Kapitel VI
Russland, Sankt Petersburg
Faina hob das schnurlose Telefon ab und nahm den Anruf entgegen.
»Zacharovna?« Sie horchte. »Ja, der Bote war hier. Er hat das Paket hochgebracht und auch die Chipkarte dagelassen. Er ist aus Angst über die Feuerleiter raus. Ich soll seine Entschuldigung ausrichten, aber er musste das Präsent zustellen, sonst hätte er seinen Job … Nein. Keine Polizei. Das ist nicht nötig. Jedenfalls nicht für mich. Danke, Maxim.« Sie drückte die rote Taste. »Der Concierge ist gefunden worden.«
»Danke, dass Sie gelogen haben.«
»Weil ich wissen will, was vor sich geht.« Faina bedeutete Eric mit der Makarow, sich in den Ohrensessel zu setzen. »Los.«
»Sie haben Ihre Mutter in Bestiengestalt gesehen. Über die Existenz solcher Wesen müssen wir schon mal nicht streiten«, erklärte er. »Der Hunger nach Menschenfleisch, die Lust am Jagen und Töten – diese Instinkte lassen sich kaum kontrollieren, schon gar nicht, wenn sie mit Wut daherkommen.« Er dachte an den Tod seiner Mutter, die er auf dem Gewissen hatte, als er sich zu seinen Werwolfzeiten unkontrolliert verwandelt hatte und über sie hergefallen war. »Ich weiß, was Sie fragen wollen: Nein. Leider gibt es kein Heilmittel gegen Lykanthropie.« Das stimmte nicht ganz, aber bei Nadeschda Zacharova war mit Sicherheit alles zu spät.
Er sah Faina an, dass sie nachdachte. »Angenommen, wir finden heraus, wer sie entführte, und befreien sie – dann werde ich Mamuschka einsperren und mich um sie kümmern«, verkündete sie.
»Das ist löblich und tapfer, aber eine Frau wie Sie kann ein Wandelwesen von dieser Qualität nicht auf Dauer bewachen«, hielt Eric dagegen. »Sie wird mit allen Tricks arbeiten und Sie überrumpeln, eines Tages oder Nachts, und Sie umbringen.«
»Niemals.« Faina streifte den Pelzmantel ab, darunter kam ein farbenfrohes Kleid zutage, das einen roten Grundton und vielfarbige Brokatstickereien trug. Es passte perfekt an ihren Leib und zu ihren langen blonden Haaren. Die Waffe blieb trotz Handwechsel auf Eric gerichtet. »Bewiesen ist gar nichts.« Sie setzte sich auf eine Lederbank neben den Kamin. »Die Männer im Casino waren Jäger wie du?«
Diesen Gedanken hatte Eric bereits verworfen. »Nein. Dann wäre Ihre Mutter mit ein paar Silberkugeln erschossen worden. Sie wollten sie lebend erwischen.«
»Eine Geiselnahme und Lösegelderpressung wird es nicht sein«, spann die junge Russin den Gedanken weiter. »Herkömmliche Gangster wären bei dem Anblick sofort abgehauen.«
»Richtig.« Er überlegte. »Schließen wir einen Pakt: Sie helfen mir, Ihre Mutter und damit die Unbekannten zu finden. Ich verspreche Ihnen im Gegenzug, Ihre Mutter nicht zu töten.«
»Sondern?«
»Für den Anfang sperren wir sie weg, wie Sie es vorschlugen – aber in einer meiner Zellen. Ich bin besser vorbereitet als Sie.« Das war eine Lüge, aber nur so kam er vorwärts. Nichts würde ihn dazu bringen, Gnade zu zeigen. Mit dem schmerzenden Silbersplitter in ihrem Körper lag Nadeschdas Aggressionspotenzial weitaus höher als bei anderen Wandlern.
Faina traute ihm nicht, das sah er. »Ich werde noch ein paar Leute anheuern«, antwortete sie zäh. »Zu meinem Schutz.«
»Lassen Sie uns bitte erst überlegen, wer diese Leute waren, die in Monaco auftauchten«, bog Eric ihren Vorschlag ab. Noch mehr Leute, bei denen er aufpassen musste, was sie taten, brauchte er nicht.
Sie musterte ihn mehrere Sekunden schweigend. »Einverstanden. Aber sobald es ein Ziel gibt, besorge ich uns ein paar ehemalige OMON-Typen.« Sie sah auf den Durchschuss in seinem Bein. »Du brauchst keinen Arzt?«
»Das regelt mein Körper von selbst.« Eric zeigte ein gemeines Dämonenlächeln. »Aber was zu trinken wäre gut.«
Die junge Russin nickte und erhob sich. »Komm mit.«
Zusammen durchquerten sie die Wohnung.
Es schien, als seien Wände zum Nachbarhaus durchbrochen worden, um so unverschämt viel Platz zu erhalten, dass man die Behausung durchaus dem Zarewitsch hätte anbieten können. Drei Meter fünfzig hohe Decken, Kronleuchter, Stuck, überbordende russische Opulenz mit viel Gold und Rot. Dunkle historische Gemälde wechselten sich mit Ikonen und kitschigen modernen Bildern ab, und zwischendurch blitzte durchaus guter Geschmack auf.
Auf Eric wirkte es, als hätten sich drei verschiedene Innenarchitekten sowie ein Pope einen Krieg geliefert, bei dem die Wohnung das Opfer geworden war.
Sie landeten in der Küche, wo es für jeden ein Glas Johannisbeersaft mit einem großzügigen Schluck Wodka gab.
»Auf unseren Pakt.« Faina stieß mit ihm an.
»Auf unseren Pakt.« Eric nahm nicht an, dass sie ihm traute, aber sie überspielte es sehr gut. Umgekehrt hielt er es genauso. Ihm war es gleich, ob Faina ihm glaubte oder nicht und ob sie an Wandelwesen glaubte oder nicht. Sie befand sich vermutlich in einem Zwischenstadium zwischen Funktionieren und Glauben, weil sie zu viel mitbekommen hatte, was nicht mit Delirium zu erklären war. Doch solange sie hilfreich für das Lösen des Rätsels war, gab es keinen Grund, sie auszuschalten.
Die Küche hätten Unbedarfte aufgrund der Kapazität für eine Kantine gehalten, mit Mittelblock, einem gewaltigen Herd mit Gas- und Induktionsfeldern, zwei Brätern und Kühlschränken, in denen Rinderhälften verschwinden konnten. Oder Menschen. Das Wappen der Zarenfamilie Romanow war in der Abzugshaube verewigt.
Eric lehnte sich mit dem Hintern gegen die Arbeitsplatte. »Die Leute wussten genau, wo Sie und Ihre Mutter sich befanden, von der Lokalität bis hin zum Saal«, überlegte er laut. »Sie beide müssen observiert worden sein.«
Faina verneinte; die Brokatfäden in ihrem Kleid glitzerten, je nachdem, wie sie sich bewegte. »Mamuschka hätte das sofort gemerkt. Sie hat ein feines Gespür.«
»Gerochen«, verbesserte Eric. »Die Nase eines Wandlers ist empfindlicher und genauer.« Er stimmte ihrer Vermutung zu. »Aber Abhörvorrichtungen lassen sich leicht anbringen.« Er zeigte auf den Flur. »Hier vielleicht auch.« Der Gedanke gefiel ihm nicht.
Faina dachte offenbar das Gleiche. »Sollten wir woandershin gehen?«
»Schauen wir doch einfach nach Abhörgeräten«, schlug er vor und leerte den Saft in einem Zug. Er stand auf und suchte die Wohnung weiter ab.
Während Eric wühlte und räumte, überlegte er, was er durch den Tod des Wandelwesens eigentlich schlimmer machte, wie es der Unbekannte im Casino behauptet hatte.
Gab es einen Clan der Wer-Tiger, die Rache schworen und über die Menschen herfielen?
Würde man den Mord an Nadeschda Zacharova Kriminellen in die Schuhe schieben und einen Krieg der Unterwelt auslösen?
Hatte die Familie ihre weltlichen Finger in verbrecherischen Geschäften, die nach dem Tod Nadeschdas auseinanderbrachen und außer Kontrolle gerieten?
Eric wollte auch nicht ausschließen, dass man Zacharova als unwissendes Testobjekt benutzt hatte und aus der Ferne beobachtete, wie lange ein Wandler in freier Wildbahn leben und sich beherrschen kann, der an einer kontinuierlichen Argentum-Vergiftung leidet. Als es kritisch für Zacharova wurde, entzog man sie seinem Zugriff.
Damit hätten sie gleichzeitig den Tod zahlreicher Unschuldiger in Kauf genommen. Eric wollte nichts Vernünftiges als Erklärung einfallen.
Drei Zimmer hatte er akribisch durchforstet, doch weder Abhörvorrichtungen noch Kameras oder etwaige Hinweise auf die Unbekannten entdeckt.
Er suchte Faina und fand sie hinter dem Schreibtisch im Arbeitszimmer, das vermutlich der Mutter gehörte. Der Laptop war angeschaltet, daneben türmte sich die Korrespondenz. Die junge Russin sichtete Briefe.
Die Wände schienen allein aus Bücherregalen bis zur Decke zu bestehen, eine Trittleiter ermöglichte es, an die obersten Exemplare heranzugelangen. Einige Fächer waren mit Glas abgeschlossen und klimatisiert, um das Papier bei konstanten Bedingungen zu lagern. Garantiert gab es einen Geheimgang aus diesem Raum.
Auch der immense Schreibtisch in der Mitte war aus Büchern gebaut oder zumindest so angefertigt, dass es danach aussah. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte Eric, dass es sich um geschnitztes, lackiertes und bemaltes Holz handelte.
»Nichts«, sagte sie, ohne ihn anzuschauen.
»Bei mir auch nicht.« Er betrachtete den Laptop und sah auf die kleine Kameralinse.
Das Kontrolllicht daneben leuchtete zwar nicht, aber durch gemeine kleine Programme ließ sich das umgehen. Somit wurde der Klapprechner zum besten Spion, sobald er eingeschaltet war.
Eric prüfte, ob die Antivirensoftware lief. Nichts Auffälliges. Allmählich gingen ihm die Ideen aus. »Wollen Sie noch was zu trinken?«
Faina hob als Zustimmung die Hand. »Dreifachen Espresso. Die Maschine steht in der Küche.«
Eric durchstreifte die Wohnung und brauchte eine Weile, um den Raum wiederzufinden.
Natürlich war der Kaffee-Vollautomat der teuerste, zumindest vom Namen her. Einige wenige Handgriffe, Knöpfchen drücken, und der Espresso schoss fauchend und blubbernd in die vorgewärmten Tassen.
Eric balancierte sie mit einer Hand ins Arbeitszimmer und stellte das Getränk vor Faina ab. »Bitte sehr.« Sein Blick glitt über den Stapel von Bittbriefen, die von Hilfsorganisationen an die Familie Zacharov gesandt worden waren. Er erkannte, dass darin um beträchtliche Summen gebeten wurde. »Ist das normal?«
»Ja«, erwiderte sie und legte die Füße auf den Schreibtisch, mitten auf die Schreiben. Sie trug schlichte schwarze Puschen mit eingesticktem Monogramm. Die Makarow-Pistole ruhte neben dem Laptop. »Es sprach sich herum, dass Mamuschka gerne Gutes tut.«
Eine Wer-Tigerin mit einem Herz aus Gold. Eric hob die Augenbrauen. »Sie meinen, Ihre Mutter spendet viel?«
»Tausenderweise.« Sie schwenkte den Espresso in der Tasse, das flüssige Schwarz schwappte teergleich gegen die weißen Wände. »Das lockt natürlich Schmarotzer an.«
Das Beste, was man tun konnte, um von Verdacht verschont zu bleiben, war die gute Tat. Die laute gute Tat. Er zerrte eine Handvoll Blätter unter ihren Füßen hervor. »Rotes Kreuz, Welthungerhilfe …«
Faina beugte sich zur Seite und reichte ihm den zweiten Stapel. »Hier, das sind die Dubiosen. Damit du was zu lachen hast.«
Eric nahm sie, blätterte und schlürfte an seinem Kaffee. »Verein zur Nachzucht des Sibirischen Mammuts, Verein Anti-Depression bei Hunden, Loge der Rasputiner«, las er halblaut und grinste. »Initiative zur Wiedereinsetzung der Großfürstin Zarewna Anastasia von Russland?« Er meinte sich zu erinnern, dass in den letzten Jahren die Auslöschung der letzten Zarennachfahren bewiesen worden war. »Es gibt keinen Romanow aus dieser Linie.«
»Sagte ich doch. Die Dubiosen.« Faina schüttelte den Kopf. »Jeden Monat kommen ungefähr zehn neue dazu.«
Eric las nicht weiter und warf die Blätter zurück.
Als der Packen aufschlug, fächerte er auseinander.
Das Zeichen, das im unteren Drittel sichtbar wurde, erweckte sofort seine Aufmerksamkeit, obwohl es auf dem Kopf stand.
Hastig schnappte er das Blatt, zog es hervor und betrachtete es. Erics Herzschlag beschleunigte sich, als er das Symbol richtig erkennen konnte. Er richtete sich auf und überflog die Zeilen.
Faina entging seine Aufregung nicht. »Doch was gefunden?«
»Eine Einladung. Von vor knapp einem Monat.« Er hielt es ihr hin. »War Ihre Mutter dort?«
Sie las die Adresse und die Überschrift des Anliegens. »Oh, die! Ja, ich glaube, sie hat sich deren Laden angesehen. Was ist an den Spinnern anders als an den übrigen, dass du sie in Verdacht hast?«
»Das Zeichen der Waage.« Eric tippte mit dem Zeigefinger von oben auf das Symbol der Organisation. »Das gleiche Zeichen sah ich bei den Unbekannten, die Ihre Mutter entführten.« Er verschwieg ihr Einzelheiten zu der magischen Attacke auf ihn, die aus dem Bernstein heraus erfolgt war.
»Es gibt Tausende Organisationen, die das Symbol nutzen. Sogar die Justiz.« Faina wandte sich dem Klapprechner zu, gab als Suchbegriff Waage ein und präsentierte zum Beweis unzählige Suchmaschineneinträge.
»Was Besseres haben wir aber gerade nicht«, hielt er dagegen. »Anschauen kostet nichts. Und wenn sie sich seltsam benehmen, weiß ich Bescheid.«
»Wissen wir Bescheid.« Faina lächelte kühl. »Ich komme natürlich mit dir. Ich und ein paar gemietete OMON.« Sie hob die Pistole an.
Eric hatte bereits befürchtet, dass die blonde Russin an seiner Seite blieb. Verständlich, da es um ihre Mutter ging. Für ihn bedeutete es eine Belastung. »Vorerst ohne zusätzliche Kanonen«, bestand er.
Faina schnappte sich den Brief. »Das ist weit außerhalb der Stadt in Richtung Osten. Wir können in zwei Stunden dort sein, wenn der Schneefall nicht zunimmt.« Sie überlegte. »Oder ich rufe den Helikopter.« Sie nahm das Smartphone und schrieb eine SMS. »Wetterbericht ist gut. In einer Stunde ist die Maschine startbereit. Bis zu dem kleinen Privatflugfeld ist es nicht allzu weit.«
Eric wusste, dass es von Vorteil war, Geld zu besitzen, das man einsetzen konnte. Und so viel Geld, einen eigenen Helikopter oder Jet zu unterhalten, wie andere Menschen Fahrräder hatten, erschien ihm gerade noch praktischer. Ein Jacht konnte eben nicht fliegen. Ich sollte daran arbeiten. »Dann checke ich rasch aus.«
»Mach das.« Faina erhob sich und betrachtete ihn.
Diesen Blick kannte Eric bei Frauen. Der Dämon schien sich einen Spaß zu erlauben und in den absonderlichsten Situationen unwiderstehliche Anziehungskraft auf das andere Geschlecht zu wirken. Andere Männer hätten sich darüber vielleicht gefreut. Er nicht. »Ich bin kein Mensch, Faina. Lassen Sie die Finger von mir.«
Sie kam ihm ganz nahe. »Du strahlst Hitze ab«, bemerkte sie und legte ihre schlanke Hand auf seine Brust.
Er seufzte genervt. »Wir lassen das.«
Faina lächelte verführerisch. »Weil es seltsam wäre, mit dem Mann zu schlafen, der meine Mamuschka töten wollte?«
»In erster Linie, weil ich mir diese Szene gerade als Film vorstelle und die Zuschauer sich wundern würden, wenn wir ohne jegliche Motivation zu vögeln begännen.« Eric machte einen Schritt zurück. »Ich bin gleich wieder da. Und bitte nicht nackt hier stehen, wenn ich zurückkomme, Frau Zacharovna. Ich weiß, dass Sie eine Wahnsinnsfigur haben, und brauche keinen neuerlichen Beweis.«
Sie runzelte die glatte Stirn. »Du bist vergeben?«
»Ja.«
»Ich bin besser als sie«, versprach Faina mit einem langen Augenaufschlag und dunkler Stimme. Das russische Selbstbewusstsein glaubte er ihr sofort, er merkte aber auch, dass sie ihn foppte. Sie hatte seine Abfuhr auf ihr nicht ganz ernstgemeintes Werben bereits weggesteckt.
Eric ging lachend aus dem Zimmer. Keine Frau war besser als Sia, und schon gar nicht aufregender.
Oder gefährlicher.
Eine mehrere hundert Jahre alte Vampirin musste keine Konkurrentin fürchten.
Eric erreichte zu seiner eigenen Verwunderung den Flur ohne größere Irrwege durch die Wohnung. Er dachte drüber nach, ohne Faina zur Adresse zu fahren, aber mit dem Hubschrauber wäre sie dennoch vor ihm da. Eine Stunde Vorsprung bei einer Strecke von zwei Stunden über schneeglatte Straßen reichte gegen einen Heli nicht aus.
Eric öffnete die Tür.
Dass er zuvor nicht durch den Spion geschaut hatte, erwies sich als Fehler.
Vor dem Eingang lauerten zwei Maskierte, die ihn augenblicklich mit langen Elektroschockern angriffen, wie man sie bei Viehtrieben benutzte, um die Tiere zum Gehen zu bewegen. Das Summen des heranzischenden Lichtbogens hörte sich extrem stark an.
Eric wich aus und trat dem vorderen Unbekannten in dessen Vorwärtsbewegung gegen die Brust. Rückwärts flog er durch den Gang, wo er gegen einen Blumenvasenhocker prallte und mit dem Möbel zu Boden ging.
Der zweite Gegner versuchte, ihn mit den Elektroden zu treffen.
Eric schlug den Stab zur Seite, die Entladung jagte in den Türrahmen und sprengte Holzsplitter heraus. Dann packte er den Angreifer am Hals, um den Waffenarm zu blockieren, und rammte ihm das Knie blitzschnell zweimal in den Unterleib. Würgend krümmte sich der Mann, den Eric an der Kehle packte, in die Höhe hob und rücklings zu Boden schleuderte. Scheppernd rollte der Stab davon.
»Was machst du?«, rief Faina böse; ihre schnellen Schritte näherten sich. »Die Sachen sind teuer.«
Der Fahrstuhl öffnete sich und spie vier weitere Widersacher aus, die ebenfalls Sturmhauben trugen.
Eine fauchende Sturmbö fegte unerklärlicherweise den kurzen Korridor entlang und drängte Eric weg vom Eingang, bevor er die Tür zuwerfen konnte. Der Wind trug den Geruch von Harz und Wald in sich.
Die Spinner haben ihre Spendensammler geschickt. Eric stemmte sich gegen die wütende Luft, doch der Teppich, auf dem er stand, rutschte mit ihm weg.
Die vier Maskierten kamen näher, zwei von ihnen trugen langläufige Schrotgewehre mit beeindruckenden Munitionstrommeln, einer hielt ein Sturmgewehr. Der vorderste reckte ein Bernsteinamulett in der Rechten empor, in dem das Zeichen der Waage eingebrannt schien.
Hinter ihm knallte es zweimal, Faina fluchte. Sie verteidigte ihr Zuhause mit der Makarow.
Ihre Schüsse saßen: Der Mann mit dem Amulett stieß einen Schrei aus, hinkte beim nächsten Schritt und fiel auf den Kurzflorteppich.
Seine Begleiter rissen die Schrotgewehre in Anschlag, dann setzte ein stakkatohaftes Wummern ein. Die dicken Hülsen flogen im Halbsekundentakt qualmend aus den Patronenauswürfen, vollautomatisches Feuer ging an Eric vorbei auf Faina nieder.
Um ihn herum explodierte die Wohnung. Die Mischung aus Fest- und Schrotgeschossen fegte durch und in alles, was sich in der Bahn befand. Vasen, Verzierungen an den Wänden, Bilder, Tapeten rissen auseinander und vergingen staubend und bröckelnd in Scherbenregen und Fragmenthagel.
Fainas Schreie erklangen in der gleichen Sekunde.
Eric sah über die Schulter.
Zwar hatte sich die blonde Russin hinter der Wand in Deckung gebracht, aber gegen die Vollgeschosse dieses Kalibers, mit denen Türangeln aus der Verankerung entfernt wurden, hielt das Material nicht stand. Unzählige Durchbrüche zierten die Mauer, ein Blutrinnsal schlängelte sich um die Ecke an den Trümmern auf dem Parkett vorbei und wirkte überrot.
Eric fühlte die dämonische Hitze durch sich rollen. Das Böse übernahm das Denken, wie er es aus seinen schlimmsten Werwolf-Zeiten kannte.
Brüllend und mit blauen Flämmchen um die geschlossenen Fäuste sprang er den Feinden entgegen.
Der Amulettträger hatte sich erhoben und wurde von dem Maskierten mit dem Sturmgewehr gestützt. »Halt!« Die Mündungen der Schrotgewehre senkten sich auf seinen Befehl hin. Mit einer Silbe und einem rätselhaften Laut löste er die nächste magische Attacke aus. Der Bernsteintalisman leuchtete warmgolden.
Die Strahlen erreichten Eric und hüllten ihn ein, umfingen ihn mit nach Wald riechender Zähigkeit und verlangsamten seine Bewegungen.
Aber dieses Mal hatte er damit gerechnet.
Noch bevor er gänzlich in der Bewegung erstarrte wie ein Insekt in einem Harztropfen, versetzte er dem Viehstab, den der erste Angreifer verloren hatte, einen gezielten Tritt.
Die Waffe wirbelte davon, genau auf den Amulettträger zu. Seine Kräfte schützten ihn anscheinend nicht gegen physische Angriffe.
»Achtung!« Der Begleiter mit dem Sturmgewehr schaffte die Abwehrbewegung nicht mehr. Die Elektroden trafen den Amulettträger an der rechten Schulter, die elektrische Energie wurde freigesetzt und sprang auch auf das Gewehr des Vermummten über, der ihn stützte.
Gepresst aufkeuchend gingen die zwei Widersacher in die Knie.
Das Strahlen erlosch, Eric war frei.
Gleichzeitig lösten die zuckenden Finger des Maskierten das Sturmgewehr aus, die Garben jagten unkontrolliert aus dem Lauf. Eine Salve hobelte dem Widersacher mit dem Schrotgewehr den Kopf vom Hals.
Der letzte kampffähige Gegner riss die Automatik wieder in die Höhe und zielte auf Eric, doch es geschah zu spät: Der Hieb der flämmchenumspielten Faust riss dem Feind das halbe Gesicht weg. Blutsprühend fiel der Mann auf den Teppich.
Es war nun vollkommen still im Flur. Pulver- und Dreckschwaden waberten umher, es roch nach Blut und Exkrementen. Der Tod kam selten elegant und anmutig, meist hinterließ er Scheiße und Tränen.
Mit viel Willenskraft drängte Eric das Dämonische zurück, das immer noch den vollständigen Ausbruch verlangte. Er brauchte Klarheit und Umsicht, um zu entkommen.
Die Aufzugstür wollte sich schließen.
Eric kickte eines der Gewehre zwischen die Flügel, um zu verhindern, dass der Lift in der Tiefe verschwand und mit weiteren Gegnern zurückkehrte.
Schnell nahm er das Bernsteinamulett an sich, zum Betrachten war keine Zeit. Er durchsuchte die Gegner, ohne jedoch Geldbörsen oder Ausweise zu finden. Danach zog er ihnen die Hauben vom Kopf, um ihre Gesichter mit dem Smartphone zu fotografieren.
Sirenen näherten sich von mehreren Seiten dem Gebäude. Die Schießerei war mit Sicherheit im gesamten Haus vernommen worden.
Euer Pech. Da Eric keine Zeit blieb zu warten, bis einer der Männer aufwachte, um ihn zu verhören, richtete er sie mitleidslos mit der Schrotflinte hin. Er konnte keine Feinde im Rücken gebrauchen.
Die Schädel zerstoben beim Einschlag der Geschosse, mehr Blut, Gewebe und Knochensplitterchen verteilten sich im Flur. Damit war er sicher, ihnen nicht nochmals zu begegnen, falls einer besondere Kräfte besitzen sollte. Ohne Kopf starben sie nach seiner Erfahrung alle.
Mit der Waffe in der Hand rannte er in die Wohnung, um nach Faina zu sehen.
Er fand die Russin tot auf dem Boden liegend, dicht neben der Wand, hinter der sie Schutz gesucht hatte. Die Einschüsse hatten sie in den Rücken getroffen.
Eric ging neben ihr in die Hocke und bedauerte, dass es Faina erwischt hatte. Sie hätte durchaus nützlich sein können.
Er nahm ihr Smartphone an sich, drückte ihr dafür das vollautomatische Schrotgewehr in die Hände. Sollten sich die Ermittler ihren Reim darauf machen.
Das Sirenenkonzert spielte rings um das Gebäude, erste Schritte erklangen im Treppenhaus. Mit Sicherheit marschierte eine Spezialeinheit der OMON auf, um die Lage zu klären.
Für heute reichte es Eric an Toten. Außerdem habe ich eine Adresse, die ich dringend überprüfen muss.
Sein Rückzug führte ihn quer durch die Wohnung der Zacharovs, wobei er sich stets nach den tanzenden Blaulichtern umsah, die durch die Scheiben fielen. Als sie weniger wurden, betrat er den nächstbesten Raum und blickte auf die verschneite Straße hinab.
Hier standen keine Polizeiwagen, der dichte Verkehr zog noch darauf entlang.
Eric öffnete die Flügel, schwang sich auf das Außenbrett und zog das Fenster wieder zu. Klirrend fiel die Petersburger Kälte über ihn her, der Wind riss an ihm und wollte ihn in die Tiefe stürzen. Sogar die Schneeflocken schmerzten beim Auftreffen auf der Haut und schienen ihn verletzen zu wollen.
Eric befand sich im dritten Stock, ungefähr elf bis zwölf Meter trennten ihn vom Trottoir.
Ein Sprung aus der Höhe konnte trotz des dichten Weiß zu gebrochenen Gliedmaßen führen. Andererseits: Der Dämon würde ihn rasch heilen.
Als ein großer Lastwagen vorbeifuhr, drückte sich Eric ab und flog auf die breite, verschneite Oberseite des Aufliegers zu, die floßgleich unter ihm vorbeiglitt.
* * *
Deutschland, Sachsen, Leipzig
Claire.
Lene.
Anastasia.
Gleich drei Frauen lagen in einem Bett, in ihrem Bett – aber sie fühlte sich in der siebten Nacht seit dem Seelentausch wie keine von ihnen.
Claire starrte zu den beeindruckenden Stuckverzierungen hinauf, die durch den schwachen Schein der Außenlampen erkennbar waren. Rollläden gab es keine, und die Vorhänge schluckten das Licht nicht vollständig. Die von ihr Wayne Manor getaufte Villa war gewaltig, die Räume waren riesig, alles schien größer und teurer als in anderen Häusern zu sein.
Claire lag unter der weichen, warmen Daunendecke, die frisch gewaschen roch. Sie vermisste ihr Häuschen und die Geborgenheit, die darin geherrscht hatte.
Es gab keinen Schlaf.
Für keine der drei Frauen, wobei Claire schon mit einem Drittel Ruhe zufrieden gewesen wäre.
Die Schmerzen in ihren Armen nahmen zu, das Analgetikum brauchte dieses Mal länger, um zu wirken.
Oder hat sich eine Wunde entzündet? Claire verdrängte diesen Gedanken. Ich werde es wohl doch von einem Arzt anschauen lassen.
Neben ihr schlief ein Mann – nicht ihr Mann, trotz des Rings an ihrem Finger, der das Gegenteil besagte und besiegelte. Seine Atemzüge klangen vollkommen anders als die von Finn, ruhiger und weniger laut. Was Claire eigentlich Beruhigung hätte verschaffen können – weil sie nicht alleine war –, verstärkte ihre innere Unruhe.
Sicherheit hatte ihr nur ein Mann im Leben geben können.
Doch der war tot.
Sie hatte – wie mit den drei Seelenwanderern vereinbart – einige Tage Theater gespielt, sich von ihrer Familie mit dem Verweis auf ihren Zustand abgeschottet und jeden Arzt verweigert. Gelegentlich musste sie akzeptieren, dass Eugen kam und ihre Hand nahm, mit der Fassung rang und sie auf die Stirn küsste. Er hatte sie auf ihre Leukämie angesprochen, doch sie hatte auf den Arzt verwiesen und beteuert, sich zumindest körperlich gut zu fühlen. Sie konnte nur erahnen, was er sich rund um ihre Entführung vorstellte. Abends sang sie den Kindern Lieder vor, was für Begeisterungsstürme bei Charlene und Pauline sorgte.
Claire lauschte.
Die Lage der Villa und die dicken Mauern sorgten für absolute Stille, was die meisten Menschen begrüßt hätten. Weder erklangen hektische Verkehrsgeräusche noch Fluglärm oder das Rumpeln einer Tram und Rufe von Betrunkenen oder Streitenden.
Doch die Abwesenheit von Klängen machte Claire nervös.
Als Stadtkind kannte sie das kaum, höchstens von Urlauben auf einer irischen Insel oder einem abgelegenen Gehöft. Aber dann war Finn dabei gewesen. Finn und Deborah.
Claire erhob sich leise aus dem Bett, nahm das Smartphone aus der Schublade und stellte sich ans Fenster. Durch einen Spalt im dicken, schweren Stoff sah sie hinaus.
Die Auffahrt lag im Dunkeln, nur am Tor glomm eine Lampe, um zu zeigen, wo sich die Einfahrt befand. Große Bäume, deren Art sie nicht kannte, erhoben sich in den Nachthimmel und verschmolzen mit der Dunkelheit oder schoben sich als Umriss vor die wenigen Sterne. Sie sahen alt und erhaben aus, sturmgefeit und menschenverachtend.
Überdauernder als die Seelenwanderer. Es fiel Claire noch immer schwer, die Erklärungen zur Seele zu begreifen.
Sie hatte zwar aufgenommen, was Fabian ihr erklärt hatte, doch es blieb ungeheuerlich: eine Seelenurmasse, die Rückkehr der Seele nach dem Tod und ihre Auflösung in diesem Pool, der Neuanfang mit jedem Neugeborenen.
Unterm Strich bedeutete es, dass es alles Leben schon einmal gegeben hatte.
Claire kam in den Sinn, wie manche Menschen behaupteten, sich an ihr altes Leben im Mittelalter als Magd oder als Soldat im Dreißigjährigen Krieg zu entsinnen.
Mit den Erklärungen von Fabian ergab dies einen Sinn: Die neue Seele hatte Bruchstücke des vergangenen Daseins gespeichert und spielte sie im Schlaf oder in einem Tagtraum ab oder wenn sich die Person an einem Ort aus der alten Vergangenheit befand.
Claire vermied es, ihre Reflexion in der Scheibe zu betrachten. Sie wollte keine fremden Erinnerungen herauslocken, weder von Anastasia noch von Lene, falls das überhaupt möglich war. Ich muss Fabian fragen, ob das geschehen kann.
Der Schneefall verstärkte sich, das vielfache Weiß färbte die Nacht heller. Aber mehr Hoffnung vermittelte sie nicht.
Claire sah ihre Leiche vor sich, ihren kalten Körper, in den sie nicht mehr zurückkehren konnte, eingeparkt in der Gerichtsmedizin zwischen den anderen Toten. Ihre Seele konnte die vertraute Hülle nicht mehr nutzen. Nie wieder.
Doch Claire wollte die zweite Chance nutzen, um den Mörder ihres Mannes zu finden und in ihr altes Leben zurückzukehren – oder wenigstens in das, was davon übrig geblieben war: ihre Tochter, ihre Schwester und die Nichten. Dies war ihr einziges Ziel, nicht die Aufklärung von Geheimnissen rund um ein Serum, um alte Seelen samt Intrigen und Verwicklungen und dem ganzen Rest an Unwirklichem.
Um in dieser Lage nicht völlig den Verstand zu verlieren, hatte Claire in den vergangenen Tagen eine andere Taktik entwickelt.
Mit der Ablehnung dessen, was gerade mit ihr und um sie herum geschah, kam sie nicht weiter.
Also nahm sie die Situation als gegeben hin, auch wenn sie davon ausging, sich in einem Traum zu befinden oder in einem Koma oder in einem sonstigen Bewusstseinszustand, der sie das alles erleben ließ.
Warum sie es erlebte, spielte für sie ab sofort keine Rolle mehr.
Fortan galt: akzeptieren, zurechtfinden, Lösungen erkennen, anwenden und sehen, was sich anschließend ereignete.
So lautete ihr festes Vorhaben – doch momentan scheiterte sie an so etwas Einfachem wie Einschlafen.
Claire seufzte.
Sie spürte den fremden Herzschlag, der doch ihrer war, in dem dünnen wohlgeformten Körper. Der Anblick des Schnees ließ sie frösteln. Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen und drückten gegen den Stoff des dunkelroten Seidenpyjamas. Seit dem Einfahren in den Leib hatte sie den Eindruck, ständig an Unterkühlung zu leiden.
Zeit für einen Tee. Leise schlich sie aus dem Schlafzimmer und suchte eine Weile in dem Anwesen, bis sie im Dunkeln die Küche gefunden hatte. Erst hier schaltete sie die Deckenlampe ein und dimmte sie.
Claire durchstöberte die Schränke nach Tee. Bald brodelte das Wasser im Kocher, in der Tasse lag ein Tee-Ei mit der Schlafwohl-Mischung.
Während sie wartete, blieb ihr Blick an den sorgsam aufgeräumten Kinderspielsachen im Flur hängen. Sie würde sich in Zukunft zusammenreißen müssen, mehr die liebende Mutter zu sein. Die liebevolle Lene.
Alleine die großen staunenden Augen der Geschwister beim Vorsingen hatten ihr gezeigt, dass Singen nicht ins Repertoire der alten Lene gehört hatte. Eugen sah sie gelegentlich verwundert an, wenn er im Türrahmen stand und sie beim Spiel mit den Kindern beobachtete. Manche der Formulierungen seiner Frau schienen neu für seine Ohren zu sein.
Claire nahm an, dass sich Anastasia akribisch auf den heimlichen Tausch vorbereitet hatte, bis in die kleinste Kleinigkeit vom Leben ihres Opfers Bescheid wusste, um sich nicht zu verraten oder Anlass zum Zweifel zu geben. Sie hingegen wusste gar nichts.
Ich muss schnell lernen, was die alte Lene ausmachte. Claire goss den Tee auf und schlenderte mit der Tasse in der Hand umher, um Wayne Manor ohne Eile und ohne Beisein ihres neuen-alten Gatten zu durchstreifen.
Mit sich trug sie das Handy, das Fabian ihr gegeben hatte. Über diese sichere Leitung, so hatte er ihr gesagt, könnten sie miteinander kommunizieren. Er galt als ihr Kontakt, der sie leitete und lotste und sie beriet.
Eugen hatte es begrüßt, dass sie am vierten Tag doch nach einem Leibwächter verlangte. Gemeinsam hatten sie im Internet gesucht, Referenzen gesichtet, bis sie durch einen genau gelenkten Zufall auf die Website gelangt waren, wo Fabian seine Dienste als Bodyguard mit Namen Vacinsky anbot. Es bedurfte wenig Aufwands, Eugen zum Anheuern zu überreden.
Claire entfernte das Tee-Ei und entsorgte den Inhalt achtlos in einem Pflanzkübel, wie sie es zu Hause auch gemacht hatte, weil sie sich einbildete, die Blumen würden dadurch besser gedeihen.
Die Porträts von Lene und ihrer Familie, an denen sie vorbeischritt, vermittelten die Sorglosigkeit, die in diesem Haus einst geherrscht hatte, bevor das Unglück hereingebrochen war.
Ich werde mich anstrengen, damit zumindest die Kinder nicht leiden. Ihr war noch schleierhaft, wie sie später den Übergang von diesem in ihr altes Leben fand. Unterschiedlicher konnten sich Existenzen kaum gestalten.
Irgendwo gibt es bestimmt Filme. Von Weihnachten, Ostern, Geburtstagen. Claire würde sie sich anschauen, um mehr zu lernen und die Sprache und Sprechweise der Toten besser imitieren zu können. Niemand würde Verdacht schöpfen, wenn sie sich Aufzeichnungen der heilen Welt ansah. Persönliche Bewältigungsstrategie.
Treppauf, treppab ging es durch die alte Villa, die mit sehr viel Aufwand und Liebe renoviert worden war, das spürte sie in den vielen Details. Büsten, Bilder, Gemälde, mal alt, mal neu, jede Nische war genutzt, um etwas darin zu plazieren, manchmal auffällig, manchmal erst auf den dritten oder vierten Blick zu entdecken. Ohne die grausamen Umstände hätte sich Claire wohl gefühlt.
So beschränkte sie sich darauf, sich Wege einzuprägen und vertrauter mit der Umgebung zu werden, damit sie nicht wie eine Fremde oder Verwirrte auf die Bewohner des Anwesens wirkte.
Bei allem Ansporn, sich in die Umstände einzufinden und im Sinn der Seelenwanderer zu handeln, um die Pläne der Bösen zu vereiteln, schwand ihr brennendster Wunsch nicht: Finns Mörder mussten gefunden werden.
Ihre Gedanken wurden finsterer, rachsüchtiger, denn letztlich verdankte es Claire ihnen, dass sie in einem Alptraum steckte.
Ihr Tod wäre mir eine Freude. Vielleicht sogar die Erlösung. Am Tee nippend, schwenkte sie in den nächsten Korridor. Sie blieb stehen und konnte sich nicht erinnern, ob sie hier bereits vorbeigekommen war.
Wenigstens vergeht so die Nacht.
* * *