DER ZIRKUS BRENNT.
Das Publikum ist Hals über Kopf geflohen. Das Zuschauerrund ist leer, das Zelt von Rauch und Feuer erfüllt. Der Clown steht allein in der Manege. Sein Paillettenkostüm funkelt im Schein der Flammen. Sein Gesicht ist weiß wie Kalk, unter dem linken Auge glitzert die vorgeschriebene Träne. Auf dem Kopf sitzt ihm schief seine kleine spitze Mütze. Er bläst auf blitzender Trompete die große Abschiedsmelodie, erhaben und lächerlich.
Alles ist Traum. Ich weiß, daß alles Traum ist. Ich habe es immer gewußt, seit ich angefangen habe zu träumen, daß ich existiere: Diese Welt ist nicht wirklich.
Er hat sein Lied zu Ende gebracht, ohne Eile und ohne Makel. Er geht hinaus, und hinter ihm brechen die brennenden Balken und Masten ein, die Leinwand bläht sich vom Feuer und sinkt in sich zusammen. Der Nachtwind riecht nach Asche und Hitze.
Draußen stehen die anderen und sehen mit hängenden Armen dem Brand zu. Alle wußten, daß es so kommen würde. Keiner hat Anstalten gemacht, irgend etwas zu retten. Keiner hat nach dem Clown gerufen, während er in den wirbelnden Funken stand, keiner war besorgt um ihn, auch er selbst nicht. Ihre Gesichter sehen im Widerschein aus wie die von Schlafenden. Es hat ein wenig zu regnen begonnen, aber zu spät und längst nicht genug, nur gerade eben so viel, daß allen die Haare naß in die Stirn hängen.
Wenn man im Traum weiß, daß man träumt, ist man kurz vor dem Aufwachen. Ich werde gleich aufwachen. Vielleicht ist dieses Feuer nichts anderes als der erste Strahl der Morgensonne einer anderen Wirklichkeit, der sich unter meine geschlossenen Lider drängt.
Langsam wird es dunkel. Der Brand sinkt nach und nach in sich zusammen. In den Häusern ringsum ist kein Fenster erleuchtet. Sie stehen schwarz und hohläugig in der Dämmerung. Von ferne hört man Geschrei, dann einige Schüsse und das harte Bellen einer Maschinenpistole. Es sind die üblichen Geräusche, die die Nacht ankündigen, die Nacht voller Mord, voller Qualen und Verhöre, die Nacht, in der keiner keinem traut. Es ist verboten aufzuwachen. Schon der Wunsch aufzuwachen gilt als Fluchtversuch, als Hochverrat. Man muß ihn geheim halten.
«Wenn ihr mich fragt», sagt der Direktor im Dunkeln, «haben sie das Feuer gelegt, als Vergeltung oder als Warnung…»
Er stochert in der Asche. Alle wissen, wovon er redet. Vor zwei Tagen ist einer umgebracht worden, mitten zwischen den Zuschauern. Es war einer von der Mordmiliz, einer der Aufseher, die überall sind. Als alle Leute gegangen waren, saß er noch immer da in seiner schwarzglänzenden Lederuniform, aber er war tot, erwürgt. Niemand hatte es bemerkt, als es geschah, niemand hatte es bemerken wollen.
«Das hat keiner von uns gemacht», sagt jemand.
«Nein», antwortet der Direktor, «aber das hilft uns nichts, wie ihr seht.»
Nach langem Schweigen murmelt eine Frauenstimme: «Das kann doch nicht ewig so weitergehen.»
«Das geht so weiter», sagt der Direktor, «bis wir dem ein Ende machen. Darum geht es ab jetzt.»
Es geht darum aufzuwachen.
«Wenn wir nichts unternehmen», fährt der Direktor fort, «wird es immer so weiter gehen. Wir müssen uns entscheiden. Wir müssen kämpfen. Wir müssen uns denen, die kämpfen, anschließen.»
Der Clown wendet sich ab und schlurft durch die Pfützen zu seinem Wohnwagen. Er ist plötzlich todmüde. Lange Zeit sitzt er vor dem Spiegel und betrachtet sein mehlweißes Gesicht mit der Träne unter dem linken Auge. Dann beginnt er, sich abzuschminken. Darunter kommt ein anderes Gesicht zum Vorschein. Es ist noch viel unwirklicher, ein Niemandsgesicht, ein Irgendgesicht, es ist ihm ganz fremd, es war ihm immer fremd, dies Gesicht. Er versucht einen Augenblick intelligent oder wenigstens ernsthaft auszusehen, aber gleich fallen seine Züge in ihren Ruhezustand zurück, in den Zustand gewohnheitsmäßiger Verwunderung. Es ist das Gesicht eines alten Säuglings.
Erstaunlich genug, daß ich da bin. Aber noch viel erstaunlicher, daß ich so alt werden konnte. Ich habe mir Mühe gegeben, Damen und Herren, ich habe getan, was mir möglich war. Ich sagte mir: Wenn alle anderen diese Welt ertragen, denen es doch sicher auch nicht leichter fällt als mir… Ich habe mein Leben lang gewartet und bin alt geworden in der Erwartung aufzuwachen, und seht her, wo ich bin! Ich beneide sie alle um ihre Unbekümmertheit. Ich bin bekümmert.
Während er sich umzieht, kommt der Direktor herein, in Hut und Regenmantel, den unvermeidlichen kalten Zigarrenstummel zwischen den Zähnen. Die lange Manegenpeitsche mit dem kurzen Griff hat er unter den Arm geklemmt, die Schnur ist um den Stiel gewickelt. Er schüttelt den Hut aus, legt ihn auf den Schminktisch, die Peitsche daneben. Dann setzt ersieh rittlings auf den Stuhl, die Lehne zwischen den Knien. Das bedeutet, er hat etwas Wichtiges zu sagen. Der Clown steht da und bemüht sich, aufmerksam auszusehen.
«Also», sagt der Direktor, «du weißt, worum es geht.»
Er schaut sich um, als befürchte er, jemand könne in dem kleinen Raum zuhören. Der Clown nickt. Es geht darum aufzuwachen. «Wir machen mit», fährt der Direktor mit gedämpfter Stimme fort, «jetzt bleibt uns nichts anderes mehr übrig. Die anderen sind alle einverstanden. Und du?» Der Clown nickt wieder. Der Direktor faßt ihn an der Schulter und schüttelt ihn ein wenig. «Hör mal, jetzt geht es nicht mehr um deine Nummer. Es geht überhaupt nicht mehr um den Zirkus. Das ist alles vorbei seit heute abend. Das sind Dinge für normale Zeiten.»
Dinge für einen anderen Traum. «Du mußt dich entscheiden», sagt der Mund mit dem Zigarrenstummel, «für uns oder gegen uns, heiß oder kalt. Wer sich da rauszuhalten versucht, ist ein Verräter und wird als Verräter behandelt, von allen.»
Es ist verboten aufzuwachen. Der Clown nickt zum dritten Mal. «Gut», hört er die knarrende Stimme des Direktors, «wir verlassen uns also auf dich, mein Alter. Wir erwarten dich um Mitternacht zur Sitzung des Komitees. Aber sei pünktlich, hörst du? Dort wirst du alles weitere erfahren. Hier ist die Adresse.» Der Direktor gibt ihm einen Zettel in die Hand.
«Lies sie, merke sie dir und verbrenne sie dann! Auf keinen Fall darf sie jemand anders erfahren, wer es auch ist. Verstanden?»
Der Clown nickt und nickt.
Der Direktor gibt ihm einen kleinen, freundschaftlichen Klaps auf die Backe, nimmt seinen Hut und geht. Die Peitsche hat er vergessen. Der Clown betrachtet sie, wie sie da auf dem Schminktisch liegt, greift vorsichtig danach und legt sich mit ihr aufs Bett. Er wickelt die Schnur los, rollt sie wieder auf, wickelt sie von neuem los.
Schließlich kann ich doch wohl nicht der einzige sein, der was gemerkt hat. So schlau bin ich doch gar nicht. Man ist nur übereingekommen, nicht darüber zu reden. Oder wollen sie es gerade so? Gefällt ihnen allen dieser Traum?
Der Clown steht auf, zieht sich seinen alten Mantel an, wickelt sich einen langen Schal um den Hals und setzt seinen Hut auf. Er liest noch einmal die Adresse, dann verbrennt er den Zettel im Aschenbecher. Die Flämmchen züngeln und erlöschen.
Draußen, hinter dem Platz, wo die Wohnwagen stehen, beginnt eine kleine, zertretene Wiese. Dort trifft er auf eine Gruppe von Kollegen, die alle schweigend in eine Richtung blicken. Er nähert sich, um zu sehen, was es gibt.
In einiger Entfernung, dort wo die beleuchtete Straße beginnt, die nach der Innenstadt zu führt, treiben einige schwarz uniformierte Milizsoldaten etwa zwanzig Männer und Frauen vor sich her, deren Hände auf den Rücken gefesselt sind. Obgleich keiner der Verhafteten sich wehrt, prügeln die Uniformierten ständig mit Knüppeln auf sie ein.
Schon der Wunsch aufzuwachen gilt als Verbrechen.
«Ich kann sowas nicht sehen», knirscht eine Akrobatin, die vor dem Clown steht, «ich kann's einfach nicht mit ansehen.»
Ihr Partner, der neben ihr steht, versucht sie festzuhalten, aber sie reißt sich los und rennt auf die Gruppe der Verhafteten zu. Sie hat noch immer ihr Trikot an, nur einen Mantel über die Schulter geworfen. Sie umkreist die Uniformierten einige Male, vollführt alle möglichen provozierenden Bewegungen und schreit ihnen Beschimpfungen ins Gesicht, dabei verliert sie ihren Mantel. Die Milizsoldaten beachten sie nicht einmal. Statt dessen fällt einer der Verhafteten plötzlich wie tot zu Boden. Einer der Uniformierten stößt ihm den Stiefel in die Seite. Da das nichts nützt, schlägt er mit dem Knüppel auf den Mann ein. Die übrigen Verhafteten sind stehen geblieben und sehen mit bleichen, halb schlafenden Gesichtern zu.
Die Akrobatin kommt, nun ohne ihren Mantel, zur Gruppe der Zirkusleute zurück.
«Tut doch was!» stammelt sie. «Steht doch nicht da wie Idioten! Tut doch was!»
Ich habe mir immer Mühe gegeben, Damen und Herren, ich habe getan, was mir möglich war.
Der Clown schiebt sich nach vorn. Er tätschelt der Akrobatin die Backe und murmelt: «Laßt mich das mal machen.»
Erstaunte Blicke treffen ihn. Die Akrobatin flüstert: «Habt ihr gehört?»
Wie kann man Angst haben, wenn man gleich aufwachen wird? Auch ich bin nur ein Traum. Meine Existenz ist lächerlich und unbegreiflich.
Inzwischen sind zwei andere Schwarzuniformierte mit Maschinenpistolen unterm Arm zwischen den Wohnwagen aufgetaucht und kommen auf die Gruppe der Zirkusleute zu. Der Clown geht ihnen entgegen. Sie halten inne, die Waffen im Anschlag. Ihre Gesichter sind jung, kindlich und ein wenig gedunsen. Sie sehen aus, als schliefen sie mit offenen Augen.
Der Clown zieht die zusammengerollte Peitsche des Direktors aus der Manteltasche und tippt damit grüßend an den Rand seines Hutes. Die beiden Uniformierten schauen unsicher auf die Peitsche, dann tauschen sie einen raschen Blick miteinander und stehen stramm.
«Kennt ihr mich?» fragt der Clown in scharfem, befehlsgewohntem Ton.
Abermals wechseln die beiden einen unsicheren Blick, dann sagt der eine: «Zu Befehl, nein.» «Ihr werdet mich kennen lernen», fährt der Clown fort, «und ich garantiere euch, daß es euch leid tun wird, mir in den Weg gelaufen zu sein!
Habt ihr gesehen, was dort drüben passiert ist?»
«Zu Befehl, nein», sagt diesmal der andere Soldat.
«Was für ein Hornochse hat hier eigentlich das Kommando?» bellt der Clown sie an, «keiner weiß vom anderen, keiner weiß, was los ist, jeder wurstelt für sich herum, wie er Lust hat! Das Wort Disziplin scheint hier ein Fremdwort zu sein. Dort drüben werden Leute abgeführt, deren Verhaftung mir vorbehalten war, ganz alleine mir! Diese übereifrigen Idioten haben damit einen unserer wichtigsten Pläne vereitelt! Verdammt nochmal, hier wird nicht Räuber und Gendarm gespielt, verstanden! Beeilt euch gefälligst, ihr Hanswurste, und meldet euren Kameraden da drüben, daß die Gefangenen unverzüglich frei zu lassen sind, unverzüglich! Habt ihr das begriffen?»
«Jawohl», sagt der erste Schwarzuniformierte, «aber was soll ich melden, von wem der Befehl kommt?»
«Von mir!» schreit ihn der Clown an, «sagt diesen gottverdammten Narren, der Befehl kommt von dem Mann mit der Peitsche! Ich hoffe, daß die besser informiert sind als Ihr beide, sonst gnade ihnen Gott. Worauf wartet Ihr noch? Beeilt euch, hopp!»
Die beiden Uniformierten rennen los, nicht sonderlich eilig, sie sind sichtlich konfus. Die Gruppe der Verhafteten und ihrer Wächter ist inzwischen irgendwo in der Dunkelheit verschwunden. Der Clown dreht sich nach den Kollegen um, aber auch die sind fort. Er steht allein auf dem Platz.
Langsam geht er in Richtung Stadtzentrum. Er hat noch viel Zeit bis Mitternacht, aber er wird die Adresse, die der Direktor ihm gegeben hat, suchen müssen. Und er hat einen beklagenswerten Orientierungssinn. Er geht und geht, einen Schritt vor den anderen, blindlings, wie er sein ganzes Leben lang gegangen ist.
Wie jeder sein ganzes Leben lang geht, ohne den nächsten Augenblick zu kennen, ohne zu wissen, ob er beim nächsten Schritt noch auf festen Boden treten oder schon ins Nichts stolpern wird. Diese Welt ist so fadenscheinig, daß jeder Schritt ein Entschluß ist.
Es ist diese besondere Art zu gehen, die die Zuschauer schon zu Anfang seiner Nummer zum Lachen reizt. Er braucht nur in die Manege zu kommen, ein wenig torkelnd immer, irgendwie zaudernd und mit jedem Schritt das Zaudern überwindend, gleichsam trotzig auftretend, als wolle er es darauf ankommen lassen. Wie ein dickköpfiges Kind.
In den Straßen, durch die er kommt, liegen umgestürzte Autos, manche brennen noch ein wenig. Viele Fensterscheiben sind zerbrochen, und das Glas knirscht unter seinen Sohlen. Er steigt über einen toten Hund, und später sieht er in einer Öllache einen Vogel, der auf dem Rücken liegt mit ausgebreiteten Flügeln. Wahrscheinlich hat ihn der Rauch getötet.
Meine Existenz ist unbegreiflich und lächerlich. Aber es lag nie in meiner freien Entscheidung, mir eine andere zu wählen. Man bleibt der, der man ist. Die Freiheit gibt es immer nur in der Zukunft. In der Vergangenheit ist sie nicht mehr zu finden. Niemand kann sich eine andere Vergangenheit aussuchen. Alles, was geschieht, mußte so kommen, wie es kam. Nachträglich ist alles zwangsläufig, vorher nichts. Das einzige, worum es geht, ist aufzuwachen aus dem Traum. Trotzdem laufen wir hinter der Freiheit her, wir können nicht anders, aber die Freiheit ist uns immer einen Schritt voraus wie eine Luftspiegelung, ist immer im nächsten Augenblick, immer in der Zukunft. Und die Zukunft ist dunkel, eine schwarze, undurchdringliche Wand vor unseren Augen. Nein, sie geht mitten durch unsere beiden Augen, quer durch unseren Kopf. Wir sind blind. Von Zukunft geblendet. Wir sehen niemals, was vor uns liegt, niemals die nächste Sekunde, bis wir uns die Nase daran einschlagen. Wir sehen nur, was wir schon gesehen haben. Das heißt also: Nichts.
Der Clown geht in eines der Häuser hinein. Es ist trübe erleuchtet. Die Türen sind zersplittert, in den Wohnungen findet er umgestürzte Stühle, zerschlagene Möbel, Brandspuren, zerrissene Vorhänge. Um einen Tisch sitzen Leute, sie scheinen schon sehr lange hier zu sitzen, denn zwischen ihnen haben Spinnen ihre Netze gewebt. Die Gesichter, ausgedörrt wie die von Mumien, zeigen die Zähne oder haben die Münder weit aufgerissen wie zu unhörbarem Gelächter. Zwischen ihnen bemerkt der Clown einen mageren jungen Mann, der mit dem Kopf auf den Armen schläft. Auf den Staub der Tischplatte sind Zahlen geschrieben, viele Zahlen. Der Junge schläft wie ein Kind, und der Clown geht leise hinaus, um ihn nicht zu wecken.
Er gerät in Hinterhöfe und steigt über zerbröckelnde Mauern und hat sich schließlich, wie er's voraussehen konnte, rettungslos verirrt. Doch beunruhigt ihn das nicht weiter.
Und dann steht er plötzlich auf einem weiten Platz, der hell erleuchtet ist. Aus vielen Schaufenstern eines Warenhauses strahlt Licht.
Der Clown geht von einem zum anderen, alle sind leer. Erst als er um eine Ecke biegt, sieht er eine Ansammlung von Menschen, die vor einer der Glasscheiben stehen und reglos hineinstarren, darunter auch mehrere Schwarzuniformierte. Er ist nicht ganz sicher, aber es kommt ihm so vor, als ob auch die zwei, mit denen er geredet hat, darunter sind - und die anderen, die die Verhafteten abführten, und auch ihre Opfer stehen da. Sie interessieren sich nicht mehr für einander, sie sind ganz in Anspruch genommen von dem, was sie im Schaufenster sehen.
Der Clown stellt sich auf die Zehen und blickt über ihre Köpfe hinweg. Hinter der großen Glasscheibe quirlt es von riesigem Geziefer, von armlangen Panzerwürmern, die sich aufrichten mit tausend flimmernden Beinchen, von handtellergroßen Asseln und von Käfern, schwarz und dick wie Stiefel. Hoch über dem Gewimmel schwebt eine große Kugel, glattpoliert und metallen. Sie schwebt, wie es scheint, frei in der Luft, ganz ohne Haltevorrichtung oder Fäden und dreht sich in jeder Richtung, bald langsam, bald wirbelnd schnell. Auf dieser Kugel sitzt eine Ratte, eine enorme Ratte, fast so groß wie ein Hund. Sie läuft gewandt in der jeweils entgegengesetzten Richtung, um sich auf der Kugel zu halten. Wer weiß, wie lange sie sich schon in dieser schrecklichen Lage befindet. Sie scheint am Ende ihrer Kräfte, ihr Fell ist naß und struppig von Angstschweiß, ihr Maul halb geöffnet, so daß man die gelben langen Nagezähne sieht, ihr Atem geht rasend schnell. Lang wird sie es nicht mehr machen, bald wird sie abgleiten und in das grausige Gewimmel stürzen, das schon gierig mit tausend Fühlern und Zangen nach ihr hinauftastet.
Dieses Schauspiel also ist es, das die Leute vor der Scheibe vereinigt.
Die Hölle ist ein böser Traum, der nie endet. Aber wie bin ich in ihn hineingeraten? Was muß ich nur tun, um endlich aufzuwachen? Der Clown blickt in die Gesichter der Umstehenden. Ihre Augen sind offen, aber glasig wie die von Schlafenden. Einigen stehen die Münder auf. Keiner beachtet den, der sie so ganz aus der Nähe anstarrt. Sie haben sich auch gegenseitig vergessen. Und er weiß, daß keine dieser lebenden Puppen ihm antworten würde, wenn er sie nach dem Weg fragte. Außerdem darf er es nicht, er darf ja die Adresse nicht nennen, um keinen Preis. Ich wende mich an dich, an den, der mich träumt, wer du auch sein magst. Ich weiß, ich kann nichts gegen dich ausrichten, du bist der stärkere. Führe mich also, wohin du willst, aber denk daran: Mir machst du nichts mehr vor.
Ohne zu wissen wie, findet sich der Clown nach einer Weile in der Nähe jenes Gebäudes, das ihm vom Direktor bezeichnet worden ist - es handelt sich um eine kleine Artistenpension, die ihm von früher her bekannt ist. Auf der Straße liegen Tote, steif und unmöglich verrenkt wie Schaufensterfiguren. Dazwischen verstreut einzelne Gliedmaßen, auch Köpfe mit Hüten auf und Krawatten um den Hals.
Als der Clown in die Straße einbiegt, wo die Pension liegt, sieht er schon von weitem, daß sie von Menschen erfüllt ist, die hin- und herwogen wie Meereswellen. Vor der Tür der Pension stauen sie sich und branden wieder zurück. Aber alles das geht ohne Laut vor sich und übertrieben langsam. Auch viele Schwarzuniformierte sind darunter und andere Männer in langen Ledermänteln. Jeder scheint auf jeden einzuprügeln mit äußerster Kraft, doch wegen der Langsamkeit der Bewegung wirkt das Ganze wie ein gespenstisches Zeremoniell. Mit weit ausholenden, tanzartigen Bewegungen schlägt jeder die Faust oder das, was er in ihr hält, in das Gesicht dessen, der ihm am nächsten steht. Nichts ist zu hören als ein dumpfes, allgemeines Keuchen und das Klatschen und Krachen der Schläge.
Der Clown wendet sich rasch ab und stellt den Mantelkragen hoch, um sein Gesicht zu verbergen, denn schon ist einer der Schläger auf ihn aufmerksam geworden und zeigt auf ihn. Andere wenden ihre teilnahmslosen, verschwollenen Gesichter herum, und nun kommt ein Dutzend mit langen, halb schwebenden Schritten auf ihn zu. Andere schließen sich an. Der Clown biegt rasch um eine Ecke in eine dunkle Seitengasse ein, dann in die nächste und noch einmal in eine andere. Er schaut im Laufen zurück und sieht keine Verfolger mehr. Vielleicht hat er sie abgeschüttelt.
Es hat keinen Sinn zu fliehen. Es gibt keine Zuflucht. Was hier geschieht, geschieht überall. Es geschieht immer. Wer flieht, geht erst recht in die Falle.
Nachdem er noch einige weitere finstere Gassen durchquert hat, entdeckt er den matt erleuchteten Eingang eines Lokals, einer Bierschänke, wie es scheint. Der Eingang besteht aus einer überdimensionalen Drehtür, vor und in der einige Betrunkene herumtorkeln. Erst beim Nähertreten kommen dem Clown Zweifel, ob es sich um Betrunkene handelt, denn alle halten die Augen geschlossen und strecken die Arme vor, als wollten sie Blinde spielen. Vielleicht sind es Schlafwandler und Mondsüchtige, denn als der Clown leise einen von ihnen anspricht, antwortet der nicht, sondern fährt fort, mit vorgestreckten Armen herumzuirren. Vielleicht verstellen sie sich, vielleicht auch nicht. Der Clown beschließt einzutreten und im Lokal zu warten, bis er zur Pension zurückkehren kann. Er schiebt sich durch die Drehtür.
Das Lokal liegt im Souterrain, und er stolpert einige Stufen hinunter, die er nicht bemerkt hat. Vor ihm liegt ein schlauchartig langgestreckter Raum, der sich nach hinten zu in Halbdunkel und Rauchschwaden verliert. Nur einige nackte Glühbirnen von geringer Leuchtkraft hängen von der Decke und verbreiten trübes Licht. In der hintersten Ecke zur Linken erhebt sich eine Art Empore, von einem holzgeschnitzten Geländer umgeben. Alle Tische des Lokals, mit Ausnahme des einen auf der Empore, sind dicht besetzt. Halb geleerte Biergläser, umgestürzte Aschenbecher und Speisereste bedecken die Platten. Die Gäste sitzen einer an den anderen gedrängt, viele haben die Gesichter auf die Arme gelegt, manche liegen auch mit der Wange in einer Bierlache, während ihre Arme unter den Tisch baumeln, alle schlafen mit offenen Mündern. Atemgeräusche, Schmatzen und Schnarchen erfüllt die übelriechende Luft. Bisweilen regt sich einer der Schläfer, wälzt seinen Kopf von einer Seite auf die andere und seufzt, als könne er die rechte Bequemlichkeit nicht finden.
Der Clown sucht sich einen Weg zwischen den Tischen, über ausgestreckte Beine hinweg, zu jener Empore im Hintergrund, um den einzigen freien Platz zu erreichen. Er kommt vor dem Holzgeländer an und muß feststellen, daß dieses keinerlei Eintrittsöffnung hat, auch gibt es keine Stufen, die dort hinauffuhren. Also klettert er vorsichtig, um keinen der Schläfer zu stören, auf den nächststehenden Tisch und von dort aus über das Geländer. Seufzend läßt er sich auf einem der Stühle nieder, stützt das Kinn in die Faust und wartet.
Sie träumen, daß sie träumen. Sie sind in einem anderen Traum. Man soll sie nicht wecken. Ich möchte schlafen können wie sie.
«Hörst du mir überhaupt zu?» fragt halblaut eine gereizte Stimme.
Der Clown zuckt zusammen. Erst jetzt wird ihm bewußt, daß schon seit einer ganzen Weile jemand leise auf ihn einredet. Es ist der Direktor.
«Aber ja», murmelt der Clown, «ich höre genau zu.» Er fischt in seinem trüben Gedächtnis nach irgendwelchen Worten, die er gehört hat. Es war davon die Rede gewesen, fällt ihm jetzt ein, daß die Sitzung des Komitees im letzten Augenblick hierher verlegt worden sei, weil die Miliz durch irgendeinen Verräter Wind von der Sache bekommen hätte und die Pension abgeriegelt worden sei.
«Es scheint dich nicht sonderlich zu beeindrucken», sagt der Direktor und mustert den Clown mißtrauisch von der Seite. «Hast du eine Ahnung, wer der Verräter gewesen sein könnte?»
Der Clown schüttelt den Kopf.
«Woher wußtest du eigentlich, daß wir hier sind?» forscht der Direktor weiter und kaut auf dem kalten Zigarrenstummel, «oder hat dich der pure Zufall hergeführt?»
Der Clown nickt.
«Viele Zufälle, findest du nicht?» fragt der Direktor.
Der Clown nickt tiefsinnig, dann dreht er sich auf seinem Stuhl um und sagt laut: «Aber die Bedienung ist katastrophal! Wie lang muß man hier eigentlich warten, bis man bestellen darf?»
«Still!» ruft der Direktor mit erstickter Stimme und hält dem Clown den Mund zu. Als er ihn wieder freigibt, fragt der Clown: «Wieso?»
Der Direktor lehnt sich zurück.
«Hör mal. ich habe die Verantwortung für dich übernommen. Ich stehe für dich ein. Aber es gibt einige unter uns, die der Überzeugung sind, nur du könntest der Verräter sein. Ich habe ihnen gesagt, daß ich dich für unfähig halte, eine solche Schweinerei zu begehen. Was sagst du dazu?»
Der Clown holt aus seiner Manteltasche die Peitsche des Direktors und legt sie vor ihn hin. «Da!» sagt er, «die hast du vergessen.»
Der Direktor rollt den Zigarrenstummel zwischen den Lippen hin und her. «Danke, mein Alter. Ich brauche sie nicht mehr.»
Wieder mustert er den Clown mit zusammengekniffenen Augen.
«Niemand hat gehört, was du zu den Schwarzuniformierten gesagt hast. Es gibt einige unter uns, die es wissen möchten. Was hast du gesagt?» «Ich habe ihnen befohlen, den anderen zu sagen, daß sie die Gefangenen freilassen sollen.» «Das hast du gesagt? Und was haben sie geantwortet?»
«Sie haben gehorcht, weil sie die Peitsche gesehen haben.»
Der Direktor zündet sich den Zigarrenstummel an und raucht zwei, drei Züge mit geschlossenen Augen. Dann gibt er sich einen Ruck, klopft dem Clown anerkennend aufs Knie und grinst. «Ich glaube dir. Ich kenne dich und glaube dir. Wir werden alles wieder einrenken. Laß mich das nur machen, mein Alter.»
Er beugt sich vor und schaut dem Clown eindringlich in die Augen. «Was meinst du, soll ich jetzt gleich meine Rede halten?»
Der Clown blickt über die Schlafenden und nickt. Man sollte sie nicht wecken. Sie sind in einem anderen Traum. Vielleicht sind sie es, die diese Welt träumen.
«Unbedingt», sagt er, «das ist der richtige Moment.»
Der Direktor erhebt sich und tritt ans Geländer. Dann scheinen ihm aber doch noch einmal Bedenken zu kommen, und er wendet sich zum Clown zurück.
«Ich werde doch vielleicht lieber erst den Wirt fragen. Er ist zwar einer der unseren, aber vielleicht ist es besser, wenn ich frage, ob er einverstanden ist. Schließlich ist es ja sein Lokal.»
«Das solltest du tun», meint der Clown.
Der Direktor macht sich daran, über das Geländer zu klettern. Er sitzt schon rittlings darauf, da hält er noch einmal inne und flüstert dem Clown zu: «Hör mal, du könntest schon mal ein paar einleitende Worte sagen. Du verstehst schon: Die Zuhörer ein bißchen anwärmen und so weiter. Ich komme dann gleich zurück und übernehme die Ansprache.»
Der Clown nickt kraftlos. «Du weißt doch, daß ich so was nicht kann. Ich bringe so leicht alles durcheinander.»
«Dann nimm dich eben zusammen!» zischt der Direktor wütend. «Verstehst du denn nicht? Ich gebe dir eine Chance. Vielleicht ist es deine letzte.»
«Worüber soll ich denn reden?»
«Worüber du willst.»
Der Direktor springt auf den Boden hinunter, hält sich mit beiden Händen an den Holzsprossen des Geländers fest und sagt zwischen ihnen hindurch zum Clown hinauf: «Wichtig ist, daß du die Leute in Stimmung bringst. Darum geht es.»
Es geht darum aufzuwachen. Das ist das einzige, worum es geht.
Der Clown blickt dem Direktor nach, wie der sich zwischen den Tischen hindurch den Weg zu einer Tür bahnt, die in der Seitenwand des langen Raumes ist. Dort dreht er sich noch einmal um und macht ein aufforderndes Zeichen mit der Hand. Als er die Tür öffnet, wird für einen Augenblick Stimmengewirr hörbar, auch Frauenstimmen sind darunter, sie klingen erregt, als sei ein Streit im Gange. Möglicherweise ist es der Eingang zur Küche.
Ich will nicht reden. Ich will überhaupt nie wieder reden müssen. Ich habe nichts mehr zu sagen.
Der Clown klettert rasch über das Geländer auf einen der langen Tische hinunter und läuft, vorsichtig darauf bedacht, keinen zu berühren, zwischen den Köpfen der Schläfer und den Biergläsern auf das Ende der Platte zu. Er will sich aus dem Staub machen.
Es hilft nichts zu fliehen. Es gibt keine Zuflucht.
Eben will er auf den Boden hinuntersteigen, da öffnet sich noch einmal die Küchentür, und der Direktor streckt den Kopf herein.
«Hast du schon angefangen?»
«Noch nicht», antwortet der Clown mutlos, «ich bin eben dabei.»
«Mach schnell!» sagt der Direktor, «ich verlasse mich auf dich.» Sein Kopf verschwindet.
Der Clown richtet sich auf. Er steht auf dem Tisch und dreht sich nach allen Seiten, dann verschränkt er die Arme auf dem Rücken wie ein Schulkind, das ein Gedicht aufsagen soll.
Hochverehrtes Publikum, meine lieben Träumer!
Die nächste Nummer, die nun folgt, ist einmalig auf der Welt und erfordert äußerste Konzentration. Darum bitten wir um völlige Stille und einen Trommelwirbel. Dies ist der Augenblick der Wahrheit, aber ich weiß, ehrlich gesagt nicht, was ein Augenblick ist, und ich weiß nichts von der Wahrheit, und wen ich mit «ich» meine, weiß ich am allerwenigsten.
Als ich in diesen Traum kam, den ihr die Welt nennt, war er schlimm, und er ist schlimm geblieben oder noch schlimmer geworden. Ich habe kein Gedächtnis. Ich kann euch keine Einzelheiten erzählen. Immer vergesse ich alles. Ich dachte mir, daß es der verkehrte Traum oder die verkehrte Welt ist, in die ich da geraten bin. Oder vielleicht war ich der Verkehrte für diese Welt, für diesen Traum. Man hat mich verprügelt und eingesperrt, man hat mich gelobt und mir viel Geld gegeben zuzeiten, obwohl ich immer derselbe war und das gleiche tat.
Darum habe ich mich darauf verlegt, euch lachen und weinen zu machen. Das war es, was ich konnte.
Der Clown fühlt sich ein wenig gestört, weil ihn ein fliegender Bierglasuntersetzer aus filzartiger Pappe getroffen hat. Offenbar hat ihn jemand mutwillig zur Zielscheibe eines Scherzes erwählt. Er wendet sich nach dem Spaßvogel um und erblickt auf jener Empore, wo er noch eben mit dem Direktor saß, einen großen, glatzköpfigen, athletisch gebauten Mann, der ihm einfältig zulacht und fortfährt, mit den runden Filzuntersetzern nach ihm zu werfen. Offenbar handelt es sich um den Schankburschen des Lokals, denn er trägt eine grüne Schürze. Der Clown, in der Annahme, daß der Muskelmann es nicht böse meint, gibt ihm durch eine Handbewegung zu verstehen, daß er jetzt an dem Spiel nicht teilnehmen könne, weil er mit Wichtigem beschäftigt sei. Dabei lächelt er gewinnend, um den dumpfen Menschen nicht zu reizen. Da der jedoch grinsend mit seiner Belästigung fortfährt, steigt der Clown auf einen anderen, weiter entfernt liegenden Tisch hinüber.
Ich warte und warte darauf, endlich aufzuwachen, aber ich kann nicht. Wie ein Schwimmer, der unter die Eisdecke geraten ist, suche ich nach einer Stelle zum Auftauchen. Aber da ist keine Stelle! Mein Leben lang schwimme ich mit angehaltenem Atem. Ich weiß nicht, wie ihr es schafft.
Der Clown muß sich bücken, um einigen neuerlichen, gutgezielten Bierglasuntersetzern zu entgehen. Da er aber doch wieder von einigen Wurfgeschoßen getroffen wird, nimmt er nun seinerseits eine der auf dem Tisch liegenden durchweichten Pappscheiben auf und wirft sie nach dem Schankburschen, immer lächelnd natürlich und in der Hoffnung, den einfältigen Kerl damit endlich zufriedenzustellen oder ihn dazu zu bewegen, dieses dumme Spiel zu beenden. Der Schankbursche hält auch tatsächlich überrascht inne. Der Clown schaut sich nach allen Seiten um, in der Hoffnung, der Direktor sei endlich zurückgekommen, um die Situation in die Hand zu nehmen. Aber der ist noch immer nirgends zu sehen.
Oder weiß unser Träumer am Ende überhaupt nicht, daß er uns alle nur träumt? Kann ich, sein Traum, es ihm begreiflich machen, damit er endlich aufwacht? Und erklärt mir eins, Damen und Herren: Was wird aus einem Traum, wenn der Träumer erwacht? Nichts? Ist er dann nichts mehr? Aber ich will hier raus - im Ernst! Ich will nicht mehr träumen, da zu sein. Ich will mich auch nicht mehr von wer weiß wem träumen lassen. Oder träumen wir alle uns gegenseitig? Ein Gewebe von Träumen, ein Traumdickicht ohne Grenzen, ohne Grund? Sind wir alle ein einziger Traum, den niemand träumt?
In diesem Augenblick fliegt ein Bierglas haarscharf am Kopf des Clowns vorüber und zersplittert krachend hinter ihm an der Wand. Der Schankbursche kann es nicht geworfen haben, denn es ist aus ganz anderer Richtung gekommen. Doch hat der Clown auch nicht gesehen, daß einer der Schläfer sich geregt hätte. Während er noch, die Hand über den Augen, herumspäht, fliegt wiederum aus einer anderen Richtung eine Flasche auf ihn zu, der er nur knapp ausweichen kann. Weitere Flaschen, Biergläser, Aschenbecher aus Steingut und andere Gegenstände folgen kreuz und quer aus allen Richtungen, bis ein wahrer Hagel solcher Wurfgeschoße um ihn her losbricht. Schützend legt er die Arme um den Kopf und bückt sich, kann aber so, in seiner Sicht behindert, nicht mehr wendig genug ausweichen und wird einige Male an Rücken, Schultern und Armen sehr schmerzhaft getroffen.
Da die Wucht der Wurfgeschoße immer zunimmt, so daß sie bald mit dem schrillen Kreischen von Querschlägern die Luft durchschneiden, hält der Clown es für angeraten, vom Tisch herunterzuspringen. Auf allen vieren und immer auf Deckung bedacht, kriecht er zwischen den Beinen der reglos Schlafenden auf die Küchentür zu. Er erreicht sie schließlich, aber sie läßt sich nicht öffnen. Nicht so, als sei sie abgeschlossen, sondern so, als habe man von der anderen Seite schwere Möbel davorgeschoben. Er rüttelt an der Klinke, hämmert mit Fäusten gegen die Tür, was allerdings im Tumult der Wurfgeschoße kaum zu hören ist, und stemmt sich mit all seiner nicht mehr sehr großen Kraft dagegen. Es ist vergeblich. Er richtet sich auf und blickt in den Saal zurück. Nun ist auch der Schankbursche nicht mehr da, vielleicht hat auch er sich vor dem Bombardement in Sicherheit gebracht. Der Clown ist allein mit dem Heer der Schlafenden und ihrer Schlacht.
Wenn es aber so ist, daß ich nur euer gemeinsamer Traum bin, daß ihr alle zusammen mich von Anfang an geträumt habt, daß ich nie etwas anderes war als der Traum meines hochverehrten Publikums - dann bitte ich euch, meine lieben Träumer, ich bitte euch von ganzem Herzen: Entlaßt mich nun! Träumt hinfort von etwas anderem, aber nicht mehr von mir! Ich kann nicht mehr. Ich mute euch nicht zu aufzuwachen. Schlaft meinetwegen weiter, solange ihr wollt und schlaft gut, aber hört auf, mich zu träumen! Ihr habt euren Spaß an mir gehabt, bitte, laßt mich nun gehen!
Im gleichen Augenblick trifft ihn ein steinerner Bierkrug mit der Gewalt einer Granate an der Stirn und zerbirst. Das blasse alte Säuglingsgesicht des Clowns ist plötzlich rot von Blut und zeigt den Ausdruck tiefster Überraschung und völliger Einsicht. Er lächelt, als habe er endlich alles verstanden. Seine Arme vollführen jene zeremonielle Gebärde, mit der er stets für den Applaus der Zuschauer gedankt hat, dann stürzt er steif wie eine Wachsfigur vornüber auf den scherbenbedeckten Dielenboden.