Kirche, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Taj Mahal aufwies und auf deren Stufen sie sich erschöpft setzte. Nur kurz. Auch wenn ihr zu kalt war, um innezuhalten, musste sie durchatmen.

Einige Meter entfernt vom ausladenden Vorplatz sah sie eine U-Bahn-Station. Da ist es sicherlich wärmer als hier oder in der Kirche.

Auf dem Weg dorthin schenkte die Moderne Claire Netz-Empfang, so dass sie das Smartphone nutzen konnte. Sofort erreichte sie eine SMS, die zwar nach Eugen klang, aber von Fabians Handy gesendet worden war.

Sie erinnerte sich an das Ende, das der Audi A6 genommen hatte. Ihr Schutzengel müsste tot sein – aber er war ein Seelenwanderer. Verlieh ihm das vielleicht Kräfte, die ihn vor der Explosion bewahrten? Ich muss es versuchen. Claire rief ihn an und musste zu ihrer immensen Freude nicht lange warten, bis er sich meldete.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte Fabian besorgt, ohne dass sie etwas sagen musste.

Sie fühlte sich unendlich erleichtert, nicht so alleine zu sein, wie sie gedacht hatte. Sie ging über den Platz und die Grünanlage, ohne ihre Füße zu spüren. Sie waren taub von der Kälte und den unebenen Böden. Die Aufschrift Karlsplatz am Eingang gab ihr einen Anhaltspunkt, wo sie sich in Wien befand. »Das sollte ich fragen«, erwiderte sie erlöst. »Ich bin in Wien und war in einem Labor, das Dubois gehört, und …« Beinahe hätte sie ihm verraten, dass sie die komplette Formel besaß. Claire entschied, diese Neuigkeit noch für sich zu behalten.

»Wo stecken Sie jetzt?«

»Ich … schlug ihn nieder. Ihn und seine necessaria«, redete sie viel zu schnell. »Ich glaube, ich habe sie umgebracht, und jetzt weiß ich nicht …«

»Ganz ruhig«, unterbrach Fabian sie. »Ich hole Sie ab. Begeben Sie sich an den Flughafen, kaufen Sie ein First-Class-Ticket nach Leipzig-Halle, und setzen Sie sich in die Lounge. Ich komme Sie abholen.«

Claire fühlte sich ein wenig wohler, obgleich sich an ihrer Situation nichts geändert hatte – außer dass Fabian noch lebte. Sie hörte in ihrer Nähe die Kirchenuhr laut schlagen und zählte mit. Ich bin viel zu spät dran. »Nein, das dauert zu lange. Sie können mich in Berlin am Flughafen abholen.«

»Sind Sie sicher?«

Claire hatte entschieden, dass ihr nicht mehr viel geschehen konnte. Sie hatte Dubois’ leblosen Körper gesehen. Und selbst wenn er Tricks beherrschte, die sein Sterben verhinderten, wäre er vorerst kaltgestellt. Ihr Vorsprung müsste ausreichen. »Ja, ich bin mir sicher. Ich sage Ihnen Bescheid. Und ich möchte wissen, wie Sie aus dem Auto entkommen sind.« Sie betrat die U-Bahn-Station und ging durch den Schmutz zu einem Ticket-Automaten. Wie gut, dass Flughäfen Shopping-Areale hatten.

Fabian lachte leise. »Das sollen Sie erfahren. Bis später.«

»Ach, halt«, fügte sie rasch hinzu, »wir sollten eine Erklärung liefern, warum es heute länger dauerte.«

»Habe ich schon. Ein spontanes Treffen mit einer Marketing-Agentur wegen des Parfüms«, sagte er.

Claire nickte, was natürlich Unsinn war, da er es nicht sah. »Und danach shoppen und essen mit Freunden?«

»Ich schlage vor, wir sagen, dass ich Sie danach herumgefahren habe«, erwiderte er. »Einfach so, damit Sie Zeit zum Nachdenken über die Entwürfe haben, und darüber vergaßen Sie die Stunden.«

Ihr gefiel die Ausrede nicht sonderlich. Eugen kommt sicherlich um vor Sorge. Und aus Sorge wird schnell Argwohn. »Alles klar. Bis denn.« Sie legte auf und sah auf den Automaten. Warum eigentlich U-Bahn?

Claire kehrte an die Oberfläche des Karlsplatzes zurück und hielt Ausschau nach einem Taxi. Sie bemerkte, wie ihre Hand zitterte, als sie den Arm hob und einen Wagen auf sich aufmerksam machen wollte. Die Ereignisse ließen sie nicht zur Ruhe kommen.

Das Taxi hielt an, Claire stieg ein und nannte den Flughafen als Ziel.

Es schien ihr das Beste, den Flug direkt via Smartphone zu suchen und zu buchen, was kein Problem darstellte. Erst, als der Betrag von der Kreditkarte abgezogen werden sollte, fiel ihr ein, dass es keine gute Idee war: Sie brauchte eine Erklärung für Eugen.

Dann war ich eben in Wien. Die Marketing-Agentur kann auch hier sein. Claire setzte den Vorgang fort, bis sie alle Schritte abgeschlossen hatte, und sah danach aus dem Fenster. Ich warne ihn vor. Sie sammelte sich und zwang sich, die Nummer von Eugen von Bechstein aufzurufen und die grüne Taste für den Gesprächsaufbau zu drücken.

»Hallo, Lene«, meldete er sich und klang beschäftigt.

»Entschuldige, ich wollte nicht stören. Hast du was Wichtiges zu tun?«

»Ich prüfe ein paar Vorgänge«, erwiderte er erleichtert. »Aber für dich habe ich Zeit. Was gibt es denn?«

Claire holte tief Luft. »Ich komme sicherlich später nach Hause.«

»Ich weiß. Die Sitzung mit der neuen Marketingfirma.«

»Mir war spontan danach, und ich erinnerte mich an deren Namen. Aber wundere dich nicht: Herr Vacinsky und ich sind in Wien.«

»In Wien?« Eugen klang total überrumpelt. »Bist du da immer noch?«

»Wir fahren gerade zum Flughafen«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Unser Flug landet gegen Mitternacht in Berlin.«

»Du machst ja Sachen.« Es folgte ein langes Ausatmen. »Ich werde erst ruhig schlafen, wenn du wieder da bist.« Eugen machte einen mäßig beruhigten Eindruck. »Du hattest eine gute Sitzung mit den Experten?«

»Ja, auch wenn du mich für verrückt halten musst«, gestand sie. »Das erzähle ich dir nachher. Leider war nichts Gutes an Vorschlägen dabei.«

Im Hintergrund klackerte es wie von einer Tastatur. »Ich freue mich auf dich.«

»Ja«, erwiderte sie neutral. »Bis später.« Claire legte auf und betrachtete die Umgebung, die mehr und mehr ihre dichte Bebauung verlor. Sie fuhren auf den Flughafen zu.

In ihrer einen Manteltasche ruhte der USB-Stick, das Papier mit der Formel knisterte leicht in der anderen.

Claire wollte es nicht lesen, sonst überfielen sie womöglich erneut fremde Gedanken. Das konnte sie nicht gebrauchen, solange die letzten Ereignisse sie beschäftigten.

Sie schauderte, als sie das bleiche, tote Gesicht von Lenes Bruder vor sich sah. Er war zum Opfer der Dubois’schen Machenschaften geworden.

Dann materialisierte sich eine wichtige Frage in ihrem Verstand: Durch ihre ungewollte Seelenwanderung erlangte sie die Gabe des zerstörerischen Schreis – aber warum konnte sie Gegner mit einem Hieb umbringen?

Was hatte dieses Leuchten um die Getroffenen zu bedeuten?

Und weswegen sah sie plötzlich in der Dunkelheit ebenso klar wie am helllichten Tag?

Drei Kräfte. Sie musterte ihr schemenhaftes Spiegelbild in der Seitenscheibe. Wieso?

Auch ihre Reflexion kannte die Antwort nicht.

 

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Exkarnation - Krieg der Alten Seelen: Thriller
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