DER BORDELLPALAST AUF DEM BERGE ERSTRAHLTE IN DIESER NACHT…

… in kaltem Glanz. Abertausende von Lichtschlangen zuckten, und laufende Girlanden aus Lämpchen erleuchteten ihn wie ein Hypodrom und warfen ihren Schein hinunter bis in die düsteren Gassen und armseligen Hinterhöfe der Hurenstadt, die sonst im Dunkel lagen, denn dort unten gab es kein eigenes Licht. In den schmutzigen Winkeln, in Toreinfahrten, Haustüren und Fensterhöhlen drängten sich unzählige Gesichter, geisterhaft im Widerschein, winzige und riesige, aufgedunsene oder hohlwangige Gesichter, die alle hinauf starrten zu den morchelförmigen Türmen, den Doppelkuppeln, den bauchigen Mauern des Riesenbaus.

Nur wenige bemerkten das weiße, langmähnige Pferd, das auf prunkvolle Art aufgezäumt und gesattelt durch die Straßen zum Palast hinauftrottete. Es bewegte sich langsam und müde, als seien seine Hufe aus Blei. Sein Kopf hing schwer herab. Im Sattel saß vornübergebeugt ein einbeiniger Bettler in zerfetzter Kleidung, der auf dem Kopf eine Papierkrone trug. Sein Gesicht war von Gram verwittert.

«Unsere Königin wird Hochzeit feiern», flüsterten manche, «und das ist ihr Bräutigam.»

«Aber sie hat doch schon einen Mann», widersprachen andere.

«Das braucht sie nicht zu kümmern», meinten einige, «schließlich ist sie die Hurenkönigin.» Und ein paar wagten sogar zu fragen: «Wer hat je ihren Mann gesehen? Vielleicht gibt es ihn gar nicht.»

Aber sie wurden schnell zum Schweigen gebracht. Es war nicht gut, solche Reden zu führen, denn die Königin erfuhr alles und ließ nicht mit sich spaßen.

Als der Reiter vor dem nickelglänzenden Portal des Palastes ankam, das die Form einer großen Vulva hatte, blieb das weiße Pferd von selbst stehen. Niemand kam dem Besucher zur Begrüßung entgegen, kein Laut war zu hören, das hell erleuchtete Gebäude schien wie ausgestorben. Der Bettler ließ sich aus dem Sattel gleiten, nahm zwei rohe Holzkrücken, die über dem Knauf hingen und humpelte damit die Stufen hinauf.

Im Inneren des Gebäudes bestand alles aus einem graphitschwarzen, metallisch glänzenden Material, doch konnten die Formen ebensogut technischen wie organischen Ursprungs sein. Es gab Wände und Decken, die gerippt waren wie ein Gaumen, und im Boden verliefen knotige Adernstränge. Da waren riesige Kolben, die in Röhren oder Öffnungen langsam hin- und zurückglitten, oder kleine, die dieselbe Bewegung rasend schnell vollführten. Dazu war ein Schnaufen und dumpfes Stöhnen zu hören, manchmal auch schrilles Kreischen und Quietschen. An dicken, ölglänzenden Stangen fuhren ringförmige Manschetten auf und nieder, die von gelenkreichen Greifarmen bewegt wurden, oder pumpenartige Gebilde stießen mächtige Pfähle in tiefe Brunnenschächte hinunter. Die Luft war schwer vom Geruch nach heißem Metall.

In anderen Räumen gab es bauchige Düsen, die in gewissen Abständen zähe Flüssigkeiten in Rinnen oder ovale Maueröffnungen spritzten, die sich danach zuckend schlössen. Besondere Schwierigkeiten bereitete dem Mann mit den Krücken ein langer, röhrenförmiger Gang, dessen Wände und Boden glitschig waren und sich in ständiger peri-staltischer Bewegung befanden. Schließlich hatte er sich in einen Wald aus knorrigen Säulen verirrt, die immerfort anschwollen, sich aufrichteten und wieder zusammenschrumpften. Er wußte nicht mehr, wohin er sich wenden mußte.

Plötzlich stand eine gebückte, graue Gestalt vor ihm, ein alter Mann, der ihn prüfend aus schmalen Augen anblickte und mit heiserer Stimme fragte: «Bist du der, der gerufen wurde?» Der Bettler nickte.

«Komm!» sagte der Alte und ging voraus. Nach längerer Wanderung kamen sie in einen riesenhaften, leeren und dunklen Rundsaal, in dessen Mitte, grell von Scheinwerfern angestrahlt, sich ein etwa brusthohes Podium von der Art eines Boxrings befand, das ebenfalls rund war. Im Zentrum stand ein nickelglänzender Operationssessel und auf ihm lag die Hurenkönigin.

Niemand hatte je ihr Gesicht gesehen, denn es war mit einer stählernen Maske bedeckt. Ihr Kopf war kahl, und auch ihr nackter Körper war vollkommen haarlos. Ihre elfenbeinglatten Glieder, ihr Rumpf, ihre Brüste waren von makelloser Schönheit, doch wirkte ihre Nacktheit klinisch wie die eines Körpers im Anatomiesaal.

Der kleine graue Mann hüstelte, als sie vor dem Podium standen.

Sie hob ihren Kopf, die stählernen Lider öffneten sich, und sie betrachtete den Bettler mit jadefarbenen Augen.

«Komm näher!» sagte sie träge, «komm herauf zu mir!»

Ihre Stimme klang glatt und weich und auf unerklärliche Art künstlich.

Der kleine graue Mann wollte dem Bettler auf die Bühne hinaufhelfen, aber der wies ihn mit einer Handbewegung ab und blieb reglos stehen.

«Du bist-noch immer auf der Hut vor mir?» Sie erhob sich und kam an den Rand des Podiums. Sie stand unmittelbar vor dem Bettler und sah über ihre Brüste hinweg zu ihm hinunter. Der Geruch nach heißem Metall, der von ihr ausging, war betäubend.

«Wer hat dein liebes Weib im Gefängnis verfaulen lassen?» fragte sie sanft.

«Du, Königin.»

«Wer hat deine Kinder verdorben und gegen dich gehetzt?» «Du, Königin.»

«Wie hast du dein Bein verloren?» fuhr sie fast zärtlich fort. «Wer hat dich zum Bettler gemacht? Wer hat dir alles genommen und dich mit Schande und Kot überschüttet?»

«Alles du, Königin.»

Sie nickte und lachte leise.

«Und trotzdem bist du noch immer auf der Hut vor mir.»

Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. «Ich habe dir dein Reich geschaffen», sagte er langsam, «ich habe dich vor deinen Feinden beschützt. Erinnerst du dich daran?»

Der kleine graue Mann hustete. Mit einer herrischen Kopfbewegung befahl sie ihm, sich zu entfernen. Er gehorchte und verschwand lautlos in der Dunkelheit des Saales.

«Ich erinnere mich nicht», sagte sie dann, «aber es ist möglich, daß es so war. Du hast jedenfalls nicht mehr getan als deine Pflicht gegenüber deiner Königin.» Der Bettler schüttelte den Kopf. «Ich habe es getan, weil ich einen Eid geschworen habe. Das ist lange her. Damals waren wir beide noch jung.»

«Du bist nicht sehr höflich», warf sie spöttisch ein.

«Damals», fuhr er fort, «habe ich noch an dich geglaubt.»

«Und jetzt glaubst du nicht mehr an mich?» «Nein.»

«Warum hast du deinen Eid nicht einfach gebrochen?»

«Von einem Eid gibt es nichts abzuhandeln. Was daraus wird, ist Gottes Sache.»

«Man kann um alles handeln», sagte sie, «alles ist käuflich und verkäuflich. Alles. Das trifft auch für Gott zu. Auch er hat seine Preise, nicht wahr? Und sie sind nicht gerade bescheiden.»

Eine Weile standen sie schweigend, dann fragte er:

«Warum trägst du die Stahlmaske? Zeig mir dein Gesicht!»

Sie lachte, als habe er ihr ein lüsternes Angebot gemacht.

«Weißt du denn nicht, daß auch ich Schamgefühl habe - wenn es auch dem deinen entgegengesetzt ist.»

Sie sprang von dem Podium herunter und stellte sich dicht vor ihn hin. Da er den Kopf wegwandte, hob sie sein Kinn mit ihrem Zeigefinger hoch und zwang ihn, ihr weiterhin in die Augen zu sehen.

«Man sagt mir, du hast gestern gebettelt auf den Stufen der Kirche unserer Lieben Frau. Ist das wahr?»

«Es ist wahr, Königin.» «Wie ich hörte, hat man dir viele Almosen gegeben. Haufenweise, stimmt das? Die ganze Stadt kam gerannt, Arm und Reich, um dich zu beschenken.» Er nickte.

«Wieviel hast du bekommen?» «Viel», sagte er, «gegen Abend waren es fünf Säcke voll.» «Gold und Juwelen?» «Auch das.»

Die Königin wandte ihm plötzlich den Rücken zu und sagte fast unhörbar: «Sie lieben dich, nicht wahr?» Er schwieg.

«Warum lieben sie dich? Erkläre es mir!» «Ich weiß es nicht.»

«Aber ich weiß es», sagte sie plötzlich hart. «Du wirst schweigen, Königin - aus Großmut.» «Großmut…» wiederholte sie erstaunt. Sie ging langsam um ihn hemm und stellte sich hinter seinen Rücken.

«Du meinst», flüsterte sie ihm ins Ohr, «ich soll dir wenigstens diese eine Täuschung lassen. Du hast Angst, daß ich dir dein letztes Täubchen schlachte. Meine Zunge ist das Messer, und jetzt schneide ich ihm den Kopf ab: Sie haben es auf meinen Befehl getan.»

Sie umarmte ihn von hinten und drückte ihren nackten Leib an den seinen.

«Nein, nein», hauchte sie, «es ist nicht wahr. Ich habe gelogen. Keine Angst, ich tue dir nichts. Ich bin müde. Ich bin durstig. Ich bin krank. Hilf mir! Hilf mir noch dies eine Mal, du hast es geschworen!»

«Dir kann niemand helfen, Königin. Nicht einmal du selbst.»

Plötzlich ließ sie sich zu Boden gleiten, umklammerte sein Bein und bedeckte seinen Fuß und sogar die Krücken mit den Küssen ihres stählernen Mundes. Dabei schluchzte sie:

«Du könntest es! Du, du allein kannst mir helfen. Gib mir irgend etwas von diesen Almosen! Teile sie mit mir! Sei barmherzig! Ich friere so. Ich bin so allein.»

Er blickte auf sie hinab, wollte die Elfenbeinhaut ihres kahlen Kopfes berühren, zog aber die Hand wieder zurück.

«Sei nicht grausam! Du hast mich einst geliebt» - sie schrie es fast - «ich bitte dich auf meinen Knien. Siehst du, ich habe noch niemals einen Menschen angefleht, aber nun flehe ich: Gib mir das kleinste, das wertloseste all der Geschenke, die du bekommen hast. Laß mich ein einziges Mal teilhaben an etwas, das umsonst gegeben wurde!» Eine Weile war nur ihr krampfhaftes Schluchzen zu hören, dann sagte er ruhig:

«Du hast zu viel genommen, Königin, als daß du jetzt noch empfangen könntest. Aber du kannst mir nichts mehr nehmen, und ich kann dir nichts mehr geben, denn ich habe alles verschenkt.»

Sie sprang auf und trat zurück. «Wem?»

Der Bettler lächelte, und sein verwittertes Gesicht sah beinahe jung aus. «Den Armen. Wem sonst?» Sie wandte sich langsam ab und setzte sich auf den Boden, den Rücken gegen das Podest. Er beobachtete sie. Sie kroch in sich zusammen, als ob sie fröre, und schaukelte eine Weile ihren Oberkörper vor und zurück.

«Die Armen», sagte sie bitter, «immer diese Lückenbüßer der Nächstenliebe! Kannst du mir erklären, womit sie dieses göttliche Privileg verdient haben? Warum sie im Himmel und auf Erden derartig bevorzugt werden? Wie leicht das für euch ist, für dich, für Gott, für alle euresgleichen! Als ob es kein größeres Elend gäbe als die Armut! Was werden sie sich davon kaufen, deine Armen? Sie werden sich für ein paar Tage die Bäuche vollschlagen oder sich in der nächsten Kneipe besaufen und, was ihnen übrigbleibt, mit meinen Huren verplempern. Und dann wird es sein, als hätten sie nie etwas bekommen. Weißt du nicht, daß Armut unheilbar ist?»

«Ja», antwortete er, «wie ein fehlendes Bein.»

Da sie nichts erwiderte, fragte er:

«Was hättest du damit getan?»

«Ah, ich!» sagte sie, und ihre Stimme klang zornig, «ich bin ja nur eine Königin! Weißt du, was ich getan hätte? Ich hätte dein Almosen an meinem Leib getragen, ich hätte mich daran gewärmt, es hätte in meiner Dunkelheit geleuchtet.»

«Arme Königin!» sagte er.

Sie schaute nach ihm hin, aber sein Gesicht war so undurchdringlich wie ihre stählerne Maske. Sie stand auf.

«Die Kälte ist nicht in mir», rief sie in den dunklen Saal hinein, «ich bin ein Stern aus feuerflüssiger Lava. Aber der Weltraum um mich ist leer und kalt. Und in meiner Umarmung wird alles zu Asche.»

Das Echo warf ihre Worte zurück und wiederholte sie ferner und ferner. Der Bettler wartete, bis es still war, dann sagte er leise:

«Zwei Dinge habe ich behalten. Du kannst eines davon wählen.»

Sie näherte sich zögernd. Von neuem hüllte ihn der Geruch von heißem Metall ein. «Zeig her!» flüsterte sie. «Hier, meine hölzerne Bettelschale» - er holte sie aus seiner zerlumpten Jacke hervor - «ich hatte sie vor langer Zeit verloren. Jetzt hat man sie mir zurückgebracht.»

Er hielt sie ihr mit ausgestrecktem Arm hin. Die Schale war vom Gebrauch abgenützt. Kaum noch leserliche Worte waren auf ihrem Rand eingebrannt. Die Königin entzifferte: Geduld und Demut. Sie schüttelte den Kopf.

«Nicht für mich. Sie gehört dir. Das andere?» Der Bettler steckte die Schale sorgfältig wieder weg und zog aus dem Halsausschnitt seines Hemdes ein Kettchen hervor, an dem ein goldenes Medaillon hing. Es hatte die Gestalt einer kleinen Monstranz, in deren Mitte sich eine unregelmäßig geformte Glasperle befand. Ein Tropfen einer dunklen Flüssigkeit zitterte in ihrem Inneren.

«Ich weiß nicht, was es ist», sagte der Bettler, «aber vielleicht spendet es Segen.»

Mit einer jähen Bewegung riß sie ihm das Kettchen vom Hals, dann stand sie lange reglos und starrte die Perle an.

«Endlich kommt die Antwort», flüsterte sie. Dann begann sie zu kichern, immer heftiger und heftiger, bis sie sich schließlich wie eine Besessene schüttelte und gellend lachte und schrie. Unvermittelt brach ihr Gelächter ab, sie kletterte auf das Podest.

Der Bettler sah zu ihr hinauf.

«Warum lacht die Königin?»

«Ich lache über einen Witz Gottes! Er ist ein großartiger Witzbold, wußtest du das? Diese Perle hat mir einst der Teufel geschenkt, als ich noch an ihn glaubte. Ich war damals ein Kind. Ich habe versucht, sie loszuwerden vor langer Zeit. Ich habe sie in einen kochenden Vulkan geworfen. Jetzt kehrt sie zu mir zurück - wie zu dir deine Bettelschale.»

«Und was ist es?»

Sie setzte sich auf ihren Maschinenthron und räkelte sich lüstern.

«Kein Segen, mein armer Freund. Jedenfalls nicht so, wie du es meinst. In dieser kleinen gläsernen Hülle steckt etwas, das nicht in diese Welt gehört und deshalb diese Welt vernichten kann. Dies winzige Tröpfchen genügt, um alles Leben auf Erden erlöschen zu lassen. So zerbrechlich ist die Schöpfung, daß es genügt, diese Perle zu zerbrechen.»

Sie ließ das Medaillon am Kettchen vor sich baumeln und betrachtete es mit brennenden Augen.

«Es nimmt die Fruchtbarkeit von der Erde. Kein Schoß wird mehr gebären, und jeder Same wird sterben. Und wenn alles unfruchtbar geworden ist, dann wird auch das Menschengeschlecht verschwinden. Vielleicht wird es einen letzten Menschen geben, vielleicht wird er sehr alt werden, vielleicht wird er sogar der sein, der endlich das Geheimnis der irdischen Unsterblichkeit entdeckt hat. Er wird allein sein und nach dem Tod rufen, der nicht mehr kommt. Und er wird das letzte Kapitel im Buch der Menschheit schreiben, und das wird so lauten: Am Ende vernichtete der Mensch Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe. Und der letzte Mensch schrie: Es werde Licht! Aber es blieb dunkel. So ward aus einem Abend ohne Morgen die letzte Nacht.»

Sie ließ das Medaillon am Kettchen um ihren Finger wirbeln. Eine Weile war es still, dann sagte sie:

«Jedenfalls danke ich dir für dein Geschenk.»

Der Bettler fiel zu Boden und blieb wie tot liegen. Sie betrachtete ihn. Das grelle Scheinwerferlicht funkelte auf ihrer stählernen Maske.

«Wirst du es tun?» fragte er, und die Zähne schlugen ihm aufeinander.

«Da ich es habe», antwortete sie, «werde ich es tun.» «Wann?»

«Wenn der Augenblick gekommen ist.» «Kann dich etwas davon abhalten?» Sie hörte auf mit dem Kettchen zu spielen und überlegte eine Weile. «Liebst du mich?» fragte sie dann. «Das kann ich nicht, dich kann niemand lieben.» Sie streichelte mit der Hand zärtlich über ihren Elfenbeinkörper. «Und Gott?» «Auch Gott nicht. Sonst wärst du nicht, was du bist.» Die Königin ließ ein kleines spöttisches Lachen hören.

«Ist er denn auch ein so schlechter Liebhaber, daß er so rasch aufgibt?»

Der Bettler riß sich die Papierkrone vom Kopf und zerknüllte sie.

«Du lästerst Gott!»

«Könnte es nicht sein», antwortete sie, «daß Gott mich lästert?»

Der Bettler versuchte mühsam, sich wieder aufzurichten. Mehrmals glitten seine Krücken aus, und er stürzte wieder zu Boden. Als er endlich aufrecht stand, sagte er: «Wolle mich nun entlassen, Königin.» ·«Noch nicht», antwortete sie sanft. «Ich möchte noch etwas von dir wissen. Du als einziger hast mir standgehalten, auch jetzt. Du bist nicht verschwunden, du bist Wirklichkeit geblieben. Du hast dich nicht umgebracht. Wie konntest du das?»

Er wußte nichts zu erwidern. Schließlich sagte er:

«Gott hat mir geholfen.» «Ja, ja», sagte sie ein wenig ungeduldig, «ich weiß, daß du fromm bist. Ich weiß, daß du leidest. Und ich weiß, daß ich unfähig bin zu leiden. Das meinst du doch, nicht wahr? Darum möchte ich dir jetzt mein Geheimnis anvertrauen - dir ganz allein. Du sollst es von nun an mit dir herumschleppen. Und ich bin es auf diese Weise los. Du zitterst?»

«Du bist entsetzlich, Königin!»

«Nicht entsetzlicher als dein Gott», antwortete sie. «Aber ich werde euch jetzt beide entlassen, ihn und dich, der du dich so beharrlich mit ihm verwechselst. Ich werde diese Stadt und dieses Reich aus meinem Bett entlassen, in dem sie verkohlt sind. Ich wende mich einem besseren Beischläfer zu, einem erfahreneren, einem, der meiner Herausforderung gewachsen ist. Ich werde das Nichts umarmen und in meinen Schoß ziehen, und es wird mich nicht enttäuschen, da es unendlich ist. Ihr dürft mich vergessen, weil ich euch vergesse.

Hör zu, ich träumte letzte Nacht von ihm. Ja, ich träumte, daß Gott und der Teufel miteinander um mich kämpften. Es war ein sehenswertes Schauspiel, glaub mir. Sie kämpften die ganze Nacht, und ich sah von meiner Loge aus zu. Es interessierte mich wirklich, wer siegen würde. Wer, glaubst du, behielt die Oberhand, als endlich der Morgen anbrach? Du schweigst? Du wirst doch noch weise, mein armer Freund! Ich will es dir sagen. Gott natürlich.»

Der Bettler nickte. Die Königin nickte ebenfalls.

«Gott blieb Sieger. Das war vorauszusehen, nicht wahr?» Sie machte eine Pause. Dann schloß sie: «Nur daß ich da nicht mehr wußte, wer von den beiden zu Anfang Gott gewesen war. Einer war nur das Spiegelbild des anderen. Aber ich habe vergessen, wer.»

Da der Bettler nicht mehr antwortete, sagte sie: «Jetzt kannst du gehen.» Als sie allein war, saß sie lange Zeit reglos und blickte erst auf, als der kleine, gebückte Mann im grauen Anzug vor ihr auftauchte und leise hustete.

«Lösch die Lichter aus!» befahl sie ihm. «Alle!»

Und nach einem kurzen Augenblick des Überlegens fügte sie hinzu:

«Und für immer.»

«Was willst du tun?» fragte er mit heiserer Stimme.

Sie erwiderte: «Warten.»

Der graue Alte blieb stehen und schaute sie an.

«Worauf?»

Sie antwortete nicht mehr. Da ging er fort.

Eine nach der anderen erloschen die Lampen des Bordellpalastes, bis er und mit ihm die ganze Hurenstadt im Dunkel verschwand.